Kein Abzug von Kfz-Aufwendungen eines Schwerbehinderten als außergewöhnliche Belastung
Leitsatz
NV: Kfz-Aufwendungen eines außergewöhnlich gehbehinderten Steuerpflichtigen sind nicht über den Pauschbetrag in Höhe von 0,30 €/km hinaus als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG abziehbar, wenn sie die für ein Fahrzeug der Mittelklasse durchschnittlich entstehenden Aufwendungen nicht wesentlich überschreiten.
Gesetze: EStG § 33;
Instanzenzug: (EFG 2016, 1523),
Tatbestand
I.
1 Die Beteiligten streiten darum, ob Kfz-Aufwendungen, die durch eine schwere Erkrankung des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) veranlasst sind, als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen sind.
2 Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und wurden im Streitjahr (2011) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger ist seit 1983 an Multipler Sklerose erkrankt. Nachdem er bereits viele Jahre auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen war, wurde im Jahr 2005 eine hierdurch verursachte fortgeschrittene Osteoporose festgestellt. Für den Kläger war im Streitjahr ein Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen G, aG, H und RF ausgestellt. Ferner war er der Pflegestufe III i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Elften Buches Sozialgesetzbuch zugeordnet.
3 Da der Kläger für Übernachtungen außerhalb seiner Wohnung verschiedene Hilfsmittel sowie einen mobilen Lifter zum Transfer ins Bett und einen Duschtoilettenstuhl unterbringen musste, bestand im Kfz ein erheblicher Platzbedarf. Im Jahr 2007 erwarb er daher für insgesamt ... € einen Kleinbus X. Auf den behindertengerechten Umbau entfielen davon ... €. Dieser Umbau ermöglichte dem Kläger in seinem Rollstuhl sitzend den Transport. Eine solche Beförderung war die einzig mögliche.
4 Im Dezember 2010 erwarb der Kläger einen neuen Sprachcomputer als Ersatz für sein defektes altes Gerät.
5 In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt ... € geltend, darunter u.a. Kosten für behinderungsbedingte Fahrten in der vom Kläger errechneten tatsächlichen Höhe von 0,77 €/km, anteilige Kosten für den behindertengerechten Umbau des Kleinbus X sowie ein Viertel der Kosten für die Anschaffung des Sprachcomputers. Seit 2007 hatten sie die Umbaukosten für das Fahrzeug nicht gesondert, sondern als Teil der Absetzung für Abnutzung bei der Ermittlung der behinderungsbedingten Fahrtkosten berücksichtigt. Das hatte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) nicht beanstandet.
6 Im streitigen Einkommensteuerbescheid vom blieben die geltend gemachten Aufwendungen für den Sprachcomputer und den Fahrzeugumbau unberücksichtigt. Die Aufwendungen für die Fahrten erkannte das FA nur mit 0,30 € pro gefahrenen km an.
7 Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies. Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) berücksichtigte die Fahrtkosten in der von den Klägern erklärten Höhe als außergewöhnliche Belastungen. Im Übrigen wies es die Klage ab.
8 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
9 Das FA beantragt,
das Urteil des Hessischen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10 Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Gründe
II.
11 Die Revision des FA ist überwiegend begründet. Das FG hat zu Unrecht die Fahrtkosten des Klägers über den vom FA angesetzten Betrag hinaus als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Die bislang vom FA berücksichtigte zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG ist allerdings entsprechend den Ausführungen im Urteil des erkennenden Senats vom VI R 75/14 (BFHE 256, 339, BStBl II 2017, 684) zu berechnen und lediglich mit 2.241 € anzusetzen.
12 1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
13 Nach ständiger Rechtsprechung können außergewöhnlich gehbehinderte (Merkzeichen aG) Steuerpflichtige neben den Pauschbeträgen für Behinderte auch die Kfz-Aufwendungen für Privatfahrten in angemessenem Rahmen als außergewöhnliche Belastungen geltend machen. Angemessen i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG sind Aufwendungen für Fahrten bis zu 15 000 km im Jahr bis zur Höhe der Kilometerpauschbeträge, die in den Einkommensteuer-Richtlinien und Lohnsteuer-Richtlinien für den Abzug von Kfz-Kosten als Werbungskosten oder Betriebsausgaben festgelegt sind (, BFHE 182, 44, BStBl II 1997, 384; vom III R 40/99, BFHE 197, 462, BStBl II 2002, 224; vom III R 31/03, BFHE 205, 74, BStBl II 2004, 453, und vom III R 105/06, BFH/NV 2008, 1141; Senatsbeschlüsse vom VI B 52/10, BFH/NV 2011, 253, und vom VI R 60/14, BFH/NV 2017, 571). Damit sind sämtliche Aufwendungen eines Behinderten für Fahrten, die der allgemeinen Lebensführung einschließlich Freizeit- und Erholungszwecken dienen, abgegolten (, BFHE 207, 237, BStBl II 2010, 1048, sowie BFH-Beschlüsse vom III B 171/03, BFH/NV 2004, 1404, und in BFH/NV 2017, 571).
14 Die Rechtsprechung des BFH hat es allerdings nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass ein Steuerpflichtiger, statt sich auf diese Pauschsätze und die ihnen zugrunde liegende Schätzung zu berufen, die außergewöhnliche Belastung durch Einzelnachweis konkret belegen kann. So wird in sog. „krassen Ausnahmefällen“ (vgl. , BFHE 197, 455, BStBl II 2002, 198; Senatsbeschluss in BFH/NV 2017, 571) ein höherer Abzug erwogen, beispielsweise wenn der Behinderte wegen der Art seiner Behinderung auf ein besonderes Fahrzeug angewiesen ist, für das überdurchschnittlich hohe Aufwendungen anfallen, oder er sein Fahrzeug in außergewöhnlich geringem Umfang nutzt, so dass er pro gefahrenem Kilometer relativ hohe Aufwendungen zu tragen hat (BFH-Urteile in BFHE 182, 44, BStBl II 1997, 384; vom III R 95/96, BFH/NV 1998, 1072; in BFHE 205, 74, BStBl II 2004, 453, und in BFHE 197, 462, BStBl II 2002, 224; Senatsbeschluss in BFH/NV 2017, 571).
15 2. Die Rechtsansicht des FG, im Streitfall liege ein sog. krasser Ausnahmefall vor, verstößt gegen § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG. Die vom Kläger geltend gemachten tatsächlichen Kfz-Aufwendungen übersteigen den angemessenen Betrag i.S. dieser Vorschrift.
16 Zwar ist der Kläger durch seine Erkrankungen außergewöhnlich stark behindert und deshalb auf ein besonders ausgestaltetes Fahrzeug angewiesen. Das im Streitfall gewählte Kfz verursacht indes nicht derart überdurchschnittliche Aufwendungen, dass sie durch die Anwendung der Pauschsätze nicht in sachgerechter Weise abgegolten wären.
17 Zutreffend wurden der Berechnung der Aufwendungen pro gefahrenen Kilometer die Anschaffungskosten des Fahrzeugs ohne Berücksichtigung der Aufwendungen für den behindertengerechten Umbau zugrunde gelegt. Denn diese sind nach dem Senatsurteil vom VI R 7/09 (BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280) nicht auf die Nutzungsdauer des Kfz zu verteilen, sondern im Veranlagungszeitraum der Zahlung als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG abziehbar. Die so ermittelten Kosten in Höhe von 0,7764 € pro gefahrenem Kilometer begründen indes keinen „krassen Ausnahmefall“, der ein Abweichen von den Pauschsätzen rechtfertigen würde. Sie liegen nicht wesentlich über den durchschnittlichen Fahrzeugkosten von Fahrzeugen der Mittelklasse, die nicht die besonderen Eigenschaften des vom Kläger wegen seiner Behinderung verwendeten Modells aufweisen. So entstanden z.B. nach Berechnungen von Schwacke für ein Fahrzeug der Mittelklasse im Streitjahr bei einer vierjährigen Haltedauer und einer jährlichen Fahrleistung von 15 000 km Kosten von etwa 0,60 €/km (z.B. Mercedes Benz C 220 CDI DPF BlueEFFICIENCY, 170 PS, Diesel, Neupreis ca. 38.990 €: 0,6028 €/km; Citroen C 5 Tourer THP 155, 156 PS, Benzin, Neupreis ca. 32.000 €: 0,6350 €/km).
18 3. Die Sache ist spruchreif. Die weiteren von den Klägern im finanzgerichtlichen Verfahren als außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Aufwendungen hat das FG zu Recht nicht anerkannt.
19 Insbesondere hat das FG zutreffend ausgeführt, dass im Streitjahr anteilige Aufwendungen für den Kfz-Umbau und den Sprachcomputer entsprechend den Grundsätzen des Senatsurteils in BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280 nicht zu berücksichtigen sind und dem auch nicht der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegensteht (s. , BFHE 132, 41, BStBl II 1981, 161, und vom V R 55/99, BFHE 193, 156, BStBl II 2001, 426).
20 4. Die Berechnung der Steuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
21 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2018:U.211118.VIR28.16.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2019 S. 265 Nr. 4
DStRE 2019 S. 1129 Nr. 18
EStB 2019 S. 137 Nr. 4
HFR 2019 S. 278 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 8/2019 S. 467
GAAAH-07349