BAG Urteil v. - 5 AZR 21/19

Besitzstandszulage - Überleitung in neue Entgeltordnung - Deutsches Rotes Kreuz

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Trier Az: 5 Ca 503/17 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 4 Sa 465/17 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe eines tariflichen Besitzstandbetrags und einer Jahressonderzahlung.

2Der Kläger ist seit dem als Erzieher/Sozialarbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund beiderseitiger Tarifbindung die Bestimmungen der Tarifverträge für Arbeitnehmer/innen des Deutschen Roten Kreuzes Anwendung.

3Der DRK-Reformtarifvertrag (Teil A) über Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des Deutschen Roten Kreuzes idF des 43. Änderungstarifvertrags vom zum DRK-Reformtarifvertrag (iF DRK-Reform-TV) bestimmt ua.:

4Der Tarifvertrag zur Überleitung der Mitarbeiter des DRK in die Entgeltgruppen des DRK-Reformtarifvertrags und zur Regelung des Übergangsrechts, Teil B (TVÜ-DRK) idF des 43. Änderungstarifvertrags vom , sowie dem 8. Änderungstarifvertrag zum TVÜ-DRK vom (iF TVÜ-DRK) bestimmt ua.:

5Zum wurde der Kläger in die zu diesem Zeitpunkt neu geschaffene Entgeltordnung Sozial- und Erziehungsdienst (iF SuE) übergeleitet und dabei in die Entgeltgruppe S 8 eingruppiert. Bis einschließlich Juli 2016 zahlte die Beklagte an den Kläger ein Tabellenentgelt nach der Entgeltgruppe S 8 Stufe 4 iHv. zuletzt monatlich 3.185,75 Euro brutto zzgl. eines individuellen Besitzstandsbetrags iHv. 281,72 Euro brutto. Mit Wirkung zum wurden die allgemeinen Tarifentgelte der DRK-Mitarbeiter um 2,4 % erhöht. Zugleich wurde die Entgeltordnung SuE neu strukturiert. Dabei entfiel die bisherige Entgeltgruppe S 8; neu eingeführt wurden die Entgeltgruppen S 8a und S 8b. Im Zuge dieser Neustrukturierung wurde der Kläger von der bisherigen Entgeltgruppe S 8 in die neue Entgeltgruppe S 8b übergeleitet, die in Stufe 4 ein Tabellenentgelt von 3.366,32 Euro brutto vorsieht.

6Seit August 2016 zahlt die Beklagte an den Kläger ein Bruttotabellenentgelt iHv. 3.366,32 Euro, kürzt jedoch den individuellen Besitzstandsbetrag um die Differenz zwischen dem neuen und dem bisherigen Tabellenentgelt des Klägers, mithin um 180,57 Euro brutto auf 101,15 Euro brutto.

7Mit seiner Klage fordert der Kläger die Zahlung des ungekürzten individuellen Besitzstandsbetrags für die Zeit von August bis Dezember 2016 sowie eine Differenz auf die Jahressonderzahlung für das Jahr 2016. Soweit für die Revision relevant, ist der Kläger der Auffassung, die Beklagte sei nicht berechtigt, den individuellen Besitzstandsbetrag seit um die Erhöhung des Tabellenentgelts zu kürzen. Die Jahressonderzahlung sei unter Berücksichtigung eines ungekürzten individuellen Besitzstandsbetrags zu bemessen.

8Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - zuletzt beantragt,

9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Überleitung des Klägers von der Entgeltgruppe S 8 in die Entgeltgruppe S 8b sei eine Höhergruppierung, weshalb sich der individuelle Besitzstandsbetrag verringert habe.

10Das Arbeitsgericht hat der Klage, soweit in die Revision gelangt, stattgegeben. Das erstinstanzliche Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Dieser hat das Empfangsbekenntnis unter dem Datum des unterzeichnet. Die von der Beklagten eingelegte Berufung ist am beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Der Kläger rügt die Berufung der Beklagten als nicht fristgerecht eingelegt, weil ihm das erstinstanzliche Urteil bereits am zugestellt worden sei.

11Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die Anträge auf Zahlung der Differenz zu den ungekürzten individuellen Besitzstandsbeträgen und der höheren Jahressonderzahlung weiter.

Gründe

12Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Berufung der Beklagten für zulässig gehalten und die Klage abgewiesen. Die Ansprüche des Klägers auf Zahlung individueller Besitzstandsbeträge für die Zeit von August bis Dezember 2016 und der Jahressonderzahlung für das Jahr 2016 wurden von der Beklagten erfüllt. Weitergehende Zahlungsansprüche bestehen im Streitzeitraum nicht.

13I. Die beschränkt eingelegte Revision ist zulässig, insbesondere genügt die Revisionsbegründung zum Streitgegenstand der Jahressonderzahlung noch den gesetzlichen Anforderungen.

141. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss der vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine konkrete Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Bei mehreren Streitgegenständen muss für jeden eine solche Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (st. Rspr., vgl. nur  - Rn. 15 mwN).

152. Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung hinsichtlich beider Streitgegenstände. Bei der Jahressonderzahlung handelt es sich um einen vom Zahlungsbegehren bzgl. des individuellen Besitzstandsbetrags unabhängigen, selbständigen Streitgegenstand (vgl. zum Streitgegenstandsbegriff  - Rn. 19, BAGE 165, 205). Die Revisionsbegründung hierzu ist - noch - geeignet, die angefochtene Entscheidung in Frage zu stellen. Das prozessuale Gebot einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Berufungsurteil reicht nicht weiter als von dessen Gründen vorgegeben. Vom Rechtsmittelführer kann nicht mehr an Begründung verlangt werden als vom Gericht seinerseits aufgewendet (vgl.  - Rn. 11, BAGE 126, 237). Danach musste sich der Kläger mit der Abweisung des Antrags auf weitere Jahressonderzahlung nicht ausführlicher als geschehen auseinandersetzen. Das Landesarbeitsgericht begründete die Abweisung dieses Zahlungsantrags knapp mit einer Berechnung auf Basis des § 23 Abs. 2 DRK-Reform-TV, die - konsequent - im Wesentlichen aus dem Ergebnis der Tarifauslegung zum individuellen Besitzstandsbetrag folgt. Mit dieser Tarifauslegung setzt sich die Revision in ausreichender Weise auseinander. Sie verdeutlicht den von ihr angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts in einer Weise, die Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs hinreichend erkennen lässt.

16II. Die Revision ist nicht bereits deshalb begründet, weil die Berufung der Beklagten unzulässig war. Die Frist zur Berufungseinlegung wurde von ihr gewahrt.

171. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessfortsetzungsvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung. Sie ist vom Revisionsgericht deshalb von Amts wegen zu prüfen (st. Rspr., vgl.  - Rn. 11 mwN). War die Berufung der Beklagten unzulässig, ist auf die Revision des Klägers eine gleichwohl zu seinen Lasten ergangene Sachentscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben und die Berufung als unzulässig zu verwerfen (st. Rspr., vgl.  - Rn. 13).

182. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Berufung fristgerecht von der Beklagten eingelegt wurde. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG beträgt die Berufungsfrist einen Monat. Die Frist zur Einlegung beginnt gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Beklagte hat diese Frist gewahrt.

19a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 559 Abs. 2 ZPO) ist das erstinstanzliche Urteil dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Empfangsbekenntnis (§ 174 Abs. 4 ZPO) zugestellt worden. Voraussetzung einer wirksamen Zustellung gegen Empfangsbekenntnis an eine der in § 174 Abs. 1 ZPO aufgeführten Personen ist neben der Übermittlung des Schriftstücks in Zustellungsabsicht die Empfangsbereitschaft des Empfängers. Die Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks muss mit dem Willen erfolgen, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen. Zustellungsdatum ist deshalb der Tag, an dem der Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks persönlich Kenntnis erlangt, es empfangsbereit entgegennimmt und dies durch die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet (st. Rspr., vgl.  - Rn. 9; - IX ZB 303/11 - Rn. 6 mwN).

20b) Danach ist das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei von einer Zustellung des erstinstanzlichen Urteils an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am ausgegangen. Die am beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufungsschrift hat daher die Frist des § 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ArbGG gewahrt. Entsprechendes gilt sodann für die Frist zur Berufungsbegründung; diese ist fristwahrend am beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

21aa) Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat das Empfangsbekenntnis unterschrieben und es mit dem Datum des versehen. Das Empfangsbekenntnis erbringt grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit für den Zeitpunkt der Zustellung. Jedoch steht dem Prozessgegner der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis angegebenen Datums offen. Dies setzt allerdings voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können ( - Rn. 13). Der Gegenbeweis ist nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (vgl.  - zu II 1 der Gründe, zu § 212a ZPO aF).

22bb) Der Kläger hat keinen Beweis dafür angeboten, dass das handschriftlich auf dem Empfangsbekenntnis angegebene Datum falsch sei. Damit hat er die Beweiswirkung des Empfangsbekenntnisses nicht widerlegt (vgl.  - Rn. 10). Denn für das Datum der Zustellung ist nur entscheidend, ab wann der Prozessbevollmächtigte der Beklagten das Urteil als zugestellt gelten lassen wollte. Insoweit ist nicht dargetan, dass dies, anders als er es niedergeschrieben hat, schon vor dem der Fall war. Der Kläger hat sich im Berufungsverfahren lediglich auf eine lebensnahe Betrachtung der Postlaufzeiten berufen. Das Landesarbeitsgericht musste vor diesem Hintergrund den Gegenbeweis nicht als geführt betrachten.

23III. Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Ein Anspruch des Klägers auf die geforderten - höheren - individuellen Besitzstandsbeträge für die Zeit von August bis Dezember 2016 folgt nicht aus § 15 Abs. 5 Satz 2 TVÜ-DRK. Der individuelle Besitzstandsbetrag verringert sich nach § 15 Abs. 5 Satz 3 TVÜ-DRK aufgrund der mit der Überleitung in die neue Entgeltordnung verbundenen Entgeltsteigerung. Die Beklagte schuldet auch keine Differenz zur geleisteten Jahressonderzahlung für das Jahr 2016. Die Höhe der Jahressonderzahlung hat sie zutreffend nach § 23 Abs. 2 Satz 1 DRK-Reform-TV berechnet.

241. Die Klage ist zulässig, insbesondere streitgegenständlich hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger begehrt für den Streitzeitraum von August bis Dezember 2016 die ungekürzten individuellen Besitzstandsbeträge iHv. insgesamt 902,85 Euro brutto sowie eine Differenz auf die Jahressonderzahlung für das Jahr 2016 iHv. 114,29 Euro brutto. Im streitgegenständlichen Umfang ist das Begehren als abschließende Gesamtklage auf konkret bezifferte Zahlungsansprüche für den streitbefangenen Zeitraum gerichtet (vgl.  - Rn. 12).

252. Die Klage ist unbegründet.

26a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm geforderten ungekürzten und damit monatlich um einen Betrag von 180,57 Euro höheren individuellen Besitzstandsbeträge für die Zeit von August bis Dezember 2016.

27aa) Der Anspruch des Klägers auf individuelle Besitzstandsbeträge aufgrund der Überleitung in die neu geschaffene Entgeltordnung SuE zum folgt aus § 15 Abs. 5 Satz 2 TVÜ-DRK.

28(1) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts finden aufgrund beiderseitiger Tarifbindung die Regelungen der Tarifverträge für die Mitarbeiter des DRK auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung. Dies umfasst nach § 1 Abs. 1 iVm. § 2 Satz 1 Buchst. g DRK-Reform-TV diesen Tarifvertrag selbst nebst den Sonderregelungen in dessen Anlage 8 sowie nach § 1 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-DRK auch die Regelungen des TVÜ-DRK, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers über den hinaus fortbestanden hat und er am unter den Geltungsbereich des DRK-Reform-TV fiel.

29(2) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Kläger mit Wirkung zum in die neu geschaffene Entgeltordnung SuE übergeleitet und dabei in die Entgeltgruppe S 8 eingruppiert wurde. Die Überleitung folgt für den Kläger als Mitarbeiter im Sozial- und Erziehungsdienst aus § 15 TVÜ-DRK. Die Beklagte hat dem Kläger aufgrund der Überleitung nach § 15 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 iVm. Abs. 3 und Abs. 4 TVÜ-DRK unstreitig bis einschließlich Juli 2016 ein Tabellenentgelt der Entgeltgruppe S 8 Stufe 4 von monatlich 3.185,75 Euro brutto sowie einen individuellen Besitzstandsbetrag nach § 15 Abs. 5 Satz 2 TVÜ-DRK von monatlich 281,72 Euro brutto gezahlt.

30bb) Im Zuge der Neustrukturierung der Entgeltordnung SuE mit Wirkung zum ist die Beklagte berechtigt, den individuellen Besitzstandsbetrag um die aus der Überleitung des Klägers in die neue Entgeltgruppe S 8b resultierende Erhöhung des Tabellenentgelts zu kürzen.

31(1) Die Überleitung des Klägers in die neue Entgeltgruppe S 8b beruht auf dem mit dem 8. Änderungstarifvertrag zum TVÜ-DRK vom eingefügten § 15a TVÜ-DRK. Der Kläger ist Beschäftigter iSd. § 15a Abs. 1 TVÜ-DRK, der nach Anlage 6c zum DRK-Reform-TV, ehemals Anhang zur Anlage SuE, Sonderregelung 8, am in Entgeltgruppe S 8 eingruppiert war. Unstreitig wurde der Kläger sodann am in die Entgeltgruppe S 8b eingruppiert. Das monatliche Tabellenentgelt des Klägers beträgt daher ab nach § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Anlage 8 zum TVÜ-DRK iVm. Anlage A3 zu § 19 DRK-Reform-TV in Entgeltgruppe S 8b Stufe 4 3.366,32 Euro brutto.

32(2) Die Beklagte ist berechtigt, den individuellen Besitzstandsbetrag um die Differenz zwischen dem Bruttotabellenentgelt ab August 2016 (3.366,32 Euro) und dem Bruttotabellenentgelt vor August 2016 (3.185,75 Euro), mithin um 180,57 Euro brutto zu kürzen. Dies folgt aus § 15 Abs. 5 Satz 3 TVÜ-DRK. Danach verringert sich der individuelle Besitzstandsbetrag entsprechend den jeweiligen Stufenaufstiegen und bei Höhergruppierungen. Ein Stufenaufstieg des Klägers ist unstreitig nicht erfolgt. Doch hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, dass die Überleitung des Klägers von der Entgeltgruppe S 8 in die neu geschaffene Entgeltgruppe S 8b eine Höhergruppierung im Sinne dieser Tarifregelung darstellt. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrags.

33(a) Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Auslegung von Tarifverträgen zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Bei der Auslegung ist somit nicht allein der Wortlaut der Tarifbestimmung heranzuziehen (vgl.  - Rn. 27; zum Verhältnis von Wortlaut und Regelungszusammenhang vgl. auch  - Rn. 30).

34(b) Danach ist nicht allein auf den Tarifwortlaut abzustellen, der von Höhergruppierungen, aber nicht von Überleitungen spricht. Der tarifliche Gesamtzusammenhang spricht vielmehr für den Willen der Tarifvertragsparteien, mit der Bestimmung des § 15 Abs. 5 Satz 3 TVÜ-DRK auch die Erhöhung des Tabellenentgelts aufgrund einer Änderung der Eingruppierungsregelungen zu erfassen.

35(aa) § 15 TVÜ-DRK regelt bezogen auf die Vergütung der vom Regelungsbereich erfassten Mitarbeiter umfassend deren Überleitung in die neue Entgeltordnung SuE. Dabei waren sich die Tarifvertragsparteien bewusst, dass die Vergütung nach den neuen Entgeltregelungen niedriger als die bisherige Vergütung sein kann. Sie haben deshalb mit § 15 Abs. 5 Satz 2 TVÜ-DRK eine Besitzstandsregelung geschaffen, welche das zum Zeitpunkt der Überleitung erreichte Vergütungsniveau durch Gewährung eines individuellen Besitzstandsbetrags als Differenzausgleich sichert (zur Einkommenssicherung nach § 23 TV-N Hessen vgl.  - Rn. 19 ff.; vgl. auch  - Rn. 18).

36(bb) Die Tarifvertragsparteien haben jedoch einen verminderten Bedarf der Einkommenssicherung bei Entgeltsteigerungen im neuen Vergütungssystem angenommen. Dies entspricht Sinn und Zweck einer überleitungsbezogenen Einkommenssicherung (vgl. zu § 24 Abs. 1 Nr. 5 BzTV-N  - Rn. 22; vgl. zu § 23 TV-N  - Rn. 12 ff.). Sie haben deshalb mit § 15 Abs. 5 Satz 3 TVÜ-DRK eine Anrechnungsregelung getroffen, welche bei näher bezeichneten Entgelterhöhungen zu einer Verringerung des individuellen Besitzstandsbetrags führt. Dies betrifft Fälle des Stufenaufstiegs und der Höhergruppierung. Dabei soll entsprechend den jeweiligen Stufenaufstiegen und bei Höhergruppierungen der individuelle Besitzstandsbetrag verringert, mithin auf diesen angerechnet werden. Die Verwendung des Plurals macht deutlich, dass die Tarifvertragsparteien mehrfache Entgeltsteigerungen in Betracht gezogen haben und bei jeder Steigerung eine Anrechnung wollten. Dies kann bei mehreren Stufenaufstiegen bzw. Höhergruppierungen im Ergebnis zu einem vollständigen Wegfall des individuellen Besitzstandsbetrags führen (vgl.  - Rn. 15). Er hat dann seinen Sicherungszweck erfüllt (vgl.  - Rn. 22).

37(cc) Dies gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall - eine Erhöhung des Tabellenentgelts nicht auf eine Änderung, sondern auf eine bloße Höherbewertung der Tätigkeit zurückzuführen ist. Zwar wird der Begriff der Höhergruppierung in den Tarifverträgen vor allem des öffentlichen Dienstes, an denen sich der TVÜ-DRK orientiert, entsprechend dem allgemeinen Wortgebrauch meist im Sinne einer dauerhaften Übertragung von Tätigkeiten einer höheren Entgeltgruppe verwendet (vgl.  - Rn. 12; - 6 AZR 701/10 - Rn. 18). Dies schließt aber nicht aus, dass Tarifvertragsparteien bei Überleitungen in neue Eingruppierungsordnungen eine daraus folgende Einordnung in eine höhere Entgeltgruppe ebenfalls als Höhergruppierung ansehen (vgl. zu § 29a Abs. 3 Satz 2 TVÜ-Länder  - Rn. 17). Auch die bloße Änderung einer bestehenden Eingruppierungsordnung kann zu einer Höhergruppierung im Sinne einer Einordnung in eine höhere Entgeltgruppe führen, denn den Tarifvertragsparteien steht es grundsätzlich frei, Tätigkeiten im eingruppierungsrechtlichen Sinn neu zu bewerten (vgl.  - Rn. 24).

38Für die Anrechnungsregelung in § 15 Abs. 5 Satz 3 TVÜ-DRK ist es ohne Belang, ob die Höhergruppierung auf eine Änderung der Tätigkeit oder deren Bewertung zurückzuführen ist. Entscheidend ist nicht der Anlass für die Höhergruppierung, sondern die damit verbundene Entgeltsteigerung. Diese bedingt das Abschmelzen des individuellen Besitzstandsbetrags als überleitungsbezogene Besitzstandssicherung. Umgekehrt würde eine Höhergruppierung in einem neuen Entgeltsystem, die keine Erhöhung des Tabellenentgelts bewirkt, zu keiner Reduzierung des individuellen Besitzstandsbetrags führen, weil kein Steigerungsbetrag angerechnet werden könnte. Letztlich kommt es nur auf die im Rahmen eines Stufenaufstiegs oder einer Höhergruppierung erzielte Entgelterhöhung an (vgl.  - Rn. 25).

39Dem steht auch nicht entgegen, dass in § 18 Abs. 1 Satz 1 DRK-Reform-TV ein Verständnis vom Begriff der Höhergruppierung zum Ausdruck kommt, das dem einer dauerhaften Übertragung von Tätigkeiten einer höheren Entgeltgruppe entspricht. Zwar ist, jedenfalls wenn die Tarifverträge ein einheitliches Regelungswerk bilden und keine besonderen Hinweise auf ein anderes Begriffsverständnis vorliegen, davon auszugehen, dass dieselben Tarifvertragsparteien gleiche Begriffe in verschiedenen Tarifverträgen auch grundsätzlich mit gleichem Bedeutungsgehalt verwenden (st. Rspr., vgl. nur  - Rn. 13 mwN). Doch ist aus dem Bedeutungsgehalt des § 18 Abs. 1 Satz 1 DRK-Reform-TV nicht der zwingende Schluss zu ziehen, dass die Tarifvertragsparteien mit der Regelung des § 15 Abs. 5 Satz 3 TVÜ-DRK lediglich Höhergruppierungen im Sinne einer Änderung der Tätigkeit berücksichtigen wollten. Sinn und Zweck einer überleitungsbezogenen Einkommenssicherung in Form eines Besitzstandsbetrags sprechen vielmehr dafür, auch eine tarifliche Höherbewertung der Tätigkeit einzubeziehen.

40(dd) Danach erfasst § 15 Abs. 5 Satz 3 TVÜ-DRK mit dem Begriff der Höhergruppierung auch Entgeltsteigerungen aufgrund einer Überleitung in eine neue Entgeltordnung. Die anlässlich der Überleitung in die neu geschaffene Entgeltordnung SuE mit Wirkung zum vorgenommene Einkommenssicherung verliert - entsprechend ihrem Zweck - ihre Berechtigung mit jeder zu einer Entgeltsteigerung führenden Höhergruppierung, auch wenn sie anlässlich der Einführung einer neuen Entgeltordnung erfolgt. Eine solche Höhergruppierung stellt auch die Überleitung des Klägers von Entgeltgruppe S 8 in Entgeltgruppe S 8b mit der damit einhergehenden Steigerung des Tabellenentgelts von 3.185,75 Euro brutto auf 3.366,32 Euro brutto dar. Dabei hat die allgemeine Tariferhöhung von 2,4 % zum unberücksichtigt zu bleiben. Die Überleitung stellt entgegen der Revision keine bloße Umbenennung der Entgeltgruppen dar. Denn mit der Überleitung ist eine Entgeltsteigerung verbunden, die eine Aufwertung der Tätigkeiten zum Ausdruck bringen sollte. Die unverminderte Weiterzahlung des individuellen Besitzstandsbetrags trotz dieser Entgeltsteigerung aufgrund der neuen Entgeltordnung würde die in § 15 Abs. 5 Satz 3 TVÜ-DRK zum Ausdruck kommende Zielsetzung gleichsam konterkarieren (vgl.  - Rn. 33). Die Beklagte war daher in Anwendung von § 15 Abs. 5 Satz 3 TVÜ-DRK berechtigt, die Differenz von 180,57 Euro brutto auf den individuellen Besitzstandsbetrag anzurechnen.

41b) Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere Jahressonderzahlung von 114,29 Euro brutto für das Jahr 2016 nach § 23 Abs. 2 Satz 1 DRK-Reform-TV.

42aa) Nach § 23 Abs. 1 DRK-Reform-TV haben Mitarbeiter, die am 1. Dezember in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen und mindestens seit dem 1. Juni beschäftigt sind, einen Anspruch auf Sonderzahlung. Unstreitig erfüllt der Kläger beide Voraussetzungen für das streitgegenständliche Jahr 2016.

43bb) Nach § 23 Abs. 2 Satz 1 DRK-Reform-TV beträgt die Jahressonderzahlung in der für den Kläger maßgeblichen Entgeltgruppe 90 % des in den Kalendermonaten Juli, August und September durchschnittlich gezahlten monatlichen Entgelts, wobei nach Halbsatz 2 das zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt, Leistungszulagen, Leistungs- und Erfolgsprämien unberücksichtigt bleiben. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass neben dem Tabellenentgelt auch der individuelle Besitzstandsbetrag in das durchschnittlich gezahlte monatliche Entgelt einzubeziehen ist. Bei der Berechnung dieses Entgelts werden nach Satz 1 der Protokollerklärung zu § 23 Abs. 2 DRK-Reform-TV die gezahlten Entgelte der drei Monate addiert und durch drei geteilt. Die Protokollerklärung ist materieller Bestandteil des Tarifvertrags (vgl. zu den Voraussetzungen  - Rn. 37; - 4 AZR 355/13 - Rn. 33 mwN). Sie gestaltet die Modalitäten der Berechnung der Jahressonderzahlung eigenständig aus.

44cc) Danach hat der Kläger Anspruch auf eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2016 basierend auf einem Tabellenentgelt iHv. 3.366,32 Euro brutto und einem individuellen Besitzstandsbetrag iHv. 101,15 Euro brutto. Die Höhe des Besitzstandsbetrags folgt aus der von der Beklagten zulässigerweise vorgenommenen Kürzung nach § 15 Abs. 5 Satz 3 TVÜ-DRK. Es ergibt sich ein Berechnungsbetrag von 3.467,47 Euro, aus dem die Jahressonderzahlung iHv. 90 %, mithin ein Betrag von 3.120,72 Euro brutto folgt. Den Anspruch des Kläger hierauf hat die Beklagte mit der Zahlung für November 2016 unstreitig erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB).

45IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:201119.U.5AZR21.19.0

Fundstelle(n):
BB 2020 S. 755 Nr. 13
XAAAH-44421