BSG Beschluss v. - B 6 KA 14/18 B

(Sozialgerichtliches Verfahren - unterlassene Beweiserhebung - hinreichender Grund - Vertragsarzt - Rechtmäßigkeit einer Zulassungsentziehung - Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - Nichteignung für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit - gesundheitliche Gründe iS des § 21 S 1 Ärzte-ZV)

Gesetze: § 103 SGG, § 95 Abs 6 S 1 Alt 2 SGB 5, § 95 Abs 6 S 1 Alt 3 SGB 5, § 21 S 1 Ärzte-ZV

Instanzenzug: Az: S 2 KA 2985/16 Urteilvorgehend Thüringer Landessozialgericht Az: L 11 KA 1440/16 Urteil

Gründe

1I. Der 68 Jahre alte Kläger ist seit 1991 in M als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Aufgrund von Patientenbeschwerden über sein Verhalten im Notdienst beantragte die zu 7. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) beim Zulassungsausschuss (ZA) eine Überprüfung der Geeignetheit des Klägers als Vertragsarzt. Untersuchungen im Jahr 2015 im Universitätsklinikum J sowie 2016 im H Klinikum M n ergaben das Vorliegen eines demenziellen Syndroms vom Grad einer leichten Demenz bei einer dominanten amnestischen und frontal-subkortikalen Störung und Hinweisen auf eine Korsakow-Symptomatik. Daraufhin verfügte der ZA am die Entziehung der Zulassung und ordnete die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung an, da ein nicht unerhebliches Risiko der Gefährdung von Patienten aufgrund von Behandlungsfehlern - etwa durch falsche Medikationen - bestehe. Der beklagte Berufungsausschuss bestätigte diese Entscheidungen (Beschluss vom bzw Bescheid vom ).

2Der Antrag des Klägers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage wurde abgelehnt (). Auch seine Rechtsbehelfe in der Hauptsache blieben ohne Erfolg (). Nach Ansicht des LSG bedurfte es der Einholung weiterer Gutachten nicht, da bereits aufgrund der vorliegenden Krankenunterlagen feststehe, dass der Kläger gesundheitlich nicht mehr zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit geeignet sei. Maßgeblich seien die festgestellten kognitiven Einschränkungen, die nicht reversibel seien und seine Fähigkeit beeinträchtigten, angemessen zu reagieren, was zudem mit der latenten Gefahr von Fehleinschätzungen und Fehlmedikationen einhergehe. Ein bestimmter Schweregrad der Erkrankung sei im Interesse des Patientenschutzes nicht erforderlich.

3Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. Er macht primär einen Verfahrensmangel und zudem eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (Revisionszulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG).

4II. Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Es ist weder ein Verfahrensmangel feststellbar noch kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu.

51. Ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann, liegt nicht vor.

6Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Auf eine Verletzung des § 103 SGG (Verpflichtung des Gerichts zur Amtsermittlung) kann ein Verfahrensmangel jedoch nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Für eine Revisionszulassung muss der Verfahrensmangel nicht nur ausreichend bezeichnet sein (§ 160a Abs 2 S 3 SGG), sondern auch tatsächlich vorliegen (stRspr, zB - SozR 4-1500 § 155 Nr 5 RdNr 4 ff; - Juris RdNr 5 ff). Jedenfalls an dem zuletzt genannten Erfordernis fehlt es hier.

7Der Kläger rügt, das LSG sei dem von ihm auch noch in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag, ein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, "dass aktuell keine kognitiven oder sonstigen Leistungsstörungen vorliegen, die den Entzug der Zulassung rechtfertigen", ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Das trifft jedoch nicht zu.

8Für die Frage, ob ein hinreichender Grund für die unterlassene Beweiserhebung vorliegt, kommt es darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten war, den Sachverhalt zu den von dem Beweisantrag erfassten Punkten weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr, zB - Juris RdNr 4). Soweit entscheidungserhebliche tatsächliche Umstände noch nicht hinreichend geklärt sind, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen. Einen darauf bezogenen Beweisantrag eines Beteiligten darf das Gericht nur ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist ( - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 10; - Juris RdNr 24 mwN).

9Dem vom Kläger in seinem Beweisantrag (§ 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 403 ZPO) als weiter aufklärungsbedürftig benannten Umstand, dass gerade auch im Hinblick auf die bei der letzten Begutachtung prognostizierte Besserung "aktuell" keine kognitiven oder sonstigen Leistungsstörungen vorliegen, die eine Entziehung der Zulassung rechtfertigen könnten, fehlt bereits die Entscheidungserheblichkeit. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Zulassungsentziehung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich ( - BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, RdNr 14 ff; - Juris RdNr 11; - BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 54). Das gilt nicht nur für Zulassungsentziehungen wegen gröblicher Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten (§ 95 Abs 6 S 1 letzte Alternative SGB V), sondern in gleicher Weise für eine Zulassungsentziehung aufgrund nicht mehr vorliegender Voraussetzungen für die Erteilung der Zulassung (§ 95 Abs 6 S 1 zweite Alternative SGB V), insbesondere der persönlichen Voraussetzungen iS von § 21 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV). Die Aufgabe der sog "Wohlverhaltens-Rechtsprechung" hat an der Maßgeblichkeit der Sachlage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nichts geändert; sie hat lediglich eine bis dahin praktizierte Ausnahme vom dem genannten Grundsatz beseitigt ( - BSGE 112, 90 = SozR 4-2500 § 95 Nr 26, Leitsatz 1 und RdNr 25 ff). Auch das BVerwG stellt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Entziehung der Approbation wegen Unwürdigkeit auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ab ( - Juris RdNr 9; - Juris RdNr 8; zur Entziehung wegen gesundheitlicher Ungeeignetheit liegt - soweit ersichtlich - verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung bislang nicht vor) und folgt diesem Grundsatz für die Versetzung eines Beamten wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand ( - BVerwGE 105, 267, 269; - BVerwGE 150, 1 RdNr 10) ebenso wie für die krankheitsbedingte Entziehung einer Fahrerlaubnis ( - NJW 2015, 2439 RdNr 13). In gleicher Weise beurteilt der BGH die Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Anwaltszulassung nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung ( AnwZ (Brfg) 41/17 - Juris RdNr 6 mwN; s auch Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl 2014, § 14 BRAO RdNr 21a). Auf den Umstand, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung des LSG "aktuell" noch Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungsfähigkeit des Klägers vorlagen, kommt es mithin in rechtlicher Hinsicht nicht an.

10Aber selbst wenn der Beweisantrag des Klägers als auf die gesundheitlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten im Juli 2016 bezogen angesehen würde, wäre der Verfahrensmangel einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung nicht festzustellen. Das LSG durfte aufgrund des bereits im Verwaltungsverfahren auf Verlangen des ZA (§ 21 S 3 Ärzte-ZV) vom Kläger vorgelegten medizinischen Gutachtens des Direktors der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums J vom , des Befundberichts der Neurologischen Klinik des H Klinikums vom und der neuropsychologischen Hirnleistungsdiagnostik vom verfahrensfehlerfrei als bereits erwiesen ansehen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung aufgrund schwerwiegender gesundheitlicher Gründe (dauerhafte kognitive Einschränkungen) nicht nur vorübergehend unfähig war, die vertragsärztliche Tätigkeit in der hausärztlichen Versorgung ordnungsgemäß wahrzunehmen (zur Heranziehung von im Verwaltungsverfahren erstellten ärztlichen Gutachten als für die gerichtliche Amtsermittlung ausreichend s auch - BVerwGE 150, 1 RdNr 30 ff).

112. Auch die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sind nicht erfüllt. Die grundsätzliche Bedeutung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr, vgl zB - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5 mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus schon vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung klar ergibt ( - Juris RdNr 4). Das ist hier der Fall.

12Der Kläger führt als grundsätzlich bedeutsam die Frage an, "ob die in § 21 Ärzte-ZV benannten gesundheitlichen Gründe einen bestimmten Schweregrad bzw. ein bestimmtes Stadium einer Erkrankung fordern, oder nicht". Es kann offenbleiben, ob er eine Klärungsbedürftigkeit dieser Frage mit dem pauschalen Vortrag, die Formulierung in § 21 S 1 Ärzte-ZV "aus gesundheitlichen oder sonstigen in der Person liegenden schwerwiegenden Gründen" werfe Auslegungszweifel auf, hinreichend dargelegt hat (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG). Welche Zweifel das sein könnten, hat der Kläger nicht näher ausgeführt. Jedenfalls ergibt sich bei Betrachtung des vollständigen Normtextes von § 21 S 1 Ärzte-ZV ohne Weiteres, dass gesundheitliche Gründe so gewichtig sein müssen, dass ihre Auswirkungen den Vertragsarzt unfähig machen, die vertragsärztliche Tätigkeit ordnungsgemäß auszuüben. Entscheidend ist deshalb nicht der Schweregrad einer Erkrankung im Sinne einer medizinischen Klassifikation (leichter, mittlerer oder schwerer Verlauf), sondern sind funktional die konkreten Folgen einer im Einzelfall bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigung für die Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Ausübung der jeweiligen vertragsärztlichen Tätigkeit. Das ist so offenkundig, dass es zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht bedarf. Auch das LSG hat § 21 S 1 Ärzte-ZV in diesem Sinne verstanden, wenn es in den Entscheidungsgründen - vollständig wiedergegeben - formuliert hat, dass kein bestimmter Schweregrad oder ein bestimmtes Stadium einer Erkrankung erforderlich sei, sondern es maßgeblich darauf ankomme, ob die vertragsärztliche Tätigkeit des Arztes insgesamt, insbesondere auch im Hinblick auf den Patientenschutz, in Frage gestellt sei.

133. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO und dem Umstand, dass das Rechtsmittel des Klägers ohne Erfolg geblieben ist. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da diese keinen Antrag gestellt haben (vgl - BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

144. Der festgesetzte Streitwert beruht auf den Vorgaben in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von keinem Beteiligten in Frage gestellten Festsetzung durch das LSG (s auch - SozR 4-1920 § 52 Nr 1 RdNr 6 ff).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:130219BB6KA1418B0

Fundstelle(n):
QAAAH-12135