BFH Beschluss v. - X B 30/02

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (BFH-Beschlüsse vom VIII B 41/91, BFHE 165, 287, BStBl II 1991, 924; vom I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254, jeweils zum bis einschließlich 2000 geltenden Zulassungsrecht). Für den —hier anzuwendenden— § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom (BGBl I 2000, 1757) gilt nichts anderes (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII B 66/01, BFH/NV 2002, 1308; vom X B 102/01, BFH/NV 2002, 1045).

2. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) aufgeworfene Rechtsfrage, ob der in § 11 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verwendete Begriff ”kurze Zeit” in der Variante ”vor Beginn des Kalenderjahrs” anders auszulegen ist als in der Variante ”nach Beendigung des Kalenderjahrs”, ist nicht klärungsbedürftig.

Eine Rechtsfrage ist klärungsbedürftig, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 115 Rn. 28). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es insbesondere dann, wenn die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat (BFH-Beschlüsse vom IV B 61/71, BFHE 106, 276, BStBl II 1972, 792; vom VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231).

Den Klägern ist zwar darin zuzustimmen, dass die Entscheidungen des BFH zur Auslegung des Begriffs ”kurze Zeit” bisher nur zu Fallgestaltungen ergangen sind, in denen Einnahmen nach Beendigung des Kalenderjahres zugeflossen waren: In diesen Entscheidungen hat der BFH als ”kurze Zeit” einen Zeitraum von ”höchstens zehn Tagen” angesehen (Urteile vom VI 152/63, Steuerrechtsprechung in Karteiform —StRK—, Einkommensteuergesetz bis 1974, § 11, Rechtsspruch 50; vom VI R 161/72, BFHE 112, 373, BStBl II 1974, 547); einige Entscheidungen weisen die Formulierung ”in der Regel ein Zeitraum bis zu zehn Tagen” auf (, BFHE 145, 538, BStBl II 1986, 342; vom IV R 309/84, BFHE 147, 419, BStBl II 1987, 16); in anderen Entscheidungen ist der BFH stillschweigend von einem zehn Tage nicht überschreitenden Zeitraum ausgegangen (, BFHE 178, 326, BStBl II 1996, 266; vom IV R 72/94, BFH/NV 1996, 209; vom IV R 47/95, BFHE 183, 78, BStBl II 1997, 509; vom IV R 1/99, BFHE 190, 335, BStBl II 2000, 121).

Es bestehen indes keine Zweifel, dass diese Auslegung —wie es das FG getan hat— auch dann vorzunehmen ist, wenn die Einnahmen vor Beginn des Kalenderjahrs zufließen. Denn der in § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG verwendete Begriff ”kurze Zeit” ist für beide Fallgestaltungen einheitlich auszulegen. Insbesondere stellen die Weihnachtsfeiertage keinen Grund dar, den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG vor dem Jahreswechsel für einen längeren Zeitraum zu eröffnen als danach. Denn der Zweck dieser Norm besteht —wie das FG zutreffend ausführt— nicht darin, dem Steuerpflichtigen eine bestimmte Anzahl von Arbeitstagen als Überlegungszeit zu verschaffen. Vielmehr dient sie dazu, ”in engen Grenzen” (BFH in BFHE 112, 373, BStBl II 1974, 547) Zufallsergebnisse bei der Besteuerung zu vermeiden.

3. Auch die Rechtsfrage, ob die von der Rechtsprechung vorgenommene Konkretisierung auf einen Zehn-Tages-Zeitraum allgemein gilt oder nur einen vom Einzelfall abhängigen Regelzeitrahmen darstellt, ist nicht klärungsbedürftig.

Zum einen ist den beiden BFH-Entscheidungen, die den Zusatz ”in der Regel” verwenden (BFH in BFHE 145, 538, BStBl II 1986, 342 und in BFHE 147, 419, BStBl II 1987, 16), nicht zu entnehmen, dass dies zu von der ursprünglichen Formulierung (”höchstens zehn Tage”) abweichenden Ergebnissen führen sollte. Im Gegenteil wird in beiden Entscheidungen ausdrücklich auf die bestehende und als solche bezeichnete ständige Rechtsprechung (BFH in StRK, Einkommensteuergesetz bis 1974, § 11, Rechtsspruch 50, und in BFHE 112, 373, BStBl II 1974, 547) verwiesen. Das FG Baden-Württemberg führt in dem —von den Klägern herangezogenen— Urteil vom III 102/77 (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1979, 252) zwar aus, die zehn Tage seien keine absolute Grenze, vielmehr seien die Verhältnisse des Einzelfalls maßgebend. Im Ergebnis nimmt es aber gerade keine Erweiterung des Zehn-Tages-Zeitraums vor, sondern ordnet die im Urteilsfall am 14. Januar erfolgte Zahlung dem Jahr des tatsächlichen Zuflusses zu, ohne § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG anzuwenden.

Zum anderen ist diese Frage in der Literatur nicht in dem Maße umstritten, wie die Kläger es darstellen: Die ganz überwiegende Zahl der Autoren versteht den Zehn-Tages-Zeitraum unter Bezugnahme auf die entsprechende Rechtsprechung als Höchstgrenze (Kirchhof/Seiler, Einkommensteuergesetz, 2. Aufl., § 11 Rn. 55; Blümich/Glenk, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 11 EStG Rz. 93; Fitsch in Lademann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 11 Anm. 33; Kramer in Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, § 11 Rn. 48; Dankmeyer/Giloy, Einkommensteuer, § 11 EStG Rn. 34; Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 11 EStG Rz. 137; Dürr in Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 11 Rz. 46; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 11 Rdnr. B 89), teilweise mit dem —nicht näher erläuterten— Zusatz ”in der Regel” (Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 11 Rz. 23; Korn/Schiffers, Einkommensteuergesetz, § 11 Rn. 34). Auch in den Aufsätzen von Seer (Deutsches Steuerrecht —DStR— 1987, 603), und Günther (Finanz-Rundschau —FR— 1989, 428) ist —entgegen der Darstellung der Kläger— unmissverständlich der 22. Dezember als Beginn des Zehn-Tages-Zeitraums genannt.

Nur Birk (in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 11 EStG Anm. 80) führt —allerdings nach Benennung des Zeitraums ”vom 22.12. bis 10.1.” und einer Bezugnahme auf die oben dargestellte Rechtsprechung— aus, eine absolute Grenze könne nicht gesetzt werden; vielmehr sei nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu entscheiden. Diese —in ihrer Reichweite zudem nicht näher konkretisierte— Einzelmeinung kann angesichts der im Übrigen bestehenden Einheitlichkeit indes nicht dazu führen, die Rechtsfrage als klärungsbedürftig anzusehen. Zudem geht auch Birk in seiner Kommentierung der zeitlichen Zuordnung regelmäßig wiederkehrender Ausgaben (a.a.O., Anm. 123) allein von dem Zehn-Tages-Zeitraum aus, ohne die —erneut in Bezug genommene— Rechtsprechung hier in Frage zu stellen.

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 169
BFH/NV 2003 S. 169 Nr. 2
TAAAA-67839