BVerwG Beschluss v. - 2 B 44/16

Zum Zusammenhang von Ausgangsverfahren und Widerspruchsverfahren

Gesetze: § 79 Abs 1 Nr 1 VwGO

Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 3 B 13.1069 Urteilvorgehend VG Würzburg Az: W 1 K 12.246 Urteil

Gründe

1Die allein auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

21. Der 1963 geborene Kläger steht als Polizeibeamter (seit 2007 Besoldungsgruppe A 11) im Dienst des beklagten Landes. Zum verfügte das zuständige Polizeipräsidium seine Umsetzung von der Kriminalpolizeiinspektion S. zur Verkehrspolizeiinspektion (VPI) S. Auf den Widerspruch des Klägers gab das Polizeipräsidium dem Widerspruch "hinsichtlich der rechtlichen Form der angegriffenen Verfügung" statt und half ihm dahingehend ab, dass sie ihn zum zur VPI versetzte.

3Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, das Polizeipräsidium als Widerspruchsbehörde sei nicht befugt gewesen, die Umsetzung durch eine Versetzung zu ersetzen. Der vom Beklagten angerufene Verwaltungsgerichtshof hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, die Versetzung des Klägers sei rechtmäßig. Das Polizeipräsidium sei insbesondere auch im Widerspruchsverfahren zur Sachentscheidung befugt gewesen, weil Ausgangs- und Widerspruchsbehörde identisch seien. Daher sei das Polizeipräsidium nicht erst infolge des Devolutiveffekts zuständig gewesen, sondern habe die volle Sachentscheidungskompetenz als Ausgangsbehörde nutzen können.

42. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers hat den allein in Anspruch genommenen Zulassungsgrund einer grundsätzlich bedeutsamen Rechtssache nicht dargelegt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

5Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann. Die Prüfung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei auf die mit der Beschwerde dargelegten Rechtsfragen beschränkt (stRspr, vgl. etwa 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9).

6Die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage,

"ob eine Behörde sich an die Stelle der Ausgangsbehörde für den Fall setzen kann, dass sie nach Landesrecht als Widerspruchsbehörde fungiert und die ursprüngliche Ausgangsbehörde eine Verfügung erlassen hat, der kein Verwaltungsaktcharakter zukommt",

lässt sich auf der Grundlage der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des Berufungsurteils beantworten.

7Die Widerspruchsbehörde hat - selbst wenn sie mit der Ausgangsbehörde nicht identisch ist - gemäß § 68 Abs. 1 VwGO die gleiche Entscheidungsbefugnis wie die Erstbehörde. Diese Entscheidungsbefugnis ist - anders als die der Gerichte - nicht auf eine Rechtskontrolle beschränkt. Die Widerspruchsbehörde ist vielmehr zur Änderung, Aufhebung und Ersetzung des Ausgangsbescheids einschließlich seiner Begründung und Ermessenserwägungen befugt (stRspr, 2 C 28.98 - BVerwGE 108, 274 <280> unter Bezugnahme auf 2 C 5.83 - Buchholz 310 § 79 VwGO Nr. 22 S. 7 und vom - 2 C 4.78 - Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 14 S. 4). Als Änderung der Gestalt im Sinne von § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist es auch zu verstehen, wenn - wie hier mit der Umsetzung - zunächst kein Verwaltungsakt vorlag und der Widerspruchsbescheid den Realakt durch einen Verwaltungsakt ersetzt. Wörtlich führt das 9 C 2.11 - (BVerwGE 140, 245 Rn. 20 unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung) aus:

"Das Ausgangsverfahren bildet mit dem Widerspruchsverfahren eine Einheit und wird erst mit einem etwaigen Widerspruchsbescheid abgeschlossen [...]. Auch im gerichtlichen Verfahren setzt sich die Einheit fort, wie § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zeigt. Der Widerspruchsbehörde kommt im Überprüfungsverfahren eine umfassende Kontrollbefugnis zu. Sie besitzt grundsätzlich die gleiche Entscheidungsbefugnis wie die Erstbehörde. Sie ist zur Änderung, Aufhebung und Ersetzung des Ausgangsbescheids einschließlich seiner Begründung und Ermessenserwägungen befugt (vgl. BVerwG 7 C 68.77 - BVerwGE 57, 130 <145> und vom - BVerwG 2 C 28.98 - BVerwGE 108, 274 <280>). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt eine Gestaltänderung im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auch dann vor, wenn ursprünglich kein Verwaltungsakt existierte und der Widerspruchsbescheid aus einer (schlichten) Willenserklärung einen Verwaltungsakt macht ( BVerwG 7 C 3.71 - BVerwGE 41, 305 <307 f.>, vom - BVerwG 8 C 24.78 - BVerwGE 57, 158 <161>, vom - BVerwG 7 C 18.79 - BVerwGE 61, 164 <168> und vom - BVerwG 8 C 21.86 - BVerwGE 78, 3 <5>; ...)."

8Damit ist die vom Kläger aufgeworfene Frage nach der Zulässigkeit der inhaltlichen Änderung einer behördlichen Maßnahme während des Vorverfahrens nach den §§ 68 ff. VwGO, mit der Folge, dass die Maßnahme die Rechtsqualität eines Verwaltungsakts erhält, in der Rechtsprechung geklärt.

9Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2017:100517B2B44.16.0

Fundstelle(n):
EAAAG-48295