BAG Urteil v. - 7 AZR 212/20

Sachgrundlose Befristung - Höchstdauer - Dienstreise - Verlängerung

Gesetze: § 14 Abs 2 S 1 TzBfG, § 133 BGB, § 157 BGB, § 611 Abs 1 BGB, § 611a Abs 1 BGB, § 106 GewO, § 44 Abs 1 TVöD BT-V, § 11 Abs 3 Nr 1 BRKG 2005, Art 7 Abs 1 EGRL 88/2003

Instanzenzug: Az: 13 Ca 5609/18 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 10 Sa 252/19 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer sachgrundlosen Befristung.

2Der Kläger bewarb sich im Juli 2016 auf eine von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausgeschriebene Stelle als Anhörer in der Vorbereitung von Asylentscheidungen am Standort D. Die Beklagte teilte ihm mit E-Mail vom mit, dass er für eine Einstellung vorgesehen sei. Die E-Mail lautet auszugsweise:

3Mit E-Mail vom teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er das Angebot annehme. Am unterzeichnete der Kläger den von einem Vertreter der Beklagten bereits am unterschriebenen Arbeitsvertrag. Dieser lautet auszugsweise:

4Mit einer E-Mail vom teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er vom bis zum ein Hotelzimmer am Schulungsort N reserviert habe und mit dem Omnibus nach N anreise. Zugleich bat er um Übernahme der Anreise- sowie der Übernachtungskosten. Er reiste am Sonntag, dem , mit dem Bus zum Schulungsort in N und übernachtete dort in dem gebuchten Hotel. Ab dem nahm er an der dreiwöchigen Schulung für die Tätigkeit als Anhörer im Asylverfahren teil. Mit E-Mail vom teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie werde dem Hotel eine Kostenübernahmeerklärung übersenden. In der E-Mail heißt es weiter auszugsweise:

5Auf entsprechenden Antrag des Klägers übernahm die Beklagte die Kosten für die Anreise zur Schulung.

6Im Anschluss an die Schulung wurde der Kläger als Anhörer im Asylverfahren in der Außenstelle D beschäftigt. Mit Schreiben vom lud die Beklagte den Kläger zur Teilnahme an der „Aufschulung vom/von Anhörer/in zum/zur Entscheider/in (Schulungsthema Bescheiderstellung), für „EI-Personal“ für den Zeitraum vom 20. bis zum ein. Mit einem schriftlichen Vertrag vom 3./ vereinbarten die Parteien folgende Änderung des Arbeitsvertrags vom 24./:

7Im Anschluss an die erfolgreiche Teilnahme an der Aufbauschulung wurde der Kläger von der Beklagten als Entscheider in D eingesetzt.

8Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am zugestellten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der im Änderungsvertrag vom 3./ vereinbarten Befristung sowie die vorläufige Weiterbeschäftigung geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertreten, die nach § 14 Abs. 2 TzBfG zulässige zweijährige Höchstbefristungsdauer sei überschritten. Sein Arbeitsverhältnis habe bereits am mit der Anreise zum Schulungsort in N begonnen. Mit dem Antritt der Dienstreise habe er sich den Anweisungen der Beklagten unterstellt und am Dienstreisetag nicht über seine Freizeit verfügen können, sondern vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht. Ferner sei der Ausgangsvertrag im Februar 2017 nicht lediglich verlängert worden, da die Parteien zugleich eine Änderung der Arbeitsbedingungen vom Anhörer zum Entscheider vereinbart hätten. Außerdem sei seine Beschäftigung ohne Zustimmung der Personalvertretung erfolgt.

9Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - zuletzt beantragt,

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Befristung des Arbeitsvertrags zum sei ohne Sachgrund nach § 14 Abs. 2 TzBfG wirksam. Das Arbeitsverhältnis habe erst am begonnen. Veränderte Arbeitsbedingungen seien im Februar 2017 nicht vereinbart worden, sie habe lediglich von dem ihr zustehenden Direktionsrecht Gebrauch gemacht.

11Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit sie in der Revision noch anhängig ist - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten insoweit zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.

Gründe

12Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen. Die Befristungskontrollklage ist unbegründet. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an.

13I. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, das Arbeitsverhältnis der Parteien habe nicht aufgrund der Befristung im Änderungsvertrag vom 3./ am geendet. Die Befristung des Arbeitsvertrags ist wirksam. Sie ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nach § 14 Abs. 2 TzBfG ohne Sachgrund gerechtfertigt. Einer Zustimmung des Personalrats zu der Befristung bedurfte es nicht.

141. Die Befristung ist nach § 14 Abs. 2 TzBfG gerechtfertigt.

15a) Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags zulässig. Die zulässige Höchstdauer von zwei Jahren betrifft den Zeitrahmen für das Arbeitsverhältnis, nicht die Zeit vom Vertragsschluss bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ( - Rn. 13 mwN).

16b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

17aa) Die zulässige Höchstbefristungsdauer von zwei Jahren ist nicht überschritten. Das Arbeitsverhältnis dauerte vom bis zum und damit zwei Jahre. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, das Arbeitsverhältnis der Parteien habe bereits am begonnen. Die vom Landesarbeitsgericht insoweit vorgenommene Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien ist rechtsfehlerhaft.

18(1) Ein Arbeitsverhältnis wird grundsätzlich durch einen Arbeitsvertrag begründet (vgl. Schaub ArbR-HdB/Linck 18. Aufl. § 29 Rn. 8), aus dem sich die Verpflichtung zur weisungsgebundenen Tätigkeit ergibt. Das Erfordernis einer vertraglichen Begründung der Arbeitspflicht als Voraussetzung des Arbeitnehmerstatus (sog. Vertragstheorie) ist grundsätzlich unverzichtbar ( - Rn. 17, BAGE 170, 311). Der Vertrag muss eine Einigung über den notwendigen Mindestinhalt (essentialia negotii) umfassen. Nach § 611 Abs. 1 BGB (seit dem : § 611a Abs. 1 BGB) gehören hierzu die „versprochenen Dienste“ und damit Art und Beginn der Arbeitsleistung.

19(2) Verträge kommen durch auf den Vertragsschluss gerichtete, einander entsprechende Willenserklärungen zustande, indem das Angebot („Antrag“) der einen Vertragspartei gemäß den §§ 145 ff. BGB von der anderen Vertragspartei angenommen wird. Eine Willenserklärung ist eine Äußerung, die auf die Herbeiführung eines rechtsgeschäftlichen Erfolgs gerichtet ist. Sie kann nicht nur durch eine ausdrückliche Erklärung, sondern auch durch schlüssiges Verhalten (Realofferte und deren konkludente Annahme) abgegeben werden ( - Rn. 18; - 9 AZR 51/15 - Rn. 19). Ob eine Äußerung oder ein Verhalten als Willenserklärung zu verstehen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Nach §§ 133, 157 BGB sind Willenserklärungen und Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten, wobei vom Wortlaut auszugehen ist ( - Rn. 36, BAGE 134, 269). Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind auch außerhalb der Vereinbarung liegende Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdenden Ergebnis führt. Haben alle Beteiligten eine Erklärung übereinstimmend in demselben Sinne verstanden, so geht der wirkliche Wille dem Wortlaut des Vertrags und jeder anderweitigen Interpretation vor und setzt sich auch gegenüber einem völlig eindeutigen Vertragswortlaut durch ( - Rn. 36 mwN, aaO). Diese Grundsätze sind auch anzuwenden bei der Frage, wie vom Arbeitgeber einseitig vorformulierte Verbraucherverträge iSd. §§ 310 Abs. 3 BGB auszulegen sind (vgl.  - Rn. 37, aaO) und bei der Frage, ob ein bestimmtes willentliches Verhalten eine Willenserklärung darstellt (vgl.  - Rn. 13, BAGE 148, 349). Lediglich für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, also für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, sind individuelle Umstände nicht aussagekräftig (vgl.  - Rn. 37, aaO).

20(3) Die Auslegung nichttypischer Erklärungen obliegt in erster Linie den Gerichten der Tatsacheninstanzen. Sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) verletzt, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat (st. Rspr., vgl.  - Rn. 19; - 3 AZR 77/15 - Rn. 32; - 5 AZR 129/16 - Rn. 20, BAGE 156, 157; - 7 AZR 1009/12 - Rn. 26). Das Revisionsgericht darf bei einer unterlassenen oder fehlerhaften Auslegung nichttypischer Willenserklärungen die Auslegung nur dann selbst vornehmen, wenn das Landesarbeitsgericht den erforderlichen Sachverhalt vollständig festgestellt hat und kein weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien zu erwarten ist (st. Rspr., zB  - Rn. 30 mwN, BAGE 149, 144). Diese Grundsätze gelten auch, wenn es um die Frage geht, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt ( - Rn. 20, aaO; - 7 AZR 1009/12 - Rn. 26; - 3 AZR 373/08 - Rn. 32, BAGE 134, 269). Die Auslegung von typischen Erklärungen wie Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Einmalbedingungen iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch das Berufungsgericht unterliegt hingegen einer uneingeschränkten revisionsrechtlichen Nachprüfung ( - Rn. 16; - 7 AZR 582/17 - Rn. 25 mwN).

21(4) Es kann offenbleiben, ob es sich bei den Vereinbarungen der Parteien um nichttypische oder typische Erklärungen handelt. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, aufgrund der erforderlichen Anreise zu der Schulung vor dem habe ein übereinstimmender Parteiwille zur Begründung des Arbeitsverhältnisses bereits am bestanden, hält auch einer nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

22(a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Arbeitsverhältnis habe trotz der Angabe des Vertragsbeginns am in dem Ausgangsvertrag vom 24./ bereits am begonnen. Bei der Datumsangabe „“ handele es sich um eine „falsa demonstratio“. Die Beklagte habe den Kläger vor bzw. bei dem Abschluss des Ausgangsvertrags angewiesen, ab dem um 9:00 Uhr an der im dienstlichen Interesse liegenden Schulung in N teilzunehmen. Dies habe eine Anreise des Klägers nach N bereits am erfordert, was der Kläger der Beklagten mit E-Mail vom mitgeteilt habe. Die Beklagte habe die entsprechenden Reise- und Übernachtungskosten übernommen und dies dem Kläger bereits per E-Mail vom in Aussicht gestellt. Daraus ergebe sich, dass der Vertragsbeginn einvernehmlich auf den festgelegt worden sei.

23(b) Diese Würdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

24(aa) Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 24./ begründet. In diesem Vertrag ist als Beginn des Arbeitsverhältnisses der festgelegt. Soweit das Landesarbeitsgericht meint, bei der Datumsangabe „“ handele es sich um eine „falsa demonstratio“, wird dies nicht durch die Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts getragen. Nach dem Rechtsgrundsatz „falsa demonstratio non nocet“ gilt das von den Parteien übereinstimmend Gewollte, auch wenn sie dafür eine falsche Bezeichnung verwenden (vgl. grundlegend RG - II 549/19 - RGZ 99, 147 - [Haakjöringsköd]; siehe auch  - zu I 2 a der Gründe, BAGE 22, 169; MüKoBGB/Busche 8. Aufl. § 155 Rn. 7). Das übereinstimmend Gewollte hat den Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung ( - Rn. 12 mwN; Palandt/Ellenberger BGB 80. Aufl. § 133 Rn. 8).

25(aaa) Das Landesarbeitsgericht stützt seine Annahme einer falsa demonstratio darauf, es habe dem übereinstimmenden Parteiwillen entsprochen, dass der Kläger schon am zur Schulung nach N anreist. Es ist bereits zweifelhaft, ob diese Feststellung für den Senat bindend ist, da sie sich nicht zwingend aus den vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Umständen ergibt. Das Landesarbeitsgericht hat seine Annahme zunächst auf die E-Mail der Beklagten vom gestützt. In dieser E-Mail heißt es jedoch ausdrücklich, dass beabsichtigt sei, den Kläger „zum “ einzustellen. Er wird ferner darin gebeten, sich für die Schulung „am “ am Ort der Schulung zu melden. Der Rückschluss allein aus der Angabe der Uhrzeit „um 9:00 Uhr“ auf einen Willen der Beklagten - bzw. der für sie handelnden Vertreter - dahingehend, dass der Kläger am Vortag nach N anreist, erscheint nicht zwingend. Zum einen ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die zuständigen Personen bei der Beklagten über den Zeitpunkt der Anreise des Klägers keine Gedanken gemacht haben. Zum anderen enthält die E-Mail vom keine Hinweise darauf, warum die Anreise gerade am erfolgen sollte und der Kläger gehindert gewesen wäre, bereits an einem anderen Tag vor dem Beginn der Schulung oder auch erst am von einem anderen - näher gelegenen - Ort als seinem Wohnort anzureisen. Soweit das Landesarbeitsgericht seine Annahme ferner auf die E-Mail des Klägers vom , die E-Mail der Beklagten vom und die Reisekostenerstattung der Beklagten stützt, liegen diese Ereignisse alle nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses und sind daher nicht ohne weiteres geeignet, einen vom Vertragswortlaut abweichenden Willen der Parteien bei Abschluss des Vertrags zu begründen. Letztlich können diese Bedenken jedoch dahinstehen. Auch wenn eine Anreise des Klägers nach N schon am dem Willen der Parteien entsprochen haben sollte, hätte das Landesarbeitsgericht zu Unrecht angenommen, dass daraus zugleich ein übereinstimmender Wille folgt, den Vertrag bereits an diesem Tag beginnen zu lassen.

26(bbb) Das Landesarbeitsgericht hat insoweit verkannt, dass eine Anreise des Klägers zu der Schulung nicht nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses möglich war. Aus dem Umstand, dass betrieblich veranlasste Reisezeiten im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses regelmäßig - vorbehaltlich einer abweichenden Vergütungsvereinbarung - vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen, folgt nicht zugleich, dass die Anreise des Klägers zu der Schulung nur auf der Grundlage eines bestehenden Arbeitsverhältnisses möglich war. Gegenteiliges ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des Fünften und Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts in den Urteilen vom (- 5 AZR 553/17 -Rn. 13 f., 17, BAGE 164, 57), vom (- 5 AZR 424/17 - Rn. 18 mwN) und vom (- 6 AZR 294/17 - Rn. 23 ff.). Diese Entscheidungen betreffen Fälle, in denen die An- und Abreise zu einer auswärtigen Arbeitsstelle oder einer Fortbildungsveranstaltung im Rahmen eines bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses erforderlich war. Sie enthalten weder Aussagen dazu, ob bereits für die Zeit der einvernehmlichen Anreise des Arbeitnehmers zu einer bei Vertragsbeginn ersten auswärtigen Arbeitsstelle oder einer Schulungsveranstaltung ein Arbeitsvertrag begründet wird, noch dazu, ob die Zeit der Anreise grundsätzlich vergütungspflichtig ist, wenn sie vor Beginn des Arbeitsverhältnisses durchgeführt wird. Anderes folgt auch nicht daraus, dass der Fünfte Senat entsprechende An- und Abreisezeiten als „versprochene Dienste“ iSv. § 611 Abs. 1 BGB bezeichnet. Damit sind nur im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses „versprochene Dienste“ gemeint. Ob und zu welchem Zeitpunkt Dienste auf der Grundlage eines Arbeitsverhältnisses versprochen sind, ist eine Frage der Auslegung der Erklärungen der Parteien.

27Das Landesarbeitsgericht hat auch rechtsfehlerhaft angenommen, „Arbeit“ als Leistung versprochener Dienste sei nur im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses möglich. Zwar kann in dem einvernehmlichen Austausch von Dienstleistung und Vergütung der übereinstimmende Wille der Parteien zum Ausdruck kommen, einander zu den tatsächlich erbrachten Leistungen arbeitsvertraglich verbunden zu sein (vgl.  - Rn. 18, BAGE 158, 6; - 10 AZR 590/13 - Rn. 26). Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch auf den Abschluss eines Vertrags durch schlüssiges Verhalten im Wege der Realofferte und deren konkludenter Annahme durch ein Verhalten über einen längeren Zeitraum. Eine einvernehmliche Beschäftigung zur Erbringung von Arbeitsleistungen begründet aber nicht stets einen Arbeitsvertrag. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt. So entspricht es etwa der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass die Prozessbeschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung eines titulierten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs kein Arbeitsverhältnis begründet (vgl.  - Rn. 25 mwN, BAGE 170, 311). Auch das anerkannte Rechtsinstitut des „faktischen bzw. fehlerhaften Arbeitsverhältnisses“ zeigt, dass die Erbringung von Arbeit nicht notwendig zum Abschluss eines Arbeitsvertrags führt. Ein faktisches (genauer: fehlerhaftes) Arbeitsverhältnis besteht, wenn ein Arbeitnehmer ohne wirksame Vertragsgrundlage Arbeit leistet ( - Rn. 28, aaO; - 5 AZR 592/03 - zu I 2 a der Gründe, BAGE 112, 299).

28(ccc) Das Landesarbeitsgericht hat auch nicht berücksichtigt, dass die Erstattung von Reise- und Übernachtungskosten nicht nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses in Betracht kommt. Der Arbeitgeber kann sogar rechtlich verpflichtet sein, schon für die Teilnahme an einem Bewerbungsgespräch dem Bewerber Reise- und Übernachtungskosten zu erstatten (vgl.  -), obwohl im Zeitpunkt der Anreise zum Bewerbungsgespräch unzweifelhaft noch kein Arbeitsverhältnis besteht. Auch das Bundesreisekostengesetz, auf das die Beklagte bereits in der E-Mail an den Kläger vom hingewiesen hatte, und das nach § 2 des Arbeitsvertrags der Parteien vom 24./ und § 44 Abs. 1 des darin in Bezug genommenen TVöD BT-V auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, sieht die Möglichkeit zur Erstattung von Reisekosten nicht nur in einem bestehenden Beamten- bzw. Arbeitsverhältnis vor. Nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 BRKG kann Reisekostenvergütung gewährt werden für Einstellungsreisen vor dem Wirksamwerden der Ernennung zur Beamtin, zum Beamten, zur Richterin, zum Richter, zur Soldatin oder zum Soldaten. Damit sind auch sogenannte Dienstantrittsreisen vor Begründung des Beamtenverhältnisses reisekostenerstattungsfähig, obwohl Personen, die vor ihrer Ernennung Reisen zur Einstellung in den Bundesdienst ausführen, durch den persönlichen Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 BRKG noch nicht erfasst werden (Meyer/Fricke Reisekosten im öffentlichen Dienst Stand Februar 2021 § 11 BRKG Rn. 63). Übertragen auf Arbeitnehmer bedeutet dies, dass nach § 44 Abs. 1 TVöD BT-V iVm. § 11 Abs. 3 Nr. 1 BRKG auch Reisekostenvergütung gewährt werden kann für Dienstantrittsreisen vor dem Wirksamwerden des Arbeitsverhältnisses bzw. vor dem Beginn des Arbeitsvertrags. Sieht das Reisekostenrecht also die Möglichkeit vor, die Anreise bei entsprechender Kostenerstattung vor Beginn des Arbeitsverhältnisses durchzuführen, kann dem Einverständnis der Beklagten mit der Anreise und der Erklärung der Kostenübernahme allein ohne besondere Umstände nicht der Erklärungsinhalt entnommen werden, sie habe damit bereits ein Arbeitsverhältnis begründen wollen.

29(ddd) Dies kann der Senat abschließend entscheiden. Darin liegt weder eine Abweichung von der Rechtsprechung des Fünften Senats in einer Rechtsfrage iSd. § 45 Abs. 2 ArbGG noch ist eine Vorabentscheidung des EuGH über die Auslegung des Unionsrechts geboten. Insbesondere ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt, dass sich die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung mit Ausnahme des in ihrem Art. 7 Abs. 1 geregelten besonderen Falles des bezahlten Jahresurlaubs darauf beschränkt, bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten ( - Rn. 25 mwN; EuArbRK/Gallner 3. Aufl. RL 2003/88/EG Art. 1 Rn. 3 mwN). Sie findet grundsätzlich weder Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer noch regelt sie die Frage, wann ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis beginnt.

30(bb) Andere Gründe, warum das Arbeitsverhältnis entgegen der ausdrücklichen Regelung in § 1 des Arbeitsvertrags vom 24./ nicht am , sondern schon am begonnen haben sollte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere haben die Parteien den Vertrag vom 24./ insofern nicht nachträglich (konkludent) abgeändert. Das Verhalten der Parteien nach dem Abschluss des schriftlichen Vertrags lässt nicht auf den Willen zum Abschluss eines Änderungsvertrags schließen. Weder lag in der Bitte des Klägers um Kostenerstattung für das Busticket in der E-Mail vom ein Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags für die Dauer der Reisezeit, noch konnte der Kläger das Verhalten der Beklagten - die Erstattung des Ticketpreises - als eine entsprechende Willenserklärung verstehen. Daher kann offenbleiben, ob dem Abschluss eines konkludenten Änderungsvertrags bereits die in § 6 des Arbeitsvertrags vereinbarte qualifizierte Schriftformklausel entgegensteht.

31bb) Bei der in dem Arbeitsvertrag vom 3./ vereinbarten Befristung handelt es sich um eine Verlängerung des am 24./ abgeschlossenen Ausgangsvertrags iSv. § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger in der Folgezeit nicht - wie bis dahin - als Anhörer, sondern als Entscheider beschäftigt wurde.

32(1) Das Tatbestandsmerkmal der Verlängerung iSd. § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG eines nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 TzBfG sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats voraus, dass das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts noch vor Abschluss der Laufzeit des bisherigen Vertrags in schriftlicher Form vereinbart wird und der Vertragsinhalt ansonsten unverändert bleibt (vgl.  - Rn. 37; - 7 AZR 786/06 - Rn. 9; - 7 AZR 603/06 - Rn. 7, BAGE 125, 248; - 7 AZR 12/06 - Rn. 11, BAGE 119, 212 jeweils mwN). Die Zuweisung einer anderweitigen Tätigkeit im Rahmen der Ausübung des Direktionsrechts erfordert indes keine Vertragsänderung und steht daher der Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG nicht entgegen.

33(2) Danach stellt der Änderungsvertrag vom 3./ eine Verlängerung des Ausgangsvertrags vom 24./ iSv. § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG dar. Der Abschluss des Änderungsvertrags erfolgte vor dem Ablauf der Vertragslaufzeit des Ausgangsvertrags am . Der Änderungsvertrag enthält als einzige Regelung das neue Beendigungsdatum. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Vertragsinhalt im Übrigen unangetastet geblieben. Der im Februar 2017 erfolgte Tätigkeitswechsel vom „Anhörer“ zum „Entscheider“ stellt keine Vertragsänderung im Sinne der Rechtsprechung des Senats dar. Dies folgt schon daraus, dass die Parteien im Arbeitsvertrag vom 24./ keine konkrete Tätigkeit (sondern lediglich die Eingruppierung des Klägers) vereinbart haben. Die Beklagte konnte daher dem Kläger die Tätigkeit eines Entscheiders im Rahmen ihres Direktionsrechts nach § 106 GewO zuweisen, da ihr Weisungsrecht durch den Vertrag lediglich insoweit beschränkt war, als sie dem Kläger nur Tätigkeiten zuweisen konnte, die nach EG 12 TVöD zu vergüten sind. Unstreitig ist auch die Tätigkeit eines Entscheiders nach dieser Entgeltgruppe zu vergüten.

34Selbst wenn bei Vertragsschluss - trotz einer fehlenden ausdrücklichen Vereinbarung im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 24./ - eine Beschäftigung des Klägers als Anhörer vereinbart gewesen sein sollte, war die Zuweisung der Tätigkeit als Entscheider im Rahmen des Direktionsrechts möglich, da sich die Beklagte in § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags vom 24./ ausdrücklich die Möglichkeit vorbehalten hatte, dem Kläger aus dienstlichen Gründen eine andere Tätigkeit im Rahmen der Entgeltgruppe zuzuweisen. Selbst unterstellt, die Beklagte hätte sich mit dieser Klausel vorbehalten, die vertraglich vereinbarte Tätigkeit als Anhörer später zu ändern, hielte die Klausel einer Angemessenheitskontrolle nach §§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB stand (zur Erforderlichkeit einer Angemessenheitskontrolle bei Versetzungsklauseln vgl.  - Rn. 23 ff., BAGE 135, 239). Dadurch, dass sich die Beklagte nur vorbehalten hat, eine andere Tätigkeit im Rahmen der Entgeltgruppe zuzuweisen, ist die Gleichwertigkeit der neu zugewiesenen Arbeit gewährleistet.

35Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob der Kläger unter Berücksichtigung der in § 6 des Arbeitsvertrags vom 24./ vereinbarten qualifizierten Schriftformklausel überhaupt schlüssig dargetan hat, wann und wie die Parteien eine aus seiner Sicht vereinbarte Tätigkeit als Anhörer im Zusammenhang mit der Verlängerung einvernehmlich in eine Tätigkeit als Entscheider geändert haben sollen, obwohl dies im schriftlichen Änderungsvertrag vom 3./ nicht erwähnt ist.

362. Die Befristung ist nicht aus personalvertretungsrechtlichen Gründen unwirksam.

37a) Die Befristung bedurfte nicht der Zustimmung des Personalrats. Der Personalrat hat nach den Bestimmungen des für die Beklagte einschlägigen Bundespersonalvertretungsgesetzes kein Mitbestimmungsrecht bei der Befristung von Arbeitsverträgen (vgl.  - Rn. 32 mwN).

38b) Soweit der Kläger gerügt hat, seine Beschäftigung sei ohne die erforderliche Zustimmung des Personalrats erfolgt, ist dies nicht geeignet, die Wirksamkeit der Befristung des Arbeitsvertrags vom 3./ in Frage zu stellen.

39Die fehlende Zustimmung des Personalrats zu der Einstellung, zu der auch die Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags gehört, führt nicht zur Unwirksamkeit der Befristung oder des abgeschlossenen Arbeitsvertrags. Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten hat nur dann die Unwirksamkeit der Maßnahme gegenüber dem Arbeitnehmer zur Folge, wenn diese den Arbeitnehmer belastet. Dies ist beim Abschluss eines Arbeitsvertrags nicht der Fall. Deshalb ist bei fehlender Zustimmung der Personalvertretung zur Einstellung zwar die tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb, dh. dessen Beschäftigung, unzulässig. Der Arbeitsvertrag bleibt jedoch wirksam ( - zu II 2 der Gründe mwN; Kaiser/Annuß in Richardi/Dörner/Weber Personalvertretungsrecht 5. Aufl. § 75 Rn. 25).

40II. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Die Vorinstanzen haben den Antrag zutreffend als allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag im Sinne der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl.  - BAGE 48, 122) verstanden. Dieser bezieht sich nur auf die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss der Bestandsstreitigkeit. Durch die Entscheidung des Senats über die Befristungskontrollklage ist die Bestandsstreitigkeit rechtskräftig abgeschlossen.

41III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:280421.U.7AZR212.20.0

Fundstelle(n):
BB 2021 S. 2419 Nr. 41
DStR-Aktuell 2021 S. 11 Nr. 50
NJW 2021 S. 3675 Nr. 50
VAAAH-88708