BAG Urteil v. - 5 AZR 385/20

Schuldnerverzug - entschuldbarer Rechtsirrtum - Geltendmachung von Verzugszinsen durch Bestandsschutzklage

Leitsatz

Mit der Erhebung einer Bestandsschutzklage macht ein Arbeitnehmer nicht nur die von dieser abhängigen Vergütungsansprüche im Sinne der ersten Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist geltend, sondern zugleich die darauf geschuldeten gesetzlichen Verzugszinsen.

Gesetze: § 288 Abs 1 BGB, § 286 Abs 2 Nr 1 BGB, § 37 TV-L, § 615 S 1 BGB, § 611 Abs 1 BGB

Instanzenzug: ArbG Dresden Az: 11 Ca 2880/17 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 9 Sa 398/18 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Verzugszinsen aufgrund verspäteter Zahlung von Annahmeverzugsvergütung nach erfolgreicher Befristungskontrollklage.

2In einem Vorprozess stritten die Parteien über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses. Am unterzeichnete der Kläger in der Personalabteilung der Technischen Universität D einen für die Zeit vom bis zum befristeten Dienstvertrag als wissenschaftlicher Mitarbeiter in zweifacher Ausfertigung. Am nahm er seine Tätigkeit auf. Ein vom Beklagten unterschriebenes Vertragsexemplar erhielt er erst am . Der Kläger erhob Befristungskontrollklage. Hierauf stellte das Arbeitsgericht fest, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung vom mit Ablauf des beendet worden sei. Auf die Berufung des Beklagten änderte das Landesarbeitsgericht die erstinstanzliche Entscheidung ab und wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers stellte der Siebte Senat des - 7 AZR 717/14 -) die erstinstanzliche Entscheidung wieder her.

3Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) in der jeweils geltenden Fassung Anwendung.

4Nach Abschluss des Revisionsverfahrens rechnete der Beklagte im April 2017 Annahmeverzugsansprüche des Klägers für die Zeit vom bis zum ab, führte Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ab und zahlte dem Kläger die errechnete rückständige Nettovergütung aus. Verzugszinsen leistete der Beklagte nur für den Zeitraum vom bis zum .

5Mit seiner Klage hat der Kläger weitergehende Verzugszinsen für die Zeit vom bis zum geltend gemacht.

6Der Kläger hat beantragt,

7Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Etwaige Ansprüche seien verfallen. Ihn treffe zudem kein Verschulden an der zunächst unterbliebenen Zahlung der Vergütung. Bis zur Verkündung des Urteils des Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts am habe er sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Dass er einen vertretbaren Rechtsstandpunkt eingenommen habe, folge schon daraus, dass drei verschiedene Kammern des Sächsischen Landesarbeitsgerichts in vier verschiedenen Rechtsstreitigkeiten mit identischen Sachverhalten seiner Auffassung gefolgt seien.

8Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

9Die Revision ist - soweit zulässig - begründet. Für die Zeit vom bis zum hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Für diese Zeit schuldet der Beklagte Verzugszinsen auf die Vergütung wegen Annahmeverzugs. Diese hat der Kläger mit seiner Befristungskontrollklage rechtzeitig geltend gemacht. Zur Bestimmung der Höhe des geschuldeten Verzugszinses ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. In Bezug auf den Streitzeitraum vom bis zum ist die Revision bereits unzulässig.

10I. Die Revision des Klägers ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Abweisung der Klage für die Zeit vom bis zum richtet. Für diesen Streitzeitraum fehlt es an der erforderlichen Revisionsbegründung.

111. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO muss die Revisionsbegründung diejenigen Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll. Die Revisionsbegründung hat sich deshalb mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils auseinanderzusetzen. Die Revisionsbegründung muss, soweit das Berufungsgericht seine Entscheidung auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt hat, beide Erwägungen angreifen. Andernfalls ist das Rechtsmittel hinsichtlich des betreffenden Streitgegenstands insgesamt unzulässig (st. Rspr., zB  - Rn. 20, BAGE 165, 168).

122. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung im dargestellten Umfang nicht gerecht. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klage sei für diesen Zeitraum abzuweisen, weil es zum einen an einer schuldhaften Zahlungsverzögerung von Seiten des Beklagten fehle und zum anderen diesem die zur Berechnung erforderlichen Auskünfte von der Bundesagentur für Arbeit bzw. vom Kläger nicht vorgelegen hätten. Mit dieser rechtlich selbständig tragenden Zweitbegründung setzt sich die Revision nicht auseinander. Sie rügt allein eine fehlerhafte Rechtsanwendung in Bezug auf die Rechtsfigur des entschuldbaren Rechtsirrtums.

13II. In ihrem zulässigen Umfang ist die Revision begründet. Der Beklagte schuldet Verzugszinsen auf die Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom bis zum nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Er kann sich nicht auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum berufen. Der Kläger hat die Ansprüche rechtzeitig innerhalb der Ausschlussfrist des § 37 TV-L geltend gemacht. Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht über die Höhe des Verzugszinses endentscheiden. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

141. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

15a) Der Beklagte befand sich mit der Zahlung der Vergütung in Annahmeverzug (§ 615 Satz 1 iVm. § 611 Abs. 1 BGB). Er hat sich zu Unrecht auf die Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zum berufen, wie das - 7 AZR 717/14 -) rechtskräftig festgestellt hat.

16b) Der Beklagte ist wegen der verzögerten Vergütungszahlung nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ohne vorherige Mahnung zur Leistung der Verzugszinsen verpflichtet. Einer Mahnung von Seiten des Klägers bedurfte es nicht, weil der Schuldner gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB auch ohne Mahnung in Verzug kommt, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist und er zu dieser Zeit nicht leistet. Diese Voraussetzungen liegen bei Ansprüchen auf Vergütung wegen Annahmeverzugs vor. Deren Fälligkeit bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, zu dem die Vergütung bei tatsächlicher Beschäftigung in den einzelnen Abrechnungsperioden fällig geworden wäre (st. Rspr., vgl.  - Rn. 40). Trotz der Gesamtberechnung entstehen die Annahmeverzugsansprüche nicht erst am Ende des Annahmeverzugs, sondern sukzessive währenddessen und werden mit dem jeweiligen Abrechnungszeitraum fällig (vgl.  - Rn. 31, BAGE 141, 340). Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 TV-L, der auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung findet, ist die monatliche Vergütung des Klägers spätestens am letzten Tag des Monats für den laufenden Kalendermonat fällig geworden.

17c) Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Zahlung der Vergütung wegen Annahmeverzugs sei infolge eines Umstands unterblieben, den der Beklagte nicht zu vertreten habe, weshalb dieser keine Verzugszinsen schulde. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann sich der Beklagte nicht auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum berufen. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).

18aa) Nach § 286 Abs. 4 BGB kommt der Schuldner nicht in Verzug, solange die Leistung aufgrund eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Zu vertreten hat der Schuldner nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Der Gesetzgeber hat das fehlende Verschulden als Einwand ausgestaltet, für den der Schuldner darlegungs- und beweispflichtig ist. Er ist gehalten, im Einzelnen darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die geschuldete Leistung zum Fälligkeitszeitpunkt unterblieben ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft (st. Rspr., vgl.  - Rn. 38 mwN, BAGE 167, 361). Dabei hat die Feststellung des Verschuldens einheitlich für alle Verzugsfolgen zu erfolgen (vgl. MüKoBGB/Ernst 8. Aufl. BGB § 286 Rn. 111), mithin auch für den Verzugszins nach § 288 Abs. 1 BGB.

19bb) Der Begriff des Verschuldens ist ein Rechtsbegriff. Da die Feststellung der Voraussetzungen des Verschuldens im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegt, steht dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zu. Das Revisionsgericht kann lediglich prüfen, ob das Berufungsgericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat. Eine Aufhebung des Berufungsurteils darf nur erfolgen, wenn eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch den Tatsachenrichter festzustellen ist ( - Rn. 47).

20cc) Das Berufungsurteil hält diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand. Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht wesentliche Umstände des Streitfalls nicht berücksichtigt. Es hat zum einen die Unterschiede in den Sachverhalten der höchstrichterlich entschiedenen Befristungskontrollklagen nicht vollständig und hinreichend genau berücksichtigt. Zum andern ist es bei der Anwendung der von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an einen unverschuldeten Rechtsirrtum auf den Streitfall von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann selbst entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 286 Abs. 4 BGB vorliegen, weil der maßgebliche Sachverhalt festgestellt und weitergehender neuer Tatsachenvortrag nicht zu erwarten ist.

21(1) Der Ausschluss des Schuldnerverzugs wegen unverschuldeten Rechtsirrtums ist an strenge Voraussetzungen geknüpft. Grundsätzlich erfordert der Geltungsanspruch des Rechts, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums selbst trägt und nicht dem Gläubiger zuschieben kann (vgl.  - Rn. 45;  - Rn. 19). Der Schuldner muss die Rechtslage genau prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten. Fahrlässig handelt, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, indem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss (vgl.  - Rn. 15 mwN). Ein Rechtsirrtum ist nur dann entschuldigt, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte, ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl.  - Rn. 63, BAGE 167, 196; - 2 AZR 86/17 - Rn. 51, BAGE 161, 198).

22Die im Rahmen des § 286 Abs. 4 BGB zu prüfenden Sorgfaltspflichten des Schuldners gehen allerdings nicht so weit, dass er erst dann entlastet ist, wenn bei einer ex ante-Betrachtung eine ihm ungünstige Entscheidung der Streitfrage undenkbar erscheint. Dies würde eine Entschuldigung praktisch immer ausschließen (vgl.  - Rn. 15 mwN). Daher kann es ausreichen, sich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu berufen, insbesondere, wenn ihr ein zumindest ähnlicher Sachverhalt zugrunde liegt (vgl.  - Rn. 31, BAGE 152, 213). Ist in einem solchen Fall eine Rechtsfrage bereits vom Bundesarbeitsgericht entschieden, liegt nicht einmal eine objektiv zweifelhafte Rechtslage vor. Vielmehr darf eine sorgfältig handelnde Arbeitsvertragspartei - ausgehend vom Gebot der Rechtssicherheit - von einer gleichbleibenden Rechtsprechung ausgehen. In dieser Situation begründet die Möglichkeit einer abweichenden Gerichtsentscheidung keinen Grad an Vorhersehbarkeit, der den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens rechtfertigen würde (vgl.  - Rn. 32, aaO).

23(2) Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht nicht genügend beachtet.

24(a) Soweit es angenommen hat, der vorliegende Sachverhalt sei mit dem, der dem - 7 AZR 1048/06 -) zugrunde gelegen habe, vergleichbar, weil in beiden Fällen bereits eine Unterschrift auf den vorbereiteten Verträgen geleistet worden sei, würdigt es die tatsächlichen Umstände nicht vollständig und wendet nicht die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellten strengen Anforderungen an einen unverschuldeten Rechtsirrtum an. Das Berufungsgericht berücksichtigt nicht, dass in dem vom Siebten Senat im Jahr 2008 entschiedenen Fall der Arbeitgeber vor Arbeitsaufnahme des Arbeitnehmers bereits den Arbeitsvertrag unterschrieben und hierdurch hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, dass er den Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags von der Unterzeichnung der Vertragsurkunde durch den Arbeitnehmer und damit der Einhaltung des Schriftformgebots des § 14 Abs. 4 TzBfG abhängig gemacht hat. Solche deutlichen Anhaltspunkte bestanden im Vertragsverhältnis zwischen den Parteien gerade nicht. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts kann dem - 7 AZR 1048/06 -) nicht entnommen werden, dass bereits die Unterzeichnung durch den Arbeitnehmer dafürspricht, dass der Arbeitgeber den Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags von der Einhaltung der Schriftform abhängig machen möchte. Bei der gebotenen Anwendung eines strengen Maßstabs an die Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums hätte das Berufungsgericht bei vollständiger Berücksichtigung der relevanten Unterschiede zwischen den beiden Sachverhalten nicht zu dem Ergebnis kommen dürfen, der vom Beklagten eingenommene Rechtsstandpunkt sei in dem Sinne vertretbar gewesen, dass der bestehende Rechtsirrtum entschuldigt sei. Ein Sachverhalt, in dem der Arbeitgeber erst nach Arbeitsaufnahme den vom Arbeitnehmer bereits unterschriebenen Arbeitsvertrag gegenzeichnet, war bis zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Befristungskontrollverfahren zwischen den Parteien ( -) noch keiner höchstrichterlichen Entscheidung zugeführt.

25(b) Rechtsfehlerhaft ist ebenso die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Vertretbarkeit der Rechtsauffassung des Beklagten folge bereits daraus, dass drei weitere Kammern des Sächsischen Landesarbeitsgerichts diese Auffassung vertreten hätten. Hierbei handelt es sich nicht um höchstrichterliche Rechtsprechung. Der Umstand, dass ein Instanzgericht den Standpunkt des Schuldners geteilt hat, führt nicht dazu, dass dieser nicht mehr damit rechnen muss, mit seiner Rechtsauffassung letztinstanzlich nicht durchzudringen.

26(3) Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts kann nicht angenommen werden, dass der Beklagte die Entgeltzahlungen an den Kläger aufgrund eines Umstands unterlassen hat, den er nicht zu vertreten hatte (§ 286 Abs. 4 BGB). Wie ausgeführt unterschied sich die zwischen den Parteien vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses in erheblicher Weise von der Fallkonstellation, die dem - 7 AZR 1048/06 -) zugrunde lag. Der Beklagte bewegte sich daher erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen und musste bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Konsequenzen seines Vorgehens in Betracht ziehen. Dass mehrere Kammern des Sächsischen Landesarbeitsgerichts seine Rechtsauffassung teilten, steht dem nicht entgegen, weil die maßgebliche Rechtsfrage noch nicht durch eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts beantwortet war.

272. Die Ansprüche auf Verzugszinsen sind nicht gemäß § 37 Abs. 1 TV-L verfallen. Die Tarifnorm ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass mit Erhebung der Befristungskontrollklage nicht nur die davon abhängigen Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs, sondern auch die darauf geschuldeten gesetzlichen Verzugszinsen im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist geltend gemacht sind.

28a) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von den Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Für denselben Sachverhalt reicht nach § 37 Abs. 1 Satz 2 TV-L die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällige Leistungen aus.

29b) Ansprüche auf Verzugszinsen werden von der Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TV-L erfasst. Zu Ansprüchen „aus dem Arbeitsverhältnis“ gehören alle Ansprüche, die die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsbeziehungen gegeneinander haben, ohne dass es auf die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage ankommt (vgl.  - Rn. 14). Erforderlich ist lediglich, dass das Arbeitsverhältnis die Grundlage für den Anspruch bildet (vgl.  - Rn. 34, BAGE 168, 25). Es ist demnach unerheblich, ob der Anspruch aus gesetzlichen Vorschriften, Rechtsverordnungen, Tarifverträgen, Dienst-/Betriebsvereinbarungen oder anderen Rechtsquellen abgeleitet wird. Entscheidend ist die enge Verknüpfung eines Lebensvorgangs mit dem Arbeitsverhältnis ( - Rn. 16, BAGE 166, 285). Somit werden auch Ansprüche auf Zahlung von Verzugszinsen erfasst, deren Grundlage die Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Vergütung aus dem Arbeitsverhältnis ist.

30c) Der Kläger hat seinen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen innerhalb der Ausschlussfrist rechtzeitig mit Erhebung der Befristungskontrollklage geltend gemacht.

31aa) Tarifliche Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Der Anspruchsgegner soll sich auf die nach Auffassung des Anspruchstellers noch offene Forderung rechtzeitig einstellen, Beweise sichern und ggf. Rücklagen bilden können. Er soll vor der Verfolgung von Ansprüchen, mit deren Geltendmachung er nicht rechnet und nicht rechnen muss, geschützt werden (st. Rspr., vgl. nur  - Rn. 50, BAGE 162, 81).

32bb) Ausgehend von diesem Zweck wahrt der Arbeitnehmer mit einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die erste Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für alle vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche. Mit einer solchen Klage erstrebt der Arbeitnehmer nicht nur die Erhaltung seines Arbeitsplatzes, sondern bezweckt darüber hinaus, sich die Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs zu erhalten. Die Ansprüche müssen weder ausdrücklich bezeichnet noch beziffert werden (st. Rspr., zB  - Rn. 14, BAGE 143, 119). Dies umfasst auch die Ansprüche auf die Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

33(1) Mit der Befristungskontrollklage hat der Kläger die tarifliche Ausschlussfrist auch für die Verzugszinsen gewahrt. Diese Nebenforderung ist von der Hauptforderung der Vergütung wegen Annahmeverzugs abhängig (vgl.  - Rn. 36). So verjähren mit den Hauptansprüchen auch die von ihnen abhängenden Nebenforderungen (vgl.  - Rn. 33, BAGE 152, 75). Ebenso wie es im Verjährungsrecht nicht nachvollziehbar wäre, sich gegen eine Nebenforderung wehren zu müssen, wenn bereits die Hauptforderung verjährt wäre (vgl. BeckOGK/Bach Stand BGB § 217 Rn. 3), wäre es in Bezug auf die Ausschlussfristen nicht deren Zweck entsprechend, wenn der Gläubiger durch eine Bestandsschutzklage die Hauptforderung, nicht aber davon abhängige Nebenforderungen geltend machen kann und letztere gesondert verlangen müsste.

34(2) Für ein solches Verständnis spricht zudem, dass dem Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung des von Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes keine übersteigerte Obliegenheit zur Geltendmachung seiner Ansprüche wegen (Annahme-)Verzugs auferlegt werden soll (vgl.  - Rn. 20 ff.). Gleichermaßen werden Sinn und Zweck von Ausschlussfristen durch Erhebung einer Bestandsschutzklage in Bezug auf Verzugszinsen erreicht. Bereits mit Erhebung einer Bestandsschutzklage kann sich der Arbeitgeber auf die vom Ausgang dieser Streitigkeit abhängigen Forderungen einstellen. Die Höhe von Verzugszinsen ist gesetzlich in § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB festgelegt und für ihn somit anhand der Hauptforderung hinreichend berechenbar. Der gesetzliche Zinssatz ist ein pauschalierter Mindestschaden (vgl. BeckOGK/Dornis Stand BGB § 288 Rn. 2, 24).

35(3) Diesem Verständnis steht das Urteil des Achten Senats des - 8 AZR 488/01 -) nicht entgegen. Dort forderte der Kläger den Ersatz von entstandenen steuerlichen Nachteilen als vom Arbeitgeber zu ersetzenden Verzugsschaden. Der Achte Senat hielt diese Ansprüche für nicht mit einer Kündigungsschutzklage im Sinne einer Ausschlussfrist geltend gemacht, weil sie nicht lediglich vom Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern von weiteren Tatbestandsmerkmalen abhängig seien (vgl.  - zu II 2 b der Gründe). So muss der Gläubiger bei dem durch den Achten Senat beurteilten Steuerschaden diesen im Einzelnen berechnen. Abweichend hiervon ergibt sich die Höhe der Verzugszinsen aus dem Gesetz (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).

363. Zur Bestimmung der Höhe des Verzugszinses in der Zeit vom bis zum ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mangels Feststellungen zum Bezugszeitpunkt von Sozialleistungen durch den Kläger und etwaigem Zwischenverdienst kann der Senat nicht in der Sache endentscheiden.

37a) Das Landesarbeitsgericht hat zunächst Feststellungen zur Bruttovergütung im streitgegenständlichen Zeitraum zu treffen. Für die Berechnung des Zinsanspruchs ist es dann erforderlich, taggenau öffentlich-rechtliche Leistungen und etwaigen anderweitigen Verdienst in Abzug zu bringen, denn Verzugszinsen können auf die verspätet erfüllten Vergütungsteile nur bis zum Eingang der Sozialleistungen und der weiteren Zahlungen verlangt werden (st. Rspr., vgl.  - Rn. 26 mwN, BAGE 141, 95). Auch hierzu mangelt es - aus Sicht des Berufungsgerichts konsequent - an Feststellungen.

38Zu verzinsen ist grundsätzlich die Bruttovergütung (vgl.  - zu III 4 d der Gründe, BAGE 97, 150). In Höhe des erhaltenen Arbeitslosengeldes oder anderer Sozialleistungen kann der Kläger von dem Beklagten keine Zinsen fordern (vgl.  - zu B II 2 c der Gründe, BAGE 101, 328). Dies folgt aus § 115 Abs. 1 SGB X. Soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, geht nach dieser Vorschrift der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger in Höhe der erbrachten Sozialleistungen über. Mit der Gutschrift des Arbeitslosengeldes auf dem Konto des Arbeitnehmers erwirbt die Bundesagentur für Arbeit zugleich Anspruch auf die auf das Arbeitsentgelt künftig fällig werdenden Zinsen (vgl.  - zu B II 2 c bb der Gründe, BAGE 101, 328). Ein Anspruch auf Verzinsung der gesamten Bruttovergütung besteht somit nur bis zum Zeitpunkt des Eingangs des Arbeitslosengeldes beim Kläger. Danach kann er Zinsen lediglich auf den um das Arbeitslosengeld verminderten Betrag verlangen (vgl.  - Rn. 26, BAGE 141, 95). Der Kläger hat anzurechnende öffentlich-rechtliche Leistungen ebenso wie von dritter Seite bezogene Bruttovergütungen taggenau abzusetzen (vgl.  - Rn. 31, BAGE 141, 340).

39b) Die Bundesagentur für Arbeit hat durch Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen die Abführungspflicht des Beklagten nicht bereits erfüllt und die Forderung zum Erlöschen gebracht.

40aa) In Abzug zu bringen ist das erhaltene Arbeitslosengeld, dh. die Nettobeträge (vgl.  - zu II 5 der Gründe). Der Anspruchsübergang erfasst nur das erhaltene Nettoarbeitslosengeld, nicht aber die durch die Bundesagentur für Arbeit abgeführten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung (vgl.  - Rn. 68, BAGE 117, 231).

41bb) Der Anspruchsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X führt nicht dazu, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers, Beiträge aus dem geschuldeten Bruttoentgelt zu entrichten, erfüllt wird. Das folgt auch aus § 335 Abs. 3 Satz 1 SGB III (vgl.  - zu B III 1 der Gründe).

42III. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:240621.U.5AZR385.20.0

Fundstelle(n):
BB 2021 S. 2291 Nr. 39
DB 2021 S. 2501 Nr. 42
DB 2021 S. 6 Nr. 40
NJW 2021 S. 10 Nr. 40
NJW 2021 S. 3678 Nr. 50
YAAAH-88999