BGH Beschluss v. - VI ZB 40/16

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Umfang der Prüfungspflicht des Rechtsanwalts bei in der Handakte befindlichem Vermerk über die Notierung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenbuch

Leitsatz

Ist die Berufungsbegründungsfrist errechnet und befindet sich in den Handakten ein Vermerk über die Notierung der Frist im Fristenbuch, kann sich der Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken und braucht nicht noch zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist, außer es drängen sich an der Richtigkeit Zweifel auf (Beibehaltung von , NJW 2008, 1670).

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 234 ZPO, § 520 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 4 U 82/16vorgehend LG Bamberg Az: 2 O 591/14

Gründe

I.

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen ärztlicher Behandlungsfehler auf Schadensersatz in Anspruch. Das klagabweisende Urteil des Landgerichts wurde ihren Prozessbevollmächtigten am zugestellt. Die Klägerin legte am (Dienstag nach Pfingstmontag) Berufung ein. Am beantragte die Klägerin, die Frist zur Berufungsbegründung "um 1 Monat, also bis zum zu verlängern". Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Frist zur Berufungsbegründung bereits am abgelaufen sei, beantragte die Klägerin am unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten K. Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist und reichte noch am selben Tag die Berufungsbegründung ein. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsbegehrens führte die Klägerin aus, dass die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung auf einem Versehen der Büroangestellten K. beruhe, welches ihr Prozessbevollmächtigter, der Rechtsanwalt A., nicht habe erkennen können. Die stets zuverlässige K., die über mehr als 25 Jahre Berufserfahrung verfüge, sei innerhalb der Kanzlei ausschließlich für die büromäßige Erfassung fristrelevanter Schriftsätze zuständig gewesen und sei dabei regelmäßig kontrolliert und überwacht worden. Allgemein sei das Fristenwesen so organisiert, dass K. die Schriftsätze mit taggenauen Eingangsstempeln versehe, sie auf fristrelevante Tatbestände prüfe und die sich ergebenden Fristen, einschließlich einer Vorfrist, zunächst auf den Schriftsätzen und zeitgleich im Fristenkalender notiere. Im hiesigen Verfahren habe K. bei Erhalt des erstinstanzlichen Urteils die Frist zur Berufungsbegründung zutreffend für den auf einem "extra Zettel" festgehalten und diesen auf die Akte mit dem Urteil geheftet, sie habe die Frist im Fristenkalender aber versehentlich unter dem notiert. Rechtsanwalt A. habe, nachdem ihm die Akte am auf Vorfrist vorgelegt worden sei, ein Fristverlängerungsgesuch diktiert, verbunden mit der Arbeitsanweisung, selbiges "zum Fristablauf" per Telefax an das Berufungsgericht zu versenden. Die Kanzleimitarbeiterin, die das Fristverlängerungsgesuch ausgefertigt habe, habe sich dafür an der im Kalender eingetragenen Frist orientiert. Erst auf Grund der Mitteilung des Berufungsgerichts sei offenbar geworden, dass die Eintragung im Fristenkalender unrichtig gewesen sei.

2Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin müsse sich die von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurechnen lassen. Der Rechtsanwalt sei zur Prüfung des Fristlaufs jedes Mal verpflichtet, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werde. Durch einen Abgleich mit dem in der Berufungsschrift zutreffend wiedergegebenen Zustelldatum des erstinstanzlichen Urteils mit den Eintragungen im Termins- und Fristenkalender habe er die Fehlerhaftigkeit der Eintragung im Fristenkalender leicht erkennen können. Bereits bei Abfassung der Berufungsschrift, spätestens aber bei der Wiedervorlage der Akte zum Zeitpunkt der Vorfrist, habe der Klägervertreter daher die Fehleintragung erkennen können und müssen. Vor diesem Hintergrund könne offen bleiben, ob in der Arbeitsanweisung, das Fristverlängerungsgesuch erst zum Fristablauf zu versenden, ein eigenständiger Sorgfaltsverstoß zu sehen sei.

3Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit welcher sie ihr Wiedereinsetzungsbegehren weiterverfolgt.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, aber nicht zulässig. Es fehlt an dem nach § 574 Abs. 2 ZPO erforderlichen Zulassungsgrund.

5Die Rechtsbeschwerde macht, unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) eine Verletzung der Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend. Solche Rechtsverletzungen liegen jedoch nicht vor.

61. Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren (st. Rspr. vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 7/15, VersR 2016, 1073 Rn. 8; vom - VI ZB 76/11, VersR 2013, 645 Rn. 5; , NJW-RR 2013, 1011 Rn. 6 jeweils mwN). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht beachtet.

72. Nach den zur anwaltlichen Fristenkontrolle entwickelten Grundsätzen hat der Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt werden. Er hat selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. Denn die sorgfältige Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung durch den Rechtsanwalt schließt stets auch die selbständige Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit mit ein (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 46/14, VersR 2015, 513 Rn. 9 und vom - VI ZB 76/11, VersR 2013, 645 Rn. 7; , NJW 2014, 3452 Rn. 11; Beschluss vom - XII ZB 167/11, NJW-RR 2013, 1010 Rn. 10 f. jeweils mwN). Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, beschränkt sich dabei nicht nur auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist, die nach § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt und deren Ablauf daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits feststeht (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 37/14, NJW-RR 2015, 1468 Rn. 7; vom - VI ZB 46/14, VersR 2015, 513 Rn. 7; vom - VI ZB 4/11, juris, Rn. 5 f.; vom - VI ZB 5/06, VersR 2008, 233 Rn. 11).

8Für den Fall, dass die Notierung von Fristen - wie hier - einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen wird, muss durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt sein, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 709/13, WM 2015, 257 Rn. 12; vom - XII ZB 116/13, FamRZ 2014, 284 Rn. 7; vom - VIII ZB 12/10, NJW 2010, 3305 Rn. 9; vom - II ZB 10/09, MDR 2010, 533 f.; vom - VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815 f.). Der Anwalt hat dabei sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Fristen auszuschließen (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8; vom - II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 9). Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 5/16, NJW-RR 2017, 953 Rn. 9; vom - VIII ZB 55/13, juris Rn. 7; vom - VIII ZB 63/04, NJW-RR 2004, 1714). Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört dabei die klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in den Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt (, juris Rn. 9).

9Zwar erstreckt sich die Pflicht des Rechtsanwaltes zur Prüfung grundsätzlich auch darauf, ob das (zutreffend errechnete) Fristende im Fristenkalender notiert worden ist. Doch kann sich der Rechtsanwalt unter den oben genannten Voraussetzungen grundsätzlich auf die Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken (Senatsbeschluss vom - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670 Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 55/13, juris Rn. 7; vom - IV ZB 13/14, juris Rn. 16; vom - XII ZB 709/13, WM 2015, 257 Rn. 12; vom - I ZB 76/11, AnwBl. 2013, 233 Rn. 5; vom - VII ZB 18/10, - VII ZB 19/10, NJW 2012, 614 Rn. 11). Ist die Erledigung der Eintragung im Fristenkalender ordnungsgemäß in der Handakte vermerkt und drängen sich an der Richtigkeit insoweit keine Zweifel auf, braucht der Rechtsanwalt nicht noch zusätzlich zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist. Andernfalls würde die Einschaltung von Bürokräften in die Fristenüberwachung weitgehend sinnlos, die jedoch aus organisatorischen Gründen erforderlich und deshalb zulässig ist (Senatsbeschluss vom - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670 Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 167/11, NJW-RR 2013, 1010 Rn. 11; vom - III ZB 47/12, juris Rn. 7; vom - II ZB 10/09, MDR 2010, 533 mwN).

103. Nach diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass Rechtsanwalt A. bereits bei Anfertigung der Berufungsschrift verpflichtet war, die Frist zur Berufungsbegründung eigenverantwortlich zu ermitteln und ihre korrekte Notierung zu prüfen. Dass Rechtsanwalt A. die erforderliche eigenverantwortliche Überprüfung der Berufungsbegründungsfrist überhaupt vorgenommen hat, lässt sich dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Wiedereinsetzungsgesuch nicht sicher entnehmen. Allerdings hat er im Wiedereinsetzungsverfahren geltend gemacht, dass er, als er die Akte in der Hand gehalten habe, den korrekt berechneten Stichtag () vor Augen gehabt habe.

11Es kann dahinstehen, ob damit eine Überprüfung der Fristen anhand der Handakte dargelegt wird, denn die Voraussetzungen für eine Fristenkontrolle lediglich anhand der Handakte (und nicht des Fristenkalenders) lagen im Streitfall nicht vor. Aus den Darlegungen der Klägerin ergibt sich weder, dass sich in der Handakte ein auf die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender bezogener Erledigungsvermerk befand, noch dass es in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten eine entsprechende Anweisung gab. Bei dieser Sachlage blieb Rechtsanwalt A. zur Kontrolle der Eintragung im Fristenkalender verpflichtet (Senatsbeschluss vom - VI ZB 5/06, VersR 2008, 233 Rn. 11 f.; , juris Rn. 6).

124. Dabei gab der fehlende Vortrag zu einem Erledigungsvermerk keinen Anlass zu einer weiteren gerichtlichen Aufklärung gem. § 139 ZPO, da eine solche nur bei fristgerecht gemachten, aber erkennbar unklaren oder ergänzungsbedürftigen Angaben geboten gewesen wäre (st. Rspr. vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 19/16, VersR 2016, 1463 Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom - III ZB 2/16, NJW-RR 2016, 1022 Rn. 12; vom - V ZB 72/15, NJW 2016, 874 Rn. 16 jeweils mwN). Die Anforderungen, welche die Rechtsprechung an die Organisation der Fristenkontrolle stellt, sind aber bekannt und müssen einem Rechtsanwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag in dem Wiedereinsetzungsgesuch dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären bzw. zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (Senatsbeschluss vom - VI ZB 15/15, VersR 2016, 1333 Rn. 13; BGH, Beschlüsse vom - III ZB 2/16, NJW-RR 2016, 1022 Rn. 12 und vom - V ZB 72/15, NJW 2016, 874 Rn. 16 jeweils mwN).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:190917BVIZB40.16.0

Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 8 Nr. 47
NJW 2018 S. 1407 Nr. 19
NJW-RR 2018 S. 58 Nr. 1
QAAAG-60674