BGH Urteil v. - 2 StR 14/18

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei Sprachunkundigkeit eines Ausländers

Gesetze: § 64 StGB, § 73 StGB

Instanzenzug: LG Gießen Az: 2 KLs 401 Js 28842/17

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, versuchten Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Wohnungseinbruchdiebstahls in drei Fällen, gefährlicher Körperverletzung und Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und die Einziehung von Wertersatz - berichtigt durch in Höhe von 111.350 € angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechts-mittel hat den aus dem Urteilstenor ersichtlichen geringen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

21. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

3Der Angeklagte reiste erstmals im Februar/März 2016 nach Deutschland ein; der deutschen Sprache ist er „kaum mächtig“. Er entschloss sich, seinen Lebensunterhalt in Deutschland mit der Begehung von Straftaten zu verdienen.

4Im April 2016 brachen der Angeklagte und ein unbekannter Mittäter in ein in B.   gelegenes Wohnhaus ein und entwendeten Bargeld und Gegenstände im Wert von 3.000 € (Fall II. 1. der Urteilsgründe).

5Im September 2016 hebelte der Angeklagte in G.    die Terrassentür eines Wohnhauses auf und entwendete aus den Räumlichkeiten u.a. Schmuck im Wert von 3.900 € (Fall II. 2. der Urteilsgründe).

6Einen Monat später überfiel der Angeklagte, der sich zuvor mit einer Flasche Wodka Mut angetrunken hatte, einen Juwelierladen in G.   . Er packte den Ladeninhaber unvermittelt von hinten an den Hals und nahm ihn in den Würgegriff. Sodann versetzte der Angeklagte, der mehrere Jahre erfolgreich Boxsport betrieben hatte, dem Geschädigten mehrere schwere Fausthiebe in das Gesicht; dieser ging daraufhin zu Boden. Auf den auf dem Boden Liegenden schlug der Angeklagte abwechselnd wuchtig mit den Fäusten gegen das Gesicht und den Kinn- und Halsbereich, so dass jener wiederholt das Bewusstsein verlor. Der Angeklagte erbeutete Schmuck im Wert von 95.300 €. Der Geschädigte erlitt aufgrund von mindestens 18 schweren Fausthieben u.a. eine Nasenbeinfraktur und weitere schwerwiegende Verletzungen am Kopf; auf dem linken Ohr ist seine Hörleistung nur noch minimal vorhanden (Fall II. 3. der Urteilsgründe).

7Im Februar 2017 hebelte der Angeklagte in G.    die Terrassentür eines Wohnhauses auf und entwendete Schmuck und Münzen im Gesamtwert von 9.000 € (Fall II. 4. der Urteilsgründe).

8Im April 2017 überfielen der Angeklagte und ein unbekannter Mittäter eine Tankstelle in G.   . Der Angeklagte nahm den dort tätigen Mitarbeiter in den Würgegriff, während der unbekannte Mittäter mehrmals mit seinen Fäusten in das Gesicht und gegen den Kiefer des Geschädigten schlug. Als sie ein Fahrzeug auf dem Tankstellengelände bemerkten, verließen sie den Tatort ohne Beute (Fall II. 5. der Urteilsgründe).

9Einen Monat später ließen sich der Angeklagte und ein unbekannter Mittäter mit einem Taxi von F.     nach G.    fahren. Sie beabsichtigten, das Entgelt nach der Ankunft in G.    nicht zu entrichten; der Angeklagte verfügte zudem nicht über die erforderlichen Barmittel. Nach der Ankunft in G.    stieg der Angeklagte aus dem Taxi und fiel aufgrund seiner erheblichen Alkoholisierung zu Boden. Als der Taxifahrer dem Angeklagten helfen wollte, sprühte dieser ihm mit einem Reizstoffsprühgerät in das Gesicht. Der Angeklagte und der unbekannte Mittäter entfernten sich, ohne das Beförderungsentgelt zu bezahlen (Fälle II. 6. und II. 7. der Urteilsgründe).

102. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Lediglich die Einziehungsentscheidung ist klarzustellen.

11Bei seiner Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen, die sich gemäß Art. 316h Satz 1 EGStGB nach den durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom (BGBl. I 872) eingeführten und am in Kraft getretenen neuen Regelungen der §§ 73 ff. StGB richtet, hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht, dass mehrere Tatbeteiligte, die - wie hier der Angeklagte und sein unbekannter Mittäter in den Fällen II. 1. und II. 6. der Urteilsgründe - aus einer rechtswidrigen Tat etwas erlangt haben, als Gesamtschuldner haften (vgl. , BGHSt 56, 39, 46 f.; Beschlüsse vom - 4 StR 137/12, NStZ 2013, 401 und vom - 3 StR 517/15, NStZ 2016, 412, 413; Senat, Beschluss vom - 2 StR 12/18, juris Rn. 2).

12Der Kennzeichnung der Haftung als gesamtschuldnerisch im Urteilstenor bedarf es auch nach neuem Recht (st. Rspr.; vgl. , juris Rn. 3; Senat, Beschluss vom - 2 StR 12/18, juris Rn. 2; zu § 73a StGB aF , wistra 2012, 147 mwN). Damit wird ermöglicht, dass den Beteiligten das aus der Tat Erlangte entzogen wird, aber zugleich verhindert, dass dies mehrfach erfolgt (vgl. zur früheren Verfallsregelung der §§ 73, 73a StGB , BGHSt 56, 39, 46 ff. mwN; Beschlüsse vom - 1 StR 281/02, NStZ 2003, 198, 199 und vom - 3 StR 129/11, StraFo 2011, 413, 414). Die anteilige gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten hat der Senat im Tenor klargestellt; hierfür ist die Angabe eines Namens des jeweiligen Gesamtschuldners nicht erforderlich (vgl. ).

133. Soweit das Landgericht von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB abgesehen hat, hält auch diese Entscheidung rechtlicher Nachprüfung stand.

14a) Die Strafkammer hat, dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, beim Angeklagten einen langjährigen Alkoholmissbrauch festgestellt und einen Hang im Sinne des § 64 StGB sowie zumindest in den Fällen II. 3. und II. 7. der Urteilsgründe einen symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und jenen Taten bejaht. Es hat auch prognostiziert, dass der Angeklagte zukünftig infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde.

15Es hat von der Maßregelanordnung indessen abgesehen, weil es an einer hinreichend konkreten Aussicht auf einen Behandlungserfolg im Sinne von § 64 Satz 2 StGB fehle. Angesichts der nur rudimentären Beherrschung der deutschen Sprache sei die Unterbringungsmaßnahme aussichtslos, weil Selbst-reflektion und Therapiegespräche nicht möglich seien.

16b) Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erweist sich als nicht rechtsfehlerhaft. Das sachverständig beratene Landgericht hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die Aussicht auf einen hinreichend konkreten Therapieerfolg verneint.

17aa) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht allerdings Übereinstimmung dahin, dass es auch nach der Umgestaltung von § 64 StGB zur Soll-Vorschrift durch die Gesetzesnovelle vom (BGBl. I 1327) im Grundsatz dabei verbleiben soll, dass die Sprachunkundigkeit eines Ausländers nicht ohne Weiteres allein ein Grund für einen Verzicht auf seine Unterbringung sein kann (vgl. nur , StV 2012, 281, 282; Senat, Beschluss vom - 2 StR 436/13, StV 2014, 545; , BGHR StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 4, jeweils unter Bezugnahme auf den Bericht und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/5137, S. 10). So genügt es regelmäßig für eine erfolgversprechende Maßregelanordnung, wenn der Betreffende zumindest über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügt (, NStZ-RR 2002, 7).

18Hingegen muss nicht gegen jeden Sprachunkundigen eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet werden, insbesondere wenn eine therapeutisch sinnvolle Kommunikation mit ihm absehbar nur schwer oder gar nicht möglich sein wird (BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 472/08, BGHR StGB § 64 Nichtanordnung 2 und vom - 5 StR 255/11, StV 2012, 281, 282; Senat, Beschluss vom - 2 StR 436/13, StV 2014, 545; , BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 9). Bei weitgehender Sprachunkundigkeit wird die Annahme fehlender Erfolgsaussicht nahe liegen (vgl. , BGHR StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 1). Im Übrigen beabsichtigte der Gesetzgeber mit der Umgestaltung von § 64 StGB zu einer Soll-Vorschrift auch die Schonung der Behandlungskapazitäten, die bis dahin durch eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von in Anbetracht des Heilungszwecks weniger geeigneten Personen blockiert wurden (vgl. , StV 2008, 138). Deshalb sollte nach dem Willen des Gesetzgebers ein Absehen von der Maßregelanordnung insbesondere bei ausreisepflichtigen Ausländern ermöglicht werden, bei denen infolge erheblicher sprachlicher Verständigungsprobleme eine erfolgversprechende Therapie kaum vorstellbar ist (BT-Drucks. aaO).

19Der Tatrichter hat anhand dieser Kriterien die für seine Entscheidung maßgeblichen Umstände im Urteil für das Revisionsgericht nachprüfbar darzulegen (, BGHR StGB § 64 Nichtanordnung 2; Senat, Beschluss vom - 2 StR 436/13, StV 2014, 545; , BGHR StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 4).

20bb) Diesen vorgenannten Maßstäben wird die angefochtene Entscheidung gerecht.

21Die Feststellungen des Landgerichts bieten ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme, die Ausgangsbedingungen für eine Therapie des Angeklagten im Maßregelvollzug seien wegen der fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sehr ungünstig und erforderten daher einen nicht zu leistenden Aufwand.

22Der Angeklagte ist in Litauen aufgewachsen, hat dort mit Ehefrau und dem gemeinsamen kleinen Sohn seinen Lebensmittelpunkt, hat keine Berufsausbildung absolviert und in seinem Heimatland zudem bereits zwei Freiheitsstrafen von insgesamt etwa vier Jahren verbüßt. Er ist erstmals im Februar/März 2016 - unmittelbar vor den von ihm begangenen Straftaten, mit denen er seinen Lebensunterhalt bestreiten wollte, - in die Bundesrepublik eingereist. Er ist der deutschen Sprache kaum mächtig; durchgehend musste - selbst für einfache Fragen - eine Sprachmittlung sowohl bei der Exploration durch den Sachverständigen wie auch in der Hauptverhandlung durch einen Dolmetscher stattfinden.

23Soweit der Generalbundesanwalt zu Bedenken gibt, die Strafkammer hätte erwägen müssen, dass der Angeklagte zumindest grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache während der Dauer des Vorwegvollzugs erwerben könnte (vgl. auch Senat, Beschluss vom - 2 StR 436/13, StV 2014, 545), ist nicht zu besorgen, dass das Landgericht den von ihm anzuwendenden Prüfungsmaßstab verkannt hat.

24Dass der Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig ist, als litauischer Staatsangehöriger mit ständigem Wohnsitz im Ausland über keinerlei soziale Bindungen in Deutschland verfügt, sich hier lediglich vorübergehend mit dem ausschließlichen Ziel aufhielt, Straftaten zu begehen, hat das Landgericht erkennbar im Blick gehabt. Dass der Angeklagte grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache während der Dauer des Vorwegvollzugs erwerben könnte, ist hier fern liegend und bedurfte deswegen keiner ausdrücklichen Erörterung. Dafür spricht auch, dass der Angeklagte zwar in der - zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils bereits fünf Monate andauernden - Untersuchungshaft mit einem Deutschkurs begonnen hat, gleichwohl aber nach wie vor jegliche Verständigung - auch mit dem Sachverständigen während seiner Exploration - nur mit Hilfe eines Dolmetschers möglich war. Hinzu kommt, dass dem Angeklagten gemäß § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG die Ausweisung droht.

25Nach alledem ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht hier von der Anordnung der Unterbringung abgesehen hat.

264. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO. Angesichts des nur geringfügigen Teilerfolgs zur Einziehungsentscheidung ist es nicht unbillig, dem Angeklagten die Kosten ungeschmälert aufzuerlegen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:250418U2STR14.18.0

Fundstelle(n):
JAAAH-02400