BSG Beschluss v. - B 6 KA 19/20 B

Vertragszahnärztliche Versorgung - Entziehung der Zulassung als Vertragszahnarzt wegen Nichtausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit - fehlende Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Ausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen

Gesetze: § 15 Abs 1 Zahnärzte-ZV, § 21 S 1 Alt 1 Zahnärzte-ZV, § 28 Abs 1 S 2 Zahnärzte-ZV, § 28 Abs 1 S 3 Zahnärzte-ZV, § 32 Abs 1 S 1 Zahnärzte-ZV, § 95 SGB 5, § 96 SGB 5

Instanzenzug: Az: S 43 KA 5093/18vorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 12 KA 5013/19 Urteil

Gründe

1I. Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner vertragszahnärztlichen Zulassung wegen Nichtausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit. Der 1955 geborene Kläger ist seit 1987 als Zahnarzt in Einzelpraxis zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Er leidet an einer chronisch-progredienten Form der Multiple Sklerose. Aufgrund der dadurch bestehenden erheblichen Bewegungseinschränkungen ist er bereits seit mehreren Jahren nicht mehr in der Lage, die zahnärztliche Behandlung der Patienten am Behandlungsstuhl durchzuführen.

2Der Zulassungsausschuss entzog dem Kläger die Zulassung wegen Nichtausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit; zudem fehle es auch an der gesundheitlichen Eignung zur Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung (Beschluss vom ). Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Zwar sei es zutreffend, dass er seit nunmehr elf Jahren keine Patienten mehr selbst im Sprechzimmer behandele. Alle anderen Tätigkeiten eines Zahnarztes, wie die Praxisführung, die Verwaltung der Zahnarztpraxis, die Auswertung von Röntgenaufnahmen, Modellen und Befunden und die telefonische Beratung nach Aktenlage, übe er jedoch aus. Die Patientenbehandlung selbst sei zu jeder Zeit durch zahnärztliche Partner, angestellte Zahnärzte und Ausbildungs- und Entlastungsassistenten gewährleistet gewesen. Der beklagte Berufungsausschuss wies den Widerspruch als unbegründet zurück (Beschluss vom ). Klage und Berufung blieben ohne Erfolg ( und des ). Das LSG hat ausgeführt, die Zulassungsentziehung sei berechtigt, da der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen den wesentlichen Inhalt der vertragszahnärztlichen Tätigkeit - die Behandlung "am" Patienten - nicht mehr erfüllen könne. Der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung sei nicht gewahrt, wenn - wie hier - der Vertragszahnarzt im Kernbereich seiner Tätigkeit dauerhaft auf die Leistung von Dritten angewiesen sei. Unabhängig davon sei die Zulassungsentziehung auch rechtmäßig erfolgt, weil der Kläger aufgrund der Schwere seiner Erkrankung iS des § 21 der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (Zahnärzte-ZV) zur Ausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit persönlich ungeeignet sei.

3Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.

4II. A. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Er hat in seiner Beschwerdebegründung eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 160 Abs 2 Nr 1 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

5Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet (vgl - BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31; - SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f; - juris RdNr 5) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG wird bei der Grundsatzrüge nur genügt, wenn der Beschwerdeführer eine Frage formuliert, deren Beantwortung nicht von den Umständen des Einzelfalles abhängt, sondern die mit einer verallgemeinerungsfähigen Aussage beantwortet werden könnte (zu dieser Anforderung vgl - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10). Zudem muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt. Dem wird die Beschwerde des Klägers nicht gerecht.

61. Der Kläger versäumt es bereits, den der Entscheidung des LSG zugrunde liegenden Sachverhalt darzustellen. Seine Ausführungen dazu beschränken sich im Wesentlichen auf die Angaben, dass er einen vollständigen Praxisbetrieb mit Sprechzeiten an fünf Tagen die Woche unterhalte, jedoch krankheitsbedingt selbst nicht mehr alle zahnärztlichen Tätigkeiten eigenhändig ausführen könne und sich dafür im zulässigen Rahmen angestellter Zahnärzte und zahnärztlichen Hilfspersonals bediene. Damit legt der Kläger aber nicht einmal skizzenhaft dar, welche Feststellungen das LSG in seiner Entscheidung, die die Entziehung der Zulassung zur vertragszahnärztlichen Tätigkeiten betrifft, getroffen hat.

7Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die entscheidungserheblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (stRspr; zB B 10 ÜG 12/17 B - juris RdNr 7; - juris RdNr 5; - juris RdNr 6; - juris RdNr 9). Vielmehr muss die maßgebliche Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerdebegründung das BSG in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Beschwerdevortrags ein Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen ( - juris RdNr 10 mwN; - juris RdNr 9). Gerade der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung verlangt die Wiedergabe des streiterheblichen Sachverhalts, weil insbesondere die Klärungsfähigkeit einer aufgeworfenen Rechtsfrage ohne Umschreibung des Streitgegenstands und des Sachverhalts nicht beurteilt werden kann ( - juris RdNr 6 mwN).

9a. Die Fragen betreffen den Begründungsstrang des LSG-Urteils, wonach der angefochtene Bescheid des Beklagten rechtmäßig sei, weil der Kläger seine vertragszahnärztliche Tätigkeit nicht mehr ausübe. Hierbei hat das LSG ua auf die Norm des § 32 Abs 1 Zahnärzte-ZV abgestellt, wonach der Vertragszahnarzt die vertragszahnärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben habe und diese Voraussetzung nicht mehr gewahrt sei, wenn der Vertragszahnarzt bei "der Behandlung am Patienten" dauerhaft in vollem Umfang auf die Tätigkeit von anderen Zahnärzten angewiesen sei. Das Berufungsgericht hat jedoch in einem zweiten Begründungsstrang die Rechtmäßigkeit der Zulassungsentziehung auch darauf gestützt, dass der Kläger für die Ausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit gemäß § 21 Zahnärzte-ZV aus persönlichen Gründen ungeeignet sei.

10Ist das im Berufungsurteil gefundene Ergebnis danach nebeneinander auf mehrere, selbstständig tragende Begründungen gestützt - hier erstens auf die Bejahung der Nichtausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit, weil es an der persönlichen Leistungserbringung iS des § 32 Abs 1 Satz 1 Zahnärzte-ZV durch den Kläger fehle, und zweitens auf die vom LSG angenommene fehlende (gesundheitliche) Eignung für die Ausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit iS des § 21 Zahnärzte-ZV -, so wäre vom Kläger formgerecht darzulegen gewesen, dass die grundsätzliche Bedeutung alle Begründungen erfasst oder dass hinsichtlich der anderen selbstständigen Begründung andere Zulassungsgründe gegeben sind (vgl - SozR 1500 § 160a Nr 38 S 55; - juris RdNr 5; - juris RdNr 5). Entsprechende ausreichende Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung nicht. Mit der Problematik der vom Berufungsgericht angenommenen persönlichen Ungeeignetheit hat sich der Kläger nicht ausdrücklich beschäftigt; er hat hierzu weder eine (konkrete) Rechtsfrage gestellt noch andere Zulassungsgründe (Divergenz und/oder Verfahrensmängel) geltend gemacht. Dazu hätte aber bereits deswegen Anlass bestanden, weil der Senat sich schon mit den gesundheitlichen Aspekten der Eignung für die Ausübung der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit befasst hat (vgl zB - juris).

11Im Übrigen spricht viel dafür, dass die angefochtene Entscheidung des LSG bezogen auf die festgestellte Nichteignung des Klägers zur vertragszahnärztlichen Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen auch nicht zu beanstanden ist. Nach § 21 Satz 1 Alt 1 Zahnärzte-ZV ist ein Zahnarzt für die Ausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit ungeeignet, der aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, die vertragszahnärztliche Tätigkeit ordnungsgemäß auszuüben. Es ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass insoweit nicht der Schweregrad der Erkrankung im Sinne einer medizinischen Klassifikation (leichter, mittelschwerer oder schwerer Verlauf) entscheidend ist, sondern funktional die konkreten Folgen einer im Einzelfall bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigung für die Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Ausübung der jeweiligen vertragsärztlichen Tätigkeit ausschlaggebend sind ( - juris RdNr 12). Es unterliegt insoweit keinem Zweifel, dass ein Zahnarzt, der - aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen - persönlich keine Behandlungen am Patienten mehr durchführen kann, die Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Ausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit nicht (mehr) besitzt. Denn zum Profil der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit zählt auch und gerade die tatsächliche Durchführung der (zahn)ärztlichen Behandlung selbst. Die eigenständige Versorgung von Patienten - auch in Notfällen - ist zentraler Bestandteil der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit ( - juris RdNr 10; vgl auch - BSGE 85, 1, 5 = SozR 3-2500 § 103 Nr 5 S 32; - BSGE 128, 26 = SozR 4-2500 § 95 Nr 36, RdNr 29). Dies ergibt sich schon aus § 73 Abs 2 Satz 1 SGB V, wonach die vertragsärztliche Versorgung ua die (zahn)ärztliche Behandlung umfasst (vgl - SozR 3-2500 § 81 Nr 7 S 31; vgl auch § 28 Abs 2 SGB V zur zahnärztlichen Behandlung). Ob die erforderliche gesundheitliche Eignung im Sinne des § 21 Zahnärzte-ZV auch dann noch gegeben ist, wenn der Vertragszahnarzt wegen einer Erkrankung bei bestimmten Untersuchungen oder Behandlungsmaßnahmen auf Hilfe eines anderen Zahnarztes angewiesen ist, bedarf hier keiner Klärung und dürfte sich auch einer generellen Festlegung entziehen. Wenn ein Zahnarzt gesundheitlich in einer Weise eingeschränkt ist, die es ausschließt, dass er das Behandlungszimmer aufsucht, die Tätigkeiten von Assistenten oder angestellten Zahnärzten im Mund des Patienten beobachtet oder überwacht, sodass er auch in dringenden Fällen nicht mehr in die Behandlung eingreifen kann, fehlt jedenfalls die für die Ausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit erforderliche Eignung. Genau dieses Bild der körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers hat das LSG iS des § 163 SGG festgestellt, und der Kläger stellt das auch in seiner Beschwerdebegründung nicht infrage.

12b. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Kläger auch eine grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die von ihm allein aufgeworfenen Fragen zum notwendigen Umfang der persönlichen Leistungserbringung nicht dargelegt hat. Zu der nach § 15 Abs 1, § 28 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB V, § 32 Abs 1 Satz 1 (Zahn)Ärzte-ZV, § 15 Abs 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte gebotenen persönlichen Leistungserbringung hat sich der Senat bereits wiederholt geäußert. Inwieweit im Hinblick auf diese in der Begründung der Beschwerde weitgehend nicht erwähnte Rechtsprechung noch die Notwendigkeit einer weiteren Klärung durch das Revisionsgericht besteht, ist nicht dargelegt worden. So hat der Senat bereits im Urteil vom (6 RKa 23/71 - BSGE 35, 247, 250 = SozR Nr 1 zu § 5 EKV-Ärzte) ausgeführt, dass es für die Niederlassung in eigener Praxis in erster Linie auf die Ausübung der medizinischen Funktion ankommt, und zwar in dem Sinne, dass der Arzt in der Praxis seine ärztliche Berufstätigkeit in voller eigener Verantwortung ausführen kann. Die eigenständige Versorgung von Patienten ist dabei - wie bereits ausgeführt - zentraler Bestandteil der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit.

13Der Senat hat zudem bereits geklärt, dass die persönliche Erbringung der vertrags(zahn)ärztlichen Leistung durch den Vertrags(zahn)arzt selbst zu erfolgen hat ( - SozR 4-2500 § 106a Nr 18 RdNr 20 mwN). Das Gebot der persönlichen Leistungserbringung dient der Sicherung der hohen Qualität der vertragsärztlichen Versorgung und ist materielle Voraussetzung für jede ärztliche Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung ( - SozR 4-5520 § 32 Nr 5 RdNr 28 f mwN). Es gilt nicht nur für die Behandlungs-, sondern auch für die Verordnungstätigkeit des Arztes. Zwar ist das Gebot der persönlichen Leistungserbringung in zahlreichen Fällen modifiziert. So ist es beispielsweise mit den erweiterten Möglichkeiten der Anstellung von Ärzten teilweise gelockert worden (§ 95 Abs 9 SGB V und § 32b <Zahn>Ärzte-ZV). Nicht verändert sind durch diese Optionen aber der Status und die daraus resultierenden rechtlichen Pflichten eines zur vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zugelassenen (Zahn)Arztes ( - BSGE 107, 56 = SozR 4-5520 § 20 Nr 3, RdNr 27).

14B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da sie keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO).

15C. Die Festsetzung des Streitwertes hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Maßgebend ist in Zulassungsstreitigkeiten die Höhe des aus der vertragsärztlichen Tätigkeit bzw deren Fortsetzung zu erzielenden Gewinns in einem Zeitraum von drei Jahren. Dabei kann bei einer Klage gegen die Zulassungsentziehung auf die konkret erzielten Umsätze der Arztpraxis (abzüglich des Praxiskostenanteils) bzw soweit konkrete Umsatzzahlen nicht vorliegen, auf die durchschnittlichen Umsätze der jeweiligen Arztgruppe abgestellt werden (vgl - juris RdNr 1; - juris RdNr 2). Wenn allerdings die durchschnittlichen Umsätze der Arztgruppe nicht das wirtschaftliche Interesse des klagenden Arztes widerspiegeln, ist für jedes Quartal des maßgeblichen Dreijahreszeitraumes iS des § 42 Abs 1 GKG der Regelstreitwert von 5000 Euro anzusetzen (vgl - SozR 4-1920 § 47 Nr 1 RdNr 4; - juris). Da hier nähere Anhaltspunkte für das konkrete wirtschaftliche Interesse des Klägers fehlen und der Kläger seit längerer Zeit bei Weitem nicht im üblichen Umfang vertragszahnärztlich tätig gewesen ist, hält der Senat den Ansatz des Auffangstreitwertes von 5000 Euro für jedes Quartal des Dreijahreszeitraumes für sachgerecht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:160221BB6KA1920B0

Fundstelle(n):
DAAAI-00429