BSG Beschluss v. - B 13 R 198/13 B

Fragerecht eines Beteiligten gegenüber einem Sachverständigen in einem sozialgerichtlichen Verfahren - wiederholte Befragung

Gesetze: § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 397 ZPO, § 402 ZPO, § 403 ZPO, § 411 Abs 3 ZPO, § 411 Abs 4 ZPO, § 43 Abs 1 S 2 SGB 6, § 43 Abs 2 S 2 SGB 6, § 240 Abs 2 SGB 6, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: S 4 R 2572/07 SK Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 13 R 29/11 ZVW Urteil

Gründe

1I. Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit. Ihr Rentenantrag vom April 2006 blieb im Verwaltungs-, Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren erfolglos.

2Im vom Senat (Beschluss vom - B 13 R 170/10 B) zurückverwiesenen Berufungsverfahren hat das LSG die zunächst verfahrensfehlerhaft (vgl dazu Senatsbeschluss aaO RdNr 18) unterbliebenen Anhörungen der Sachverständigen Dr. L. und Dr. M. auf die Einwände der Klägerin zu ihren im Jahr 2009 erstellten Gutachten eingeholt. Dr. M. hat zudem eine zusammenfassende Stellungnahme zu den Gesundheitsstörungen der Klägerin auf allen Fachgebieten abgegeben (Dr. L. vom ; Dr. M. vom ). Die nicht rechtskundig vertretene Klägerin hat daraufhin gegen die Beantwortung ihrer an die Sachverständigen gerichteten Fragen erneut Einwände erhoben (Schreiben vom 15.9. und ), zu denen diese wiederum Stellung genommen haben (Dr. L. vom ; Dr. M. vom ). In weiteren Schreiben (vom 4.4. und ) hat die Klägerin vorgetragen, dass ihre Fragen nach wie vor unzureichend beantwortet geblieben seien, und hat die mündliche Anhörung der Sachverständigen verlangt. Mit Schreiben vom hat die Klägerin einen an beide Sachverständige gerichteten Fragenkatalog überreicht. In der mündlichen Verhandlung vom hat sie der Sachverständigen Dr. M. einen Fragenkatalog (Fragen 1 bis 19.3 = 22 Fragen) zur Beantwortung vorgelegt. Nachdem die Sachverständige die Fragen 1 bis 9 mündlich beantwortet hatte (s Sitzungsprotokoll, Bl 434 ff LSG-Akte), hat das LSG die mündliche Verhandlung vertagt und Dr. M. die schriftliche Beantwortung der restlichen Fragen (10 bis 19.3) aufgegeben. Die Sachverständige hat diese Fragen mit dem Ergebnis beantwortet, dass sich keine Änderung der sozialmedizinischen Beurteilung im Vergleich zu ihrem Gutachten vom ergebe (Stellungnahme vom ). Im Schreiben vom hat die Klägerin ausgeführt, dass ihre Fragen (Nr 1 bis 19.3) jeweils nicht ausreichend beantwortet worden seien und hat fünf weitere an Dr. L. gerichtete Fragen formuliert.

3In der mündlichen Verhandlung vom hat die Klägerin insbesondere an ihrem im Schreiben vom formulierten Fragenkatalog festgehalten und die schriftliche oder mündliche Anhörung von Dr. L. und Dr. M. beantragt, hilfsweise hat sie unter Bezugnahme auf ihren Schriftsatz vom die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens und eines Gutachtens auf dem Gebiet der interdisziplinären Schmerztherapie beantragt.

4Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs 1, 2 SGB VI), auch nicht bei Berufsunfähigkeit (§ 240 Abs 1 und Abs 2 SGB VI) habe. Im streitigen Zeitraum bis Oktober 2011 sei die Klägerin noch in der Lage gewesen, mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung ihrer qualitativen Gesundheitsstörungen zu verrichten. Dies folge aus den überzeugenden Gutachten der Sachverständigen Dr. M. und Dr. L. Ihre ergänzenden schriftlichen Stellungnahmen und die mündliche Anhörung von Dr. M. hätten zu keinem anderen Ergebnis geführt. Dr. M. habe die von der Klägerin vorgebrachten Vorbehalte überzeugend widerlegt. Der in der mündlichen Verhandlung erneut gestellte Antrag, die Sachverständigen zu diversen Fragen zu hören, sei objektiv nicht sachdienlich und daher abzulehnen gewesen. Bei der Klägerin liege weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor; doch selbst, wenn man dies unterstellte, sei die Klägerin in der Lage, Tätigkeiten als Telefonistin oder als Reiseverkehrskauffrau nach einer kurzen Umstellungsphase zu verrichten. Von einer solchen Verwendbarkeit seien Dr. M. und Dr. L. unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten berufskundlichen Stellungnahme des Landesarbeitsamts Hessen vom ausgegangen. Relevante Einschränkungen in der Wegefähigkeit der Klägerin seien unter Berücksichtigung aller medizinischen Erkenntnisse nicht festzustellen gewesen. Die Klägerin könne auch keine Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) verlangen. Ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Reiseleiterin sei eine ungelernte Tätigkeit; von dem erlernten Beruf der Reiseverkehrskauffrau habe sich die Klägerin bereits im Jahr 1996 gelöst. Sie genieße daher keinen Berufsschutz. Im Übrigen habe sie die Grenze des Rechtsmissbrauchs überschritten, wenn sie im Schriftsatz vom und in der mündlichen Verhandlung die erneute Befragung der Sachverständigen zu von ihr wiederholt aufgeworfenen Fragen beantragt habe. Beide Sachverständige hätten sich umfassend und ausführlich mit den von der Klägerin vorgetragenen Einwänden, Fragen und Vorhalten befasst und diese hinlänglich beantwortet. Zur Einholung eines berufskundlichen oder eines weiteren medizinischen Gutachtens habe nach den umfangreichen Sachverhaltsermittlungen kein Anlass mehr bestanden.

5Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin Verfahrensmängel und eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 und Nr 3 SGG. Das LSG habe den "verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es die Anträge der Klägerin auf mündliche Anhörung des Sachverständigen Dr. L. und erneute Anhörung der Sachverständigen Dr. M. bzw deren ergänzende schriftliche Befragung unter Verstoß gegen § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO übergangen" und die Beweisanträge der Klägerin auf Einholung eines medizinischen und eines berufskundlichen Gutachtens abgelehnt habe. Aus dieser Verfahrensweise ergebe sich eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG (S 48 der Beschwerdebegründung).

6II. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig aber unbegründet, soweit sie Verfahrensmängel geltend macht. Im Übrigen ist die Beschwerde unzulässig.

71. Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres Fragerechts nach § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO und damit ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) geltend macht, ist die Gehörsrüge zwar hinreichend bezeichnet. In der Sache trifft sie jedoch nicht zu.

8Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, dass unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1, 2; Senatsbeschluss vom - B 13 R 355/11 B; - NJW 1998, 2273 - Juris RdNr 11).

9Sachdienlichkeit iS von § 116 S 2 SGG ist insbesondere dann zu bejahen, wenn sich die Fragen im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind. Abgelehnt werden kann ein solcher Antrag prozessordnungsgemäß auch dann, wenn er rechtsmissbräuchlich gestellt ist, insbesondere wenn die Notwendigkeit einer Erörterung überhaupt nicht begründet wird, wenn die an den Sachverständigen zu richtenden Fragen nicht hinreichend genau benannt oder nur beweisunerhebliche Fragen angekündigt werden (vgl - NJW-RR 1996, 183 - Juris RdNr 29 mwN). Das auf den og Rechtsgrundlagen beruhende Fragerecht begründet hingegen keinen Anspruch auf stets neue Befragungen, wenn der Beteiligte und der Sachverständige in ihrer Beurteilung nicht übereinstimmen.

10Der Senat kann offenlassen, ob sich das Verhalten der Klägerin insgesamt als verfahrensverzögernd und damit rechtsmissbräuchlich darstellt. Jedenfalls sind die von der Klägerin dem LSG vorgelegten Fragen, zuletzt im Schreiben vom , mit denen sie die schriftliche oder mündliche Anhörung der Sachverständigen erreichen wollte, nicht sachdienlich. Denn sie sind entweder bereits eindeutig beantwortet oder beweisunerheblich. Einer weiteren Anhörung der Sachverständigen bedarf es daher nicht.

11a) Die Fragen 1 bis 19.3 im Fragenkatalog vom (wiederholt im Schreiben vom ) hat die Sachverständige Dr. M. im Termin zur mündlichen Verhandlung am und zuletzt in ihrer Stellungnahme vom eindeutig beantwortet:

12Zu Frage 1 (psychologische Testverfahren) hat Dr. M. unmissverständlich ausgeführt, dass die angewandten psychologischen Testverfahren in Rentenverfahren nur eine untergeordnete Rolle spielen und hat dargelegt, welche anderen Faktoren sie bei der Bewertung von Leistungseinschränkungen als Folge einer Depression zugrunde gelegt hat.

13Zu Fragen 2 bis 4 (Tinnitus) hat Dr. M. klargestellt, dass kein dekompensierter Tinnitus vorliegt, der zu maßgeblichen Leistungseinschränkungen führt. Zudem hat das LSG festgestellt, dass der Tinnitus erstmals zu einem Zeitpunkt nachgewiesen wurde, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt waren. Es besteht daher kein Grund, die Sachverständige erneut zu befragen, ob sie an ihrer Einschätzung festhält.

14Zu Fragen 4 und 5 (psychische Beeinträchtigungen) hat Dr. M. ausführlich begründet, weshalb nach ihrer Einschätzung ein eher geringer Leidensdruck in Bezug auf die psychischen Beschwerden bei der Klägerin besteht. Dass die Klägerin diese Einschätzung nicht teilt, begründet keine Notwendigkeit, die Sachverständige erneut zu befragen, ob sie ihre Einschätzung ändert.

15Auf Frage 6 hat Dr. M. eindeutig geantwortet, dass sie ihre Beurteilung in Kenntnis des Befundberichts der die Klägerin behandelnden Hausärztin nicht ändert.

16Gegen die Beantwortung von Frage 7 hat die Klägerin in der Beschwerdebegründung (S 56) keine Einwände mehr erhoben.

17Frage 8 (berufskundliche Kenntnisse der Sachverständigen) hat Dr. M. eindeutig beantwortet.

18Fragen 9 bis 12 (Wegefähigkeit) hat Dr. M. sowohl mündlich als auch in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom eindeutig beantwortet. Dass die Klägerin die Ergebnisse dieser Einschätzung nicht teilt, begründet keine Notwendigkeit, die Sachverständige erneut anzuhören.

19Fragen 13 und 14 (Einsatz von Schmerzmitteln und Schonhaltung) sind von Dr. M. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom eindeutig beantwortet worden. Es besteht daher kein Anlass nachzufragen, ob die Sachverständige von dieser Einschätzung abrücken möchte.

20Frage 15 (Asthma bronchiale und kardiovaskuläre Risikofaktoren) hat Dr. M. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom eindeutig beantwortet. Hiernach hat sie bei Beurteilung der Leistungseinschränkungen auch das Asthma bronchiale berücksichtigt, soweit den ärztlichen Unterlagen objektive Befunde zu Grunde lagen, und im Übrigen auf die Ergebnisse der internistischen Begutachtungen (zuletzt Gutachten des Internisten M. vom ) verwiesen.

21Zu Frage 16 hat Dr. M. in ihrer Stellungnahme vom deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie ihre Beurteilung zum Leistungsvermögen der Klägerin auch in Kenntnis, dass diese ihre Schriftsätze nicht selbst verfasst oder geschrieben habe, aufrechterhält.

22Die Notwendigkeit einer erneuten Beantwortung der Fragen 17 bis 19.3 hat die Klägerin in der Beschwerdebegründung (S 64) nicht mehr geltend gemacht.

23Schließlich hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf eine weitere mündliche Anhörung der Sachverständigen Dr. M. zu den bereits schriftlich beantworteten Fragen. Art 103 Abs 1 GG gewährt keinen Anspruch darauf, das Fragerecht gegenüber Sachverständigen in jedem Fall mündlich auszuüben (vgl - Juris RdNr 2; vgl auch - NJW 2012, 1346, Juris RdNr 15 mwN). Es ist nicht erkennbar - und von der Klägerin auch nicht eingewendet -, dass eine mündliche Befragung einen über die Wiederholung schriftlicher Äußerungen hinausreichenden Mehrwert hätte (vgl aaO).

24b) Soweit die Klägerin die erneute Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. L. zu den Fragen 1 bis 5 im Schreiben vom beantragt hat, gilt nichts anderes. Die dort gestellten Fragen 1 bis 4 (zum Beruf der Warenaufmacherin; zur Berücksichtigung von wechselnden Körperpositionen, der Harndrang-Inkontinenz, der Geschicklichkeit der Hände bei Ausübung von Tätigkeiten als Pförtnerin, Mitarbeiterin in einer Poststelle bzw als Telefonistin) sind nicht beweiserheblich, denn das LSG hat die Klägerin nicht auf solche Tätigkeiten verwiesen (S 29, letzter Abs der Entscheidungsgründe). Frage 5 (zur somatoformen Schmerzstörung) hat Dr. L. (S 4 der Stellungnahme vom ) eindeutig beantwortet, wonach die Beurteilung der somatoformen Schmerzstörung Gegenstand des Gutachtens von Dr. M. gewesen ist.

252. Ausgehend von seiner Rechtsansicht musste sich das LSG auch noch nicht gedrängt sehen (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6), den hilfsweise gestellten Beweisanträgen auf Einholung eines Gutachtens auf dem Gebiet der interdisziplinären Schmerztherapie bzw eines berufskundlichen Gutachtens nachzugehen. Daher kann dahingestellt bleiben, ob prozessordnungsgemäße Beweisanträge gestellt worden sind (vgl § 118 Abs 1 SGG iVm §§ 402, 403 ZPO).

26a) Die Frage, ob bei der Klägerin eine somatoforme Schmerzstörung vorliegt und welche Leistungseinschränkungen hieraus resultieren, hat Dr. M. in ihrem Gutachten vom und den mehrfachen ergänzenden Stellungnahmen hinlänglich beantwortet (zuletzt in ihrer Stellungnahme vom , Fragen 13 und 14). Die Notwendigkeit der Einholung eines Zusatzgutachtens auf dem Gebiet der "interdisziplinäre(n) Schmerztherapie" hat die Klägerin nicht ansatzweise substantiiert begründet, auch nicht in dem von ihr in Bezug genommenen Schriftsatz vom , in dem sie auf die von Dr. M. diagnostizierte Schmerzstörung verwiesen und dort jedenfalls keine Einwände erhoben hat.

27b) Das LSG musste sich auch nicht gedrängt sehen, ein berufskundliches Gutachten einzuholen zu der Frage, ob sich die Klägerin innerhalb von drei Monaten auf die aktuellen Anforderungen an den Beruf der Reiseverkehrskauffrau ein- bzw umstellen kann (Schriftsatz vom ). Denn hierauf kommt es nicht entscheidungserheblich an. Das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin noch in der Lage gewesen ist, mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im streitigen Zeitraum bis Oktober 2011 zu verrichten. Es hat ferner unter Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen der Klägerin (S 14 ff der Entscheidungsgründe LSG) weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung festgestellt (S 22 Abs 2, S 23 vorletzter Abs der Entscheidungsgründe) und unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG (vom - B 5 RJ 64/02 R - BSG SozR 4-2600 § 44 Nr 1) ausgeführt, es sei nicht zu befürchten, dass der allgemeine Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen für die Klägerin verschlossen sei. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl nur - BSGE 109, 189 = SozR 4-2600 § 43 Nr 16, RdNr 36 ff) besteht in einem solchen Fall kein Erfordernis, der Klägerin eine Verweisungstätigkeit zu benennen. Nur für den - hier nicht festgestellten - Fall des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung wäre erheblich, ob die Klägerin noch bestimmte Verweisungstätigkeiten ausüben kann. Da sie sich nach den Feststellungen des LSG auch auf keinen Berufsschutz berufen kann, weil sie sich bereits Mitte der 90iger Jahre von ihrem erlernten Beruf der Reiseverkehrskauffrau gelöst hat, musste es sich auch für die Frage, ob ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) besteht, zu keinen weiteren berufskundlichen Ermittlungen gedrängt sehen.

283. Soweit sich die Klägerin auf eine Divergenz beruft, hat sie eine Rechtsprechungsabweichung nicht hinreichend bezeichnet (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG). Insofern ist die Nichtzulassungsbeschwerde bereits unzulässig.

29Divergenz liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Dies ist der Fall, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.

30Zur formgerechten Rüge des Zulassungsgrundes der Divergenz gehört es, in der Beschwerdebegründung nicht nur eine Entscheidung genau zu bezeichnen, von der die Entscheidung des LSG abgewichen sein soll; es ist auch deutlich zu machen, worin genau die Abweichung zu erachten sein soll. Der Beschwerdeführer muss daher darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die Berufungsentscheidung tragende Abweichung in den rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss mithin einen abstrakten Rechtssatz der vorinstanzlichen Entscheidung und einen abstrakten Rechtssatz aus dem höchstrichterlichen Urteil so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Nicht hingegen reicht es aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich muss aufgezeigt werden, dass das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f mwN).

31Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin hat es bereits versäumt, zwei sich einander widersprechende abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Berufungsurteil und aus einem Urteil des BSG bzw des BVerfG gegenüberzustellen. Hierfür genügt es jedenfalls nicht, die Ausführungen aus dem , NJW 1998, 2273) umfänglich wiederzugeben (S 48 f der Beschwerdebegründung). Ebenso wenig reicht es vorzutragen, dass die angefochtene Entscheidung mit der Rechtsprechung des BSG nicht vereinbar sei, weil das LSG den Antrag der Klägerin auf erneute Befragung der Sachverständigen übergangen habe. Mit diesem Vortrag kleidet die Klägerin die zuvor erhobene Gehörsrüge lediglich in das Gewand einer Divergenzrüge. Auch damit aber kann sie nicht durchdringen.

32Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

33Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2013:101213BB13R19813B0

Fundstelle(n):
YAAAH-26819