BAG Urteil v. - 6 AZR 232/17 (A)

Stufenzuordnung gem. § 16 TV-L - Arbeitnehmerfreizügigkeit

Leitsatz

Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um die Beantwortung der folgenden Frage ersucht:

Sind Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union dahingehend auszulegen, dass sie einer Regelung wie der in § 16 Abs. 2 TV-L getroffenen entgegenstehen, wonach die bei dem bisherigen Arbeitgeber erworbene einschlägige Berufserfahrung bei der Zuordnung zu den Stufen eines tariflichen Entgeltsystems nach der Wiedereinstellung privilegiert wird, indem diese Berufserfahrung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L uneingeschränkt anerkannt wird, während die bei anderen Arbeitgebern erworbene einschlägige Berufserfahrung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L nur mit höchstens drei Jahren berücksichtigt wird, wenn diese Privilegierung durch Paragraph 4 Nr. 4 der am geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge enthalten ist, unionsrechtlich geboten ist?

Gesetze: Anh Rahmenvereinbarung § 4 Nr 4 EGRL 70/99, Art 45 Abs 2 AEUV, Art 7 Abs 1 EUV 492/2011, § 16 Abs 2 S 2 TV-L, § 16 Abs 2 S 3 TV-L, Art 267 AEUV, Art 3 Abs 1 GG

Instanzenzug: ArbG Lüneburg Az: 4 Ca 150/15 E Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 4 Sa 86/16 E Urteilnachgehend Az: C-710/18nachgehend Az: 6 AZR 232/17 Urteil

Gründe

1Die Parteien des Ausgangsverfahrens streiten über die Berücksichtigung von Zeiten einschlägiger Berufserfahrung aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bei der Stufenzuordnung im Entgeltsystem des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom . Dieser Tarifvertrag regelt die Arbeitsbedingungen der bei einem deutschen Bundesland beschäftigten Arbeitnehmer.

2A. Rechtlicher Rahmen

3I. Das maßgebliche Tarifrecht

4Die bei der Einstellung der Klägerin vorzunehmende Stufenzuordnung richtet sich nach dem TV-L in der zum Zeitpunkt der Einstellung am geltenden Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 7 vom . Die maßgeblichen Regelungen lauten auszugsweise wie folgt (Hervorhebungen durch den vorlegenden Senat):

5II. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz

6Das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz - TzBfG) vom (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 1966), zuletzt geändert durch Gesetz vom (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 2854), dient der Umsetzung der am geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Rahmenvereinbarung), die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge enthalten ist. Das Gesetz lautet auszugsweise:

7B. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

8Die Klägerin war von 1997 bis 2014 ununterbrochen in Frankreich an verschiedenen Collèges-Lycée in den Klassen sechs bis zwölf als Lehrerin tätig. Weniger als sechs Monate nach dem Ende dieser Tätigkeit trat die Klägerin zum als Lehrerin in den Schuldienst des beklagten Landes ein. Im Arbeitsvertrag ist vereinbart, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der TV-L in seiner jeweils aktuellen Fassung anzuwenden ist. Das beklagte Land erkannte die in Frankreich erworbene Berufserfahrung als einschlägig an. Die Klägerin erhielt darum ab dem Tag ihrer Einstellung Entgelt nach der Stufe 3 der Entgeltgruppe 11 TV-L und stieg im September 2017 regulär in die Stufe 4 dieser Entgeltgruppe auf. Mit Schreiben vom bat sie um Überprüfung ihrer Stufenzuordnung und beanspruchte Entgelt nach der Stufe 5 der Entgelttabelle bereits ab dem Tag ihrer Einstellung. Dies lehnte das beklagte Land ab.

9Die Klägerin hat im Ausgangsverfahren geltend gemacht, die Privilegierung der beim selben Arbeitgeber erworbenen einschlägigen Berufserfahrung bei der Stufenzuordnung in § 16 Abs. 2 TV-L verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes und die unmittelbar wirkenden unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeitsbestimmungen in Art. 45 AEUV sowie Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (im Folgenden VO (EU) Nr. 492/2011). Daher will die Klägerin die Verpflichtung des beklagten Landes festgestellt wissen, ihr rückwirkend ab dem Tag ihrer Einstellung Entgelt nach Stufe 5 der Entgeltgruppe 11 TV-L nebst Zinsen zu gewähren.

10Das beklagte Land hat die Ansicht vertreten, die in § 16 Abs. 2 TV-L enthaltene, auf der Staatsangehörigkeit beruhende mittelbare Diskriminierung sei gerechtfertigt. Die Regelung bezwecke in zulässiger Weise, den Besitzstand insbesondere zuvor beim selben Arbeitgeber befristet Beschäftigter zu wahren.

11Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

12C. Prinzipien der Stufenzuordnung nach dem TV-L

13I. Nach den Bestimmungen des TV-L erhalten die Beschäftigten monatlich ein Tabellenentgelt. Dessen Höhe bestimmt sich nach der Entgeltgruppe, in die sie eingruppiert sind, und nach der für sie geltenden Stufe ihrer Entgeltgruppe (§ 12 Abs. 1 Satz 2, § 16 Abs. 1 TV-L). Nach den in § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L aufgeführten Zeiten steigen die Beschäftigten regulär in die nächste Stufe auf. Damit soll die gewonnene Berufserfahrung honoriert werden. Die Tarifvertragsparteien sind im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs ( - [Cadman] Rn. 34 f.) davon ausgegangen, dass die Beschäftigten durch die Ausübung der ihnen übertragenen Tätigkeit laufend Kenntnisse und Erfahrungen sammeln, die die Arbeitsqualität und -quantität verbessern ( - Rn. 35, BAGE 137, 80). Dementsprechend wird nach dem in § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L festgelegten Grundgedanken nur die Zeit der ununterbrochenen Tätigkeit in ein und derselben Entgeltgruppe bei ein und demselben Arbeitgeber - ausgehend von der Stufe 1 - berücksichtigt.

14II. Sonderregelungen für die Stufenzuordnung bei der Einstellung trifft § 16 Abs. 2 TV-L. Entsprechend dem Grundgedanken der Stufenzuordnung werden neu eingestellte Beschäftigte, zu denen auch Arbeitnehmer gehören, die nach dem Ende ihrer Tätigkeit für ein Bundesland von diesem wieder eingestellt werden, gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-L in der Regel der Stufe 1 zugeordnet. Dieser Grundgedanke wird durchbrochen, wenn Beschäftigte bei ihrer Einstellung bereits eine für die neue Tätigkeit einschlägige Berufserfahrung besitzen. Das ist nach der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L der Fall, wenn sie eine berufliche Erfahrung in der übertragenen Tätigkeit oder in einer der neuen Aufgabe entsprechenden Tätigkeit besitzen. Die Tarifvertragsparteien gehen davon aus, dass sich solche Beschäftigten schneller einarbeiten und ein höheres Leistungsvermögen aufweisen. Das honorieren sie mit einer Zuordnung zu einer höheren Stufe als der Stufe 1 (vergleiche  - Rn. 24, BAGE 148, 1).

15III. Innerhalb der Gruppe der neu eingestellten Beschäftigten differenzieren die Tarifvertragsparteien zwischen solchen Beschäftigten, die schon zuvor bei demselben Bundesland beschäftigt waren, und Beschäftigten, die von einem anderen Arbeitgeber zu einem Bundesland wechseln. Dabei werden die schon vorher bei demselben Land Beschäftigten bei einer Wiedereinstellung privilegiert. Zu dieser Differenzierung sind die Tarifvertragsparteien nach dem im nationalen Recht geltenden Grundsatz der Tarifautonomie, der durch Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes als der nationalen Verfassung garantiert ist, befugt (hierzu nachfolgend Rn. 25).

161. § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L sieht eine Stufenzuordnung unter vollständiger Anrechnung der Zeiten einschlägiger Berufserfahrung aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber, dh. zum selben Bundesland, vor. Ist diese ausreichend lange, kann darum sofort bei der Einstellung eine Zuordnung zu den Stufen 4 oder 5 erfolgen. Ein vorheriges Arbeitsverhältnis im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L besteht allerdings nur, wenn zwischen dessen Ende und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses ein Zeitraum von nicht mehr als sechs Monaten liegt (Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L). Bei einer längeren Unterbrechung gehen die Tarifvertragsparteien von einer „schädlichen Unterbrechung“ aus. Der Beschäftigte wird dann ungeachtet der erworbenen Berufserfahrung der Stufe 1 seiner Entgeltgruppe zugeordnet. Das steht im Einklang mit innerstaatlichem Recht (vergleiche  - Rn. 30). Bei Lehrkräften an allgemein bildenden Schulen und Berufsschulen werden für ab neu zu begründende Arbeitsverhältnisse Zeiten einschlägiger Berufserfahrung aus mehreren Arbeitsverhältnissen zum selben Arbeitgeber zuzüglich der Zeiten des Referendariats oder Vorbereitungsdienstes zusammengerechnet, wobei die Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L unberührt bleibt (§ 44 Nr. 2a TV-L). Diese Vorschrift hat für das Ausgangsverfahren keine Bedeutung. Die Parteien streiten nicht über die Berücksichtigung der Zeiten eines Referendariats.

172. Ist die einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, erfolgt die Einstellung in Stufe 2, beziehungsweise - bei Einstellung nach dem und Vorliegen einschlägiger Berufserfahrung von mindestens drei Jahren - in Stufe 3 (§ 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L). Eine Zuordnung zu einer höheren Stufe ist auch dann nicht möglich, wenn eine Arbeitnehmerin wie die Klägerin deutlich mehr als drei Jahre einschlägige Berufserfahrung aufweist. Satz 3 findet nach der Rechtsprechung des vorlegenden Senats dabei nur Anwendung, wenn bis zur Einstellung nur Unterbrechungen von jeweils nicht mehr als sechs Monaten eingetreten sind. Der tariflich ungeregelte Fall einer schädlichen Unterbrechung im Rahmen des § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L verlangt nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge wie der in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L tariflich geregelte Fall. Darum ist die Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L auch auf Einstellungen nach § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L anzuwenden ( - Rn. 24; - 6 AZR 1088/12 - Rn. 24).

18Auch bei Beschäftigten, die von einem anderen Arbeitgeber zu einem Bundesland wechseln, eröffnet § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L dem Land eine tarifkonforme Möglichkeit, bei der Einstellung eine Stufenzuordnung zu einer höheren Stufe als der Stufe 3 vorzunehmen, wenn die Einstellung zur Personaldeckung erfolgt und die vorhandene Erfahrung zumindest förderlich für die neue Tätigkeit ist. Insoweit kommt dem Arbeitgeber ein Ermessen zu. Von dieser Möglichkeit hat das beklagte Land im Fall der Klägerin keinen Gebrauch gemacht.

19D. Entscheidungserheblichkeit und Erläuterung der Vorlagefrage

20I. In Anwendung der dargestellten tariflichen Regelungen war die Klägerin mit Beginn ihres Arbeitsverhältnisses zum beklagten Land am der Stufe 3 der Entgelttabelle zuzuordnen. Das hat das beklagte Land getan.

211. Die Stufenzuordnung der Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Einstellung erfolgt nicht nach § 16 Abs. 2 Satz 2, § 44 Nr. 2a Ziffer 1 TV-L in die Entgeltstufe 5.

22a) Zwar hat die Klägerin Berufserfahrung im Umfang von mehr als zehn Jahren aufgrund ihrer Tätigkeit in Arbeitsverhältnissen als Lehrerin an verschiedenen Collèges-Lycée in Frankreich von 1997 bis 2014 erworben. Dabei handelt es sich um einschlägige Berufserfahrung im Sinne der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig und so vom Landesarbeitsgericht für den Senat bindend festgestellt (§ 559 der Zivilprozessordnung).

23b) Die Klägerin hat die Zeiten einschlägiger Berufserfahrung jedoch nicht in einem oder mehreren vorherigen Arbeitsverhältnissen zum beklagten Land als demselben Arbeitgeber erworben. Sie ist am erstmals in dessen Dienste getreten.

242. Die Stufenzuordnung der Klägerin zum erfolgt darum nach § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L unter nur eingeschränkter Berücksichtigung ihrer bei einem anderen Arbeitgeber erworbenen einschlägigen Berufserfahrung. Danach ist die Klägerin der Stufe 3 der Entgelttabelle zuzuordnen. Sie hat einschlägige Berufserfahrung (hierzu vorstehend Rn. 22) von mindestens drei Jahren aus einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber vorzuweisen. Die Voraussetzungen der auch bei 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L anzuwendenden Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L sind erfüllt. Die Klägerin war von 1997 bis 2014 ununterbrochen in Frankreich als Lehrerin tätig. Nach einer Unterbrechung von nicht mehr als sechs Monaten trat sie am in die Dienste des beklagten Landes ein.

25II. § 16 Abs. 2 TV-L verstößt nach der Rechtsprechung des vorlegenden Senats nicht gegen innerstaatliches Recht. Die Differenzierung in den Sätzen 2 und 3 dieser Tarifnorm zwischen Arbeitnehmern, die ein neues Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber nach einer gemäß der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L unschädlichen Unterbrechung begründen, und den Arbeitnehmern, die wie die Klägerin ohne schädliche Unterbrechung von einem anderen Arbeitgeber in ein Arbeitsverhältnis zum beklagten Land gewechselt sind, ist nach der Rechtsprechung des Senats mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar, unter anderem deshalb, weil so dem Verbot der Diskriminierung befristet Beschäftigter Rechnung getragen wird (vergleiche  - Rn. 25 ff.; - 6 AZR 180/09 - Rn. 13 ff., BAGE 135, 313).

26III. Die Klägerin könnte nach Auffassung des vorlegenden Senats gleichwohl einen Anspruch auf Zuordnung zur Stufe 5 der Entgelttabelle ab gemäß § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L haben, wenn die dadurch beschränkte Anrechnung einschlägiger Berufserfahrungszeiten Unionsrecht verletzte. Das wäre der Fall, wenn die dargestellte Differenzierung in § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L gegen Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 verstieße, weil sie die Arbeitnehmerfreizügigkeit der Klägerin ungerechtfertigt beschränkte. Ein solcher Verstoß hätte nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Folge, dass die in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen einschlägigen Berufserfahrungszeiten aus vorherigen Arbeitsverhältnissen in gleichem Maße wie einschlägige Berufserfahrungszeiten aus vorherigen Arbeitsverhältnissen beim selben Arbeitgeber nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L und damit uneingeschränkt zu berücksichtigen wären ( - [Schöning-Kougebetopoulou] Rn. 31 ff.; ebenso im Fall einer Altersdiskriminierung  - [Starjakob] Rn. 46 f.).

271. Die Regelungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit sind auf die Klägerin persönlich anwendbar.

28a) Sie ist Arbeitnehmerin im Sinne des autonom zu bestimmenden und nicht eng auszulegenden Arbeitnehmerbegriffs in Art. 45 AEUV. Als angestellte Lehrerin erbringt sie während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vergleiche zum Beispiel  - [Haralambidis] Rn. 27 f.; - C-544/11 - [Petersen] Rn. 30;  - Rn. 54).

29b) Die Klägerin ist nicht in der öffentlichen Verwaltung im Sinne der eng auszulegenden Ausnahmeregelung des Art. 45 Abs. 4 AEUV beschäftigt. Diese Regelung erfasst nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 45 Abs. 4 AEUV beziehungsweise seiner Vorgängerregelungen in Art. 48 Abs. 4 und Art. 39 Abs. 4 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) Lehrkräfte nicht (vergleiche  - [Bleis] Rn. 7; - C-195/98 - [Österreichischer Gewerkschaftsbund] Rn. 36; - C-178/04 - [Marhold] Rn. 22). Ohnehin kann Art. 45 Abs. 4 AEUV nicht mehr herangezogen werden, um eine unterschiedliche Behandlung bei der Entlohnung zu rechtfertigen, wenn ein Mitgliedstaat wie im Fall der Klägerin Arbeitnehmer, die sich auf das Gebot der Freizügigkeit berufen können, für seine öffentliche Verwaltung eingestellt hat (vergleiche  - [Österreichischer Gewerkschaftsbund] Rn. 37). Dem steht die Entscheidung des - 2 BvR 1738/12, 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 646/15 -) nicht entgegen. Diese betrifft nur die Einordnung beamteter Lehrerinnen und Lehrer als Angehörige der Staatsverwaltung im Sinne des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (, 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 646/15 - Rn. 184 ff.).

302. Der sachliche Anwendungsbereich des Art. 45 Abs. 2 AEUV und des ihn ausformenden Art. 7 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 ist eröffnet.

31a) Die Zuordnung des Beschäftigten zu einer Stufe der Entgelttabelle unter Berücksichtigung einschlägiger Berufserfahrung, die in vorherigen Arbeitsverhältnissen zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden ist, fällt als ein das Arbeitsentgelt des Beschäftigten berührender Umstand in den sachlichen Geltungsbereich dieser Normen. Der Anwendung von Art. 45 AEUV steht nicht entgegen, dass es sich bei § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L um eine Tarifnorm handelt. Art. 45 AEUV erstreckt sich nicht nur auf behördliche Maßnahmen, sondern auch auf Vorschriften anderer Art, die dazu dienen, unselbstständige Arbeit kollektiv zu regeln (vergleiche  - [Casteels] Rn. 19; - C-325/08 - [Olympique Lyonnais] Rn. 30).

32b) Der erforderliche Unionsbezug ist gegeben (vergleiche hierzu  - [Erzberger] Rn. 28; - C-20/16 - [Bechtel] Rn. 32; - C-298/14 - [Brouillard] Rn. 26; - C-256/11 - [Dereci u.a.] Rn. 60). Die Klägerin, die deutsche Staatsangehörige ist, hat Berufserfahrung in einem anderen Mitgliedstaat erworben. Sie hat mehrere Jahre in Frankreich als Lehrerin gearbeitet.

333. § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L benachteiligt nach Auffassung des vorlegenden Senats die Klägerin wegen ihrer Staatsangehörigkeit mittelbar.

34a) Art. 45 Abs. 2 AEUV verbietet jede unmittelbare und mittelbare, auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen (vergleiche  - [SALK] Rn. 25). Art. 7 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 stellt eine besondere Ausprägung des in Art. 45 Abs. 2 AEUV enthaltenen Diskriminierungsverbots auf dem speziellen Gebiet der Beschäftigungsbedingungen und der Arbeit dar. Die Verordnungsnorm ist ebenso auszulegen wie Art. 45 Abs. 2 AEUV (vergleiche  - [Depesme und Kerrou] Rn. 35;  - Rn. 19). Auch wenn eine Vorschrift des nationalen Rechts ungeachtet der Staatsangehörigkeit anwendbar ist, ist sie als mittelbar diskriminierend anzusehen, falls sie im Wesentlichen oder ganz überwiegend Wanderarbeitnehmer betrifft oder von inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfüllen ist als von Wanderarbeitnehmern ( - [O’Flynn] Rn. 18). Schließlich ist eine mittelbare Diskriminierung in Voraussetzungen zu sehen, die sich ihrem Wesen nach stärker auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken und folglich die Gefahr begründen, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligen (vergleiche  - [Larcher] Rn. 32; - C-514/12 - [SALK] Rn. 26). Dabei braucht nicht festgestellt zu werden, dass die in Rede stehende Vorschrift in der Praxis einen wesentlich größeren Anteil der Wanderarbeitnehmer betrifft. Es genügt die Feststellung, dass die betreffende Vorschrift geeignet ist, eine solche Wirkung hervorzurufen ( - [Larcher] Rn. 33; - C-237/94 - [O’Flynn] Rn. 21).

35b) Die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L, die unter anderem eine frühere Beschäftigung bei demselben Bundesland ohne schädliche Unterbrechung verlangen, können inländische Arbeitnehmer mit deutscher Staatsangehörigkeit leichter erfüllen als Arbeitnehmer deutscher oder anderer Staatsangehörigkeit, die in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt waren. Nicht erforderlich ist hierbei, dass alle Inländer begünstigt werden oder nur Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten benachteiligt werden ( - [SALK] Rn. 27, 31; anderer Ansicht wegen des Ausschlusses auch aller Inländer, die zuvor zwar bei demselben Bundesland beschäftigt waren, aber nach einer schädlichen Unterbrechung eingestellt werden  - Rn. 60 ff.).

364. Ob auch eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit als eigenständige Gewährleistung dieser Grundfreiheit dadurch vorliegt, dass § 16 Abs. 2 TV-L Arbeitnehmer davon abhalten kann, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen (in diesem Sinn  - [SALK] Rn. 29 f.), kann hier dahinstehen (dazu nachfolgend Rn. 48).

375. Eine Rechtfertigung der Privilegierung, die § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L bewirkt, wegen der bloßen Belohnung der Betriebstreue scheidet aus. Dies ist nach Auffassung des vorlegenden Senats durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinreichend sicher geklärt ( - [SALK] Rn. 38 ff.; - C-178/04 - [Marhold] Rn. 33 ff.).

386. Dagegen kann der vorlegende Senat die Frage, ob die § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L innewohnende Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch den Schutz befristet beschäftigter Arbeitnehmer gerechtfertigt ist, der wegen Paragraph 4 Nr. 4 der Rahmenvereinbarung unionsrechtlich geboten und mit der Privilegierung der bei demselben Arbeitgeber erworbenen einschlägigen Berufserfahrungszeiten nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L bezweckt ist, nicht selbst beantworten. Die Auflösung dieser Kollision zweier unionsrechtlich geschützter Rechtsgüter ist dem Gerichtshof vorbehalten.

39a) Eine Maßnahme, die geeignet ist, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu beeinträchtigen, ist nur dann zulässig, wenn mit ihr eines der im Vertrag genannten legitimen Ziele verfolgt wird oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Darüber hinaus muss in einem derartigen Fall ihre Anwendung geeignet sein, die Verwirklichung des in Rede stehenden Zieles zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist (vergleiche  - [SALK] Rn. 36). Die Sozialpartner auf nationaler Ebene verfügen, in gleicher Weise wie die Mitgliedstaaten, nicht nur bei der Entscheidung darüber, welches konkrete Ziel von mehreren im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik sie verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über ein weites Ermessen (vergleiche zu Fragen der Altersdiskriminierung:  - [Stollwitzer] Rn. 45; - C-530/13 - [Schmitzer] Rn. 38; - C-297/10 und C-298/10 - [Hennigs und Mai] Rn. 65; - C-45/09 - [Rosenbladt] Rn. 41; - C-411/05 - [Palacios de la Villa] Rn. 68). Soweit das in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union proklamierte Recht auf Kollektivverhandlungen Bestandteil des Unionsrechts ist, muss es jedoch im Rahmen der Anwendung des Unionsrechts im Einklang mit diesem ausgeübt werden ( und C-298/10 - [Hennigs und Mai] Rn. 67).

40b) § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L ist auf den Fall der Wiedereinstellung von zuvor befristet Beschäftigten zugeschnitten. Das ergibt sich aus der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L, die die Anrechnung einschlägiger Berufserfahrung nur zulässt, wenn zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einem Bundesland und der Wiedereinstellung durch dieses Land höchstens sechs Monate liegen. Derart kurze Zeiträume zwischen zwei Arbeitsverhältnissen mit demselben Arbeitgeber treten typischerweise nur bei befristeten Arbeitsverhältnissen auf. Diesen Normzweck belegen auch die von den Tarifvertragsparteien in die Niederschriftserklärung zu § 44 Nr. 2a Ziffer 1 und Ziffer 2 TV-L zur Erläuterung aufgenommenen Beispielsfälle, die sich ausschließlich auf befristet beschäftigte Arbeitnehmer beziehen. Die Privilegierung der in einem Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber erworbenen einschlägigen Berufserfahrung, wie sie im Regelungskonzept des § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L zum Ausdruck kommt, bezweckt, Arbeitnehmern bei wiederholten Befristungen, wie sie im öffentlichen Dienst verbreitet üblich sind, überhaupt die Chance zum Stufenaufstieg zu ermöglichen ( - Rn. 22; - 6 AZR 180/09 - Rn. 14 ff., BAGE 135, 313). Wegen § 4 Abs. 2 Satz 3 TzBfG sind für zuvor befristet Beschäftigte sowohl bei der Stufenzuordnung als auch bei dem Stufenaufstieg dieselben Zeiten zu berücksichtigen wie für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer (Dauerbeschäftigte). Befristet Beschäftigte dürfen bei der Berücksichtigung der in früheren befristeten Arbeitsverhältnissen mit demselben Bundesland erworbenen einschlägigen Berufserfahrung nicht gegenüber unbefristet Beschäftigten benachteiligt werden ( - Rn. 23; - 6 AZR 964/11 - Rn. 27; - 6 AZR 524/11 - Rn. 20 ff., BAGE 144, 263). Verrichten Arbeitnehmer in mehreren befristeten Arbeitsverhältnissen identische Aufgaben wie Dauerbeschäftigte, erwerben sie dieselbe Berufserfahrung (vergleiche  - Rn. 30, BAGE 144, 263). Werden zuvor befristet Beschäftigte von einem Bundesland für dieselbe oder eine gleichwertige Tätigkeit wieder eingestellt (sogenannte „horizontale Wiedereinstellung“, vergleiche  - Rn. 28, BAGE 144, 263), gebietet nach der Rechtsprechung des vorlegenden Senats § 4 Abs. 2 Satz 3 TzBfG bei der deswegen erforderlichen Stufenzuordnung die uneingeschränkte Berücksichtigung der erworbenen einschlägigen Berufserfahrung. Diese Bestimmung konkretisiert den Grundsatz der Nichtdiskriminierung in § 4 Abs. 2 Satz 1 TzBfG und stellt klar, dass unter anderem bei Entgeltansprüchen, die von zurückzulegenden Beschäftigungszeiten abhängen, für befristet Beschäftigte dieselben Zeiten wie für unbefristet Beschäftigte zu berücksichtigen sind (Deutscher Bundestag Drucksache 14/4374 Seite 16). Mit ihr wird Paragraph 4 Nr. 4 der Rahmenvereinbarung umgesetzt ( - Rn. 24, BAGE 144, 263). Diesem Gebot mussten und wollten die Tarifvertragsparteien in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L ausweislich seines Wortlauts bei der Stufenzuordnung Rechnung tragen (vergleiche  - Rn. 24; - 6 AZR 964/11 - Rn. 28). Dieses Gebot ist bei gesetzeskonformer Auslegung des § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L auch bei dem Zeitpunkt des Stufenaufstiegs berücksichtigt (vergleiche  - Rn. 35, BAGE 144, 263). Die Stufenlaufzeit beginnt darum mit der Zuordnung des Beschäftigten zu einer Stufe seiner Entgeltgruppe nach seiner Einstellung nicht neu zu laufen, wenn er zuvor bereits befristet bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war und keine schädliche Unterbrechung im Sinne der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L vorliegt. Vielmehr ist die Restlaufzeit auf die Stufenlaufzeit anzurechnen (grundlegend  - Rn. 18, BAGE 144, 263).

41c) Ob dieser mit der Privilegierung der beim selben Arbeitgeber erworbenen einschlägigen Berufserfahrung verfolgte Zweck des Schutzes befristet Beschäftigter, der seine Grundlage im Sekundärrecht der Union hat, die dargestellte Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit rechtfertigen kann, ist nach Auffassung des vorlegenden Senats unionsrechtlich nicht geklärt. Mit dem Ziel des Schutzes befristet Beschäftigter hat sich der Gerichtshof im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit bisher nicht beschäftigt. Nur im Bereich der Niederlassungsfreiheit hat er die Wahrung des Besitzstands einer Personengruppe als zwingenden Grund des Allgemeininteresses anerkannt (vergleiche in diesem Sinn  - [Kommission/Deutschland] Rn. 63, 65), wobei dieser Zweck - anders als der Bestandsschutz befristet Beschäftigter - nicht unionsrechtlich vorgegeben war. Es liegt auch kein „acte éclairé“ (vergleiche Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs) vor. Der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache SALK ( -) und den dieser vorausgehenden Entscheidungen ( - [Marhold]; - C-224/01 - [Köbler]; - C-195/98 - [Österreichischer Gewerkschaftsbund]; - C-15/96 - [Schöning-Kougebetopoulou]) lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, ob die unterbleibende Anrechnung von Berufserfahrungszeiten von Wanderarbeitnehmern durch den Schutz befristet Beschäftigter gerechtfertigt sein könnte.

42d) Durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist auch noch nicht hinreichend geklärt, welchen Einfluss eine Verschränkung von primärrechtlich geregelten Grundfreiheiten und sekundärrechtlichen Geboten wie dem durch die Rahmenvereinbarung gebotenen Schutz befristet Beschäftigter, wie sie im vorliegenden Fall gegeben ist, auf die Rechtfertigung eines Eingriffs in eine Grundfreiheit wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit hat.

43aa) Der Gerichtshof hat allerdings angenommen, dass es keine durch Art. 30 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) untersagte Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels darstellt, wenn eine nationale Regelung einen Importeur verpflichtet, für ein Arzneimittel im Sinne des Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten eine Verkehrsgenehmigung einzuholen, wie es Art. 3 dieser Richtlinie gebietet ( - [Kommission/Deutschland] Rn. 50). Des Weiteren hat er entschieden, dass Bestimmungen des nationalen Rechts, die im Einklang mit der Elften Richtlinie 89/666/EWG des Rates vom über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, stehen, nicht als Behinderung der Niederlassungsfreiheit angesehen werden können ( - [Inspire Art] Rn. 58). Außerdem hat der Gerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass Betroffene den Umfang der ihnen durch das Unionsrecht auferlegten Verpflichtungen eindeutig erkennen und sich darauf einstellen können müssen. Darum hat er angenommen, dass Vorschriften des nationalen Rechts, die sich auf eine Erlaubnis stützen können, die im Sekundärrecht vorgesehen ist, wirksam sind und dem Mitgliedstaat nicht vorgeworfen werden kann, durch solche Vorschriften gegen Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag zu verstoßen ( - [Kommission/Vereinigtes Königreich] Rn. 47 f.; - C-475/01 - [Kommission/Griechenland] Rn. 24).

44bb) Der Gerichtshof hat jedoch auch entschieden, dass eine Maßnahme einer Bestimmung des abgeleiteten Rechts entspreche, habe nicht zur Folge, dass sie nicht an den Bestimmungen des EG-Vertrags zu messen sei. Im konkreten Fall hat er dann angenommen, dass das Unionsrecht einer bestimmten Maßnahme des nationalen Rechts nicht entgegenstehe ( - [Kohll] Rn. 25, 27).

45cc) Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den bisher vom Gerichtshof entschiedenen Fällen. Nach Einschätzung des vorlegenden Senats kommt allein aufgrund der Verpflichtungen, die aus dem Sekundärrecht erwachsen und denen die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L Rechnung getragen haben, eine Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch die in § 16 Abs. 2 TV-L getroffenen Bestimmungen in Betracht.

46(1) Nach Auffassung des vorlegenden Senats läge keine Verletzung des Art. 45 Abs. 2 AEUV vor, wenn die Tarifvertragsparteien die Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L nicht getroffen hätten. Dann würde § 16 Abs. 2 TV-L nur regeln, dass Beschäftigte nach ihrer Einstellung grundsätzlich der Stufe 1 ihrer Entgeltgruppe zugeordnet werden und bei Vorliegen einschlägiger Berufserfahrung maximal drei Jahre dieser Erfahrung anerkannt werden.

47(a) In diesem Fall käme keine mittelbare Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern in Betracht. Es gäbe keine inländischen Arbeitnehmer, die bei einer Einstellung leichter in eine höhere Stufe eingeordnet würden als Wanderarbeitnehmer. Bei allen neu eingestellten Arbeitnehmern würde einschlägige Berufserfahrung bis zu einer Höchstdauer von drei Jahren uneingeschränkt berücksichtigt, eine mehr als drei Jahre betragende Berufserfahrung bliebe dagegen stets unberücksichtigt. Das würde auch dann gelten, wenn neu eingestellte Arbeitnehmer bereits früher bei diesem Bundesland beschäftigt waren. Dafür, dass Wanderarbeitnehmer häufiger ihren Arbeitsplatz wechseln, also häufiger neu eingestellt werden, als inländische Arbeitnehmer, gibt es keine Anhaltspunkte. Deshalb ließe sich nicht feststellen, dass § 16 Abs. 2 TV-L vor allem Wanderarbeitnehmer zu benachteiligen droht, wenn es die Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L nicht gäbe (vergleiche  - [Graf] Rn. 16).

48(b) In diesem Fall schiede nach Ansicht des vorlegenden Senats aber auch eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus. Zwar ist auch ohne eine Regelung wie die in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L getroffene nicht auszuschließen, dass einzelne Beschäftigte eines Bundeslandes davon abgehalten werden, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, weil ihre in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Berufserfahrung bei einer erneuten Einstellung durch dasselbe Bundesland selbst dann nicht uneingeschränkt anerkannt wird, wenn sie „einschlägig“, also in der Tätigkeit für das Bundesland verwertbar ist. Es gibt bereits keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es eine übliche oder auch nur häufig erfolgende Praxis ist, dass Beschäftigte eines Bundeslandes, die aus dem Arbeitsverhältnis mit diesem ausgeschieden sind, um in einem anderen Mitgliedstaat berufstätig zu sein, nach einiger Zeit wieder ein Arbeitsverhältnis mit demselben Land begründen. Selbst wenn das der Fall wäre, würde diesen Beschäftigten die in einem anderen Mitgliedstaat erworbene einschlägige Berufserfahrung nicht vollständig abgeschnitten, sondern bis zu drei Jahre dieser Erfahrung würden vollständig anerkannt. Andere Arbeitnehmer, bei denen bei einer Neueinstellung mehr als drei Jahre einschlägiger Berufserfahrung anerkannt würden, gäbe es nicht. Dafür, dass Beschäftigte eines Bundeslandes gleichwohl von der Ausübung ihrer Freizügigkeit abgehalten werden könnten, spräche nichts. Darin liegt der Unterschied zu der vom Gerichtshof entschiedenen Fallgestaltung bei einer Dienstalterszulage für Professoren an österreichischen Universitäten ( - [Köbler] Rn. 71, 74). Auch die Klägerin war nicht zuvor bei dem beklagten Land beschäftigt, sondern ausschließlich in Frankreich berufstätig. Gäbe es die Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L nicht, wäre daher die Regelung zur Stufenzuordnung in § 16 Abs. 2 TV-L nach Einschätzung des vorlegenden Senats so ungewiss und wirkte so indirekt, dass sie die Freizügigkeit nicht beeinträchtigen könnte (vergleiche  - [Graf] Rn. 25).

49(2) Zu einer möglichen Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit führt § 16 Abs. 2 TV-L nach Ansicht des Senats erst durch die Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L. Damit haben die Tarifvertragsparteien eine Arbeitnehmergruppe privilegiert, indem sie bei dieser Gruppe die einschlägige Berufserfahrung uneingeschränkt auch bei einer Neueinstellung anerkennen. Bei dieser Arbeitnehmergruppe der befristet Beschäftigten handelt es sich jedoch um einen nach dem Sekundärrecht besonders zu schützenden Personenkreis. Dem aus Paragraph 4 Nr. 4 der Rahmenvereinbarung erwachsenden Schutzgebot haben die Tarifvertragsparteien mit § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L Rechnung getragen. Dieses Schutzgebot verfolgt eine gänzlich andere Zielrichtung als das Freizügigkeitsgebot. Der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt sich nicht entnehmen, ob bei Arbeitnehmern, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben und vorher nie oder nur nach langer Unterbrechung für dasselbe Bundesland tätig waren, ungeachtet dieser unterschiedlichen Schutzziele bei der Stufenzuordnung nach ihrer (Wieder-)Einstellung durch ein Bundesland einschlägige Berufserfahrung, die sie in einem anderen Mitgliedstaat erworben haben, bei der Stufenzuordnung ebenso uneingeschränkt anerkannt werden muss, wie die einschlägige Berufserfahrung von befristet Beschäftigten, die zuvor ohne schädliche Unterbrechung für dasselbe Bundesland tätig waren. Es ist ungeklärt, ob die Privilegierung der schon zuvor bei demselben Bundesland beschäftigten Arbeitnehmer durch die Regelung in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L deshalb gerechtfertigt ist, weil der dadurch bezweckte besondere Schutz von Arbeitnehmern, die zuvor bei diesem Bundesland befristet beschäftigt waren, durch die Rahmenvereinbarung geboten ist. Der Gerichtshof wird daher um Klärung der Frage ersucht, wie die Kollision zweier auf unterschiedliche Schutzziele gerichteter Normanwendungsbefehle des Unionsrechts aufzulösen ist.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2018:181018.B.6AZR232.17A.0

Fundstelle(n):
BB 2018 S. 2675 Nr. 45
BB 2018 S. 2867 Nr. 48
DB 2018 S. 6 Nr. 47
DStR 2018 S. 12 Nr. 44
BAAAG-99051