OFD Berlin - St 121 - S 2137 - 2/02

§ 5 EStG Rückstellungen für Bürgschaftsverpflichtungen und ähnliche vertragliche Garantien

Auf die Frage, ob die drohende Inanspruchnahme aus einer aus betrieblichen Gründen übernommenen Bürgschaft oder aus einer vergleichbaren vertraglichen Garantie nach wie vor noch zu einer Rückstellungsbildung in der Steuerbilanz führt, nimmt die OFD Berlin in Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der übrigen Länder wie folgt Stellung:

Für die Beantwortung dieser Frage kommt es entscheidend darauf an, ob eine solche Rückstellung

  1. dem Bereich der Verbindlichkeitsrückstellungen oder dem Bereich der Drohverlustrückstellungen (§ 5 Abs. 4a EStG) zuzuordnen ist

    und

  2. wenn sie dem Bereich der Verbindlichkeitsrückstellungen zuzuordnen ist, ob die Vorschrift des § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG einer Rückstellungsbildung entgegen steht.

A. Wesen einer Bürgschaft (bzw. eines Garantievertrags)

Die Bürgschaft selbst ist ein einseitig verpflichtender Vertrag, in dem sich der Bürge (oftmals eine Bank) gegenüber dem Gläubiger eines Dritten verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten (z. B. Bankkunde) einzustehen (§ 765 Abs. 1 BGB). Daneben existiert in der Regel noch ein weiterer Vertrag zwischen dem Bürgen und dem Dritten (= Hauptschuldner), in dem der Bürge - meist gegen Entgelt (Bürgschafts- oder Avalprovision) - den Abschluss des Bürgschaftsvertrags zusagt.

Es bestehen also regelmäßig zwei Rechtsbeziehungen und zwar

  1. ein einseitig verpflichtender Bürgschaftsvertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger und

  2. ein Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner.

Mit Befriedigung des Gläubigers durch den Bürgen geht die Hauptforderung des Gläubigers kraft Gesetzes auf den Bürgen über (§ 774 BGB).

Hat sich der Bürge - was regelmäßig der Fall ist - gegen Erhalt eines Entgelts verbürgt, so besteht - wie oben ausgeführt - ein Geschäftsbesorgungsvertrag, im Übrigen kann ein Auftrag oder eine Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegen. In allen Fällen entsteht bei Bürgschaftsleistung (im Innenverhältnis) ein Aufwendungsersatzanspruch des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner. Dieser Aufwendungsersatzanspruch tritt neben den gesetzlichen Forderungsübergang; der Bürge hat zivilrechtlich nach überwiegender Meinung die Wahl zwischen diesen beiden Ansprüchen (Palandt, BGB, § 774 RdNr. 4).

Beim Garantievertrag übernimmt der Garant die Haftung für einen bestimmten Erfolg oder die Gefahr bzw. den Schaden, der aus einem Rechtsverhältnis mit einem Dritten entstehen kann (z. B. Kreditsicherungsgarantie). Häufig lässt sich der Garant einen Anspruch auf Übertragung der Hauptforderung auf ihn vertraglich einräumen.

B. Bllanzsteuerrechtliche Beurteilung

Zu den aufgeworfenen Fragen vertritt die OFD Berlin folgende Auffassung:

  1. Nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Bürgschaftsverpflichtung zu passivieren, wenn eine Inanspruchnahme des Bürgen droht (vorher ist die Verpflichtung nur unter der Bilanz auszuweisen, vgl. § 251 HGB). Die Passivierung führt insoweit zu einer Gewinnminderung, als der zu aktivierende Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner wegen Wertminderung abzuschreiben ist ( BStBl II S. 614, vom , BFH/NV 1991, 588). In den Urteilsfällen konnte die Vorschrift des § 5 Abs. 4a EStG (Passivierungsverbot für Drohverlustrückstellungen) noch keine Rolle spielen. Im Übrigen kann hier dahingestellt bleiben, ob der BFH-Rechtsprechung insoweit noch zu folgen ist, dass bereits im Zeitpunkt der Passivierung der Verpflichtung die Rückgriffsforderung zu aktivieren ist, oder ob der Rückgriffsanspruch sich bei der Bewertung der Rückstellung mindernd auswirkt (offengelassen auch im BStBl II S. 437, Tz. 4 Buchst d).

  2. Bürgschaftsverpflichtungen sind nicht den drohenden Verlusten aus schwebenden Geschäften zuzuordnen. Nach § 5 Abs. 4a EStG dürfen Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften in den Steuerbilanzen für Wirtschaftsjahre, die nach dem enden, nicht (mehr) gebildet werden.

    Schwebende Geschäfte sind gegenseitige auf Leistungsaustausch gerichtete Verträge i. S. der §§ 320 ff BGB, die hinsichtlich der vereinbarten Sach- oder Dienstleistungspflicht noch nicht voll erfüllt sind (vgl. GrS vom , BStBl II S. 735, 737, Tz. B.I.2.). Bei Bürgschaftsverpflichtungen liegen - wie oben dargestellt - regelmäßig zwei verschiedene Rechtsverhältnisse vor. Die Zahlungsverpflichtung des Bürgen gegenüber dem Gläubiger ergibt sich aber (sofern nicht ein Vertrag zugunsten eines Dritten geschlossen wurde) allein aus dem einseitig verpflichtenden Bürgschaftsvertrag (so auch Wertpapiermitteilungen 1984 S. 768: ”Dieser (der Gläubiger) erwirbt erst dann Rechte gegen die Bank als Bürgin, wenn in Ausführung des Avalkreditvertrags der Bürgschaftsvertrag abgeschlossen wird, der von dem Avalkreditvertrag streng zu unterscheiden ist.”). Hinsichtlich des eigentlichen Bürgschaftsvertrags fehlt es aber an einem vereinbarten Leistungsaustausch und damit an der Grundvoraussetzung für ein schwebendes Geschäft.

    Die OFD Berlin hält es auch nicht für zulässig, ein schwebendes Geschäft mit der Begründung zu bejahen, dass

    a)

    in einer Art wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Geschäftsbesorgungsvertrag und der Bürgschaftsvertrag als Einheit anzusehen sei oder

    b)

    der gesetzliche Forderungsübergang nach § 774 BGB (bzw. ein entstehender Aufwendungsersatzanspruch) als Gegenleistung für die Bürgschaftszahlung zu werten sei.

    Zu a):

    Liegt bei einem Vertrag wegen des fehlenden gegenseitigen Leistungsaustausches ein schwebendes Geschäft dem Grunde nach nicht vor, so kann dieser fehlende Leistungsaustausch nicht durch die (gedankliche) Einbeziehung weiterer Verträge ersetzt werden, weil darin eine unzulässige Verschärfung der gesetzlichen Regelung über ihren Wortlaut hinaus liegen würde (unzulässige Gesetzesanalogie zu Lasten des Steuerpflichtigen). Klarstellend weise ich darauf hin, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung (GrS vom , BStBl II S. 735) eine wirtschaftliche Betrachtungsweise nur bei der Bestimmung des Kompensationsbereichs für Drohverlustrückstellungen angewandt hat, nicht aber bei der Frage, ob überhaupt ein gegenseitiger Vertrag als Grundvoraussetzung für die Bildung einer Drohverlustrückstellung gegeben ist.

    Zu b):

    Der gesetzliche Forderungsübergang kann weder als rechtliches noch als wirtschaftliches Synallagma zur Bürgschaftsübernahme angesehen werden (auch bei einem gewöhnlichen Darlehen stehen die Auszahlung und der Rückzahlungsanspruch zivilrechtlich nie in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zueinander, sind also nicht synallagmatisch, vgl. Palandt, BGB, § 607 RdNr. 19); der Forderungsübergang ist schlicht eine rechtliche Folge aus der Befriedigung des Gläubigers durch den Bürgen. Gleiches gilt meines Erachtens auch hinsichtlich eines im Innenverhältnis daneben entstehenden Aufwendungsersatzanspruchs. Sowohl der Forderungsübergang wie auch der Aufwendungsersatzanspruch ist letztlich ein Rückgriffsanspruch. Ein möglicher Rückgriffsanspruch vermag aber aus einer (drohenden) Verbindlichkeit kein schwebendes Geschäft zu machen. Dementsprechend sind z. B. rückständige Urlaubsverpflichtungen auch dann als Verbindlichkeitsrückstellungen auszuweisen, wenn Ausgleichsansprüche gegen eine Urlaubskasse bestehen; die Ausgleichsansprüche sind lediglich bei der Bewertung der Rückstellung (mindernd) zu berücksichtigen ( BStBl II S. 412 und vom ; BStBl II S. 910).

    Schließlich kann auch aus § 24 der Verordnung über die Rechnungsiegung der Kreditinstitute (RechKredV, BGBl 1992 I S. 203) keine Begründung dafür hergeleitet werden, dass Bürgschaftsverpflichtungen zu einem drohenden Verlust aus einem schwebenden Geschäft führen würden. Zwar spricht die genannte Regelung von einer ”Rückstellung für einen drohenden Verlust”, aber nicht von einem drohenden Verlust aus einem schwebenden Geschäft, sondern ”von einem drohenden Verlust aus einer unter dem Strich vermerkten Eventualverbindlichkeit oder einem Kreditrisiko”. Unter § 5 Abs. 4a EStG fallen aber nur drohende Verluste aus schwebenden Geschäften.

    Damit steht § 5 Abs. 4a EStG einer Rückstellungsbildung für Bürgschaftsrisiken nicht entgegen. Für Garantieverträge gilt meines Erachtens nichts anderes.

  3. Einer Rückstellungsbildung für Bürgschaftsverpflichtungen steht auch die Vorschrift des § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG nicht entgegen. Nach § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG dürfen Rückstellungen für Aufwendungen, die Anschaffungs- oder Herstellungskosten für ein Wirtschaftsgut sind, nicht gebildet werden. In gleicher Weise hat die Rechtsprechung für die Zeit vor der Geltung dieser gesetzlichen Regelung entschleden ( BStBl II S. 772, unter Hinweis auf BStBl II S, 660; BStBl 1999 II S. 18).

(§ 5 Abs. 4b Satz 1 EStG wurde im Rahmen des Steueränderungsgesetzes 2001 (BStBl 2000 I S. 4) dahingehend klargestellt, dass Rückstellungen für Aufwendungen nicht gebildet werden dürfen, die in künftigen Wirtschaftsjahren als Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts zu aktivieren sind.)

Es wird die Auffassung vertreten, die Bürgschaftszahlung stelle Anschaffungskosten auf die auf den Bürgen kraft Gesetzes (bei der Garantie durch Vertrag) übergehende Forderung dar.

Dem kann sich die OFD Berlin aus folgenden Gründen nicht anschließen:

Der gesetzliche Forderungsübergang nach § 774 BGB ist - ebenso wie ein daneben ggf. bestehender Aufwendungsersatzanspruch - ein Rückgriffsanspruch gegenüber dem Hauptschuldner (Palandt, BGB, § 774 RdNrn. 1-6). Rückgriffsansprüche stehen aber nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der Bildung von Verbindlichkeitsrückstellungen dem Grunde nach nicht entgegen. Soweit solche Ansprüche (noch) nicht zu aktivieren sind, haben sie lediglich insoweit rückstellungsbegrenzenden Charakter (sind also bei der Bewertung der Rückstellung zu berücksichtigen), als ihre Durchsetzbarkeit nicht in Frage steht ( BStBl II S. 437, vom , BStBl 1994 II S. 444, und vom , BStBl II S. 412, siehe auch H 38 ”Rückgriffsansprüche” EStH 2000). In die gleiche Richtung geht auch die mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eingeführte Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG.

Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Bürgschaftszahlungen final deshalb geleistet werden, um den Forderungsanspruch nach § 774 BGB oder einen Aufwendungsersatzanspruch zu erwerben (so aber die Begriffsbestimmung der Anschaffungskosten nach § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB). Hinsichtlich der Bewertung dieser Ansprüche (Forderungen) beim Bürgen ist meines Erachtens der Anschaffungskostenbegriff i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG in ähnlicher Weise zu modifizieren, wie es die Rechtsprechung bei (Darlehens-) Forderungen getan hat; dort ist für die Bestimmung der Anschaffungskosten nicht der Auszahlungsbetrag maßgebend, sondern es tritt an die Stelle der Anschaffungskosten der Nennbetrag der Forderung (vgl. z. B. BStBl II S. 875).

Für Garantieverträge gilt meines Erachtens auch insoweit nichts anderes als für Bürgschaftsverpflichtungen.

C. Zusammenfassung

Für eine drohende Inanspruchnahme aus einer Bürgschaftsverpflichtung oder aus einem Garantievertrag ist in der Steuerbilanz nach wie vor eine Rückstellung (für ungewisse Verbindlichkeiten) auszuweisen.

OFD Berlin v. - St 121 - S 2137 - 2/02

Fundstelle(n):
ZAAAA-81075