BAG Urteil v. - 3 AZR 215/18

Hinterbliebenenversorgung - Spätehenklausel

Leitsatz

Eine Spätehenklausel, die eine Hinterbliebenenversorgung ausschließt, wenn die Ehe nach Vollendung des 62. Lebensjahres des Arbeitnehmers geschlossen wurde, benachteiligt den Arbeitnehmer nach §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unzulässig wegen des Alters, wenn die festgelegte Altersgrenze keinem betriebsrentenrechtlichen Strukturprinzip folgt.

Gesetze: § 1 AGG, § 3 Abs 1 AGG

Instanzenzug: ArbG Braunschweig Az: 8 Ca 403/15 B Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 3 Sa 788/16 B Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin eine betriebliche Hinterbliebenenrente zu gewähren.

2Die im März 1957 geborene Klägerin ist die Witwe des im August 1940 geborenen und im Februar 2008 verstorbenen ehemaligen Mitarbeiters der Beklagten B. Die Ehe wurde im Dezember 2005 geschlossen.

3Auf das vom bis zum bestandene Arbeits- und das anschließende Versorgungsverhältnis des verstorbenen Ehemanns der Klägerin und der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, fand die Betriebsvereinbarung Nr. 2/92, VERSORGUNGSORDNUNG I (im Folgenden VO 1992) Anwendung. Diese lautet auszugsweise:

4Seit dem bezog der verstorbene Ehemann der Klägerin eine monatliche V-Rente iHv. zunächst 2.967,03 Euro brutto und nach erfolgter Anpassung ab dem iHv. 3.081,56 Euro brutto. Die letzte Rentenzahlung erfolgte im Februar 2008.

5Die Beklagte erhöhte die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ihrer ehemaligen Arbeitnehmer zu den Stichtagen am um 5,32 vH und am um weitere 7,61 vH.

6Die Klägerin bezieht seit dem aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine sog. große Witwenrente.

7Mit ihrer im Dezember 2015 erhobenen Klage hat die Klägerin die Zahlung einer Witwenrente ab dem Jahr 2012 verlangt. Sie hat den Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 VO 1992 für unwirksam gehalten.

8Sie hat zuletzt beantragt,

9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Spätehenklausel in § 7 Abs. 4 VO 1992 sei bereits nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG sachlich gerechtfertigt. Zudem bezwecke die Klausel, den Versorgungsaufwand der Hinterbliebenenversorgung kalkulierbar zu halten. Auch knüpfe sie an ein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip an. Dies ergebe sich aus der bei ihr üblichen Ausscheidepraxis, dem Durchschnittsalter der ausscheidenden Versorgungsberechtigten und der damaligen Möglichkeit, die gesetzliche Altersrente mit Vollendung des 62. Lebensjahres vorzeitig in Anspruch nehmen zu können. Die Betriebsparteien hätten im Jahr 1992 davon ausgehen dürfen, dass Arbeitnehmer eine vorzeitige Altersrente aus der gesetzlichen Altersrente in Anspruch nehmen würden. Bei Unwirksamkeit der Spätehenklausel, die eine Ausweitung der Versorgungsrisiken um mindestens 6,2 Mio. Euro zur Folge hätte, sei eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend vorzunehmen, dass für die Spätehenklausel auf den Versorgungsfall „Alter“ abzustellen sei.

10Das Arbeitsgericht hat der Klage mit dem bei ihm ausschließlich rechtshängigen Antrag zu 1. stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil abgeändert und die Klage unter Zurückweisung der Anschlussberufung, mit der die Klägerin ihre Ansprüche für das Jahr 2013 in den Rechtsstreit eingeführt hat, abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

11Die Revision der Klägerin ist überwiegend begründet, da die zulässige Klage weitgehend begründet ist.

12I. Die Klage ist zulässig.

131. Die Klageerweiterung um den Antrag zu 2. im Berufungsverfahren war zulässig.

14Eine Klageerweiterung ist auch im Berufungsverfahren gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 533 ZPO zulässig. § 533 ZPO ist jedoch dann nicht anzuwenden, wenn ein Fall des § 264 Nr. 2 ZPO vorliegt und daher nach ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung eine Antragsänderung nicht als Klageänderung anzusehen ist. Ob die Voraussetzungen dieser Vorschriften tatsächlich vorliegen, ist allerdings in der Revisionsinstanz in entsprechender Anwendung von § 268 ZPO nicht zu überprüfen, wenn das Berufungsgericht - wie hier - in der Sache über den Antrag entschieden hat. Diese Entscheidung bindet das Revisionsgericht (vgl.  - Rn. 52 mwN, BAGE 159, 92).

152. Die Anträge sind hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

16a) Die Klagepartei muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung sie begehrt. Dazu hat sie den Streitgegenstand so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann (§ 322 ZPO). Sowohl bei einer der Klage stattgebenden als auch bei einer sie abweisenden Sachentscheidung muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden hat. Bei mehreren im Wege einer objektiven Klagehäufung gemäß § 260 ZPO in einer Klage verfolgten Ansprüchen muss erkennbar sein, aus welchen Einzelforderungen sich die „Gesamtklage“ zusammensetzt. Werden im Wege einer „Teil-Gesamt-Klage“ mehrere Ansprüche nicht in voller Höhe, sondern teilweise verfolgt, muss die Klagepartei genau angeben, in welcher Höhe sie aus den einzelnen Ansprüchen Teilbeträge einklagt ( - Rn. 20 mwN).

17b) Danach sind die Klageanträge hinreichend bestimmt.

18Die Klägerin hat zuletzt ihre Witwenrente seit dem mit 1.793,47 Euro berechnet. Die Anpassung zum iHv. 5,32 vH ergibt zwar einen Betrag iHv. 1.888,88 Euro brutto und somit 22.666,56 Euro brutto für das Jahr 2012. Auch geht sie für das Jahr 2013 mit Blick auf die unstreitige Anpassung iHv. 7,61 vH von einem monatlichen Betrag iHv. 2.032,62 Euro brutto aus, was zu einem Jahresbetrag iHv. 24.391,44 Euro brutto führt. Da die Klägerin aber jeweils gleichbleibend hohe Monatsbeträge geltend gemacht und es lediglich versäumt hat, die Anträge ihren Berechnungen anzupassen, sind die Ansprüche dennoch hinreichend individualisiert.

19II. Die Klage ist überwiegend begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin eine Hinterbliebenenversorgung nach § 7 Abs. 3, Abs. 6 VO 1992 iHv. 22.666,56 Euro brutto für das Jahr 2012 sowie iHv. 23.545,20 Euro brutto für das Jahr 2013 nebst Zinsen zu zahlen.

201. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen einer Hinterbliebenenrente nach § 7 Abs. 1 bis Abs. 3 und Abs. 6 VO 1992. Der verstorbene Ehemann der Klägerin unterfiel der VO 1992, die in § 7 VO 1992 die Zusage einer Witwenrente beinhaltet.

212. Die geltend gemachten Ansprüche sind nicht nach § 7 Abs. 4 VO 1992 ausgeschlossen.

22Nach § 7 Abs. 4 VO 1992 sind die Witwe oder der Witwer nur dann rentenberechtigt, wenn zum Zeitpunkt der Eheschließung die oder der Verstorbene das 62. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Zwar war die Ehe der Klägerin mit ihrem verstorbenen Ehemann erst geschlossen worden, nachdem dieser sein 62. Lebensjahr vollendet hatte. Die Spätehenklausel ist jedoch wegen Verstoßes gegen das in § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 AGG normierte Verbot der Benachteiligung wegen des Alters gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.

23a) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist anwendbar.

24aa) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gilt trotz der in § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG enthaltenen Verweisung auf das Betriebsrentengesetz auch für die betriebliche Altersversorgung, soweit das Betriebsrentengesetz nicht vorrangige Sonderregelungen enthält (st. Rspr. seit  - Rn. 22, BAGE 125, 133; - 3 AZR 520/17 - Rn. 21; - 3 AZR 781/16 - Rn. 15, BAGE 161, 56). Letzteres ist nicht der Fall.

25bb) Der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes ist nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AGG eröffnet. Zwar unterfällt die Klägerin als Hinterbliebene ihres versorgungsberechtigten Ehemanns selbst nicht unmittelbar dem Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, da sie insoweit nicht zu den in § 6 Abs. 1 AGG genannten Personengruppen zählt. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Benachteiligung vorliegt, ist allerdings auf den versorgungsberechtigten Arbeitnehmer und nicht auf den Hinterbliebenen abzustellen (st. Rspr., vgl. etwa  - Rn. 22; - 3 AZR 43/17 - Rn. 14, BAGE 162, 36; vgl. auch  - [Parris] Rn. 67). Es kommt also auf den verstorbenen Ehemann der Klägerin als unmittelbar Versorgungsberechtigten an. Dieser unterfällt dem persönlichen Geltungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, auch wenn das Beschäftigungsverhältnis - wie vorliegend - bereits beendet ist. Nach dem Tod ihres Ehemanns und damit ab Eintritt des Nachversorgungsfalls ist die Klägerin als Hinterbliebene berechtigt, dessen Recht als eigenes - abgeleitetes - Recht geltend zu machen ( - Rn. 22).

26cc) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Zwischen dem verstorbenen Ehemann der Klägerin und der Versorgungsschuldnerin bestand nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes am (Art. 4 Satz 1 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom , BGBl. I S. 1897) ein Rechtsverhältnis, nämlich ein Versorgungsverhältnis (ausführlich dazu etwa  - Rn. 31 mwN).

27b) Der in § 7 Abs. 4 VO 1992 enthaltene Ausschluss, wonach kein Anspruch auf Witwenrente besteht, wenn die Ehe erst nach der Vollendung des 62. Lebensjahres des unmittelbar Versorgungsberechtigten geschlossen wurde, bewirkt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters iSd. §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 AGG.

28aa) Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen der in § 1 AGG genannten Gründe, ua. wegen des Alters, benachteiligt werden. Unzulässig sind unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen. Eine unmittelbare Benachteiligung ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG gegeben, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam (vgl.  - Rn. 23 mwN, BAGE 161, 56).

29bb) Danach bewirkt § 7 Abs. 4 VO 1992 eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters iSd. §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Indem die Regelung unmittelbar an die Vollendung des 62. Lebensjahres anknüpft, führt sie zu einem vollständigen Ausschluss der V-Witwenrente bei unmittelbar Versorgungsberechtigten, deren Ehe erst nach der Vollendung ihres 62. Lebensjahres geschlossen wurde. Damit erfahren Arbeitnehmer, die - wie der verstorbene Ehemann der Klägerin - die Ehe nach der Vollendung ihres 62. Lebensjahres schließen, wegen ihres Alters eine ungünstigere Behandlung als Arbeitnehmer, die vor der Vollendung des 62. Lebensjahres heiraten (vgl.  - Rn. 24 mwN, BAGE 161, 56).

30c) Diese Ungleichbehandlung ist nicht nach § 10 AGG sachlich gerechtfertigt.

31aa) Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. § 10 Satz 3 AGG enthält eine Aufzählung von Tatbeständen, wonach derartige unterschiedliche Behandlungen insbesondere gerechtfertigt sein können. Nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG ist dies der Fall bei der Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen. Indem der Gesetzgeber den in Nr. 4 geregelten Tatbestand in die Rechtfertigungsgründe des § 10 Satz 3 AGG eingeordnet hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass die Festsetzung von Altersgrenzen für den Anspruch auf Leistungen aus den dort aufgeführten betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit grundsätzlich objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt ist. Da eine solche Altersgrenze in der jeweiligen Versorgungsregelung festzusetzen ist, muss die konkret gewählte Altersgrenze allerdings iSv. § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein (st. Rspr., vgl. etwa  - Rn. 22 mwN, BAGE 162, 36). Soweit die Voraussetzungen von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG erfüllt sind, ist eine unterschiedliche Behandlung danach zwar grundsätzlich, aber nicht immer zulässig ( - Rn. 26, BAGE 161, 56; - 3 AZR 72/16 - Rn. 38, BAGE 160, 255).

32bb) § 10 AGG dient der Umsetzung von Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG in das nationale Recht. Die Bestimmung ist mit Unionsrecht vereinbar (vgl. bereits  - Rn. 22 ff. mwN, BAGE 147, 279). Dies gilt auch, soweit die dortigen Anforderungen an die Zulässigkeit von Altersgrenzen iSd. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG über das nach Unionsrecht Erforderliche hinausgehen (vgl. dazu ausführlich  - Rn. 40 ff., BAGE 160, 255).

33cc) Die Spätehenklausel nach § 7 Abs. 4 VO 1992 unterfällt § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG.

34Einschlägig ist hier die in § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG aufgeführte Fallgruppe „Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für den Bezug von Leistungen“. Soweit der Senat in der Vergangenheit davon ausgegangen ist, dass § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG für diese Fallgruppe von seinem Wortlaut her ausschließlich an die Risiken „Alter“ und „Invalidität“ und nicht an das Risiko „Tod“ anknüpft und deshalb nur die Alters- und Invaliditätsversorgung - nicht aber die Hinterbliebenenversorgung - erfasst (vgl.  - Rn. 47, BAGE 152, 164), hat er diese Rechtsprechung mit Urteil vom (- 3 AZR 781/16 - Rn. 30 f., BAGE 161, 56) im Nachgang zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (- C-443/15 - [Parris] Rn. 71 f.) aufgegeben. Entsprechend Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG, der von seinen Voraussetzungen § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG entspricht, unterfällt eine Hinterbliebenenversorgung jedenfalls dann § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG, wenn dem Arbeitnehmer - wie hier - eine Altersversorgung zugesagt wird und sich die Höhe der Hinterbliebenenversorgung an der Höhe der betrieblichen Altersrente oder - sofern versprochen - der Invaliditätsrente orientiert. Die Hinterbliebenenversorgung steht regelmäßig in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Alters- oder Invaliditätsrente. Dies führt dazu, dass sie als „Annex“ von der in § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG aufgeführten Alters- bzw. Invaliditätsrente miterfasst wird ( - Rn. 31, aaO).

35dd) Entgegen der Ansicht der Beklagten folgt nicht allein aus dem Umstand, dass § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG einschlägig ist, dass die durch die Spätehenklausel bewirkte Diskriminierung wegen des Alters gerechtfertigt ist. Neben § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG sind immer auch § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG anzuwenden (vgl. ausführlich hierzu  - Rn. 40 ff., BAGE 160, 255).

36§ 10 Satz 3 Nr. 1 bis Nr. 6 AGG beinhalten, wie das Wort „insbesondere“ verdeutlicht, Regelbeispiele, die aber die tatbestandlichen Voraussetzungen in § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG nicht außer Kraft setzen (vgl. auch Preis/Sagan/Preis/Reuter EuArbR 2. Aufl. Rn. 6.53; Höfer/Höfer Betriebsrentenrecht Bd. I Stand Januar 2019 Kap. 6 Rn. 205). Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Nach der Gesetzesbegründung sollte § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG klarstellen, „dass die Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit - insbesondere der betrieblichen Altersversorgung - regelmäßig keine Benachteiligung wegen des Alters darstellt“ (BT-Drs. 16/1780 S. 36). Dies zeigt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers solche Altersgrenzen lediglich grundsätzlich, aber nicht immer zulässig sein sollen (vgl.  - Rn. 43, BAGE 160, 255). Die Kritik der Beklagten, das Wort „regelmäßig“ in der Gesetzesbegründung könne sich auch auf den letzten Satz der Begründung zu § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG beziehen, verfängt nicht. Das Wort „regelmäßig“ steht im ersten Satz der Begründung zu Nr. 4 und hat keinen Bezug zum letzten Satz, in welchem auf die Benachteiligung wegen des Geschlechts bzw. anderer in § 1 AGG angeführter Gründe abgestellt wird. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass § 10 Satz 3 AGG nicht nur Regelbeispiele beinhaltet, sondern die dortigen Sachverhalte eine Ungleichbehandlung wegen des Alters ohne weitere Überprüfung stets rechtfertigen, hätte er das im Gesetzestext klar zum Ausdruck gebracht. Ist der Tatbestand eines Regelbeispiels erfüllt, spricht das zwar zunächst für eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne einer regelmäßigen Vermutungswirkung. Dies gilt jedoch nicht, wenn es an der Angemessenheit oder der Erforderlichkeit fehlt (vgl. zu „Generalklausel“ und „Regelbeispiel“  - Rn. 105, BAGE 162, 166).

37ee) Die durch § 7 Abs. 4 VO 1992 bewirkte Ungleichbehandlung wegen des Alters beruht auf einem legitimen Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG, ohne dass es insoweit entscheidend darauf ankäme, dass die streitbefangene Klausel unter § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG fällt.

38(1) Legitime Ziele iSv. § 10 Satz 1 AGG sind wegen der in Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG genannten Beispielsfälle „Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung“ nicht nur solche aus dem Bereich Arbeits- und Sozialpolitik (vgl.  - [Prigge ua.] Rn. 81 mwN; vgl. auch  - Rn. 15;  - Rn. 33, BAGE 161, 56). Auch Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, die ein Arbeitgeber mit einer im Arbeitsvertrag vorgesehenen betrieblichen Altersversorgung anstrebt, können legitime Ziele im Sinne der europäischen Vorgaben sein ( - Rn. 33 mwN, aaO). Dementsprechend sind Ziele, die im Rahmen von Anliegen der Beschäftigungspolitik und des Sozialschutzes einen Ausgleich zwischen verschiedenen beteiligten Interessen schaffen sollen, um damit der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu dienen, als legitim iSv. § 10 Satz 1 AGG anzusehen. Dazu gehört auch, den unternehmerischen Belangen einer begrenz- und kalkulierbaren Belastung Rechnung zu tragen (vgl. ausführlicher  - Rn. 33 mwN, aaO). Indem § 10 AGG erlaubt, in Versorgungsordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen und damit für diesen eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, verfolgt die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten. Es hält sich demnach im Rahmen dieses legitimen Ziels, wenn in einer Versorgungsordnung von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird ( - Rn. 26, BAGE 162, 36; - 3 AZR 781/16 - Rn. 33, aaO).

39Das mit der Regelung verfolgte Ziel muss dabei nicht ausdrücklich benannt werden. Auch aus dem allgemeinen Kontext der Regelung können sich Anhaltspunkte ergeben, die es ermöglichen, den Zweck der Regelung festzustellen und dadurch Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Bestimmung zu überprüfen (vgl.  - Rn. 27, BAGE 162, 36; - 3 AZR 72/16 - Rn. 50 mwN, BAGE 160, 255).

40(2) Danach beruht die durch § 7 Abs. 4 VO 1992 bewirkte Ungleichbehandlung wegen des Alters auf einem legitimen Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG.

41Der Ausschluss begrenzt die mit der Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung verbundenen finanziellen Risiken. Damit dient die Regelung dem Interesse des Arbeitgebers an einer überschaubaren und kalkulierbaren Versorgungslast. Gerade bei der Hinterbliebenenversorgung hat der Arbeitgeber ein anerkennenswertes Interesse an einer solchen Begrenzung, da ein derartiges Leistungsversprechen zusätzliche Unwägbarkeiten und Risiken nicht nur in Bezug auf den Zeitpunkt des Leistungsfalls, sondern auch hinsichtlich der Dauer der Leistungserbringung mit sich bringt ( - Rn. 28, BAGE 162, 36).

42ff) Die in § 7 Abs. 4 VO 1992 bestimmte Altersgrenze ist aber nicht angemessen iSv. § 10 Satz 2 AGG. Sie führt zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der Versorgungsberechtigten, die - weil sie bei Eheschließung das 62. Lebensjahr vollendet hatten - von der Zusage einer Witwen-/Witwerversorgung vollständig ausgeschlossen werden. Indem die VO 1992 auf die Vollendung des 62. Lebensjahres abstellt, knüpft sie nicht an ein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip an.

43(1) Eine Altersgrenze iSv. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG ist nach § 10 Satz 2 AGG grundsätzlich angemessen, wenn sie es erlaubt, das mit ihr verfolgte Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG zu erreichen, ohne zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen derjenigen Arbeitnehmer zu führen, die aufgrund der Klausel benachteiligt werden. Sie ist erforderlich iSd. § 10 Satz 2 AGG, wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist. Altersgrenzen iSv. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG, die an betriebsrentenrechtliche Strukturprinzipien anknüpfen, sind in der Regel angemessen nach § 10 Satz 2 AGG (vgl.  - Rn. 37 mwN, BAGE 161, 56).

44(2) Der Arbeitnehmer hat ein Versorgungsinteresse unabhängig von dem Lebensalter, zu welchem seine Ehe geschlossen wird. Da die Hinterbliebenenversorgung Entgeltcharakter hat, also eine Gegenleistung für die Beschäftigungszeit ist, und von Arbeitnehmern, die erst in höherem Alter heiraten, genauso erarbeitet wird wie von denen, die früher - also vor Vollendung des 62. Lebensjahres - heiraten, ist die Dauer der Ehe während des Arbeitsverhältnisses oder auch ein versorgungsnahes Alter kein tauglicher Anknüpfungspunkt für einen Anspruchsausschluss (vgl.  - Rn. 71, BAGE 152, 164). Danach ist es regelmäßig nicht angemessen, die unter Geltung einer Versorgungszusage geleistete Betriebszugehörigkeit im Hinblick auf die Hinterbliebenenversorgung allein deshalb vollständig unberücksichtigt zu lassen, weil der Versorgungsberechtigte bei der Eheschließung ein bestimmtes Lebensalter erreicht hatte ( - Rn. 69, aaO). Angemessen kann es hingegen sein, wenn eine Versorgungsordnung den Ausschluss einer Hinterbliebenenversorgung mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses oder dem Eintritt des Versorgungsfalls beim versorgungsberechtigten Arbeitnehmer selbst (vgl.  - Rn. 70, aaO) oder auch mit dem Erreichen der festen Altersgrenze der Versorgungsordnung, also mit einem betriebsrentenrechtlichen Strukturprinzip verknüpft (vgl.  - Rn. 40, BAGE 161, 56). Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Lebensgestaltung des Arbeitnehmers für die Zeit nach einer solchen Zäsur bei der Abgrenzung seiner Leistungspflichten unberücksichtigt zu lassen (vgl.  - Rn. 40, aaO). Dagegen ist eine von betriebsrentenrechtlichen Strukturprinzipien losgelöste, an das Alter anknüpfende Grenze, die eine zugesagte Versorgung einschränken soll, in der Regel nicht angemessen. Es fehlt hinsichtlich der berechtigten Interessen der Versorgungsberechtigten an einem nachvollziehbaren Anknüpfungspunkt für den Anspruchsausschluss.

45Dies folgt aus den Wertungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG, wonach betriebliche Altersversorgung iSd. Betriebsrentengesetzes vorliegt, wenn dem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung vom Arbeitgeber „aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses“ zugesagt werden ( - Rn. 17). Danach muss zwischen dem Arbeitsverhältnis und der Zusage ein Kausalzusammenhang bestehen (vgl. etwa  - zu I 2 der Gründe, BAGE 110, 176; - 3 AZR 769/98 - zu II 2 der Gründe). Im Hinblick darauf übernimmt der Arbeitgeber mit der Zusage von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung bestimmte Risiken, die Altersversorgung deckt einen Teil der „Langlebigkeitsrisiken“, die Invaliditätssicherung einen Teil der Invaliditätsrisiken und die Hinterbliebenenversorgung einen Teil der Todesfallrisiken ab (vgl. etwa  - Rn. 13, BAGE 145, 314). Vor diesem Hintergrund ist ein vom Ende des Arbeitsverhältnisses unabhängiges Alter kein sachgerechter Anknüpfungspunkt für Regelungen über den Ausschluss einer Hinterbliebenenversorgung (vgl.  - Rn. 70, BAGE 152, 164). Knüpft der Ausschluss von Hinterbliebenenversorgung hingegen an ein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip an, liegt keine erhebliche Beeinträchtigung von Interessen der Versorgungsberechtigten vor.

46(3) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die in § 7 Abs. 4 VO 1992 auf die Vollendung des 62. Lebensjahres festgelegte Altersgrenze nicht angemessen iSv. § 10 Satz 2 AGG. Sie knüpft an kein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip an, das typischerweise mit einer Zäsur im Arbeitsverhältnis verbunden ist (vgl.  - Rn. 38). Die Vollendung des 62. Lebensjahres ist nach der Struktur der VO 1992 gerade nicht der Zeitpunkt, zu dem typischerweise mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechnet werden kann bzw. zu dem das Arbeitsverhältnis tatsächlich beendet oder der Versorgungsfall eingetreten ist.

47(a) Die Betriebsparteien haben mit der Regelung in § 7 Abs. 4 VO 1992 nicht an die feste Altersgrenze der VO 1992 angeknüpft.

48Nach § 4 Abs. 1 VO 1992 liegt die feste Altersgrenze bei 65 Jahren. Denn mit Ablauf des Monats, in dem das 65. Lebensjahr vollendet wird, endet das Arbeitsverhältnis (§ 4 Abs. 1 Unterabs. 2 VO 1992) und der Mitarbeiter erhält die betriebliche Rente wegen Alters (§ 5 Abs. 1 VO 1992). Bis zu diesem Zeitpunkt können Versorgungsanwartschaften aufgebaut werden (§ 10 Abs. 1, § 12 Abs. 1 VO 1992). Diese Regelungen zeigen, dass die Betriebsparteien in der VO 1992 eine feste Altersgrenze von 65 Jahren festgelegt haben. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem nach der Versorgungsordnung im Regelfall mit einer Inanspruchnahme der Betriebsrente und einem altersbedingten Ausscheiden aus dem Berufs- und Erwerbsleben zu rechnen ist.

49§ 7 Abs. 4 VO 1992 legt ein davon abweichendes Alter fest, indem auf das vollendete 62. Lebensjahr und nicht auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abgestellt wird.

50(b) Die Betriebsparteien haben in § 7 Abs. 4 VO 1992 auch nicht an den Versorgungsfall der vorzeitigen „V-Rente wegen Alters“ nach § 5 Abs. 2 VO 1992 angeknüpft. Danach besteht ein Anspruch auf eine vorzeitige Rente wegen Alters nämlich nur, sofern eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in voller Höhe vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird. Eine bestimmte Altersgrenze ist damit nicht festgelegt. Demgegenüber legt § 7 Abs. 4 VO 1992 ein - hiervon unabhängiges - konkretes Alter für den Ausschluss von der Hinterbliebenenversorgung fest.

51(c) Ein von den Betriebsparteien prognostiziertes typisches Alter beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis stellt nur dann auf ein betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip ab, wenn es sich in der Versorgungsordnung - wie die feste Altersgrenze - widerspiegelt.

52(aa) Die VO 1992 beinhaltet mit Ausnahme des Ausschlusses der Hinterbliebenenversorgung keine Regelung, die auf die Vollendung des 62. Lebensjahres abstellt. Zwar mag dieses Alter bei Abschluss der VO 1992 das Alter dargestellt haben, zu dem frühestmöglich eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Vollrente in Anspruch genommen werden konnte. Als Strukturprinzip hat sich diese Altersgrenze aber nicht in der VO 1992 niedergeschlagen. Insbesondere ist insoweit keine Zäsur im Hinblick auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses gegeben (vgl.  - Rn. 38). Nach § 5 Abs. 2 VO 1992 kann zwar eine vorzeitige Rente wegen Alters beansprucht werden. Dies setzt aber voraus, dass eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in voller Höhe vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird. Die bloße Vollendung des 62. Lebensjahres genügt nicht.

53(bb) Zudem haben die Betriebsparteien die feste Altersgrenze auf die Vollendung des 65. Lebensjahres und damit den von ihnen prognostizierten typischen Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses bestimmt. Insoweit haben sie von ihrem Beurteilungsspielraum und ihrer Einschätzungsprärogative Gebrauch gemacht. Sie gehen davon aus, dass das Arbeitsverhältnis im Regelfall mit der Vollendung des 65. Lebensjahres beendet wird und die Zahlung der Betriebsrente beginnt. Ein und dieselbe Versorgungsordnung kann nicht mehrere Zeitpunkte festlegen, zu denen typischerweise mit einer Inanspruchnahme der Betriebsrente zu rechnen ist.

54d) Aufgrund der Unwirksamkeit der Regelung in § 7 Abs. 4 VO 1992 ist die Klägerin nicht von der V-Witwenrente ausgeschlossen. Im Übrigen ist die VO 1992 wirksam.

55aa) Die Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung führt nicht ohne Weiteres zur Unwirksamkeit der übrigen Bestimmungen. Nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB ist eine Betriebsvereinbarung nur teilunwirksam, wenn der verbleibende Teil auch ohne die unwirksame Bestimmung eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält. Das folgt aus dem Normcharakter der Betriebsvereinbarung, der es gebietet, im Interesse der Kontinuität eine einmal gesetzte Ordnung aufrechtzuerhalten, soweit sie ihre Funktion auch ohne den unwirksamen Teil noch entfalten kann ( - Rn. 20 mwN).

56Danach ist die VO 1992 nicht insgesamt nichtig, sondern allein die Spätehenklausel in § 7 Abs. 4 VO 1992. Der verbleibende Teil stellt auch ohne diesen Ausschluss eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung dar.

57bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten bedarf es keiner Prüfung, ob die Ungleichbehandlung allein durch eine „Anpassung nach oben“ beseitigt werden kann. § 7 Abs. 4 VO 1992 beinhaltet einen Ausschlussgrund. Diese Regelung ist unwirksam. Damit ist ein Anspruch der Klägerin, der nach den übrigen Regelungen der VO 1992 - unstrittig - dem Grunde nach besteht, nicht ausgeschlossen.

58e) Die Beklagte kann keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen.

59aa) Die Wirksamkeit einer vertraglichen Vereinbarung richtet sich grundsätzlich nach dem im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Recht. Verbotsgesetze können bereits wirksam begründete Dauerschuldverhältnisse jedoch in der Weise erfassen, dass diese für die Zukunft („ex nunc“) nichtig werden. Das setzt voraus, dass Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes die für die Zukunft eintretende Nichtigkeit erfordern. Gilt ein Verbotsgesetz ohne Übergangsregelung, erstreckt sich das Verbot auf alle Sachverhalte, die sich seit seinem Inkrafttreten in seinem Geltungsbereich verwirklichen. Der zeitliche Geltungsbereich wird nur durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes beschränkt ( - Rn. 35 mwN).

60bb) Gemäß § 1 AGG ist ua. Ziel dieses Gesetzes, Benachteiligungen aus Gründen des Alters nicht nur zu verhindern, sondern auch zu beseitigen. Die mit der begrenzten Übergangsregelung in § 33 AGG einhergehende unechte Rückwirkung für Sachverhalte, die aus vor dem abgeschlossenen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen resultieren, ist unter Beachtung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes zulässig ( - Rn. 36).

61(1) Die Anwendung der Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im vorliegenden Fall beinhaltet lediglich eine unechte Rückwirkung. Eine solche liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet. Das ist der Fall, wenn - wie hier - belastende Rechtsfolgen einer gesetzlichen Regelung erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits „ins Werk gesetzten“ Sachverhalt ausgelöst werden ( - Rn. 38 mwN).

62(2) Eine unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig. Grenzen ihrer Zulässigkeit können sich allerdings aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben. Diese Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung nicht geeignet oder erforderlich ist, um den Gesetzeszweck zu erreichen, oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen. Knüpft der Gesetzgeber für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte an, sind die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage abzuwägen. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die Wirksamkeit einer Regelung bestimmt sich ua. danach, inwieweit vorhersehbar war, dass diese als (unions-)rechtswidrig eingeordnet würde (vgl.  - Rn. 39 f. mwN;  - Rn. 25).

63(3) Nach diesen Maßstäben ist das von der Beklagten in ein Fortbestehen der Gesetzeslage und die Wirksamkeit der Spätehenklausel in § 7 Abs. 4 VO 1992 gesetzte Vertrauen nicht schutzwürdig. Der Zweck des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, in Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG Ungleichbehandlungen zu beseitigen, kann nur durch die Unwirksamkeit der Regelung in § 7 Abs. 4 VO 1992 erreicht werden (vgl.  - Rn. 41). Die Beklagte musste jedenfalls damit rechnen, dass Regelungen in betrieblichen Versorgungswerken auch am Verbot der Diskriminierung wegen des Alters gemessen werden. Sie konnte nicht schutzwürdig darauf vertrauen, dass eine an die Vollendung des 62. Lebensjahres anknüpfende Spätehenklausel nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Bestand haben würde.

64f) Eine ergänzende Auslegung der VO 1992 scheidet aus. Selbst wenn man annehmen wollte, dass die VO 1992 aufgrund der Unwirksamkeit der Regelung in § 7 Abs. 4 eine planwidrige Regelungslücke aufweisen würde, käme eine ergänzende Auslegung der VO 1992 nicht in Betracht. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen sind nicht gegeben.

65aa) Betriebsvereinbarungen sind einer ergänzenden Auslegung nur dann zugänglich, wenn entweder nach zwingendem höherrangigen Recht nur eine Regelung zur Lückenschließung in Betracht kommt oder wenn bei mehreren Regelungsmöglichkeiten zuverlässig feststellbar ist, welche Regelung die Betriebspartner getroffen hätten, wenn sie die Lücke erkannt hätten ( - Rn. 67 mwN).

66bb) Danach ist eine ergänzende Auslegung der VO 1992 nicht möglich. Dahinstehen kann, ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Es lässt sich jedenfalls nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen, welche Regelung die Betriebsparteien getroffen hätten, wenn sie von der Unwirksamkeit der Spätehenklausel und der sich daraus ergebenden Lücke Kenntnis gehabt hätten. Neben einer Regelung, die auf den Versorgungsfall „Alter“ abstellt, hätten die Betriebsparteien beispielsweise auch auf das tatsächliche Ende des Arbeitsverhältnisses oder die feste Altersgrenze abstellen können.

67cc) Die von der Beklagten angezogene Rechtsprechung des Senats zur ergänzenden Vertragsauslegung bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl.  - Rn. 44, BAGE 158, 154) ist nicht auf Regelungslücken von Betriebsvereinbarungen zu übertragen. Ein Festhalten an der Regelung würde auch keine unzumutbare Härte darstellen.

68Die Beklagte hat schon keine Umstände dargelegt, die zu einer unzumutbaren Härte führen könnten. Insbesondere hat sie die behaupteten Mehrkosten iHv. mindestens 6,2 Mio. Euro weder zum gesamten Versorgungsaufwand noch zum Aufwand der Hinterbliebenenversorgung nach der VO 1992 ins Verhältnis gesetzt. Die bloße Angabe der Höhe der Mehrkosten lässt noch keinen Schluss auf eine unzumutbare Härte zu.

693. Der Klageantrag zu 1. ist iHv. 22.666,56 Euro brutto begründet und iHv. 878,64 Euro brutto unbegründet. Dem entspricht auch die zuletzt von der Klägerin vorgenommene Berechnung. Der Antrag zu 2. ist insgesamt begründet.

70a) Die Witwenrente beträgt nach § 14 Abs. 5 VO 1992 60 vH der zuletzt gezahlten Versorgungsleistung des unmittelbar Versorgungsberechtigten. Sie reduziert sich nach § 14 Abs. 10 VO 1992 um 3 vH für jedes über 15 Jahre hinausgehende volle Jahr des Altersunterschiedes zwischen der Witwe und dem verstorbenen Ehemann, vorliegend um 3 vH für ein über 15 Jahre hinausgehendes volles Jahr Altersunterschied. Der verstorbene Ehemann der Klägerin war im August 1940, die Klägerin ist im März 1957 geboren. Der Altersunterschied zwischen beiden betrug daher 16 volle Jahre.

71b) Diese Altersabstandsklausel ist wirksam (vgl. ausführlich  - Rn. 27 ff.). Davon geht auch die Klägerin aus.

72c) Die Betriebsrenten wurden bei der Beklagten zum um 5,32 vH und nicht um 6 vH angepasst, so dass sich die monatliche Witwenrente im Jahr 2012 auf 1.888,88 Euro brutto beläuft und damit für das Jahr 2012 auf insgesamt 22.666,56 Euro. Der Antrag zu 1. ist daher iHv. 878,64 Euro brutto unbegründet.

73d) Unter Berücksichtigung der weiteren Anpassung zum um 7,61 vH ergibt sich für das Jahr 2013 eine monatliche Rente iHv. 2.032,62 Euro brutto. Mit ihrem Antrag zu 2. hat die Klägerin aber weiterhin lediglich 1.962,10 Euro brutto je Monat für das Jahr 2013 geltend gemacht. In diesem Umfang ist er begründet, § 308 Abs. 1 ZPO.

744. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 1, § 288 BGB iVm. § 21 Abs. 1 VO 1992. Die monatlichen Zahlungsansprüche sind jeweils ab dem ersten Tag des Folgemonats mit einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

75III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:190219.U.3AZR215.18.0

Fundstelle(n):
BB 2019 S. 1587 Nr. 27
DB 2019 S. 6 Nr. 26
ZIP 2019 S. 1683 Nr. 35
WAAAH-21004