BMF - IV A 3 - S 0465/18/10005-01 BStBl 2018 I S. 722

Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Verzinsung nach § 233a AO in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO für Verzinsungszeiträume ab dem

Bezug:

Der IX. Senat des , BStBl 2018 II S. 415) in einem Verfahren zum vorläufigen Rechtsschutz Zweifel an der Verfassungskonformität des Zinssatzes nach § 238 Absatz 1 Satz 1 AO für Verzinsungszeiträume ab dem geäußert und deshalb die Vollziehung eines Bescheides über Nachforderungszinsen nach § 233a AO gemäß § 69 Absatz 3 Satz 1, Absatz 2 Satz 2 FGO ausgesetzt.

Nach Auffassung des IX. Senats des Bundesfinanzhofs begegnet die Zinshöhe in § 233a AO in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO durch ihre realitätsferne Bemessung im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz und das Übermaßverbot für Verzinsungszeiträume ab dem schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz gemäß § 238 Absatz 1 Satz 1 AO überschreite angesichts einer zu dieser Zeit bereits eingetretenen strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße. Dem könne nicht entgegen gehalten werden, dass bei Kreditkartenkrediten für private Haushalte Zinssätze von rund 14 Prozent oder bei Girokontenüberziehungen Zinssätze von rund 9 Prozent anfallen würden. Hierbei handele es sich um Sonderfaktoren, die nicht als Referenzwerte für ein realitätsgerechtes Leitbild geeignet seien und damit einem typisierten Zinssatz nicht zu Grunde gelegt werden dürften.

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:

I.

Der , BStBl 2018 II S. 415) ist für Verzinsungszeiträume ab dem (nur) auf Antrag des Zinsschuldners in allen Fällen anzuwenden, in denen gegen eine vollziehbare Zinsfestsetzung, in der der Zinssatz nach § 238 Absatz 1 Satz 1 AO zugrunde gelegt wird, Einspruch eingelegt wurde. Unerheblich ist dabei, zu welcher Steuerart und für welchen Besteuerungszeitraum die Zinsen festgesetzt wurden.

Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes soll nach § 361 Absatz 2 Satz 2 AO grundsätzlich ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Die angeordnete Gewährung der Aussetzung der Vollziehung für Verzinsungszeiträume ab dem ist nicht dahingehend zu verstehen, dass die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder die Verfassungsmäßigkeit des § 238 Absatz 1 Satz 1 AO bezweifeln. Angesichts der bisherigen Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Verzinsungsregelung (vgl. , BFH/NV S. 2115 sowie , HFR 2010 S. 66) ist ungewiss, ob das Bundesverfassungsgericht in den Verfahren und den Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat bei einer neuerlichen Prüfung unter Berücksichtigung der weiteren Marktzinsentwicklung in den letzten Jahren nun als verfassungswidrig einstufen wird.

II.

Für Verzinsungszeiträume vor dem ist Aussetzung der Vollziehung nach § 361 Absatz 2 Satz 2 AO nur zu gewähren, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte und im Einzelfall ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers zu bejahen ist.

Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Zinsbescheids eintretenden Eingriffs beim Zinsschuldner und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (vgl. , BStBl 2014 II S. 263; , BStBl 2003 II S. 18; , BStBl 1991 II S. 104, und , BStBl 1992 II S. 729).

Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestehenden Geltungsanspruch der formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Zinsvorschriften ist für Verzinsungszeiträume vor dem der Vorrang einzuräumen. Denn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung würde im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung dieser Zinsvorschriften führen, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen sind als eher gering einzustufen und der Eingriff hat keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen (vgl. , BStBl 2010 II S. 558).

BMF v. - IV A 3 - S 0465/18/10005-01

Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:


Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:






Fundstelle(n):
BStBl 2018 I Seite 722
BB 2018 S. 1494 Nr. 26
DB 2018 S. 1502 Nr. 25
DStR 2018 S. 1302 Nr. 25
StB 2018 S. 239 Nr. 7
FAAAG-86742