Insolvenzeröffnung vor Zustellung des Revisionsurteils
Leitsatz
1. NV: Ein Urteil, das in Unkenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergeht, ist ohne rechtliche Wirkung und aus Gründen der Rechtsklarheit aufzuheben.
2. NV: Wird ein Revisionsverfahren vor dem BFH wegen Insolvenz des Steuerpflichtigen unterbrochen, ist § 249 Abs. 3 ZPO auch bei vorherigem Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht entsprechend anwendbar.
Gesetze: FGO § 155 Satz 1; ZPO § 240; ZPO § 249 Abs. 3
Instanzenzug: (EFG 2016, 1245),
Tatbestand
I.
1 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) legte gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (FG) vom 9 K 9257/13 (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2016, 1245) Revision ein. Ihr Prozessbevollmächtigter (P) verzichtete am auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung. Mit hat der angerufene Senat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Das Urteil wurde sowohl P als auch dem Beklagten und Revisionsbeklagten am zugestellt.
2 Am teilte P dem Senat mit, durch den Beschluss des Amtsgerichts A vom sei über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
3 Mit Schreiben vom an die Senatsgeschäftsstelle erklärte der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Klägerin, die Aufnahme des Revisionsverfahrens sei nicht beabsichtigt.
Gründe
II.
4 Das war aus Gründen der Rechtsklarheit aufzuheben.
5 1. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin wurde das Revisionsverfahren unterbrochen (§ 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO— i.V.m. § 240 Satz 1 der Zivilprozessordnung —ZPO—). Dies hat zur Folge, dass eine gerichtliche Entscheidung, die in Unkenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergeht, nach § 249 Abs. 2 ZPO, der auch für die Entscheidungen des Gerichts gilt (vgl. , BFHE 162, 208, BStBl II 1991, 101, unter II.B.1.a), ohne rechtliche Wirkung ist. Das gleichwohl ergangene Urteil ist aus Gründen der Rechtsklarheit aufzuheben (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. Entscheidungen vom V R 99/78, BFHE 148, 184, BStBl II 1987, 147, unter II., und vom I B 18/10, BFH/NV 2011, 282, Rz 2).
6 a) Der Senat hat das Revisionsurteil zwar am , demnach vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, gefällt. Vor Verkündung oder Bekanntgabe stellt die Entscheidung jedoch nur eine innere Angelegenheit des Gerichts dar (BFH-Entscheidungen vom IV 295/59 S, BFHE 79, 294, BStBl III 1964, 338, unter II.1.; in BFH/NV 2011, 282, Rz 2; im Ergebnis ebenso , nicht veröffentlicht, unter II.1.).
7 b) Eine analoge Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO kommt bei dem Erlass eines Revisionsurteils im Falle der Insolvenz des Steuerpflichtigen auch dann nicht in Betracht, wenn die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben.
8 aa) Nach dieser Vorschrift wird die Verkündung der aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu erlassenden Entscheidung nicht durch die nach dem Schluss dieser Verhandlung eintretende Unterbrechung gehindert. Zwar wurde die Norm vereinzelt auch bei Unterbrechungen eines Revisionsverfahrens entsprechend angewandt, in denen das Gericht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hatte und die Entscheidung zuzustellen war. Der BFH hat diese Rechtsauffassung jedoch nur bei Unterbrechungen des Verfahrens wegen des Todes des Bevollmächtigten (Entscheidungen vom IX R 171/87, BFH/NV 1993, 603, unter I., und vom V R 117/85, BFHE 163, 410, BStBl II 1991, 466) entscheidungserheblich vertreten. Soweit der XI. Senat in seinem Urteil vom XI R 35/10 (BFHE 233, 379, BStBl II 2011, 836, Rz 19) § 249 Abs. 3 ZPO analog auch bei einer Verfahrensunterbrechung wegen Insolvenz angewandt hat, lag dem ein anders gelagerter Sachverhalt zugrunde. Zum einen wurde in dem dortigen Streitfall das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerpflichtigen nach der mündlichen Verhandlung vor dem FG und vor Zustellung des Urteils an die Beteiligten eröffnet. Zum anderen nahm der Insolvenzverwalter auf Anfrage des FG —im Gegensatz zum vorliegenden Streitfall— den Rechtsstreit zwecks Bekanntgabe des Urteils auf, so dass ihm daraufhin das Urteil zugestellt wurde.
9 bb) Wird ein Verfahren wegen Insolvenz des Steuerpflichtigen unterbrochen, ist nach Ansicht des erkennenden Senats § 249 Abs. 3 ZPO auch bei vorherigem Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht entsprechend anwendbar. Denn damit würde zum einen dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit genommen, entsprechend seiner Funktion im Interesse der Masse über die Aufnahme des Verfahrens zu entscheiden (so im Ergebnis wohl auch , BFH/NV 2011, 263, Rz 6, und vom V R 32/12, BFH/NV 2013, 1426, Rz 7).
10 Soweit demgegenüber § 249 Abs. 3 ZPO auch im schriftlichen Verfahren entsprechend angewandt wird (s. z.B. Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 76. Aufl., § 249 Rz 13; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 249 Rz 8; s.a. BFH-Beschluss in BFHE 163, 410, BStBl II 1991, 466), geht es —wie bei der Unterbrechung nach mündlicher Verhandlung— allein darum, dass Vorbringen der Beteiligten nach diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht mehr bzw. nur noch unter besonderen Voraussetzungen berücksichtigt werden kann. Eine Unterbrechung des Verfahrens erst zu diesem Zeitpunkt kann die grundsätzlich nicht mehr anzuhörenden Parteien nicht belasten (vgl. , SozR 3-1750 § 249 Nr. 1, Rz 30).
11 Hinzu kommt, dass bei einer entsprechenden Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO der Zeitpunkt nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO zugrunde gelegt wird; das ist der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze entsprechend der gerichtlichen Terminbestimmung eingereicht werden können. Einen solchen Zeitpunkt gibt es im Revisionsverfahren vor dem BFH aber nicht, vielmehr führt der Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht dazu, dass spätere Schriftsätze keine Beachtung finden. Den Beteiligten wird auch nach Verzicht auf mündliche Verhandlung noch rechtliches Gehör gewährt. Damit ist § 249 Abs. 3 ZPO in diesem Fall nicht anwendbar (so auch Zöller/Greger, a.a.O., § 249 Rz 8).
12 2. Der Beschluss ergeht gerichtskostenfrei.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2018:B.101018.XR18.16.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2019 S. 15 Nr. 1
BB 2018 S. 2709 Nr. 46
BFH/NV 2018 S. 1281 Nr. 12
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2019 S. 453
ZIP 2019 S. 527 Nr. 11
QAAAG-98236