BFH Beschluss v. - II B 124/99

Gründe

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) mit Bescheid vom zur Vermögensteuer für 1993 und für 1994 veranlagt. Die Veranlagung war fehlerhaft, weil das FA bei der Bearbeitung der Steuererklärung (auf den ) einen von den Klägern angegebenen Vermögensposten (Fondsanteile) übersehen hatte. Mit Bescheid vom berichtigte das FA den Steuerbescheid und berücksichtigte bei der Berechnung des steuerpflichtigen Vermögens auch die Fondsanteile. Die Berichtigung führte zu Nachforderungen für die Jahre 1993 und 1994 von jeweils 8 895 DM. Zugleich setzte das FA die Zinsen zur Vermögensteuer 1993 auf 1 188 DM und zur Vermögensteuer 1994 auf 660 DM fest.

Gegen die Festsetzung der Zinsen erhoben die Kläger Einspruch, den das FA als unbegründet zurückwies. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) ab und führte zur Begründung aus: Das FA habe die Zinsen zu Recht gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) festgesetzt. Das Versehen des FA hindere nicht die Festsetzung. Denn Zweck des § 233a AO 1977 sei es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei einzelnen Steuerpflichtigen —aus welchen Gründen auch immer— zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig würden. Die Liquiditätsvorteile, die aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheides entstünden, würden um der Gleichheit der Besteuerung willen abgeschöpft. Die Zinsen seien weder Sanktion noch Druckmittel oder Strafe, sondern laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung. In der Verzinsung einer durch ein Versehen des FA entstandenen Nachzahlung könne kein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben gesehen werden, wenn der Steuerpflichtige sich auf seine gesetzlichen Erklärungspflichten zurückziehe und das FA nicht auf den Fehler aufmerksam mache und den Nachzahlungsbetrag nicht zur sofortigen Rückzahlung bereithalte.

Mit der Beschwerde begehren die Kläger Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Da der (BFHE 185, 94, BStBl II 1998, 550) die Verzinsung unter bestimmten Umständen für unzulässig gehalten und der Gesetzgeber durch die Einfügung des Abs. 2 a in § 233a AO 1977 die Zinsfestsetzung eingeschränkt habe, bedürfe es höchstrichterlicher Klärung, ob bei Verschulden des FA an der verspäteten Festsetzung Nachforderungszinsen erhoben werden dürften. Denn Abs. 2 a enthalte den allgemeinen Rechtsgedanken, dass für den Beginn des Zinslaufes spätere Ereignisse Anknüpfungsmaßstab sein müssten, wenn der Eintritt des Ereignisses in den Willen und das Wollen eines Beteiligten gelegt sei. Darin verwirkliche sich eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben, wonach einseitige Maßnahmen nicht zu Belastungen der jeweils anderen Partei des Verwaltungsverfahrens gehen dürften. Abs. 2 a des § 233a AO 1977 habe zur Folge, dass bei der Festsetzung von Nachforderungszinsen der Verantwortungsbereich bzw. die Risikosphäre berücksichtigt werden müsse, in der die Grundlage für die Nachforderung liege. Der Finanzbehörde sei deshalb die Festsetzung von Nachforderungszinsen verwehrt, wenn sie selbst die Ursachen setzen könne, die zu einer Verzinsung führen, insbesondere wenn dies durch Fehler des FA erfolge.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (ab-

strakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt daher nur wegen einer klärungsbedürftigen und im Revisionsverfahren klärbaren Rechtsfrage in Betracht. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es insbesondere, wenn sich die streitige Rechtsfrage aus dem Gesetz und der vorliegenden Rechtsprechung beantworten lässt und keine Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (vgl. , BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148, unter I. 2. a).

2. Die von den Klägern bezeichneten Rechtsfragen lassen sich ohne weiteres aus dem Gesetz und der vorliegenden Rechtsprechung des BFH beantworten.

a) Führt eine Festsetzung u.a. der Vermögensteuer zu einer Steuernachforderung, so ist diese nach § 233a AO 1977 zu verzinsen. Das FA ist verpflichtet, die nach dem Gesetz entstandenen Steuer- und Zinsansprüche geltend zu machen. Ermessenserwägungen sind hierbei nicht anzustellen. Über Billigkeitsmaßnahmen ist nicht im Steuer- oder Zinsfestsetzungsverfahren, sondern in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden (, BFHE 172, 304, BStBl II 1994, 81).

b) Die Verzinsung ist grundsätzlich unabhängig von einem Verschulden des FA oder des Steuerpflichtigen. Der Grundsatz von Treu und Glauben steht einer Festsetzung von Nachforderungszinsen in der Regel auch dann nicht entgegen, wenn dem FA bei der Bearbeitung der Steuererklärung Fehler unterlaufen sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 172, 304, BStBl II 1994, 81; Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 233a AO 1977 Rz. 81, m.w.N.). Dementsprechend ist gemäß § 233a Abs. 5 Satz 1 AO 1977 eine bisherige Zinsfestsetzung u.a. dann zu ändern, wenn die Steuerfestsetzung nach § 129 AO 1977 berichtigt wird, ohne dass das Gesetz nach dem Grund der Berichtigung differenziert.

c) Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Einfügung von Abs. 2 a in § 233a AO 1977 an dieser Rechtslage etwas geändert habe, ist nicht klärungsbedürftig, da sich die Antwort ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt. Abgesehen davon, dass die Neuregelung erstmals auf Sachverhalte anzuwenden ist, in denen die tatbestandsbegründenden Umstände nach dem eingetreten sind (Art. 97 § 15 Abs. 8 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung), so dass der Neuregelung eventuell zugrunde liegende Rechtsgedanken nicht für Sachverhalte aus den Jahren 1993 und 1994 zum Tragen kommen können, ist die bezeichnete Vorschrift nur darauf gerichtet, für bestimmte Änderungstatbestände besondere Rechtsfolgen hinsichtlich der Verzinsung aufzulösen und zwar ohne Rücksicht darauf, in wessen Sphäre oder Verantwortungsbereich die die Änderung begründenden Umstände fallen. Es wird der Zinslauf in den Fällen der Steuerfestsetzung aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) oder des Verlustrücktrags nach § 10d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes geregelt. Der Zinslauf beginnt erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten oder der Verlust entstanden ist. Vor der Gesetzesänderung waren nach dem Wortlaut des § 233a AO 1977 bei rückwirkenden Ereignissen und Verlustrücktrag Zinsen für Zeiträume zu entrichten, in denen weder der Steuerpflichtige noch das FA Liquiditätsvorteile hatten. Zur Vermeidung sachlich nicht gerechtfertigter Verzinsung knüpft die Neuregelung an den Zeitpunkt an, ab dem ein konkreter Liquiditätsvorteil oder -nachteil eintreten kann. Ein die gesamte Regelung der Vollverzinsung ändernder Rechtsgedanke ist hierin nicht zu erkennen. Die Neuregelung soll lediglich die abzuschöpfenden Liquiditätsvorteile sachgerechter bestimmen. Aus ihr ergibt sich nicht, dass für die Verzinsung nunmehr relevant sein soll, in wessen Risiko- oder Verantwortungsbereich die Grundlage für die Steuernachforderung oder Steuererstattung fällt.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2000 S. 1441 Nr. 12
MAAAA-65400