BGH Beschluss v. - 1 StR 508/18

Strafurteil: Absoluter Revisionsgrund einer Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist; Berücksichtigung früherer Auslandsverurteilungen im Rahmen der Strafzumessung und der Gesamtstrafenbildung

Gesetze: § 275 Abs 1 S 2 StPO, § 275 Abs 1 S 4 StPO, § 338 Nr 7 StPO, § 54 StGB, § 55 StGB

Instanzenzug: LG Weiden Az: 12 Js 6183/17 - 1 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung, schweren Raubes und versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

I.

2Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Verfahrensrüge gemäß § 275 Abs. 1, § 338 Nr. 7 StPO Erfolg.

3Die Revision beanstandet zu Recht, dass das am am vierten Hauptverhandlungstag verkündete Urteil erst am - und damit nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist am - zu den Akten gebracht wurde.

4An der Einhaltung der nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO geltenden Frist von sieben Wochen nach der Urteilsverkündung war das Landgericht nicht durch einen unvorhersehbaren und unabwendbaren Umstand im Sinne des § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO gehindert. Ein solcher Umstand liegt insbesondere nicht darin, dass das Urteil, wie sich aus der dienstlichen Erklärung des Berichterstatters vom ergibt (SB IV, S. 1280 ff.), am wegen erheblicher anderweitiger dienstlicher Belastung des Berichterstatters und wegen Verzögerungen bei der Verschriftung seines Diktates noch nicht fertiggestellt und unterschrieben war. Denn weder eine (auch erhebliche) Belastung der Richter mit anderen Dienstgeschäften noch andere Gründe, die sich aus der gerichtsinternen Organisation ergeben, stellen - von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen - unvorhersehbare unabwendbare Umstände i.S.d. § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO dar, die eine Fristüberschreitung rechtfertigen können (vgl. , NStZ 2003, 564 f. und vom - 4 StR 436/91, NStZ 1992, 398, 399 jeweils mwN; Beschluss vom - 1 StR 368/07, NStZ 2008, 55).

5Der aufgezeigte Mangel, der einen absoluten Revisionsgrund bildet, führt nach gesetzlicher Wertung zur Aufhebung des Urteils (vgl. , NStZ 2008, 55 mwN), so dass es auf das weitere Vorbringen der Revision nicht mehr ankommt.

II.

6Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass im Falle einer Verurteilung das Gesamtstrafübel genauer in den Blick zu nehmen sein wird, dass der Angeklagte durch die drohende Vollstreckung der in Tschechien (sechs Jahre) und in Österreich (ein Monat) verhängten Freiheitsstrafen zu erwarten hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 670/16, StraFo 2017, 375 mwN und vom - 2 StR 202/13, juris Rn. 15 mwN). Wären diese Verurteilungen durch deutsche Gerichte ergangen, wäre eine Einbeziehung der Strafen nach § 55 StGB möglich und geboten gewesen. Bei der Bemessung der hiernach zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe wäre das nach § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB zulässige Höchstmaß von 15 Jahren zu beachten gewesen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (, Rn. 26) kann im Ergebnis nicht anderes gelten, wenn es um frühere berücksichtigungsfähige Verurteilungen des Angeklagten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union geht. Denn hiernach haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass frühere in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen in gleichem Maße bei der Strafzumessung berücksichtigt werden wie nach innerstaatlichem Recht im Inland erfolgte frühere Verurteilungen (vgl. EuGH aaO). Der Rechtsprechung, nach der bei Verurteilungen in derartigen Konstellationen ein Härteausgleich nicht zu gewähren sein soll, weil für die im Ausland begangenen und abgeurteilten Taten kein Gerichtsstand in Deutschland eröffnet gewesen wäre, so dass eine Aburteilung in einem einzigen Verfahren von vornherein nicht hätte erfolgen können (vgl. ), ist durch das vorgenannte Urteil des Europäischen Gerichtshofs der Boden entzogen. Sollte eine angemessene Berücksichtigung des Gesamtstrafübels bei der Bildung der Gesamtstrafe nicht möglich sein, so wäre das Gesamtstrafübel bereits bei der Bemessung der Einzelstrafen zu berücksichtigen (, BGHSt 43, 216, 218).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:181218B1STR508.18.0

Fundstelle(n):
NJW 2019 S. 10 Nr. 10
NJW 2019 S. 1159 Nr. 16
VAAAH-12129