Online-Nachricht - Dienstag, 05.06.2018

Familienrecht | Keine Bezahlung der Zweitausbildung (OLG)

Haben Eltern ihrem Kind eine angemessene Ausbildung finanziert, welche den Begabungen und Neigungen des Kindes entspricht, und findet das Kind in diesem erlernten Beruf nach Abschluss der Ausbildung keine Arbeitsstelle, sind die Eltern grundsätzlich nicht verpflichtet, dem Kind eine weitere Berufsausbildung zu finanzieren (; rechtskräftig).

Sachverhalt: Das antragstellende Land Nordrhein-Westfalen verlangt von den Antragsgegnern aus Dortmund, Eltern einer im Jahr 1991 geborenen Tochter, die Zahlung von Ausbildungsunterhalt in Höhe von ca. 6.400 Euro. In Höhe dieses Betrages bewilligte das Land der Tochter für ein Studium in der Zeit von Oktober 2015 bis September 2016 Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Nach dem BAföG haben Eltern dem fördernden Land derartige Zahlungen zu erstatten, wenn sie für die geförderte Ausbildung Unterhalt schulden. Die Tochter der Antragsgegner hatte sich in der neunten Schulklasse, seinerzeit 15 Jahre alt, entschieden, den Beruf einer Bühnentänzerin zu erlernen. Sie hatte deswegen nach der mittleren Reife die Schule verlassen und in der Folgezeit an einer Hochschule in Mannheim den Studiengang Tanz absolviert. Das Studium konnte sie 2011 mit dem Tanzdiplom abschließen. In der Folgezeit gelang es der Tochter allerdings nicht, eine Anstellung als Tänzerin zu erhalten. Deswegen nahm sie 2012/13 die Schulbildung wieder auf, erwarb die allgemeine Hochschulreife und begann 2015/16 in Münster Psychologie zu studieren. Für dieses Studium erhielt sie die infrage stehenden BAföG-Leistungen.

Das OLG Hamm führte hierzu u.a. aus:

  • Die Eltern schulden ihrer Tochter keinen Ausbildungsunterhalt und haben daher dem Land die BAföG-Leistungen nicht zu erstatten.

  • Eltern schulden ihrem Kind grundsätzlich eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält.

  • Haben Eltern ihrem Kind eine solche erste Berufsausbildung gewährt, sind sie grundsätzlich nicht mehr verpflichtet, die Kosten einer weiteren Ausbildung zu tragen. Ausnahmen hiervon sind nur unter besonderen Umständen gegeben, etwa wenn der Beruf aus gesundheitlichen oder sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen nicht ausgeübt werden kann.

  • Ferner kommt eine fortdauernde Unterhaltspflicht in Betracht, wenn die weitere Ausbildung als eine im engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Erstausbildung stehende Weiterbildung anzusehen ist und vornherein angestrebt gewesen ist oder wenn während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wird.

  • Im vorliegenden Fall hatten die Eltern ihrer Tochter bereits die Erstausbildung zur Bühnentänzerin finanziert. Weiteren Ausbildungsunterhalt schulden sie nicht. Ihre Tochter hat mit dem Diplom eine staatlich anerkannte Berufsausbildung zur Bühnentänzerin abgeschlossen. Das spätere Studium der Psychologie stellt keine Weiterbildung dar, die im Zusammenhang mit der ersten Ausbildung steht.

  • Die Tochter hat bei der Aufnahme ihrer Tanzausbildung auch keinen weiteren Besuch der allgemeinbildenden Schule mit anschließendem Studium angestrebt. Es ist zudem nicht zu erkennen, dass die Ausbildung zur Bühnentänzerin den damaligen Neigungen und Fähigkeiten und der Begabung der Tochter nicht entsprochen hat. Die Tochter hat schon seit ihrem fünften Lebensjahr das Hobby Ballett. Im Grundschulalter hatte sie Ballettunterricht. Die Aufnahmeprüfung an der staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Mannheim hat sie bestanden und eine einjährige Vorbereitungszeit an der Akademie des Tanzes absolviert. Im Anschluss daran hat sie an einem erneuten Auswahlverfahren an der Hochschule mit Erfolg teilgenommen und ist zum Studiengang Tanz zugelassen worden.

  • Bei diesem Werdegang sind die Neigungen und Fähigkeiten der Tochter, bezogen auf den Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns, nicht falsch eingeschätzt worden. Eine solche Fehleinschätzung lässt sich auch nicht dem Abschluss der Tanzdiplomprüfung entnehmen, in deren praktischen Teil die Tochter einen befriedigenden Notendurchschnitt erzielt hat. Dass sie später keine Anstellung als Tänzerin gefunden hat, beruht auf einer verschlechterten Arbeitsmarktsituation. In der Zeit nach Abschluss ihres Studiums hatten sich bis zu 3.000 Bewerber auf eine Stelle im Bereich des Bühnentanzes beworben. Deswegen ist für die Tochter erkennbar geworden, dass Bewerbungen mit ihren praktischen Noten im Bühnentanzberuf aussichtslos waren.

  • Ein derartiges Risiko der Nichtbeschäftigung ihres Kindes nach Abschluss der geschuldeten Erstausbildung, dass sich im vorliegenden Fall verwirklicht hat, haben unterhaltsverpflichtete Eltern grundsätzlich nicht zu tragen. Ihnen fällt das allgemeine Arbeitsplatzrisiko nicht zur Last. Vielmehr muss ein Volljähriger, der nach Abschluss seiner Ausbildung arbeitslos ist, primär selbst für seinen Unterhalt sorgen und jede Arbeitsstelle annehmen, auch außerhalb des erlernten Berufs. Das gilt auch dann, wenn im erlernten Beruf tatsächlich keine Verdienstmöglichkeit mehr besteht.

Quelle: OLG Hamm, Pressemitteilung v. (Ls)

Fundstelle(n):
NWB ZAAAG-85156