BFH Urteil v. - VII R 88/00 BStBl 2003 II S. 726

Leitsatz

1. Art. 859 Nr. 6 ZKDVO, wonach das Nichtentstehen einer Zollschuld im Falle einer Pflichtverletzung im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren (Nichtwiedergestellung der Ware bei der Bestimmungsstelle) u.a. von dem Nachweis abhängt, dass den Beteiligten bzw. seinen Erfüllungsgehilfen (Warenführer) keine grobe Fahrlässigkeit trifft, ist gültig. Die Vorschrift verletzt nicht höherrangiges Gemeinschaftsrecht.

2. Diese Zollvorschrift ist auch im Falle der Einfuhrumsatzsteuer anzuwenden.

Gesetze: EG Art. 5 Abs. 3ZK Art. 96ZK Art. 203ZK Art. 204 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3ZKDVO Art. 378 Abs. 1 a.F.ZKDVO Art. 379 Abs. 2 a.F.ZKDVO Art. 380 a.F.ZKDVO Art. 859 Nr. 6ZKDVO Art. 860GG Art. 3BGB § 166 Abs. 1BGB § 278UStG § 15 Abs. 1 Nr. 2UStG § 21 Abs. 2

Instanzenzug: FG Bremen (ZfZ 2001, 24) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Auf Antrag der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer Spedition, wurden im August 1994 vier PKW mit je einem Versandschein T1 zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigt. Bestimmungsstelle sollte jeweils das Zollamt Frankfurt/Oder sein. Als Empfänger der PKW waren Personen in der Ukraine angegeben. Da die Rückscheine zu den Versandverfahren nicht eingingen, leitete der Rechtsvorgänger des Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt —HZA—) jeweils das Suchverfahren ein. Im März 1995 teilte das Zollamt Frankfurt/Oder mit, dass die Sendungen dort weder gestellt noch die betreffenden Versandscheine vorgelegt worden seien. Über den Verbleib der Sendungen habe nichts in Erfahrung gebracht werden können. Bereits im November 1994 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass die Sendungen der Bestimmungsstelle nicht gestellt worden seien. Die Klägerin wurde daher aufgefordert, innerhalb von drei Monaten die ordnungsgemäße Erledigung der Versandverfahren oder den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nachzuweisen. Falls dies nicht geschehe, würden die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet und ggf. die Einfuhrabgaben angefordert. Im April 1995 wurde der Klägerin unter Bezug auf das zuerst genannte Schreiben und Übersendung von Kopien der vier Versandscheine mitgeteilt, dass das Suchverfahren erfolglos geblieben und beabsichtigt sei, sie als Abgabenschuldnerin in Anspruch zu nehmen. Nachdem eine weitere der Klägerin gesetzte Frist zur Vorlage von Unterlagen darüber, dass die PKW in der Ukraine zollamtlich abgefertigt worden seien, ergebnislos verstrichen war, forderte das HZA mit den angefochtenen beiden Steuerbescheiden von der Klägerin als Hauptverpflichtete Einfuhrabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) in Höhe von insgesamt ... DM an.

Im Klageverfahren legte die Klägerin Bescheinigungen der Stadt Kiew und der Stadt Odessa mit jeweils beglaubigter Übersetzung vor, in denen bescheinigt wurde, dass das jeweils mit der Fahrgestellnummer, die einer der vier Versandanmeldungen entspricht, aufgeführte Fahrzeug in die Ukraine eingeführt und die Zollgebühr bezahlt worden sei. Später legte sie noch eine Bescheinigung des staatlichen Zollkomitees der Ukraine —Kiewer Zollamt— vom Juni 1996 mit beglaubigter Übersetzung vor, in der bestätigt wurde, dass die Fahrzeuge mit den betreffenden Fahrgestellnummern Ende August 1994 vom Kiewer Zollamt abgefertigt worden seien.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage aus den in der Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern (ZfZ) 2001, 24 veröffentlichten Gründen ab.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das FG bejahe rechtsfehlerhaft das Vorliegen grober Fahrlässigkeit. Außerdem beruhe das Urteil auf Rechtsvorschriften, die gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) vom i.d.F. vom (BGBl II 1998, 386) und gegen das Grundgesetz (GG) verstießen.

Das FG habe den Sachvortrag der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom März 1999 nicht in hinreichendem Maße berücksichtigt, wonach die Kunden der Klägerin bereits früher durch gleiche Beförderer Fahrzeuge abgeholt und auf dem Gebiet der Gemeinschaft über das Zollamt Frankfurt/Oder ausgeführt haben, ohne dass es zu Problemen mit der Wiedergestellungsfrist gekommen sei. Die Versandverfahren seien früher jeweils ordnungsgemäß erledigt worden. Das HZA sei diesem Sachvortrag nicht entgegengetreten. Wegen der nicht gebührenden Beachtung dieses Sachvortrags sei das FG in Anwendung der im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom Rs. C-48/98 (EuGHE 1999, I-7877) aufgestellten Rechtsgrundsätze zu der fehlerhaften Wertung gekommen, es liege grobe Fahrlässigkeit vor. Hätte das FG die in seinem späteren Urteil vom Az. 299309K 3 ausgeführten Grundsätze auch auf den Streitfall angewandt, so hätte es im Wege seiner Hinweispflichten der Klägerin Gelegenheit gegeben, zur ständigen Abwicklung zeitlich vorgelagerter, sachlich aber gleichgelagerter Vorgänge vorzutragen.

Neben anderen Vorschriften verstoße die im Streitfall in Betracht kommende Regelung des Art. 859 Anstrich 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (Zollkodex-Durchführungsordnung —ZKDVO—) der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 253/1) gegen den in Art. 5 Abs. 3 EG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil die Zollschuldentstehung vom Nichtvorliegen grober Fahrlässigkeit des Beteiligten abhängig gemacht werde. Das Zollsystem der Europäischen Union sei das eines Wirtschaftszolls. Danach hänge die Entstehung des Zolls davon ab, dass die Ware in den Wirtschaftskreislauf gebracht worden sei. Sei dies nicht der Fall, dürfte sie nicht mit Zollabgaben belegt werden. Mit diesem Grundsatz sei es nicht in Einklang zu bringen, wenn die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex —ZK—) des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 302/1) an verschiedenen Stellen, dazu noch völlig unsystematisch, das Nichtvorliegen eines unterhalb betrügerischer Absicht liegenden Verschuldens verlange, um die Zollschuld nicht zur Entstehung zu bringen bzw. die erhobene Zollschuld zu erstatten bzw. zu erlassen, ohne dass ein sachlich rechtfertigender Grund hierfür vorliege und ohne dass die Kommission hierzu im ZK ermächtigt worden wäre. Außerdem seien auch die Regelungen in Art. 378 Abs. 1 i.V.m. Art. 379 Abs. 2 und Art. 380 Buchst. a ZKDVO in der vor In-Kraft-Treten der Verordnung (EG) Nr. 2787/2000 der Kommission vom (ABlEG Nr. L 330/1) geltenden Fassung (a.F.) unverhältnismäßig, weil sie die Nachweismöglichkeiten des Zollschuldners durch Setzen einer Ausschlussfrist unzumutbar einschränkten. Unverhältnismäßig sei weiter das im Zusammenhang mit der Anwendung des Art. 378 Abs. 1 i.V.m. Art. 380 Buchst. b ZKDVO a.F. gestellte Verlangen, dass der Nachweis Angaben über die Gestellung bei der Bestimmungsstelle, die Einhaltung der Gestellungsfrist sowie den Ort, an dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden sei, enthalten müsse.

Wegen Unverhältnismäßigkeit der betreffenden Gemeinschaftsvorschriften scheide deren sinngemäße Anwendung auf die Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) aus. Selbst wenn das Tatbestandsmerkmal ”Nichtvorliegen offensichtlicher Fahrlässigkeit” gemeinschaftsrechtlich grundsätzlich für zulässig erachtet werden sollte, würde sich nach deutschem Recht eine Anwendung dieser Vorschriften verbieten. Dem Sinn und Zweck der Einfuhrumsatzsteuer und dem Gleichheitsgrundsatz würde es widersprechen, deren Entstehung von einem bestimmten Verschuldensgrad abhängig zu machen. Der Gleichheitsgrundsatz sei spätestens dadurch verletzt, dass —ohne insoweit sachlich gerechtfertigte Differenzierung— die Einfuhrumsatzsteuer im Ergebnis demjenigen erspart bliebe, der in Bezug auf die betroffene Ware als Einführer gelte, weil er die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG als Vorsteuer abziehen könne, während ein ebenfalls zum Vorsteuerabzug berechtigter Dienstleister, der wie die Klägerin kein Einführer sei, auf der Einfuhrumsatzsteuer ”sitzen bleibe”. Die Differenzierung sei nicht sachgerecht und deshalb unverhältnismäßig.

Das HZA führt aus, das angefochtene Urteil beruhe weder auf dem rechtsfehlerhaften Bejahen einer groben Fahrlässigkeit noch liege ihm eine unzutreffende Auslegung nationaler Gesetze oder die Verkennung der Tragweite europäischen Rechts zugrunde.

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das FG hat zutreffend erkannt, dass die Einfuhrzollschuld entstanden ist. Das HZA hat daher die Klägerin mit Recht als Abgabenschuldnerin sowohl für den Zoll als auch für die Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch genommen. Die von der Klägerin hiergegen geltend gemachten Bedenken greifen nicht durch.

1. Im Streitfall ist die Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK entstanden. Da das FG nicht festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für eine Entstehung der Zollschuld nach Art. 203 Abs. 1 ZK vorliegen, kommt, wie das FG richtig ausgeführt hat, nur eine Entstehung der Zollschuld wegen der Verletzung von Pflichten in Betracht, die sich daraus ergeben, dass die PKW auf Antrag der Klägerin jeweils zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren mit Versandschein T1 abgefertigt worden sind. Die der Klägerin als Hauptverpflichtete im gemeinschaftlichen Versandverfahren obliegenden Pflichten ergeben sich aus Art. 96 Abs. 1 ZK. Gemäß Buchst. a dieser Vorschrift gehört es insbesondere zu den Pflichten des Hauptverpflichteten, die nämlichen Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unverändert der Bestimmungsstelle zu gestellen. Die Pflicht obliegt nach Art. 96 Abs. 2 ZK auch dem Warenführer, der die Waren vom Hauptverpflichteten übernimmt und weiß, dass sie dem gemeinschaftlichen Versandverfahren unterliegen.

Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) ist zumindest die Pflicht zur Wiedergestellung der zum gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigten PKW bei der Bestimmungsstelle verletzt worden. Die die Versandverfahren betreffenden Rückscheine (Exemplar Nr. 5 des Einheitspapiers), in denen die Wiedergestellung der Waren von der Bestimmungsstelle zu bescheinigen ist, sind bei der Abgangsstelle nicht eingegangen, und in dem daraufhin eingeleiteten Suchverfahren hat die Bestimmungsstelle bestätigt, dass ihr die PKW weder gestellt noch dass ihr die Versandscheine vorgelegt worden sind. Damit ist die Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK entstanden, es sei denn, dass sich diese Verfehlung auf die ordnungsgemäße Abwicklung des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat. Dass diese Voraussetzung, die das Entstehen einer Abgabenschuld hindert, erfüllt ist, hat gemäß Art. 860 ZKDVO der Beteiligte nachzuweisen. Die Klägerin hat diesen Nachweis indes nicht geführt mit der Folge, dass die Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1 ZK entstanden ist.

Im Einzelnen sind die Voraussetzungen, unter denen die Abgabenschuld nach Art. 204 Abs. 1 ZK ausnahmsweise nicht entsteht, abschließend (EuGH in EuGHE 1999, I-7877) durch Art. 859 ZKDVO geregelt. In Betracht kommt im Streitfall der in Nr. 6 dieser Vorschrift geregelte Tatbestand, nach dem sich die Verfehlung auf die ordnungsgemäße Abwicklung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat, wenn es sich nicht um den Versuch handelt, die Ware der zollamtlichen Überwachung zu entziehen, keine grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt und alle Förmlichkeiten erfüllt werden, um die Situation der Waren zu bereinigen, nämlich, dass im Falle einer Wiederausfuhr der Waren ohne Erfüllung der vorgeschriebenen Förmlichkeiten die tatsächliche Ausfuhr der Waren nachgewiesen wird.

Wie das FG richtig erkannt hat, kann es im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die tatsächliche Ausfuhr der vier PKW im Streitfall durch Vorlage der Bescheinigungen der ukrainischen Behörden über die Einfuhr und Verzollung der PKW in der Ukraine nachgewiesen worden ist. Deshalb ist es auch unerheblich, ob diese Bescheinigungen statt des Rückscheins als Alternativnachweis i.S. des Art. 380 ZKDVO a.F. hätten anerkannt werden können. Jedenfalls hat die Klägerin nicht wie nach Art. 860 ZKDVO erforderlich nachgewiesen, dass keine grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt.

Die Kriterien, an denen zu messen ist, ob im Streitfall keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt, hat, worauf schon die Vorentscheidung richtig verweist, der EuGH in dem bereits genannten Urteil in EuGHE 1999, I-7877 Rdnrn. 56 bis 58 aufgestellt. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass das FG das Nichtvorliegen grober Fahrlässigkeit nicht als ausreichend nachgewiesen erachtet hat.

Zum Nachweis, dass sie ihre Sorgfaltspflicht nicht grob fahrlässig verletzt hat, reicht es nämlich nicht aus, dass die Klägerin behauptet, sich zuverlässiger Erfüllungsgehilfen bedient zu haben, mit denen sie bereits vorher mehrfach zusammengearbeitet habe und dass sie aufgrund dieser Erfahrungen habe darauf vertrauen können, dass ihre Erfüllungsgehilfen auch in dieser Angelegenheit die gleichen Sorgfaltspflichten wie immer einhalten würden. Denn der Senat hat bereits ausgeführt (Senatsurteil vom VII R 108/95, BFHE 192, 140), dass jemand, der —wie im Streitfall die Klägerin— als Hauptverpflichteter gegenüber den Zollbehörden die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Versandverfahrens übernimmt, auch für ein etwaiges Verschulden derjenigen eintreten muss, welcher er sich zur Durchführung des Versandverfahrens bedient. Dies gilt unabhängig davon, welche Sorgfalt der Hauptverpflichtete bei der Auswahl seiner Erfüllungsgehilfen hat walten lassen. Dieser Grundsatz hat seinen Ausdruck im deutschen Recht in § 278, § 166 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gefunden. Unabhängig von seiner positiven Regelung im Zivilrecht gilt er ebenfalls im öffentlichen Recht (vgl.   3 B 47.89, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 316, § 48 VwVfG Nr. 64), und zwar insbesondere dann, wenn ein Zollbeteiligter, wie im Streitfall, eine besondere Verantwortung gegenüber den Zollbehörden übernimmt, indem er ein Versandverfahren eröffnen lässt. Gemeinschaftsrechtlich findet dieser Gedanke seinen Niederschlag in dem bereits genannten Art. 96 Abs. 2 ZK, nach dem der Warenführer unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen die gleichen Pflichten wie der Hauptverpflichtete hat. Dadurch wird ganz deutlich, dass es für die Frage, ob eine grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Durchführung des Versandverfahrens zu verneinen ist, nicht nur auf die notwendige Sorgfalt des Hauptverpflichteten bei der Auswahl seiner Erfüllungsgehilfen ankommen kann, sondern den Warenführern wie dem Hauptverpflichteten jeweils eine originäre Sorgfaltspflicht obliegt, deren grob fahrlässige Verletzung die Zollschuld im Falle des Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK endgültig zum Entstehen bringt.

Nach dem Vortrag der Klägerin, aus dem sich ergibt, dass die im Streitfall tätig gewordenen Beförderer schon mehrfach bei ihr PKW abgeholt haben und die Verfahren immer problemlos abgewickelt wurden, ist davon auszugehen, dass ihnen die Abfertigung der PKW zum gemeinschaftlichen Versandverfahren und die sich daraus für sie als Warenführer ergebenden Pflichten bekannt waren. Die Klägerin hätte somit auch Umstände vortragen müssen, aus denen sich ergibt, dass die Warenführer nicht grob fahrlässig gehandelt haben. Dazu hätte zumindest gehört, die Warenführer konkret zu benennen sowie zu schildern, wie die Beförderung abgewickelt wurde sowie aus welchen Gründen die Warenführer die vier PKW keiner Bestimmungsstelle wiedergestellt haben und dass sie die Wiedergestellung nicht grob fahrlässig unterlassen haben. Da die Klägerin hierzu nach den Feststellungen des FG nichts vorgetragen hat, hat das FG den Nachweis des Nichtvorliegens einer groben Fahrlässigkeit der am Versandverfahren Beteiligten im Ergebnis zu Recht nicht als geführt angesehen.

2. Zollschuldnerin ist die Klägerin nach Art. 204 Abs. 3 ZK geworden, weil sie als Hauptverpflichtete die Pflichten, die sich aus den gemeinschaftlichen Versandverfahren, zu denen die PKW abgefertigt worden waren, gemäß Art. 96 Abs. 1 ZK zu erfüllen hatte.

Da gemäß § 21 Abs. 2 UStG für die Einfuhrumsatzsteuer die Vorschriften über Zölle sinngemäß anzuwenden sind, ist die Klägerin auch Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer geworden. Wie der Senat schon in anderem Zusammenhang entschieden hat (vgl. Urteile vom VII R 124/85, BFHE 153, 463, 464 ff., und in BFHE 192, 140), soll durch die sinngemäße Anwendung der Zollvorschriften insbesondere sichergestellt werden, dass die bei der Einfuhr zu erhebenden Abgaben von ein und derselben Behörde in einem Bescheid nach dem gleichen Verfahren aufgrund einheitlich getroffener Feststellungen einfach und zweckmäßig erhoben werden. Dieser Zweck wird nur erreicht, wenn es regelmäßig zur Anwendung der Zollvorschriften auf die Einfuhrumsatzsteuer kommt. Das bedeutet zwar noch nicht ohne weiteres die Anwendbarkeit aller Zollvorschriften. Vielmehr bedarf die Frage, ob und inwieweit eine Vorschrift des Zollrechts im Einklang mit Sinn und Zweck der Einfuhrumsatzsteuer als Teil der Mehrwertsteuer steht, für jede Bestimmung einer eigenen Prüfung. Diese Prüfung ergibt hier aber, dass die Anwendung der Vorschriften über die Entstehung der Zollschuld und darüber, wer Zollschuldner ist, dem Sinn und Zweck der Einfuhrumsatzsteuer entgegen der Ansicht der Klägerin nicht widerspricht. Hätte der Gesetzgeber dies anders gesehen, dann hätte er allen Anlass gehabt, die Bestimmungen darüber, die zentrale Vorschriften des Zollrechts darstellen, ausdrücklich von der sinngemäßen Anwendung der Zollvorschriften auszunehmen. Es geht in diesem Zusammenhang insbesondere nicht an, danach zu differenzieren, ob die Einfuhrumsatzsteuer im konkreten Fall nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG als Vorsteuerbetrag abgezogen werden kann. § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG geht davon aus, dass Einfuhrumsatzsteuer auch entstehen kann, wenn sie nicht als Vorsteuer abgezogen werden kann. Denn andernfalls hätte die Voraussetzung für ihren Abzug als Vorsteuer nicht einschränkend dahin geregelt werden können, dass ihr Abzug als Vorsteuer nur möglich ist, wenn einer der in der Vorschrift besonders genannten Fälle vorliegt.

3. Das HZA war auch für die Erhebung der Abgaben zuständig. Das ergibt sich aus Art. 378 Abs. 1 i.V.m. Art. 379 Abs. 2 ZKDVO a.F. Danach gilt die zur Abgabenentstehung führende Zuwiderhandlung als in dem Mitgliedstaat begangen, zu dem die Abgangsstelle gehört, wenn nicht innerhalb der nach Art. 379 Abs. 2 ZKDVO a.F. zu setzenden Frist von drei Monaten nachgewiesen wird, dass das Verfahren ordnungsgemäß erledigt worden ist oder an welchem Ort die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist. Innerhalb dieser Ausschlussfrist von drei Monaten (vgl. dazu Senatsurteil vom VII R 34/97, BFHE 186, 171) hat die Klägerin nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) keine entsprechenden Nachweise vorgelegt, so dass der Abgangsmitgliedstaat für die Erhebung der Abgaben zuständig war und diese nach den gemeinschaftsrechtlichen bzw. seinen nationalen Vorschriften erheben musste.

4. Die Bedenken der Klägerin gegen die Vorentscheidung greifen nicht durch.

a) Der Umstand, dass das Nichtentstehen einer Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1 ZK vom Nichtvorliegen grober Fahrlässigkeit des Beteiligten abhängig gemacht wird (Art. 859 Anstrich 2 ZKDVO), widerspricht nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ob sich dieser Grundsatz, wie die Klägerin meint, im Streitfall aus Art. 5 Abs. 3 EG herleiten lässt, der allgemein die Befugnisse der Gemeinschaft zur Verwirklichung der Vertragsziele regelt, oder ob er sich allgemein aus übergeordneten Prinzipien des Gemeinschaftsrechts ergibt, mag hier dahin gestellt bleiben, weil allgemein anerkannt ist, dass dieser Grundsatz auch im Gemeinschaftsrecht zu beachten ist (vgl. Borchardt in Lenz, EG-Vertrag, 2. Aufl., Art. 220 EG Rz. 64, m.w.N.).

Allerdings lässt sich ein Verstoß gegen diesen Grundsatz nicht, wie die Klägerin es tut, damit begründen, dass die Entstehung der Zollschuld in Fällen wie dem Streitfall nach Art. 859 Anstrich 2 ZKDVO vom Nichtvorliegen grober Fahrlässigkeit bei Erfüllung der Pflichten aus einem Zollverfahren abhängig gemacht wird. Obwohl in keiner Vorschrift ausdrücklich festgelegt, kann doch davon ausgegangen werden, dass der Zoll auch in der Gemeinschaft als einer modernen Volkswirtschaft grundsätzlich nur als Wirtschaftszoll (zum Begriff s. Olbertz, Grundsätze des Wirtschaftszollrechts, ZfZ 1972, 198) erhoben wird, d.h. Sinn und Zweck der Zollerhebung der Schutz der heimischen Wirtschaft ist und von daher Zoll nur zu erheben ist, wenn die betreffende Ware in den Wirtschaftskreislauf eingeht (vgl. den 6. und 7. Erwägungsgrund der allerdings inzwischen überholten Zollschuld-Richtlinie 79/623/EWG des Rates vom , ABlEG Nr. L 179/31). Danach ist für eine Ware, die vorübergehend im Zollgebiet der Gemeinschaft verbleibt und anschließend wieder ausgeführt wird, grundsätzlich kein Zoll zu erheben. Damit die Einhaltung dieser Voraussetzungen für die Nichterhebung des Zolls gewährleistet werden kann, sind jedoch bestimmte Verfahren geschaffen worden, die der zollamtlichen Überwachung des Warenverkehrs dienen. Eines dieser Verfahren ist das externe gemeinschaftliche Versandverfahren. Diese Verfahren sind strikt zu beachten, weil einerseits allein so der umfangreiche Warenverkehr mit vertretbarem Aufwand überwacht und andererseits nur dadurch Wettbewerbsgleichheit zwischen allen am internationalen Warenverkehr Beteiligten geschaffen werden kann. Deshalb geht das Gemeinschaftsrecht, wie übrigens auch schon das frühere nationale Zollrecht davon aus, dass die Verletzung von wesentlichen Förmlichkeiten der Verfahren zur Entstehung der Zollschuld führt, ohne dass im Einzelfall geprüft werden muss, ob die Ware tatsächlich in den Wirtschaftskreislauf des Zollgebiets gelangt ist. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind u.a. in den Fällen des Art. 204 Abs. 1 ZK vorgesehen, wenn sich die Verletzung der Förmlichkeiten auf die ordnungsgemäße Abwicklung des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat. Dem Ausnahmecharakter dieser Vorschrift entsprechend hat der Verordnungsgeber diese Fälle in Art. 859, 860 ZKDVO, in denen die Zollschuld bei Verfahrensverletzungen ausnahmsweise nicht entsteht, von engen Voraussetzungen abhängig gemacht.

Für den deutschen Rechtskreis bedeutet zwar die Einführung von Verschuldenskomponenten als Voraussetzung für das Nichtentstehen der Zollschuld gemäß Art. 859 Anstrich 2 ZKDVO gegenüber der früheren nationalen Regelung in § 57a des Zollgesetzes eine Verschärfung (vgl. dazu Anton, Zum Begriff der groben bzw. offensichtlichen Fahrlässigkeit in den Art. 859 und 899 ZollkodexDVO, ZfZ 1995, 314 ff.). Ähnliche Regelungen sind aber auch dem deutschen Abgabenrecht nicht unbekannt, wenn man beispielsweise an § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) denkt, wonach eine nachträgliche Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides zugunsten des Steuerpflichtigen auf Grund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen nicht in Betracht kommt, wenn den Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden (darunter fällt auch grobe Fahrlässigkeit) daran trifft, dass die Tatsachen erst nachträglich bekannt werden. Solche Regelungen sind nicht nur geeignet, den Beteiligten zur Einhaltung der Verfahrensvorschriften anzuhalten, sondern auch erforderlich, um die Einhaltung der Verfahrensvorschriften, die wie oben ausgeführt nicht um ihrer selbst Willen eingeführt wurden, zu gewährleisten. Nur so hat der Beteiligte ein eigenes Interesse daran, diese Vorschriften zu beachten. Sie sind auch angemessen, weil es weitgehend von der Sorgfalt des Beteiligten und der von ihm zur Erfüllung seiner Verpflichtungen herangezogenen Personen abhängt, ob er sich durch Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften dem Entstehen einer Zollschuld aussetzt, wegen der er in Anspruch genommen werden kann. Im Übrigen verfügt die Kommission als Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Durchführung grundsätzlicher Regelungen wie hier des ZK und der Wahl der dafür erforderlichen Mittel über einen weiten Ermessensspielraum (vgl. u.a. , EuGHE 1997, I-4559 Rdnrn. 49, 50).

Im Übrigen hat der EuGH bereits entschieden, dass sich die Regelung in Art. 859 ZKDVO im Rahmen der vom Rat der Kommission erteilten Ermächtigung zum Erlass von Durchführungsvorschriften hält (EuGH-Urteil in EuGHE 1999, I-7877).

b) Soweit die Klägerin in Bezug auf die Entstehung der Zollschuld Bedenken gegen die in Art. 378 Abs. 1 i.V.m. Art. 379 Abs. 2 ZKDVO a.F. geregelte Ausschlussfrist und die Art und Weise des nach Art. 380 ZKDVO a.F. zu führenden Alternativnachweises geltend macht, braucht der Senat darauf nicht näher einzugehen, weil es darauf im Streitfall nicht ankommt. Die Zollschuld ist bereits deswegen als entstanden anzusehen, weil die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass keine grobe Fahrlässigkeit der Beteiligten hinsichtlich der Verfahrenspflichten vorliegt.

c) Nicht ersichtlich ist, weshalb die Erhebung der Umsatzsteuer nach Meinung der Klägerin im Streitfall dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) widersprechen soll. Denn die Einfuhrumsatzsteuer entsteht bei jedem Vorgang, der als Einfuhr zu bewerten ist. Als solcher ist auch eine Pflichtverletzung anzusehen, die nach Art. 204 Abs. 1 ZK zur Entstehung der Zollschuld führt. Der Umstand, dass die Einfuhrumsatzsteuer demjenigen ”erspart” bleibt, der die Ware für sein Unternehmen einführt und sie daher als Vorsteuer geltend machen kann, während derjenige, der diese Voraussetzungen nicht erfüllt, sie zu tragen hat, kann bei der Frage, ob die Einfuhrumsatzsteuer entsteht, nicht berücksichtigt werden. Die Frage, ob darin eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gesehen werden könnte, wäre allenfalls im Zusammenhang mit einem etwa geltend gemachten Vorsteuerabzug zu erörtern, um den es aber im Streitfall nicht geht.

5. Der Senat hält es nicht für erforderlich, in dieser Sache eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 Abs. 3 EG einzuholen, weil sich keine vernünftige Zweifelsfrage hinsichtlich der Auslegung der betreffenden Gemeinschaftsvorschriften in dem Sinne ergibt, dass mehrere Auslegungsmöglichkeiten denkbar wären ( 283/81, EuGHE 1982, 3415-3442, und Senatsurteil vom VII R 107/81, BFHE 145, 266) und der Senat die Regelung in Art. 859 Anstrich 2 ZKDVO für gültig hält, wonach eine Zollschuld gemäß Art. 204 Abs. 1 ZK durch Verletzung wesentlicher Verfahrenspflichten entsteht, wenn nicht das Nichtvorliegen grober Fahrlässigkeit nachgewiesen wird (vgl.  314/85, EuGHE 1987, 4199).

Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 726
BB 2002 S. 294 Nr. 6
BFH/NV 2002 S. 301 Nr. 2
BFHE S. 383 Nr. 196
BStBl II 2003 S. 726 Nr. 13
DStRE 2002 S. 311 Nr. 5
UR 2002 S. 376 Nr. 8
KAAAA-69368