BAG Beschluss v. - 3 AZN 849/20

Betriebliche Altersversorgung - Nichtzulassungsbeschwerde - Verwirkung - Rügefrist

Gesetze: § 72a ArbGG, § 16 BetrAVG, § 242 BGB

Instanzenzug: Az: 12 Ca 6893/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 2 Sa 69/20 Urteil

Gründe

1I. Die ausschließlich auf die grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie betrifft schon keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

21. Nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt ( - zu 2 c aa der Gründe, BAGE 114, 200). Eine Rechtsfrage ist eine Frage, die die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm zum Gegenstand hat ( - Rn. 2).

32. Die von der Beklagten konkret formulierte Frage:

enthält auch bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung keine Rechtsfrage. Sie hat keinen die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm betreffenden Gegenstand. Soweit sich die Beschwerde auf die Regelungen in §§ 16, 18a BetrAVG bezieht, betrifft sie weder die Wirksamkeit noch den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt dieser Normen. Die Beklagte möchte in ihrer Frage ausdrücklich nur deren Wertungen oder ihr Gegenteil für eine allgemeine Verwirkung des Anpassungsrechts heranziehen. Die Anwendung des § 18a Satz 1 BetrAVG wie des § 16 BetrAVG scheidet damit nach ihrer eigenen Begründung aus. Selbst eine sinngemäße Anwendung von § 16 BetrAVG entspräche nicht dem Vorgehen der Beklagten, die die vom Kläger begehrte Anpassung seiner betrieblichen Versorgungsleistungen zum auch mit Wirkung für die Zukunft dauerhaft ausschließen möchte.

43. Die Beklagte möchte eigentlich geklärt wissen, ob eine Verwirkung des Rechts, eine Anpassung der betrieblichen Versorgungsleistungen geltend zu machen, aus § 242 BGB abgeleitet werden kann.

5Macht die Beklagte daher eine Verwirkung eines Rechts zur Anpassung der betrieblichen Versorgungsleistungen geltend, geht es ihr um die Anwendung - also nicht um die Auslegung - des § 242 BGB in seiner Ausprägung der Verwirkung eines Rechts. Die Verwirkung hängt allerdings von den Umständen des Einzelfalls ab und erfordert sowohl ein Zeit- als auch ein Umstandsmoment. Zu dem erforderlichen Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles, ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann. Die Bewertung des Tatrichters kann in der Revisionsinstanz nur - und nur nach erfolgter Zulassung der Revision - daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht ( - Rn. 9). Hieraus lässt sich keine Rechtsfrage ableiten.

6Zu erwägen wäre allenfalls, die Ausgestaltung der Leitlinien des Zeit- und Umstandsmoments der Verwirkung eines vertraglichen Anpassungsrechts als „Rechtsfrage“ iRd. § 242 BGB anzuerkennen (vgl.  - Rn. 15 ff.). In diese Richtung sieht auch das Bundesverwaltungsgericht zum Begriff der Verwirkung eine Nichtzulassungsbeschwerde als zulässig an, wenn ein über die allgemeinen Rechtssätze hinausgehender, weiterer grundsätzlicher Klärungsbedarf zum Institut der Verwirkung besteht ( 9 B 65.08 - Rn. 13; vgl. auch  -).

7Allerdings würde diese Annahme im vorliegenden Verfahren auch nicht zu einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage führen. Es besteht kein über die allgemeinen Rechtssätze hinausgehender grundsätzlicher Klärungsbedarf zum Institut der Verwirkung. Der Beklagten geht es um die konkrete Verwirkung des Rechts, eine unzutreffende Anpassungsentscheidung im Einzelfall zu rügen. Zudem stellt sich in unterschiedlichen Versorgungswerken - selbst bei mit den dem Beschwerdeverfahren ähnlichen vertraglichen Anpassungsregeln - die Frage der Verwirkung stets neu und - anders etwa als bei der Verwirkung gesetzlich vorgesehener Rechte (etwa des Widerrufsrechts) - nicht in gleichförmiger Weise. Folglich ließen sich allenfalls für ein Versorgungswerk Leitlinien aufstellen, die sich in anderen Versorgungswerken erneut - aber anders - stellen könnten. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (vgl. zu diesem Merkmal  - Rn. 11 f., BAGE 138, 180).

84. Im Übrigen bedarf es keiner höchstrichterlichen Entscheidung zu einer vom Revisionsgericht noch nicht entschiedenen Rechtsfrage, wenn die Rechtslage eindeutig ist ( - juris-Rn. 2 mwN) bzw. sich die streitige Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt ( - zu I 2 c der Gründe mwN). Nach dem Zweck des Revisionsverfahrens, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu fördern, liegt dieser Ausnahmefall vor, wenn divergierende Entscheidungen der Instanzgerichte zu der nämlichen Rechtsfrage nicht zu erwarten sind ( - zu I 2 c der Gründe).

9Unterstellt, es handele sich bei der gestellten Frage um eine Rechtsfrage iSd. § 72a ArbGG, so ist deren Beantwortung eindeutig. Auf eine vertraglich zugesagte Anpassung in einem Versorgungswerk ist die Systematik des § 16 BetrAVG und das hierzu vom Senat entwickelte Fristenregime (vgl.  - Rn. 15, BAGE 118, 51) nur dann anwendbar, wenn sich das maßgebliche Versorgungswerk und seine Ausführungsbestimmungen nach Wortlaut und Inhalt an § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG anlehnt und zur Anpassung entsprechende ausdrückliche Regelungen enthält, sodass die für die gesetzliche Anpassungspflicht geltenden Grundsätze insgesamt auf die Anpassungen der Ruhegelder anwendbar sind (vgl.  - Rn. 31 zu § 20 Leistungsordnung 1985 Bochumer Verband; - 3 AZR 112/18 - BAGE 166, 323 zu § 9 Leistungsordnung Essener Verband). Divergierende Entscheidungen der Instanzgerichte zu der nämlichen Rechtsfrage sind demnach nicht zu erwarten. Das vom Senat aus § 16 BetrAVG abgeleitete Fristenregime berücksichtigt - anders als das von der Beklagten angedachte System -, dass der infolge einer unterlassenen Rüge nicht mehr im Wege der nachträglichen Anpassung auszugleichende Kaufkraftverlust lediglich vorübergehend entfällt. Im Rahmen von § 16 BetrAVG ist zu jedem neuen Anpassungsstichtag der Kaufkraftverlust jeweils vom Rentenbeginn bis zum Anpassungsstichtag auszugleichen ( - BAGE 142, 116), sofern die Anpassung nicht nach § 16 Abs. 4 BetrAVG zu Recht unterblieben war. Dies hat zur Folge, dass es durch das § 16 BetrAVG entnommene Fristenregime nur zu vorübergehenden Nachteilen für die Betriebsrentner kommt, nicht jedoch zu einer dauerhaften Entwertung der laufenden Leistungen.

10II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG. Dabei wurde der 36-fache Wert der im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren noch streitigen künftigen Leistungen iHv. 5,29 Euro nach § 42 Abs. 1 GKG angesetzt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:081220.B.3AZN849.20.0

Fundstelle(n):
BB 2021 S. 115 Nr. 2
DStR 2021 S. 12 Nr. 5
NJW 2021 S. 1692 Nr. 23
BAAAH-66946