BGH Urteil v. - IV ZR 304/16

Altverträge über eine Lebensversicherung und zwei private Rentenversicherungen nach dem sog. Antragsmodell: Beginn der Verjährungsfrist für die Rückabwicklungsansprüche nach Rücktritt

Leitsatz

Der Beginn der Verjährungsfrist für einen Rückabwicklungsanspruch nach einem Rücktritt gemäß § 8 VVG in der Fassung vom war nicht wegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage hinausgeschoben.

Gesetze: § 5a VVG vom , § 8 Abs 5 S 4 VVG vom , § 199 Abs 1 BGB, § 346 Abs 1 BGB

Instanzenzug: Az: 12 U 101/16 Urteilvorgehend Az: 18 O 38/15

Tatbestand

1Die Klägerseite (Versicherungsnehmer, im Folgenden: d. VN) macht gegen den beklagten Versicherer (im Folgenden: Versicherer) im Wege der Stufenklage Ansprüche aus zwei Rentenversicherungen und einer kapitalbildenden Lebensversicherung nach Rücktritt geltend.

2Diese wurden jeweils aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. November bzw. zum nach dem so genannten Antragsmodell des § 8 VVG in der seinerzeit gültigen Fassung vom (im Folgenden: § 8 VVG a.F.) abgeschlossen. D. VN zahlte fortan die Versicherungsbeiträge.

3Mit Anwaltsschreiben vom 24. September und vom erklärte er den "Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG, bzw. den Widerruf nach § 355 BGB, höchstvorsorglich die Anfechtung nach § 119 I BGB, hilfsweise die Kündigung".

4Der Versicherer bestätigte die Kündigungen und zahlte d. VN die Rückkaufswerte aus. Mit der Ende Dezember 2015 eingereichten und im Januar 2016 zugestellten Klage verlangt d. VN Auskunft über die Höhe des Kostenanteils der Prämien sowie der hieraus, aus dem Sparanteil und aus dem Risikoanteil gezogenen Nutzungen und die sich hieraus ergebenden Zahlungen.

5Nach Auffassung d. VN ist er wirksam von den Versicherungsverträgen zurückgetreten. Da er nicht ordnungsgemäß über sein Rücktrittsrecht belehrt worden sei, habe er auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. den Rücktritt noch erklären können.

6Der Versicherer erhebt die Einrede der Verjährung.

7Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Gründe

8Die Revision hat keinen Erfolg.

9I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung in VersR 2017, 81 veröffentlicht ist, sind Ansprüche des nicht ordnungsgemäß über sein Rücktrittsrecht belehrten VN mit Ablauf des Jahres 2013 verjährt. D. VN könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Beginn der Verjährung wegen einer unsicheren Rechtslage bis zur Vorlageentscheidung des Senats vom (IV ZR 76/11, r+s 2012, 281) oder der anschließenden Revisionsentscheidung in jener Sache vom (BGHZ 201, 101) hinausgeschoben gewesen sei. Zwar könne eine unsichere Rechtslage eine Partei von der Geltendmachung eines Anspruchs abhalten und zu einem Hinausschieben des Verjährungsbeginns führen. So liege der Fall hier jedoch nicht. D. VN habe angesichts der ungeklärten Frage der Europarechtswidrigkeit der Regelungen in §§ 5a, 8 VVG a.F. mit der Ausübung des Rücktrittsrechts bis zur höchstrichterlichen Klärung zuwarten können. Durch die Erklärung des Rücktritts im Jahr 2010 habe d. VN die in § 199 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Zumutbarkeitsschwelle als Voraussetzung für den Verjährungsbeginn überschritten und die Verjährungsfrist in Gang gesetzt.

10II. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.

11Etwaige Rückabwicklungsansprüche aus § 346 Abs. 1 BGB, deren Durchsetzung mit der Stufenklage vorbereitet werden soll, waren bei Erhebung der Klage im Januar 2016 verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB) regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB abgelaufen. Die Verjährung begann mit dem Schluss des Jahres 2010 und lief Ende 2013 ab.

121. Die Regelverjährung beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

13a) Die Rückabwicklungsansprüche entstanden jeweils mit den Rücktrittserklärungen im Jahr 2010 (vgl. , r+s 2015, 60 Rn. 34; vom - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rn. 24; , BGHZ 170, 31 Rn. 37).

14b) Im Zeitpunkt der Rücktrittserklärungen hatte d. VN auch im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 25).

15aa) Der Verjährungsbeginn setzt gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände voraus. Nicht erforderlich ist in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn aber hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. In diesen Fällen fehlt es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn (, WM 2017, 1652 Rn. 94; XI ZR 562/15, WM 2017, 1643 Rn. 86; vom - I ZR 222/14, WRP 2016, 1517 Rn. 42; vom - XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 Rn. 35; Beschluss vom - XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 Rn. 26; jeweils m.w.N.; st. Rspr.).

16bb) D. VN war die Erhebung einer Klage nicht wegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage unzumutbar, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat. Entgegen der Auffassung der Revision war der Verjährungsbeginn nicht bis zum Vorlagebeschluss des Senats vom (IV ZR 76/11, r+s 2012, 281), bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (r+s 2014, 57) und deren Umsetzung in das deutsche Recht durch die , BGHZ 201, 101) und vom (IV ZR 260/11, r+s 2015, 60 Rn. 34) oder bis zu dem Nichtannahmebeschluss des (VersR 2016, 1037) hinausgeschoben.

17(1) Für eine Unzumutbarkeit der Klageerhebung genügte es nicht, dass über die Richtlinienkonformität des § 5a VVG a.F. ein im Jahr 2010 noch nicht geklärter Meinungsstreit bestand, der sich, wie die Revision geltend macht, gleichermaßen auf § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. übertragen ließ. Anders als die Revision meint, ist eine Rechtslage nicht schon dann im Sinne der genannten Rechtsprechung unsicher und zweifelhaft, wenn eine Rechtsfrage umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden ist (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 208/09, r+s 2010, 364 Rn. 20; , NJW 2011, 1278 Rn. 21). Bei einer solchen Konstellation ist dem Gläubiger die Erhebung einer Klage jedenfalls dann nicht unzumutbar, wenn er gleichwohl bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung seinen Anspruch gegenüber dem Schuldner geltend macht und dadurch selbst zu erkennen gibt, vom Bestehen des Anspruchs auszugehen (vgl. , BeckRS 2009, 22099 Rn. 7; BAGE 149, 169 Rn. 37). So liegt es hier. D. VN war die Klageerhebung trotz des zur Zeit des Rücktritts noch bestehenden Meinungsstreits nicht unzumutbar, nachdem er durch die Erklärung des Rücktritts und die Geltendmachung von Rückgewähransprüchen zu erkennen gegeben hatte, dass er von einem fortbestehenden Lösungsrecht und einem Rückerstattungsanspruch ausging.

18(2) Dass die obergerichtliche Rechtsprechung noch im Jahr 2010 nahezu einhellig davon ausging, die später vom Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom (r+s 2014, 57) als richtlinienwidrig angesehene Bestimmung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sei nicht zu beanstanden (vgl. beispielhaft OLG Köln VersR 2011, 245; vgl. , juris Rn. 11 zu § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F.), machte die Klageerhebung ebenfalls nicht ausnahmsweise unzumutbar. Zwar kann eine entgegenstehende Rechtsprechung ausnahmsweise den kenntnisabhängigen Beginn der Verjährungsfrist hinausschieben. Dies setzt aber eine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung voraus (vgl. , BGHZ 203, 115 Rn. 35; vom - III ZR 346/03, BGHZ 160, 216, 232 = juris Rn. 39; Beschluss vom - XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 Rn. 34). Eine solche existierte zu § 5a VVG a.F. ebenso wie zu § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. nicht.

192. Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigt auch das europarechtliche Effektivitätsgebot keine abweichende Beurteilung.

20a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es mangels einer einschlägigen Unionsregelung Sache der Mitgliedstaaten, das Verfahren - einschließlich der Verjährungsregelungen - für die Klagen auszugestalten, die den vollen Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Dabei dürfen diese Verfahren allerdings nicht weniger günstig gestaltet sein als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Grundsatz der Äquivalenz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. EuGH NVwZ 2014, 433 Rn. 23; Slg 2011, I-78919 Rn. 32; Slg 2011, I-4043 Rn. 16 m.w.N.; EuZW 2009, 334 Rn. 48). Die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung - hier die nationale kenntnisabhängige Regelverjährungsfrist von drei Jahren - wahrt diese Grundsätze und führt nicht dazu, dass die Ausübung der durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte dadurch praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde (vgl. EuGH NVwZ 2014, 433 Rn. 29; EuZW 2009, 334 Rn. 48), auch wenn ihr Ablauf naturgemäß die vollständige oder teilweise Abweisung der Klage zur Folge hat (EuGH Slg 2011, I-78919 Rn. 36 m.w.N.).

21b) Wenn die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Versicherungsnehmer den Rücktritt erklärt hat, bedeutet dies entgegen der Ansicht der Revision nicht, dass der Versicherungsnehmer in der Ausübung seines Lösungsrechts unzumutbar beschränkt wird. Dadurch, dass die Verjährung erst nach Erklärung des Rücktritts beginnt (Senatsurteil vom - IV ZR 260/11, r+s 2015, 60 Rn. 34), ist dem Versicherungsnehmer für die Lösung vom Vertrag eine ausreichende Zeit eingeräumt. Es ist sichergestellt, dass der nicht oder nicht ordnungsgemäß über sein Lösungsrecht belehrte Versicherungsnehmer von diesem Gebrauch machen kann und vorher die Verjährung nicht abläuft. Durch das Hinausschieben des Verjährungsbeginns bis zum Schluss des Jahres, in dem der Versicherungsnehmer sein Lösungsrecht ausübt, hat der Senat dem Effektivitätsgebot gerade Rechnung getragen.

223. Da die Ansprüche, die mit der Stufenklage im Ergebnis verfolgt werden, jedenfalls nicht durchsetzbar sind, war die Stufenklage insgesamt abzuweisen (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 69/08, VersR 2010, 801 Rn. 25).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:210218UIVZR304.16.0

Fundstelle(n):
WM 2018 S. 512 Nr. 11
ZIP 2018 S. 1699 Nr. 35
EAAAG-77880