BGH Beschluss v. - VII ZB 41/16

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anhörung des Rechtsanwalts bei angeblichem Verlust der per Post verschickten Berufungsbegründung

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 139 Abs 1 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 236 Abs 2 ZPO, Art 2 Abs 1 GG, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: I-21 U 21/16 Beschlussvorgehend LG Duisburg Az: 10 O 449/13nachgehend Az: I-21 U 21/16 Urteil

Gründe

I.

1Die Klägerin erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Berufungsbegründung.

2Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellte klageabweisende Urteil des Landgerichts hat die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom Berufung eingelegt.

3Mit Verfügung vom hat die Vorsitzende des Berufungsgerichts die Frist zur Begründung der Berufung antragsgemäß bis einschließlich verlängert.

4Mit Verfügung vom hat die Vorsitzende des Berufungsgerichts die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Berufung bis dahin nicht begründet worden und die Begründungsfrist am abgelaufen war, weshalb das Berufungsgericht beabsichtige, das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen.

5Mit auf den datiertem Schriftsatz, der per Telefax übersandt worden und am beim Berufungsgericht eingegangen ist, hat die Klägerin vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Berufungsbegründung beantragt. Dabei hat sie ausgeführt, die Berufungsbegründung vom sei "am - ordnungsgemäß frankiert - durch Einwurf in den Postbriefkasten durch den Unterzeichner [= Prozessbevollmächtigter der Klägerin] auf den Postweg gebracht" worden, wie vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin eidesstattlich versichert. Ebenfalls am ist die vom datierende Berufungsbegründung beim Berufungsgericht eingegangen.

6Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts als unzulässig verworfen.

7Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

8Die Rechtsbeschwerde der Klägerin führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

91. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

10Ein der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten sei zu bejahen, weil die Klägerin bei Gesamtbetrachtung ihres Vorbringens und der vorhandenen Beweismittel nicht in einem für die Glaubhaftmachung erforderlichen Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit habe darlegen können, dass sie ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe bereits nicht mit seiner Wiedereinsetzungsschrift - zusätzliche - objektive Beweismittel präsentiert, die außerhalb der eidesstattlichen Versicherung bzw. anwaltlichen Versicherung als tragfähiges Beweismittel für die behauptete - rechtzeitige - Aufgabe des Schriftsatzes mit der Berufungsbegründung angesehen werden könnten. Die in der Wiedereinsetzungsfrist gemachten Angaben seien insoweit unzureichend, als ihnen nicht entnommen werden könne, in welchen Postbriefkasten die Berufungsbegründung vom eingeworfen worden sein solle und in welchen zeitlichen Abständen dieser geleert werde. Abseits dessen bestünden gewichtige - aus dem Akteninhalt erkennbare - Umstände, die es nicht für überwiegend wahrscheinlich erscheinen ließen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin entsprechend seiner Darstellung im Schriftsatz vom die Berufungsbegründung - ordnungsgemäß frankiert - durch Einwurf in den Postbriefkasten auf den Weg gebracht habe. Widerspruchsbehaftet und unplausibel sei die Darstellung namentlich deshalb, weil die dem innewohnende Behauptung, der bestimmende Schriftsatz sei von ihm im Original auf dem Postwege an das Berufungsgericht gesandt worden, in eklatanter Weise in Widerspruch stehe zu der ständigen Handhabung des Prozessbevollmächtigten im vorliegenden Verfahren, fristgebundene Schriftsätze per Telefax zu übersenden. Ein weiterer Umstand, der zumindest gegen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der unverschuldeten Fristversäumnis und damit gegen eine hinreichende Glaubhaftmachung spreche, sei die Datierung des den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand enthaltenden Schriftsatzes, zu dem auch die auf den datierende Berufungsbegründung per Telefax übersandt worden sei. Der genannte Schriftsatz sei auf den datiert, obwohl er ausweislich der Kennungszeile am per Telefax an das Berufungsgericht übersandt worden sei.

112. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Denn die angefochtene Entscheidung verletzt die Klägerin in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat gegen § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen, indem es den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen hat, ohne der Klägerin zuvor Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme zu den Gründen für den Versand der Berufungsbegründung per Post statt per Telefax zu geben.

123. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) gegen die Versäumung der Frist für die Berufungsbegründung nicht versagt werden.

13a) Die Partei muss im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen.

14Hierzu gehört, wenn - wie im Streitfall - Wiedereinsetzung mit der Behauptung begehrt wird, dass ein zur Post aufgegebener fristgebundener Schriftsatz verloren gegangen sei, eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe zur Post als Grundlage für die Glaubhaftmachung, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist (vgl. , NJW-RR 2016, 1402 Rn. 8; Beschluss vom - II ZB 7/15 Rn. 15; Beschluss vom - III ZB 56/14, NJW 2015, 3517 Rn. 14; Beschluss vom - VII ZB 19/14, NJW 2015, 2266 Rn. 11 m.w.N.).

15Grundsätzlich müssen alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen jedoch auch nach Fristablauf noch erläutert oder vervollständigt werden (, NJW 2016, 3312 Rn. 7).

16b) Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht der Klägerin vor der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag Gelegenheit geben müssen, zu den Gründen für den Versand der Berufungsbegründung per Post statt per Telefax Stellung zu nehmen (§ 139 Abs. 1 ZPO). Ohne die Einräumung einer solchen Gelegenheit zur Stellungnahme durfte das Berufungsgericht die überwiegende Wahrscheinlichkeit des von der Klägerin geschilderten Geschehensablaufs nicht mit der Erwägung verneinen, die behauptete Aufgabe der Berufungsbegründung zur Post stehe im Widerspruch zur fast ausnahmslosen Praxis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im vorliegenden Verfahren, Schriftsätze an die Gerichte lediglich per Telefax zu versenden. Im Hinblick auf den Umstand, dass am die Berufungsbegründungfrist noch mehr als eine Woche lief und kein akuter Zeitdruck bestand, der eine Versendung per Telefax erforderte, gab es für die Klägerin keinen Anlass, im Wiedereinsetzungsantrag Ausführungen dazu zu machen, warum die Berufungsbegründung nicht per Telefax versandt worden ist. Die Klägerin war deshalb befugt, insoweit ihre Angaben mit der Rechtsbeschwerde zu ergänzen.

17Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat nunmehr an Eides Statt versichert, dass in seiner von ihm als Einzelanwalt geführten Kanzlei Schriftsätze seit Jahrzehnten grundsätzlich per Fax übersandt würden, wobei das Fax nach fünf Verbindungsversuchen abbreche; in diesen Fällen werde aus organisationstechnischen Gründen kein weiterer Versuch einer Faxübersendung mehr getätigt; die Schriftsätze für die Gerichte würden dann auf dem Postweg versandt, so auch der Schriftsatz vom . Die Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Frau Sch., hat nunmehr an Eides Statt ebenfalls versichert, dass das Faxgerät nach fünf Verbindungsversuchen abbreche und dass in diesen Fällen aus organisationstechnischen Gründen kein weiterer Versuch einer Faxübersendung mehr getätigt werde, sondern diese Schriftsätze auf dem Postweg versandt würden.

III.

18Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob es aufgrund des im Rechtsbeschwerdeverfahren unter Vorlage weiterer eidesstattlicher Versicherungen ergänzten Vorbringens den vorgetragenen Geschehensablauf für überwiegend wahrscheinlich erachtet. Die Sache ist daher gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

19Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es sich bei der unrichtigen Datierung des Wiedereinsetzungsschriftsatzes auf den um ein bloßes Schreibversehen handeln könnte. Insoweit wird das Berufungsgericht die ergänzenden Ausführungen der Klägerin in der Rechtsbeschwerde zu berücksichtigen haben.

20Des Weiteren weist der Senat darauf hin, dass das Vorbringen der Klägerin im Zusammenhang mit dem Wiedereinsetzungsantrag nicht deshalb unzureichend ist, weil es keine Angaben zum Standort des vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin benutzten Postbriefkastens und der Leerungszeiten dieses Postbriefkastens enthält. Auf den Standort des Postbriefkastens kommt es nicht an. Für die Leerungszeiten gilt unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Frist für die Berufungsbegründung am noch mehr als eine Woche lief, Entsprechendes.

21Sollte es danach noch darauf ankommen, wird das Berufungsgericht gegebenenfalls der Klägerin Gelegenheit zu geben haben, den vorgetragenen Geschehensablauf durch etwa vorhandene weitere Mittel der Glaubhaftmachung zu untermauern.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:020217BVIIZB41.16.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2017 S. 627 Nr. 10
TAAAG-44729