BGH Urteil v. - 4 StR 359/16

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Erheblichkeit von Bedrohungen in Form von Todesdrohungen; Gefahr der Umsetzung der Gewaltfantasien eines bisher nicht mit Gewaltdelikten in Erscheinung getretenen Angeklagten

Gesetze: § 63 S 2 StGB vom , § 241 StGB, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Stendal Az: 501 KLs 4/16

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in zehn Fällen und wegen versuchten Diebstahls zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs.

I.

21. Nach den Feststellungen leidet der im Jahr 2015 einmal wegen mehrerer Diebstahlstaten zu einer Bewährungsstrafe verurteilte Angeklagte spätestens seit dem Jahr 2014 an einer paranoiden Schizophrenie mit inzwischen chronifiziertem Verlauf. Es kommt zu formalen Denkstörungen, Gedankenabrissen und sprunghaftem Denken. Außerdem leidet er unter Halluzinationen; er hört Stimmen, denen er mit Gegenreden zu begegnen versucht, und fühlt sich fremdbeeinflusst, verfolgt und beobachtet. Daneben leidet er auch an einer Polytoxikomanie, die aber nach Auffassung des Sachverständigen, der sich die Strafkammer angeschlossen hat, „nicht auslösend für dessen rechtswidrige Handlungen gewesen sei“ (UA 20).

3Im Januar 2014 traf der Angeklagte nach vielen Jahren seine beiden Cousinen A.   und J.      M.    wieder. Um den abgebrochenen Kontakt zwischen ihm und seiner pflegebedürftigen Mutter wiederherzustellen, boten die Schwestern dem Angeklagten ihre Unterstützung an und tauschten die Telefonnummern aus. Der Angeklagte deutete die Zuwendung von Seiten der J.     M.    als persönliches Interesse an ihm und versuchte deshalb, zu ihr eine Liebesbeziehung aufzubauen. Dies wiesen J.       und A.    M.   unmissverständlich zurück. Der Angeklagte suchte gleichwohl ständig die Nähe von J.     M.    und den Kontakt zu ihr. Er schrieb ihr zu jeder Tages- und Nachtzeit unzählige Nachrichten mit seinem Mobiltelefon und versuchte, sie anzurufen. Er war der Vorstellung verhaftet, mit ihr zusammen zu sein und sie heiraten zu wollen. Mit der von beiden Schwestern nachdrücklich geäußerten Bitte, Distanz zu halten und sie in Ruhe zu lassen, konnte der Angeklagte sich nicht abfinden. Er steigerte sich in die Vorstellung hinein, A.   M.   wolle die Beziehung zu ihrer Schwester vereiteln, obwohl diese mit ihm zusammen sein wolle. Der Angeklagte begann schließlich „gegen A.   M.   Drohungen auszusprechen, die bis zu der Vorstellung, sie zu töten, reichten und sie um ihr Leben fürchten ließen“ (UA 6). Er meinte, sie zerstöre seine Liebe und töte seine Seele, das rechtfertige einen „Ehrenmord“. Er warf Briefe oder Postkarten in ihren Briefkasten, erschien auch wiederholt - teilweise nachts - plötzlich vor der Haustür der beiden Schwestern und verlangte, J.      M.    zu sprechen. Die zunehmenden Nachstellungen versetzten beide Schwestern in Angst und Schrecken. Trotz eines gegen ihn schließlich erwirkten Kontaktverbots schrieb er aus in anderer Sache verhängter Untersuchungshaft drei Briefe an J.     M.   . Auch nach Entlassung aus dieser Haft kreisten seine Gedanken um seine unerfüllte Liebe zu ihr. Er litt unter der Situation und suchte nach Ausgleich und Entlastung. Auch nach seiner vorläufigen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in dieser Sache wandte er sich brieflich an J.        M.    und fantasierte von einer Beziehung und sexuellem Kontakt. A.   M.   steht er unverändert feindselig gegenüber. Er ist davon überzeugt, sich an seinen Cousinen rächen zu dürfen (UA 27).

42. Der Verurteilung des Angeklagten liegen im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde:

5Der Angeklagte hatte aufgrund seiner schwierigen finanziellen Lage und seiner durch die schizophrene Erkrankung hervorgerufenen psychischen Beeinträchtigung das dringende Bedürfnis, ein Gegengewicht schaffen zu müssen. Obwohl er sich krank fühlte, zog er nicht in Erwägung, ärztliche oder andere Hilfe zu suchen. Aufgrund seiner krankheitsbedingt erheblich eingeschränkten Kritikfähigkeit sah er einen Ausweg hierfür nur darin, erneut Diebstähle zu begehen und so seinen Lebensunterhalt und seinen täglichen Drogenkonsum zu finanzieren.

6In der Zeit vom bis zum beging er im Zustand einer manifesten paranoiden Schizophrenie (UA 22) die abgeurteilten Anlasstaten. Er war zu den jeweiligen Tatzeitpunkten mit dem Fahrrad unterwegs und suchte gezielt nach geparkten Kraftfahrzeugen, in denen er vom Besitzer zurückgelassene verwertbare Gegenstände, insbesondere Brieftaschen, Navigationsgeräte oder Mobiltelefone, vermutete. Bevor er die Seitenscheiben der Fahrzeuge einschlug, schaute er deshalb in das Wageninnere. Wenn er meinte, dort etwas Verwertbares entdeckt zu haben, schlug er die Scheibe mit einem Stein oder einem Notfallhammer ein. Ihm war dabei bewusst, dass er rechtswidrig handelte und sich strafbar machte. Durch seine ihm als ausweglos erscheinende Lage und seine psychische Verfassung, durch die er sich zu den Taten gedrängt fühlte, war er in seiner Steuerungsfähigkeit jeweils erheblich vermindert.

7Vor diesem Hintergrund beging er in zehn Fällen jeweils einen Diebstahl im besonders schweren Fall aus geparkten Kraftfahrzeugen gemäß § 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 StGB; in einem weiteren Fall verblieb es beim Versuch, weil der Angeklagte im Wageninneren nichts für ihn Verwertbares finden konnte. Die Schäden blieben - soweit festgestellt - jeweils im zumeist unteren dreistelligen Bereich.

II.

8Die Revision ist begründet, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hat.

91. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig.

102. Zum Schuld- und Strafausspruch erweist sich die Revision als unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

113. Der Maßregelausspruch hält jedoch materiell-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

12Der Senat hat § 63 StGB in der seit geltenden Neufassung anzuwenden (§ 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO). Die Neufassung der Anordnungsvoraussetzungen von § 63 StGB greift im Wesentlichen die Konkretisierungen auf, die vom Bundesverfassungsgericht und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in den vergangenen Jahren vorgenommen worden sind. Es handelt sich damit vorrangig um bestätigende Kodifizierungen (vgl. BT-Drucks. 18/7244, S. 42; , StV 2017, 35).

13Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines überdauernden psychischen Defekts vermindert schuldfähig war und die Tatbegehungen auf diesem Zustand beruhen (UA 26). Die Gefährlichkeitsprognose begegnet indes durchgreifenden Bedenken.

14Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten - wie hier (vgl. mwN) - nicht aus den Anlasstaten selbst, ordnet das Gericht nach § 63 Satz 2 StGB nF die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur an, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (vgl. ).

15Hierbei kommt es auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an, da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat (vgl. , NStZ 1995, 228; , StraFO 2008, 300 f.). Das bedeutet, dass auch Bedrohungen im Sinne des § 241 StGB nicht von vornherein als unerheblich im Sinne des § 63 StGB angesehen werden können. Todesdrohungen, die geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen, stellen eine schwerwiegende Störung des Rechtsfriedens dar und sind nicht bloße Belästigungen (, NStZ-RR 2006, 358 f.). Schon im Hinblick auf das Gewicht eines Eingriffs gemäß § 63 StGB ist jedoch erforderlich, dass die Bedrohung in ihrer konkreten Ausgestaltung aus der Sicht des Betroffenen die naheliegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt (vgl. , NStZ 2008, 563 f., Beschlüsse vom - 1 StR 153/08, aaO und vom - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 f.).

16Dies wird in den bisher getroffenen Feststellungen und der ihnen zugrunde liegenden Beweiswürdigung nicht hinreichend belegt. Freilich hat der Angeklagte aufgrund seines psychischen Defekts immer wieder den Kontakt mit J.       und A.   M.    gesucht. Er hat hierbei und auch bei den Explorationen gegenüber dem Sachverständigen Todesdrohungen gegen beide Schwestern ausgestoßen. Auch hat er bei den Explorationen J.       M.  für sein Beeinträchtigungserleben und die ihn sehr belastenden Stimmen verantwortlich gemacht. Er ist sich sicher, dass J.       M.    ihn auch körperlich über die Distanz manipulieren könne (UA 21 f.). Nach der von der Strafkammer geteilten Einschätzung des Sachverständigen ist die Gefahr, dass der Angeklagte in krankheitsbedingter Verkennung von Situationen Gewaltstraftaten begehen werde, sehr hoch (UA 28). Allerdings kann der Senat dem angefochtenen Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen, dass der Angeklagte im Zusammenhang mit den Drohungen gegenüber den Schwestern etwa gefährliche Gegenstände bei sich geführt und damit ein erhebliches Druckpotential aufgebaut (vgl. , aaO; Beschluss vom - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77) oder sich auch nur gedanklich mit näher spezifizierten Tötungsarten beschäftigt hätte (vgl. , aaO). Deswegen ist nach den bisherigen Feststellungen nicht belegt, dass die Drohungen zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens geführt haben (vgl. hierzu etwa , NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom - 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385).

17Erst recht ist die Annahme des Landgerichts nicht belegt, dass von dem bislang wegen Gewaltdelikten nicht in Erscheinung getretenen Angeklagten die Gefahr einer Umsetzung der Gewaltfantasien gegen die beiden Schwestern ausging. Denn er hat bislang trotz der wiederholten Nähe zu ihnen nichts unternommen, um seine Drohungen in die Tat umzusetzen (vgl. , aaO). Die Strafkammer hat auch nicht festgestellt, dass bei ihm eine latente Neigung zu Gewalttätigkeiten zu erkennen gewesen wäre. Allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter kann die Gefahrenprognose nicht begründet werden (; Beschluss vom - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f.; vgl. dazu auch , StV 2016, 720 ff.).

184. Der Senat schließt nicht aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung weiter gehende Feststellungen getroffen werden können, welche die erforderliche Gefährlichkeitsprognose belegen. Die Sache bedarf daher zum Maßregelausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat schließt aus, dass sich die Maßregelanordnung auf die Höhe der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe sowie auf die Bewährungsentscheidung ausgewirkt hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:221216U4STR359.16.0

Fundstelle(n):
IAAAG-53942