BMF - III C 2 - S 7107/19/10009 :003

Anwendungsfragen des § 2b Umsatzsteuergesetz (UStG)

Bezug: BStBl 2019 I S. 1140

Bezug: BStBl 2016 I S. 1451

Bezug: BStBl 2012 II S. 74

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom , in dem Sie Anwendungsfragen des § 2b UStG thematisieren.

Viele der Fragestellungen werden bereits derzeit auf Bund-Länder-Ebene erörtert. Ein Großteil der vorgelegten und möglichen zukünftigen Fragen zur Steuerbarkeit lassen sich mit folgenden zwei Regeln beantworten:

  1. Privatrechtliche Verträge führen unter den weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG zur Steuerbarkeit der Leistung.

  2. Bei Erbringung einer Leistung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ist grundsätzlich davon auszugehen, dass durch die Möglichkeit, diese Leistung auch von Privaten erhalten zu können, Wettbewerb besteht und eine fehlende Steuerbarkeit zu einer Verzerrung dieses Wettbewerbs führen würde, mithin die Anwendung von § 2b UStG ausgeschlossen ist. Bei § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG ist eine gesonderte Wettbewerbsprüfung durchzuführen (siehe .

§ 2b UStG privilegiert bestimmte Tätigkeiten der juristischen Personen des öffentlichen Rechts und verfolgt gleichzeitig das Ziel, Verzerrungen des Wettbewerbs zu verhindern, wenn gleiche Leistungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts und privaten Wettbewerbern angeboten werden. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Organisationsfreiheit der betroffenen juristischen Personen des öffentlichen Rechts lässt sich daraus nicht herleiten. Die Tatsache, dass eine Ausnahme von einer allgemein gültigen Regel auf eine bestimmte Konstellation keine ständige Anwendung findet, sondern eine Einzelfallprüfung vorgenommen wird, ob im konkreten Fall die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2b UStG für eine Nichtsteuerbarkeit vorliegen, stellt keine unverhältnismäßige Beeinträchtigung dar.

Die mögliche Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Generelle Anwendungsfragen werden mit Blick auf die Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) und des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in einem die Gesetzesänderung begleitenden BMF-Schreiben geregelt werden.

Ihr Schreiben wird zudem bei der weiteren Erörterung der Fragen der umsatzsteuerlichen Organschaft/ Gruppenbesteuerung berücksichtigt.

Unter Bezugnahme auf die Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt zudem Folgendes:

1. Interkommunale Rechenzentren

Erbringen interkommunale Rechenzentren Leistungen, die gleichartig im Wettbewerb auch von privaten Dritten erbracht werden können, würde die Nichtbesteuerung dieser Leistungen zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen. Daher ist regelmäßig von einer Unternehmereigenschaft auszugehen.

2. Interkommunale Callcenter und der D115-Verbund

Die Aufbereitung und Bereitstellung von Informationen für den Bürger durch ein Callcenter ist auch privaten Anbietern möglich. Daher ist regelmäßig von einer Unternehmereigenschaft auszugehen. Zu den etwaigen Leistungsbeziehungen innerhalb des D115-Verbundes enthält die Anfrage keine ausreichenden Informationen.

3. Gemeinsame Einrichtungen zur Beihilfe-, Besoldungs- und Gehaltsabrechnung

Zu den gemeinsamen Einrichtungen zur Beihilfe-, Besoldungs- und Gehaltsabrechnung ist ein gesondertes Schreiben des BMF geplant.

4. Personalgestellungen

Durch die Streichung des § 2 Abs. 3 UStG in der Fassung von 2015 sind frühere Anknüpfungspunkte der Körperschaftsteuer nicht mehr maßgeblich für die umsatzsteuerliche Beurteilung. Ob eine Unternehmereigenschaft vorliegt, bestimmt sich nach § 2 Abs. 1 UStG.

Infolgedessen hat die Rechtsfigur der Beistandsleistungen umsatzsteuerlich keine Bedeutung mehr. Insbesondere ist irrelevant, ob der Leistungsaustausch zwischen Hoheitsbereichen im Sinne der Körperschaftsteuer stattfindet.

Darüber hinaus werden regelmäßig Personalgestellungen bzw. Personalüberlassungen umsatzsteuerbar, die bisher mangels Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art nicht als unternehmerisch gegolten haben.

Bei sogenannten „Umstrukturierungsfällen“ gelten ebenfalls die allgemeinen Regelungen. Die in der Vergangenheit beschlossenen besonderen Verwaltungsregelungen zur Personalüberlassung in Umstrukturierungsfällen finden bei Anwendbarkeit des § 2b UStG (Übergangszeitraum nach § 27 Abs. 22 UStG) für die Umsatzsteuer keine Anwendung mehr. Damit unterliegen sämtliche Personalüberlassungen bei Umstrukturierungen, unabhängig davon, wann sie begründet wurden, mit Anwendung des § 2b UStG bei der jeweiligen jPöR, der Umsatzsteuer. Aus dem Begriff der Amtshilfe allgemein können keine umsatzsteuerlichen Folgen abgeleitet werden, sondern der Einzelfall ist zu betrachten.

Grundsätzlich gilt: Die entgeltliche Überlassung von Personal stellt einen nachhaltigen Leistungsaustausch dar, der zur Unternehmereigenschaft führt. Wenn Personal gegen Entgelt überlassen wird, liegt grundsätzlich ein steuerbarer und steuerpflichtiger Vorgang vor. Die Unternehmereigenschaft kann im Einzelfall entfallen, wenn keine größeren Wettbewerbsverzerrungen im Sinne des § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG vorliegen.

5. Privatrechtliche Entgelte bei Leistungen der öffentlichen Hand unter Anschluss- und Benutzungszwang

Auf das , III C 2 - S 7107/19/10007 :003, wird verwiesen.

6. Leistungsbeziehungen zwischen einer Anstalt des öffentlichen Rechts und ihrer Trägerkommune

Auf das , III C 2 - S 7107/19/10004: 006, wird verwiesen.

7. Konzessionsabgaben

Die Fragestellung wird derzeit auf Bund-Länder-Ebene erörtert.

8. Wahrnehmung wesentlicher Teilaufgaben für eine andere jPöR in den Bereichen der Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung

Wenn die Voraussetzungen des § 2b Abs. 1 Satz 1 UStG vorliegen, führt die Wahrnehmung von (Teil-)Aufgaben einer jPöR für eine andere jPöR zur Steuerbarkeit, wenn größere Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten privater Dritter vorliegen. Eine entgeltliche befreiende Aufgabenübertragung auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung in öffentlichrechtlicher Handlungsform und im Rahmen öffentlicher Gewalt an eine andere jPöR führt zum Ausschluss der Unternehmereigenschaft, wenn die Übertragung auf Private gesetzlich ausgeschlossen ist (z. B. die Entsorgung von Abfällen aus privaten Haushaltungen nach § 20 KrWG). Davon zu unterscheiden ist hier die auch privaten Unternehmern gestattete Erbringung von Vorleistungen an die zur Entsorgung verpflichtete jPöR zum Zweck der Durchführung der Abfallentsorgung (§ 22 KrWG), vgl. BStBl I, S. 1451, Rn. 25).

9. Park- und Sondernutzungsgebühren

Die Überlassung unselbstständiger Parkbuchten auf öffentlich-rechtlich gewidmeten Straßen gegen Entgelt (Parkscheinautomat) ist nicht umsatzsteuerbar. Auch die Überlassung von Fahrzeugabstellplätzen auf der Straße ist nicht umsatzsteuerbar.

Die Überlassung selbstständiger Parkplätze (einschließlich deren Abgrenzung) auf nicht dem Straßenverkehr gewidmeten Grund sowie von Parkplätzen für Behördenbesucher und Mitarbeiter gegen Entgelt stellt einen steuerbaren und steuerpflichtigen Umsatz dar.

Sondernutzungsgebühren stellen ein Entgelt für die Einräumung des Rechts dar, eine bestimmte öffentliche Fläche für eigene unternehmerische Zwecke nutzen zu dürfen. Erfolgt dies auf Basis einer Gebührenordnung, handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Handlungsform. Ein solches Recht kann nur durch die öffentliche Hand eingeräumt werden. Ein Wettbewerb zu steuerpflichtigen Anbietern besteht daher nicht. Nach § 2b Abs. 1 UStG ist der Leistungsaustausch mangels Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand nicht steuerbar.

Hiervon abzugrenzen sind die Fälle, in denen die Gemeinde die Sondernutzung nicht lediglich erlaubt, sondern selbst vornimmt, indem sie z. B. Standflächen auf einem Marktplatz gegen Entgelt überlässt. Hier wird eine begrenzte Fläche mit zusätzlichen Leistungen wie Stromanschluss und Reinigung zur Nutzung überlassen. Dies stellt eine unternehmerische Grundstücksüberlassung dar (vgl. , BStBl II 2012, S. 74).

Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug ist jeweils im Einzelfall zu prüfen.

10. Friedhofsgebühren

Die Fragestellung wird derzeit auf Bund-Länder-Ebene erörtert.

11. Leistungen einer Kommune an deren Rats- oder Kreistagsfraktionen

Bei Leistungen einer Kommune an deren Rats- oder Kreistagsfraktionen handelt es sich um nichtsteuerbare Innenumsätze.

12. Hilfsgeschäfte im Entsorgungssektor

Auf das , III C 2 - S 7107/19/10007 :001, wird verwiesen.

13. Hoheitliche Hilfsgeschäfte - Erstellung einer Positiv-/Negativ-Liste

Die Fragestellung wird derzeit auf Bund-Länder-Ebene erörtert.

14. Sponsoring

Beim Sponsoring werden in der Regel privatrechtliche Verträge geschlossen. Der Anwendungsbereich des § 2b UStG ist nicht eröffnet. Die Frage des Leistungsaustausches ist nach allgemeinen Grundsätzen zu prüfen, siehe Abschnitt 1.1 Absatz 23 Umsatzsteuer- Anwendungserlass.

15. Durchführung von hoheitlichen Aufgaben

Werden jPöR von anderen jPöR mit der Durchführung von hoheitlichen Aufgaben (z. B. Abwasserbeseitigung oder Hausmüllentsorgung) in Gänze beauftragt, können die Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG erfüllt sein. Die Ausführungen des BStBl I 2019, S. 1140 sind zu beachten.

16. Tätigkeiten für kreisangehörige Gemeinden als Ausfluss der gesetzlich zugewiesenen Ausgleichs- und Ergänzungsaufgabe der Landkreise

Die Übernahme der von Ihnen beschriebenen Aufgaben durch die Landkreise für die kreisangehörigen Gemeinden ist nur dann umsatzsteuerrechtlich relevant, wenn die Landkreise hierfür Kostenerstattungen oder ähnliche Entgelte erhalten und damit von einem Leistungsaustausch auszugehen ist. In diesem Fall entfaltet der Landkreis regelmäßig eine unternehmerische Tätigkeit i. S. von § 2 Abs. 1 UStG, wobei die Tätigkeit nur dann über § 2b UStG von der Unternehmereigenschaft ausgenommen ist, wenn sie auf öffentlich-rechtlicher Grundlage in öffentlich-rechtlicher Handlungsform ausgeübt wird und zudem keine Wettbewerbssituation besteht (z. B. bei einem gesetzlichen Wettbewerbsausschluss i. S. von § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG). Dies ist im Einzelfall zu prüfen.

17. Feuerwehr-Gebühren

Sofern Tätigkeiten der Feuerwehr gegen Entgelt erbracht werden, erfüllen diese Tätigkeiten grundsätzlich die Voraussetzungen der Unternehmereigenschaft nach § 2 Abs. 1 UStG.

In den von Ihnen geschilderten Fällen erhebt die Feuerwehr über ihre Leistungen Gebühren mittels Gebührenbescheid, weshalb sie auf öffentlich-rechtlicher Grundlage nach § 2b Absatz 1 Satz 1 UStG handelt.

Erfüllt die Feuerwehr ihre Pflichtaufgaben, können diese Leistungen von keiner privaten Einrichtung in gleicher Form erbracht werden. Sollten daher für derartige Leistungen Gebühren erhoben werden (z. B. bei vorsätzlicher Brandstiftung oder mutwilliger Alarmierung), sind diese mangels Wettbewerb nicht steuerbar.

Bei Leistungen außerhalb der Gefahrenabwehr tritt die Feuerwehr in Wettbewerb zu Privaten. Insofern sind entsprechende Leistungen steuerbar.

Wenn eine Gemeinde für eine andere Gemeinde vollständig die Tätigkeit der Feuerwehr einschließlich der Atemschutzmasken- und Schlauchwerkstatt übernimmt, liegt kein Wettbewerb zu Privaten vor. Wird demgegenüber nur die Leistungen der Atemschutzmasken- und Schlauchwerkstatt gegen Entgelt in Anspruch genommen, besteht eine Wettbewerbssituation.

18. Entgelte der Rettungsleitstellen

Die von den Kommunen bei den freien Trägern privatrechtlich zu erhebenden Entgelte für den Betrieb einer Leitstelle und für die damit zusammenhängenden Verwaltungstätigkeiten bei Rettungsdienstleistungen sind steuerbar und steuerpflichtig.

19. Ausgleichszahlungen für einen Kreis- oder Gemeindegrenzen überschreitenden öffentlichen Personennahverkehr

Es liegen regelmäßig nichtsteuerbare echte Zuschüsse vor.

20. Ausgleichsbeträge nach BauGB von Grundstückseigentümern an die Kommune im Zusammenhang mit Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen

Maßnahmen nach § 154 BauGB werden auf öffentlich-rechtlicher Grundlage abgerechnet. Vergleichbare Leistungen können in diesem rechtlichen Kontext nicht durch Private erbracht werden. Entsprechende Gebühren sind demnach nicht steuerbar.

21. Verkauf von Feinstaubplaketten in den Zulassungsstellen

Der Anwendungsbereich des § 2b UStG ist bei privatrechtlichen Verkäufen nicht eröffnet.

22. Umsatzsteuerliche Behandlung kommunaler Wohnheime bei kurz- und auch längerfristiger Vermietung an Berufsschüler

Die privatrechtliche Vermietung von Wohnraum unterliegt nicht dem Anwendungsbereich des § 2b UStG. Es gelten die allgemeinen Regeln.

23. Umsatzsteuerliche Behandlung von amtsärztlichen Gutachten für Gerichte

Zur Einbringung von Fachwissen beauftragen Gerichte Sachverständige mit der Erstellung von Gutachten. Die Sachverständigen erhalten für ihre Leistungen Zahlungen nach dem JVEG und werden damit im Rahmen eines privatrechtlichen, steuerpflichtigen Leistungsaustausches tätig.

Eine Ausnahme liegt nur vor, wenn die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens unter § 4 Nr. 14 UStG fällt. Dies ist der Fall, wenn ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht. Bei Gerichtsgutachten wird dies jedoch in der Regel nicht der Fall sein.

Da eine Gutachtertätigkeit der öffentlichen Hand nicht vorbehalten ist, sondern durch jeden fachlich geeigneten Arzt erbracht werden kann, besteht ein Wettbewerb i. S. von § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG. Eine Ausnahme von der Unternehmereigenschaft - sofern kein nichtsteuerbarer Innenumsatz innerhalb derselben Gebietskörperschaft gegeben ist - liegt daher nicht vor.

24. Gebühren für Erst- und Folgebelehrungen nach dem Infektionsschutzgesetz

Soweit Erstbelehrungen nach dem Infektionsschutzgesetz zwingend nur durch das Gesundheitsamt vorgenommen werden können, besteht kein Wettbewerb. Für Folgebelehrungen, die auch von Privaten gegen Entgelt vorgenommen werden können, liegt eine Wettbewerbssituation vor.

25. Gebühren der Betreuungsstelle

Es liegt eine unternehmerische Betätigung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage vor. Soweit die Umsätze aus gleichartigen Tätigkeiten 17.500 € im Kalenderjahr übersteigen (§ 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG), ist die Unternehmereigenschaft nicht nach § 2b UStG ausgenommen, weil eine steuerschädliche Wettbewerbssituation nach § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG besteht.

26. Gerichtsgebühren

Sofern es sich bei den bezeichneten Gerichtsgebühren um Entschädigung handelt, die die Kommune nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) erhält, weil einer ihrer Mitarbeiter als Zeuge vernommen wird, liegt nicht steuerbarer Schadensersatz vor. Entschädigungen für das Auftreten eines Mitarbeiters als „auswechselbarer“ Sachverständiger sind dagegen Leistungsentgelt und im Falle der Nachhaltigkeit selbst dann steuerbar, wenn der Tätigkeit eine öffentlich-rechtliche Sonderregelung zugrunde liegen sollte. Denn es besteht eine steuerschädliche Wettbewerbssituation zu gewerblichen Sachverständigen.

Soweit weitere Erörterungen abgeschlossen sind, werden deren Ergebnisse gesondert mitgeteilt.

Bezüglich des vereinbarten Gesprächstermins kommt BMF mit gesondertem Schreiben auf Sie zu.

Mit freundlichen Grüßen

...

BMF v. - III C 2 - S 7107/19/10009 :003

Fundstelle(n):
PAAAH-47273