BFH Beschluss v. - III B 65/01

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss gemäß § 132 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unzulässig zu verwerfen.

Die Beschwerde legt bereits weder die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative noch der Nr. 1 FGO entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dar (vgl. § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 3 FGO).

Die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) am zugestellte Urteil des Finanzgerichts (FG) richtet sich gemäß Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze —2.FGOÄndG— (BGBl I 2000, 1757) nach dem neuen Recht.

1. Der Streitfall erfordert keine abschließende Entscheidung zum Verhältnis der in Nr. 1 und Nr. 2 geregelten Zulassungsgründe zueinander.

a) Nach einer im Schrifttum vertretenen Auslegung wird § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO (Rechtsfortbildungsrevision) als lex specialis im Verhältnis zur Nr. 1 (Grundsatzrevision) verstanden (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Tz. 57 und 64, m.w.N.; Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 115 FGO Rz. 73 f.; ders., Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 2000, 773, 776) und dementsprechend angenommen, dass der in Nr. 2 1. Alternative neu geregelte Zulassungsgrund aus systematischen Erwägungen dem Anwendungsbereich der Nr. 1 entzogen sei.

Auf der anderen Seite wird auch die Auffassung vertreten, sowohl der unveränderte Wortlaut der Nr. 1 als auch die Entstehungsgeschichte des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO n.F. (vgl. insbesondere die Begründung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BTDrucks 14/4549, S. 6 und 13) sprächen gegen eine erweiternde bzw. einschränkende Auslegung. Vielmehr habe Nr. 1 keinen Bedeutungswandel erfahren (ausführlich Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 80 bis 82, m.w.N.; ebenso Dürr in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rz. 28 und 29); die vom Gesetzgeber mit der Neufassung des § 115 Abs. 2 FGO bezweckte Erweiterung des Zugangs zum Bundesfinanzhof —BFH— (vgl. BTDrucks 14/4061, S. 9) könne allenfalls im Rahmen der Nr. 2 2. Alternative erreicht werden (vgl. Lange, a.a.O., § 115 FGO Rz. 64, 83, 170, 200 ff.; s. auch Dürr in Schwarz, a.a.O., § 115 Rz. 29 und 42 ff., sowie 49 ff.).

Der XI. Senat des (nicht veröffentlicht —NV—) erkannt, dass die zu § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. entwickelten Rechtsgrundsätze fortgelten (ebenfalls Spindler, Der Betrieb —DB— 2001, 61, 62; Kanzler, Die Reform der FGO durch das 2.FGOÄndG, Neue Wirtschafts Briefe —NWB—, Fach 2, S. 7619, 7628).

b) Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des XI. Senats in dessen Beschluss vom unter Ziff. 1 vertretenen Rechtsansicht an, dass die Darlegungsanforderungen, wie sie die Rechtsprechung zu § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. entwickelt hat, jedenfalls auch für § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO und § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO weiterhin gelten (vgl. auch Seer, a.a.O., § 116 FGO Tz. 49; Beermann, DStZ 2001, 312, 317; ders., a.a.O., § 116 FGO Rz. 71 und 72; Dürr in Schwarz, a.a.O., § 115 Rz. 28 und 37).

Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung verlangt demnach eine substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärungsfähig ist. Dazu ist auszuführen, dass die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 91/98, BFH/NV 1999, 1122, m.w.N.; vom III B 47/99, BFH/NV 2000, 1451, unter Ziff. 3. der Gründe, m.w.N.; vom VIII B 7/99, BFH/NV 1999, 1622). Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinander setzen. Hat der BFH über die Rechtsfrage bereits entschieden, so ist zusätzlich darzulegen, weshalb eine erneute Entscheidung des BFH für erforderlich gehalten wird. Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinander gesetzt hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom XI B 57/01, NV; vom VIII B 99/99, BFH/NV 2000, 985; vom III B 119/94, BFH/NV 1996, 9).

Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen (, BFH/NV 2001, 1033; Lange, a.a.O., § 115 FGO Rz. 78, 92, m.w.N.).

Die Beschwerde wird diesen Anforderungen schon im Ansatz nicht gerecht. Vielmehr begnügt sie sich mit allgemeinen Hinweisen auf gewandelte gesellschaftliche Verhältnisse und mit der Behauptung, die vom FG u.a. in dem angefochtenen Urteil in Bezug genommenen beiden (BFHE 87, 208, BStBl III 1967, 84) und vom VI R 190/82 (BFHE 145, 549, BStBl II 1986, 486) trügen diesen Umständen nicht mehr hinreichend sachgerecht Rechnung.

Es fehlt insoweit bereits jegliche Darstellung der bis in die jüngste Zeit kontinuierlich fortgeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Nach der bis heute fortgeführten Rechtsprechung des BFH leben Ehegatten dauernd getrennt i.S. von § 26 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), wenn die zum Wesen der Ehe gehörende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nach dem Gesamtbild der Verhältnisse nicht mehr besteht (vgl. , BFH/NV 1997, 139, 140, mit umfassenden Nachweisen; vom VI R 100/83, BFH/NV 1987, 431; BFH-Beschlüsse vom VI B 160/98, BFH/NV 1999, 951; vom IX B 47/97, BFH/NV 1998, 585, m.w.N.; vom VI R 268/94, BFH/NV 1998, 163).

Ebenso wenig geht die Beschwerde auf die speziell zur Bedeutung eines erfolglosen, nur kurzzeitigen Versöhnungsversuchs für die Prüfung des Merkmals des dauernden Getrenntlebens i.S. von § 26 Abs. 1 EStG ergangene Rechtsprechung, insbesondere auch der FG, ein (vgl. , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1996, 921; des , EFG 1994, 791; vom 3 K 666/92, EFG 1993, 379, und des Hessischen , EFG 1988, 639). Ebenso wenig befasst sich die Beschwerde mit dem Schrifttum (vgl. u.a. Müller in DStZ 1997, 86, m.w.N.; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 26 EStG Anm. 31 f, mit umfassenden Nachweisen; Seeger in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl., § 26 Rz. 11).

2. Die Beschwerde legt ebenso wenig dar, dass die Fortbildung des Rechts i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO eine Entscheidung des BFH im Streitfall erfordert.

a) Eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts ist insbesondere in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtschöpferisch auszufüllen (vgl. Lange, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2001, 1098, m.w.N.; Beermann, DStZ 2001, 312; , NV).

Erforderlich ist eine Entscheidung des BFH nur dann, wenn die Rechtsfortbildung über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegt und wenn die Frage nach dem ”ob” und ggf. ”wie” der Rechtsfortbildung klärungsbedürftig ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1122, m.w.N. zu den entsprechenden Merkmalen in § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F.; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 115 FGO Rz. 154).

Es gelten insoweit die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. höchstrichterlich entwickelten strengen Darlegungsanforderungen unverändert fort (vgl. Seer, a.a.O., § 116 FGO Tz. 49; Beermann, DStZ 2001, 312, 317; derselbe, Steuerliches Verfahrensrecht, § 116 FGO Rz. 71 und 72; ferner Dürr in Schwarz, a.a.O., § 115 Rz. 28, 37).

b) Die Beschwerde macht im Kern geltend, an der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteile in BFHE 87, 208, BStBl III 1967, 84, und in BFHE 145, 549, BStBl II 1986, 486) könne aufgrund der zwischenzeitlich nachhaltig veränderten allgemeinen Lebensverhältnisse und der Situation der Familien nicht mehr festgehalten werden. Damit behauptet die Beschwerde zwar sinngemäß, die Fortbildung des Rechts erfordere eine (erneute) Entscheidung des BFH (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO), legt indes die Erforderlichkeit in keiner Weise entsprechend den zuvor näher gekennzeichneten gesetzlichen Anforderungen dar (vgl. Ziff. 1 b zur Klärungsbedürftigkeit).

Die Beschwerde berücksichtigt zudem nicht, dass es sich bei der nach ständiger Rechtsprechung gebotenen Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse im Wesentlichen um eine Frage auf dem Gebiet der tatsächlichen Feststellungen handelt.

3. Unbeschadet der Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) auch dann in Betracht zu ziehen ist, wenn über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts besteht (vgl. BTDrucks 14/4061, S. 9; , unter Ziff. 2. b bb der Gründe; Lange, a.a.O., § 115 FGO Rz. 64, 81 und 200 ff.; ders., NJW 2001, 1098, m.w.N.; Dürr, Die Reform des Finanzgerichtsprozesses zum , Die Information über Steuer und Wirtschaft 2001, S. 65, 68), macht die Beschwerde selber nicht geltend, dass das FG im angefochtenen Urteil ausgehend von den mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen und deshalb auch im Beschwerdeverfahren bindenden Feststellungen des FG (vgl. dazu , BFH/NV 1995, 992; Seer, a.a.O., § 116 FGO Tz. 37) im Rahmen der nach der oben zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung anhand der objektiven äußeren Umstände vorzunehmenden Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse in gewichtiger Weise rechtsfehlerhaft entschieden hätte.

4. Einer weiteren Begründung bedarf die Entscheidung nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO nicht.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 217 Nr. 2
SAAAA-66918