BGH Beschluss v. - I ZB 30/18

Urheberrechtsstreit: Unrichtige Belehrung über das zuständige Rechtsmittelgericht

Gesetze: § 104 UrhG, § 105 UrhG, § 281 ZPO, § 574 ZPO, Art 2 Abs 1 GG, § 1 UrhZustV SH

Instanzenzug: LG Itzehoe Az: 9 S 118/17vorgehend AG Pinneberg Az: 64 C 68/17

Gründe

1I. Die Klägerin ist die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, die Beklagte betreibt einen Verlag. Die Parteien schlossen am einen Wahrnehmungsvertrag. Die Klägerin verlangt mit der vorliegenden Klage Rückzahlung des aufgrund der Gutschrift vom an die Beklagte ausgezahlten Ausschüttungsbetrags in Höhe von 3.605,78 € und macht geltend, die Auszahlung sei ohne rechtlichen Grund erfolgt.

2Das Amtsgericht Pinneberg hat der Klage mit Urteil vom stattgegeben. In der Rechtsbehelfsbelehrung hat das Amtsgericht das Landgericht Itzehoe als Berufungsgericht benannt.

3Die Beklagte hat gegen das ihr am zugestellte amtsgerichtliche Urteil mit einem beim Landgericht Itzehoe am eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb des vom Landgericht Itzehoe gewährten Verlängerungszeitraums begründet.

4Das Landgericht Itzehoe hat die Beklagte mit Beschluss vom darauf hingewiesen, dass die Berufung der Beklagten nicht zulässig sein dürfte, weil gemäß § 1 der Landesverordnung über die landgerichtliche Zuständigkeit in Urheberrechtsstreitsachen des Landes Schleswig-Holstein (UrhZustV-SH) für die Berufung das Landgericht Flensburg zuständig sein dürfte. Die Beklagte hat daraufhin die Abgabe des Rechtsstreits an das funktionell zuständige Landgericht Flensburg beantragt. Mit Beschluss vom hat das Landgericht Itzehoe gemäß § 522 Abs. 1 ZPO die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.

5Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Itzehoe und die Zurückverweisung der Sache an das zuständige Gericht beantragt.

6II. Das Landgericht Itzehoe ist von seiner Unzuständigkeit ausgegangen und hat die Berufung deshalb als unzulässig angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

7Bei dem vorliegenden Rechtsstreit handele es sich um eine Urheberrechtsstreitsache im Sinne von § 104 Abs. 1 UrhG, für die gemäß § 1 UrhZustV-SH das Landgericht Flensburg ausschließlich zuständig sei. Eine Verweisung des Rechtsstreits sei im Berufungsrechtszug nicht möglich.

8III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist zulässig (dazu unter III 1) und hat auch in der Sache Erfolg. Das Landgericht Itzehoe hat im angefochtenen Beschluss zwar mit Recht angenommen, dass es sich bei der vorliegenden Sache um eine Urheberrechtsstreitsache handelt und gemäß § 1 UrhZustV-SH für die Berufung das Landgericht Flensburg funktionell zuständig ist (dazu unter III 2). Gleichwohl hat das Landgericht Itzehoe die Berufung zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die Beklagte durfte aufgrund der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts ihre Berufung fristwahrend auch beim Landgericht Itzehoe einlegen. Das Landgericht Itzehoe war deshalb gehalten, die Streitsache an das funktionell zuständige Landgericht Flensburg zu verweisen (dazu unter III 3).

91. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig, weil der Sache - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen unter II 2 b ergibt - grundsätzliche Bedeutung zukommt. Zudem ist die Sache nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt die Beklagte in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), nach dem der Zugang zu den durch die Zivilprozessordnung eröffneten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf (vgl. , NJW 2005, 1931, 1932 [juris Rn. 17] mwN). Dem trägt die angegriffene Entscheidung - wie sich gleichfalls aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - nicht hinreichend Rechnung.

102. Allerdings hat das Landgericht Itzehoe mit Recht angenommen, dass für die Berufung der Beklagten im Streitfall das Landgericht Flensburg funktionell zuständig ist.

11a) Die Bestimmung des § 105 Abs. 1 UrhG ermächtigt Landesregierungen, durch Rechtsverordnung Urheberrechtsstreitsachen, für die das Landgericht in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz zuständig ist, für die Bezirke mehrerer Landgerichte einem von ihnen zuzuweisen, wenn dies der Rechtspflege dienlich ist. Gemäß dieser Ermächtigung hat das Land Schleswig-Holstein in § 1 UrhZustV-SH bestimmt, dass alle Urheberrechtsstreitsachen, für die die Landgerichte Schleswig-Holsteins in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz zuständig sind, dem Landgericht Flensburg zugewiesen sind.

12Urheberrechtsstreitsachen sind nach § 104 Satz 1 UrhG Rechtsstreitigkeiten, durch die ein Anspruch aus einem der im Urheberrechtsgesetz geregelten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird. Zweck der Konzentration von Urheberrechtsstreitsachen auf den ordentlichen Rechtsweg (§ 104 Satz 1 UrhG) und der Ermächtigung zur Konzentration solcher Streitsachen bei bestimmten Amtsgerichten (§ 105 Abs. 2 UrhG) und Landgerichten (§ 105 Abs. 1 UrhG) ist die besondere Sachkunde des auf Urheberrechtsstreitigkeiten spezialisierten Gerichts. Wegen dieses Zwecks ist der Begriff der Urheberrechtsstreitsache weit auszulegen. Unter den Begriff fallen daher außer Streitigkeiten über Anspruchsgrundlagen aus dem Urheberrechtsgesetz, aus dem Urheberrechtswahrnehmungsgesetz und aus dem Verlagsgesetz auch Streitigkeiten über Angelegenheiten aus anderen Gesetzen oder Rechtsquellen, die unter Anwendung der genannten drei Gesetze zu entscheiden sind, so dass urheberrechtlichen Rechtsquellen zumindest mittelbare Relevanz zukommt (, GRUR 2016, 636 Rn. 13 = WRP 2016, 728 - Gestörter Musikvertrieb, mwN).

13b) Nach diesem Maßstab handelt es sich bei der vorliegenden Sache um eine Urheberechtsstreitsache, auch wenn die Klägerin die Beklagte aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB in Anspruch nimmt. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Berechtigung einer Ausschüttung, die die Klägerin der Beklagten gemäß dem zwischen den Parteien geschlossenen urheberrechtlichen Wahrnehmungsvertrag geleistet hat. In dem Wahrnehmungsvertrag hat die Beklagte der Klägerin als Treuhänderin die ihr aus übertragenen urheberrechtlichen Nutzungsrechten oder Vergütungsansprüchen an Werken von bildenden Künstlern und Bildautoren gegenwärtig zustehende oder künftig anfallenden Ansprüche zur Wahrnehmung und Einziehung übertragen. Urheberrechtlichen Rechtsquellen kommt damit für den geltend gemachten Klageanspruch zumindest mittelbare Relevanz zu.

14c) Die vom Landesgesetzgeber gemäß § 105 UrhG vorgenommene Zuständigkeitsbestimmung betrifft die funktionelle Zuständigkeit des maßgeblichen Gerichts (BGH, GRUR 2016, 636 Rn. 11 - Gestörter Musikvertrieb; , GRUR 2018, 1294 Rn. 12 = WRP 2019, 80 - Pizzafoto).

153. Die von der Beklagten danach gegenüber dem Landgericht Flensburg als dem zuständigen Berufungsgericht einzuhaltenden Fristen zur Einlegung der Berufung (§ 519 Abs. 1 ZPO) und zu deren Begründung (§ 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO) sind im Streitfall durch die im Streitfall fristgerechte Einreichung der Berufung und der Berufungsbegründung beim funktionell unzuständigen Landgericht Itzehoe gewahrt worden. Dieses ist gehalten, die Sache entsprechend § 281 ZPO gemäß dem Antrag der Beklagten an das zuständige Landgericht Flensburg zu verweisen.

16a) Allerdings kann die Berufung fristwahrend grundsätzlich nur bei dem nach der Zuständigkeitskonzentration zuständigen Gericht eingereicht werden, wenn die gesetzliche Regelung zur Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren eindeutig ist (vgl. BGH, GRUR 2016, 636 Rn. 18 - Gestörter Musikvertrieb, mwN). Die hier in Rede stehende Regelung zur Zuständigkeit für die Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung in Urheberrechtsstreitsachen lässt jedoch nicht stets mit hinreichender Sicherheit erkennen, ob über das Rechtsmittel das allgemein zuständige Rechtsmittelgericht oder aber das Rechtsmittelgericht zu entscheiden hat, das nach der Spezialregelung zuständig ist, durch die die Zuständigkeit bei einem bestimmten Rechtsmittelgericht konzentriert worden ist. Mit der Frage, ob eine Urheberrechtsstreitsache vorliegt, können schwierige Abgrenzungsprobleme verbunden sein. Diese können dazu führen, dass für die Parteien die Beurteilung, bei welchem Gericht Berufung einzulegen ist, zweifelhaft erscheinen kann. Der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit, nach dem für die Parteien zweifelsfrei erkennbar sein muss, welches Rechtsmittel für sie in Betracht kommt und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist (BVerfGE 108, 341, 349; , NJOZ 2016, 1580 Rn. 2; BGH, GRUR 2016, 636 Rn. 19 - Gestörter Musikvertrieb), gebietet in einem solchen Fall die Zulassung der fristwahrenden Berufungseinlegung und -begründung beim allgemein zuständigen Rechtsmittelgericht (BGH, GRUR 2016, 636 Rn. 18 f. - Gestörter Musikvertrieb; GRUR 2018, 1294 Rn. 14 - Pizzafoto). Das funktional unzuständige Gericht hat die Sache entsprechend § 281 ZPO an das nach der Konzentrationsregelung zuständige Rechtsmittelgericht zu verweisen (BGH, GRUR 2018, 1294 Rn. 15 - Pizzafoto, mwN). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie im Streitfall - das erstinstanzliche Gericht in seiner Rechtsmittelbelehrung unzutreffend das allgemein zuständige Rechtsmittelgericht angegeben hat (vgl. BGH, GRUR 2016, 636 Rn. 18 f. - Gestörter Musikvertrieb; GRUR 2018, 1294 Rn. 15 - Pizzafoto).

17b) Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung der Beklagten beim Landgericht Itzehoe fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Landgericht Itzehoe war gehalten, die Sache entsprechend § 281 ZPO antragsgemäß an das funktional zuständige Landgericht Flensburg zu verweisen.

18IV. Nach alledem kann der mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Beschluss des Landgerichts keinen Bestand haben. Er ist deshalb aufzuheben, die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Das Landgericht Itzehoe wird die Sache gemäß dem Antrag der Beklagten entsprechend § 281 ZPO an das zuständige Landgericht zu verweisen haben.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:060619BIZB30.18.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2020 S. 29 Nr. 1
UAAAH-40216