Online-Nachricht - Donnerstag, 28.05.2020

Umsatzsteuer | Folgen der Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Abgabe einer Freigabeerklärung (BFH)

Hat der Insolvenzverwalter Kenntnis davon, dass der Insolvenzschuldner eine selbständige Tätigkeit ausübt, muss er gem. § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erklären, ob er die Tätigkeit aus der Insolvenzmasse freigibt oder nicht. Fehlt es an der Erklärung, gehört die Umsatzsteuer auf die unternehmerische Tätigkeit des Insolvenzschuldners nach Insolvenzeröffnung zu den Masseverbindlichkeiten (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Gem. § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Insolvenzverwalter zur Abgabe einer Freigabeerklärung der unternehmerischen Tätigkeit verpflichtet, da klargestellt werden soll, ob im Rahmen der selbständigen Tätigkeit des Schuldners begründete Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten darstellen oder nicht. Gem. § 35 Abs. 2 InsO hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzschuldner gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.

Sachverhalt: Der vorläufige Insolvenzverwalter (Kläger) erklärte, es liege Zahlungsunfähigkeit vor, und er regte an, das Regelinsolvenzverfahren zu eröffnen. Er führte u. a. aus, dass aufgrund der stabilen Auftragslage des Insolvenzschuldners zu erwarten ist, dass diese Tätigkeit fortgeführt werden kann. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens werde die Tätigkeit allerdings aus der Masse freigegeben werden, so dass sich die Einnahmen der Masse auf den vom Schuldner an den Insolvenzverwalter abzuführenden Geldbetrag beschränkten. Das Insolvenzverfahren wurde eröffnet und der Insolvenzverwalter erklärte an den Insolvenzschuldner die Freigabe der selbständigen Tätigkeit aus der Insolvenzmasse. In der Umsatzsteuererklärung erklärte der Insolvenzverwalter Umsätze von 0 €. Der Insolvenzschuldner reichte keine Umsatzsteuererklärung ein.

Das FA schätzte Umsätze, die vor der Freigabe der unternehmerischen Tätigkeit des Insolvenzschuldners ausgeführt wurden, mit der Begründung, dass die ausgeführten Umsätze Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind.

Das FG Sachsen () entschied, dass es für den Fall, dass der Insolvenzverwalter keine Erklärung i.S. des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO abgibt, es bei der früheren Rechtslage verbleibt. Die Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit fielen in die Insolvenzmasse, während die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben und Verbindlichkeiten sich nur dann gegen die Insolvenzmasse richteten, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 InsO erfüllt sind. Dies verneinte das FG im vorliegenden Fall.

Das FA legte Revision ein.

Der BFH verwies zurück an das FG Sachsen und führte aus:

  • Zur Festsetzung der Umsatzsteuer ist zu unterscheiden: Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Steueransprüche gegen den Insolvenzschuldner, die als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind, sind gegenüber dem Insolvenzver¬walter durch Steuerbescheid festzusetzen und von diesem vorweg aus der Insolvenz¬masse zu befriedigen. Sonstige nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Steu-eransprüche gegen den Insolvenzschuldner sind dagegen insolvenzfrei und gegen ihn selbst festzusetzen.

  • Die Umsatzsteuer aus der unternehmerischen Tätigkeit des Insolvenzschuldners kann keine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sein. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben.

  • Falls der Insolvenzverwalter seine Pflicht zur unverzüglichen Abgabe einer Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO verletzt, keine ausdrückliche Wahl trifft und damit die unternehmerische Tätigkeit des Insolvenzschuldners duldet, führt sein pflichtwidriges Unterlassen zum Entstehen von Masseverbindlichkeiten.

  • Das Entstehen von Masseverbindlichkeiten knüpft danach bei Kenntnis von der selbständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners entweder an eine positive Erklärung i.S. des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO oder an das pflichtwidrige Unterlassen des Insolvenzverwalters, unverzüglich eine Erklärung i.S. des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO (gleich welchen Inhalts) abzugeben, an.

  • Das FG hat nun zu prüfen, ob der Kläger von der unternehmerischen Tätigkeit des Schuldners Kenntnis hatte oder Kenntnis hätte erkennen können.

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:

Die Entscheidung betrifft die umsatzsteuerliche Behandlung von selbständigen Tätigkeiten, die ein Insolvenzschuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vornimmt. Der Senat hat in dem Urteil darauf hingewiesen, dass die Umsatzsteuer auf die unternehmerische Tätigkeit des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu Masseverbindlichkeiten führt, wenn der Insolvenzverwalter Kenntnis davon hat, dass der Insolvenzschuldner diese Tätigkeit ausübt, und er es in dieser Situation unterlässt, unverzüglich zu erklären, ob er die Tätigkeit aus der Insolvenzmasse freigibt oder nicht. Die Sache wurde an das FG zurückverwiesen, weil insoweit nicht feststand, ob der Insolvenzverwalter Kenntnis von der unternehmerischen Tätigkeit des Insolvenzschuldners hatte.

Die Entscheidung zeigt für die Praxis, dass der Insolvenzverwalter in Fällen, in denen der Insolvenzschuldner seiner unternehmerischen Tätigkeit weiter nachgehen will, unverzüglich seine Erklärung gegenüber dem Insolvenzschuldner nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erklärt. Sonst entstehen weitere Masseverbindlichkeiten.

Quelle: , NWB Datenbank (JT)

Fundstelle(n):
NWB DAAAH-49610