BGH Beschluss v. - IX ZB 124/10

Wiedereinsetzung bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Prüfungspflicht des Rechtsanwalts bei Eintragungsdiskrepanz zwischen Fristenkalender und Handakte

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: OLG Braunschweig Az: 3 U 140/09 Beschlussvorgehend LG Braunschweig Az: 5 O 1240/09

Gründe

I.

1Die Beklagte hat gegen ihre Verurteilung zur anfechtungsrechtlichen Rückgewähr am Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel am , am Tag nach Ablauf der Frist, begründet. Nach Hinweis auf die Verspätung hat die Beklagte am den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gestellt und unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der betreffenden Kanzleikraft vorgetragen:

2Die Berufungsbegründungsfrist sei zunächst unter dem Zustellungstag des erstinstanzlichen Urteils in dem Fristenkalender des Jahres 2009 vermerkt und später in den Fristenkalender des Jahres 2010 übertragen worden. Bei diesem Vorgang sei die richtig berechnete Frist fehlerhaft auf den notiert worden, dem gleichen Wochentag wie dem Zustellungstag. Die nach dem Fristvermerk auf der Handakte am unterzeichnete Berufungsbegründung sei dann trotz persönlicher Überprüfung des Fristenkalenders durch den Prozessbevollmächtigten am Abend des nicht mehr am selben Tage herausgegangen.

3Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde.

II.

4Die kraft Gesetzes statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig. Die Rechtsbeschwerde legt keine entscheidungserhebliche Abweichung des Berufungsgerichts von Rechtsgrundsätzen des Bundesgerichtshofs oder eines Berufungsgerichts dar. Die Möglichkeit, dass Verfahrensgrundrechte der Rechtsbeschwerdeführerin (vgl. , NJW 2006, 1519 Rn. 7; vom - IX ZB 292/08, Rn. 2) verletzt sein könnten, ist nicht ersichtlich.

51. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass ein Rechtsanwalt den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen hat, wenn ihm die Handakten kurz vor Fristablauf zur Anfertigung dieses bestimmenden Schriftsatzes vorgelegt werden (, NJW 2007, 1599 Rn. 6; vom - VI ZB 4/11, Rn. 6 mwN). Der Rechtsanwalt darf sich dabei nicht darauf beschränken, die Frist der Handakte zu entnehmen. Die Handakte muss auch erkennen lassen, dass die Berufungsbegründungsfrist zur Gegenkontrolle im Fristenkalender eingetragen worden ist. Dem hat der Rechtsanwalt eigenverantwortlich nachzugehen, wobei er sich im Regelfall darauf beschränken kann, die Vollständigkeit der Handaktenvermerke festzustellen (, NJW 2008, 1670 Rn. 6; vom - II ZB 6/08, NJW 2009, 1083 Rn. 11; vom - II ZB 10/09, MDR 2010, 533 f; vom - III ZB 25/11 Rn. 8).

62. Hier ist schon nicht glaubhaft gemacht worden, dass die zur Bearbeitung vorgelegte Handakte einen Vermerk über die Eintragung der dort richtig notierten Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender enthielt. War dieser Vermerk unterblieben, musste der Prozessbevollmächtigte persönlich die Eintragung der Frist im Fristenkalender überprüfen, um sicher zu gehen, dass der am selben Tag drohende Fristablauf für den Schriftsatz nicht bei abendlicher Kontrolle des Kalenders übersehen wurde (vgl. , NJW 2007, 1597 Rn. 12) und der Schriftsatz infolgedessen bis zum nächsten Tag liegen blieb.

7So will der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nach seiner ergänzenden Stellungnahme vom auch verfahren sein. Unerklärlich ist aber dann, wieso ihm trotz vorheriger Unterzeichnung der Berufungsbegründung und Vorlage der Handakte mit der richtig berechneten Begründungsfrist die im Kalender am richtigen Tag fehlende Notierung entgangen ist und er keine Richtigstellung veranlasst hat. Zusätzlich hätte er die unmissverständliche Weisung erteilen müssen, den Schriftsatz noch heute in den Gerichtsbriefkasten einzuwerfen, weil die ursprüngliche Fristnotierung im Kalender nicht stimme. Eine solche - rechtlich gebotene - Vorgehensweise hat das Berufungsgericht für nicht glaubhaft gemacht erachtet. Daran ist das Rechtsbeschwerdegericht gebunden. Die behauptete Einzelweisung würde sich tatsächlich auch nicht mit dem vorgetragenen Geschehen des nächsten Tages in Einklang bringen lassen, auf das es ansonsten nicht mehr ankommt. So gesehen hat das Berufungsgericht mit Recht ein persönliches Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten bejaht, welches sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss und die Wiedereinsetzung in die versäumte Notfrist hindert.

Kayser                          Raebel                               Gehrlein

                 Grupp                             Möhring

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Fundstelle(n):
BAAAE-23992