BFH Urteil v. - II R 7/99

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Eigentümerin eines in X gelegenen Grundstücks. Im Jahre 1989/1990 errichtete sie auf diesem Grundstück ein Gebäude mit zwei Vollgeschossen und einem ausgebauten Dachgeschoss. Die Gesamtwohnfläche des Hauses beträgt 434,5 qm. Der Zugang zu den Räumen in den verschiedenen Geschossen sowie zum Keller wird von einem Treppenhaus, welches vom Hauseingang zugänglich ist, erschlossen. Die Räume in den einzelnen Etagen sind zum Treppenhaus hin mit Türanlagen abgeschlossen.

Im Erdgeschoss befinden sich drei Wohnräume, ein großzügiger Eingangsraum mit offenem Kamin, eine vollständig eingerichtete Küche sowie neben einem Garderobenraum ein als Gäste-WC ohne Dusche bzw. Badewanne ausgestatteter Sanitärraum.

Im ersten Obergeschoss befinden sich ein Elternschlafzimmer mit Zugang zu einem Ankleide- und einem Badezimmer sowie vier Kinderzimmer und diesen zugeordnet zwei weitere Badezimmer.

Im Dachgeschoss befinden sich zwei getrennte Raumeinheiten in einer Größe von 30,78 qm bzw. 74,72 qm. Bei der kleineren Einheit handelt es sich um ein Apartment mit Wohn-/Schlafraum, Abstellraum, Kochnische und Bad. Die größere der beiden Einheiten besteht aus einem größeren Wohn- und Schlafraum, einem Bad und einem weiteren Raum, der die für eine Kücheneinrichtung erforderlichen Anschlüsse aufweist. Für die beiden Raumeinheiten im Dachgeschoss bestehen getrennte Stromkreise sowie Klingel- und Rufanlagen zum Hauseingang.

Das Haus wird insgesamt von der Klägerin und ihrer Familie benutzt. Das kleinere Apartment im Dachgeschoss dient als Fremdenzimmer.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) stellte durch Einheitswertbescheid auf den vom im Wege der Artfortschreibung die Grundstücksart ”Einfamilienhaus” fest, weil nach seiner Auffassung in dem Haus nur eine Wohnung vorhanden sei.

Mit Einspruch und Klage begehrte die Klägerin die Feststellung der Grundstücksart ”Mietwohngrundstück”. Sie ist der Auffassung, dass das Gebäude drei Wohnungen im bewertungsrechtlichen Sinne enthalte, nämlich zwei Wohneinheiten im Dachgeschoss und eine Wohneinheit im Erd- und ersten Obergeschoss.

Das Finanzgericht (FG) hat unter Aufhebung des angefochtenen Einheitswertbescheides die Grundstücksart ”Mietwohngrundstück” festgestellt. Das Gebäude der Klägerin enthalte zwar —wie das FA zu Recht angenommen habe— nur eine Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne. Gleichwohl handele es sich bei dem Grundstück seinem Erscheinungsbild nach um ein Mietwohngrundstück. Dies ergebe sich zum einen aus der Anlage des Treppenhauses, welches durch vertikal angeordnete Fenster auf jedem Stockwerk Tageslicht erhalte und auch daraus, dass am Haus- bzw. Grundstückseingang für die Wohnbereiche mehrere Klingelanlagen sowie Briefeinwurfschlitze angebracht worden seien. Unabhängig von der Frage, wie viele Wohnungen im bewertungsrechtlichen Sinne in dem streitbefangenen Gebäude vorhanden seien, vermittelten das Treppenhaus sowie die Abschlüsse der verschiedenen Wohnbereiche das typische Bild eines Mietwohngrundstücks für mehrere Familien.

Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 16 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA einen Verstoß gegen § 75 des Bewertungsgesetzes (BewG). Entgegen der Auffassung des FG könne ein Wohngrundstück, das bewertungsrechtlich nur eine Wohnung enthalte, nicht der Grundstücksart ”Mietwohngrundstück” (§ 75 Abs. 2 BewG), sondern nur der Grundstücksart ”Einfamilienhaus” (§ 75 Abs. 5 BewG) zugeordnet werden.

Das FA beantragt, das aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Aus § 75 BewG ergebe sich, dass Häuser, die neben einer Wohnung auch andere Wohnräume oder Räume einer anderen Nutzung enthielten bzw. aus der Art der (typischen) Einfamilienhäuser (für nur eine Familie) herausfielen, gerade nicht nur als Einfamilienhäuser zu bewerten seien.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Der Auffassung des FG, das Grundstück der Klägerin könne, obwohl es nur eine Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne enthalte, gleichwohl als Mietwohngrundstück i.S. von § 75 Abs. 2 BewG bewertet werden, kann nicht gefolgt werden.

Mietwohngrundstücke sind Grundstücke, die zu mehr als 80 v.H. Wohnzwecken dienen mit Ausnahme der Einfamilienhäuser und Zweifamilienhäuser. Hieraus ergibt sich, dass die Art der Wohngrundstücke (§ 75 Abs. 1 Nrn. 1, 3 bis 5 BewG) ausgehend von der Anzahl der Wohnungen im bewertungsrechtlichen Sinne zu bestimmen ist (vgl. , BFHE 148, 76, BStBl II 1987, 104; vom II R 61/87, BFHE 155, 128, BStBl II 1989, 135, und vom II R 96/87, BFH/NV 1992, 445). Wohngrundstücke mit nur einer Wohnung sind Einfamilienhäuser (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG), Wohngrundstücke mit zwei Wohnungen sind Zweifamilienhäuser (§ 75 Abs. 6 Satz 1 BewG). Wohngrundstücke mit drei oder mehr Wohnungen im bewertungsrechtlichen Sinne sind Mietwohngrundstücke (§ 75 Abs. 2 BewG) oder gemischtgenutzte Grundstücke (§ 75 Abs. 4 BewG). Die Systematik des § 75 BewG schließt es demnach aus, ein Wohngrundstück mit nur einer Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne als Mietwohngrundstück i.S. von § 75 Abs. 2 BewG zu bewerten.

Der Hinweis des FG, die im Dachgeschoss gelegenen, unstreitig Wohnzwecken dienenden Wohneinheiten könnten, da sie mit rund einem Viertel der Gesamtwohnfläche des Hauses nicht von untergeordneter Bedeutung seien, bei der Bestimmung der Grundstücksart nicht außer Betracht bleiben, ist verfehlt, weil damit nicht an den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff angeknüpft wird. Auch soweit das FG bei seiner Entscheidung auf das äußere und innere Erscheinungsbild des Gebäudes abgestellt hat, kann dem nicht gefolgt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil in BFHE 148, 76, BStBl II 1987, 104, 105, m.w.N.) darf bei der bewertungsrechtlichen Einordnung eines Wohngebäudes nicht von der Verkehrsanschauung, einer etwa bestehenden allgemeinen Vorstellung vom Erscheinungsbild z.B. eines Einfamilienhauses ausgegangen werden. Denn der Begriff des Ein- bzw. Zweifamilienhauses im bewertungsrechtlichen Sinn ist nicht ein von der Verkehrsauffassung bestimmter Begriff, sondern ein durch Umschreibung in § 75 Abs. 5 und 6 BewG gekennzeichneter Rechtsbegriff (vgl. BFH-Urteile in BFHE 148, 76, BStBl II 1987, 104, und in BFHE 155, 128, BStBl II 1989, 135).

2. Die Sache ist spruchreif.

Die Klage ist abzuweisen. Die Klägerin wird durch die vom FA getroffene Feststellung der Grundstücksart ”Einfamilienhaus” nicht in ihren Rechten verletzt.

Das streitige Gebäude der Klägerin enthält —wie das FG zutreffend ausführt— nur eine Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne. Das BewG selbst enthält keine Legaldefinition des Wohnungsbegriffs. Nach der Rechtsprechung des BFH ist für die Annahme einer Wohnung für Stichtage ab u.a. wesentlich, dass die Räume eine von anderen Räumen eindeutig baulich getrennte, in sich abgeschlossene Einheit bilden und einen eigenen Zugang aufweisen. Außerdem ist erforderlich, dass die für die Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Nebenräume vorhanden sind (s. , BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151). Gemeinsame Verkehrsflächen stehen der Beurteilung von zwei Wohneinheiten als selbständige Wohnungen i.S. des § 75 Abs. 5 und 6 BewG dann entgegen, wenn sie nach ihrer baulichen Lage und Funktion von beiden Wohnbereichen nicht vollständig getrennt sind (vgl. , BFHE 144, 72, BStBl II 1985, 496; vom II R 43/85, BFH/NV 1988, 770; vom II R 106/89, BFH/NV 1992, 370, m.w.N., und vom II R 32/96, BFH/NV 1998, 1337). Zum zeitlichen Anwendungsbereich dieser Rechtsgrundsätze hat der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die enger gefassten Voraussetzungen des bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriffs erstmalig bei der Bewertung von Wohngrundstücken anzuwenden sind, die im Laufe des Jahres 1973 bezugsfertig errichtet oder im Laufe des Jahres 1973 aus- oder umgebaut wurden (s. , BFH/NV 1996, 459, m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen war das Wohngrundstück der Klägerin als Einfamilienhaus zu bewerten, da es am Bewertungsstichtag nur eine Wohnung im Sinne des Bewertungsrechts enthielt. Denn nach den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des FG fehlte den im Erd- und Obergeschoss gelegenen Räumen jeweils die Eigenschaft einer Wohnung, weil die für die Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Nebenräume nicht (vollständig) vorhanden waren. Im Erdgeschoss fehlte ein Badezimmer, während im Obergeschoss keine Küche vorhanden war. Auch die größere der beiden im Dachgeschoss gelegenen Einheiten war keine Wohnung im Sinne des Bewertungsgesetzes, da eine Küche fehlte. Die objektive bauliche Gestaltung des Gebäudes war auf einen Funktions- und Benutzungszusammenhang dieser im Erd-, Ober- und Dachgeschoss gelegenen Räume angelegt, die insgesamt eine Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne darstellten. In diesen Benutzungszusammenhang einbezogen war notwendigerweise auch das Treppenhaus, weil die zu dieser Wohnung gehörenden, in den verschiedenen Geschossen gelegenen Räume nur über dieses erreichbar waren. Die kleinere, im Dachgeschoss gelegene Raumeinheit bildete keine von den anderen Räumen eindeutig baulich getrennte, in sich abgeschlossene Einheit mit eigenem Zugang. Vielmehr war sie nur durch das Treppenhaus erreichbar, welches als Verkehrsfläche (auch) der Wohnung bestehend aus den übrigen Räumen des Hauses diente. Diese Einheit erfüllte deshalb nicht den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff, auch wenn die kleinere Einheit für sich gesehen alle für die Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Nebenräume aufwies.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 428 Nr. 4
KAAAA-66857