BAG Urteil v. - 5 AZR 219/16

Instanzenzug: Az: 3 Ca 345/15 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 18 Sa 1845/15 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen und die Auswirkungen des Mindestlohngesetzes auf arbeitsvertraglich vereinbarte Entgeltbestandteile.

2Die Klägerin ist seit 2003 als Reinigungskraft bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin mit einer Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich beschäftigt.

3Der schriftliche Arbeitsvertrag regelt - inhaltsgleich mit weiteren Arbeitsverträgen der Arbeitnehmer der Beklagten - ua.:

4Die Parteien unterzeichneten einen Änderungsvertrag vom , dessen Wirksamkeit nicht mehr im Streit steht. Dieser bestimmt ua.:

5Der allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom , gültig vom 1. Januar bis zum (im Folgenden TV Mindestlohn) regelt ua.:

6Letztlich zahlte die Beklagte der Klägerin ab Januar 2015 neben dem Bruttogehalt iHv. 1.043,52 Euro monatlich weitere jeweils 43,48 Euro brutto, die sie mit „Urlaubsgeld 1/12“ und „Sonderzuwendung 1/12“ abrechnete, insgesamt 1.130,48 Euro brutto. Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen legte die Beklagte den vertraglichen Bruttostundenlohn iHv. 8,00 Euro zugrunde.

7Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin Zahlungs- und Feststellungsklage erhoben. Sie fordert weitere Vergütung für den Zeitraum von Januar bis November 2015.

8Die Klägerin meint, die Beklagte zahle den gesetzlichen Mindestlohn nicht in voller Höhe. Bei durchschnittlich 130 Stunden im Monat müsse das Bruttomonatsgehalt 1.105,00 Euro betragen. Die Jahressonderzahlungen seien nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechenbar. Alle Entgeltbestandteile seien auf der Grundlage des Mindestlohns von 8,50 Euro/Stunde zu berechnen. Sämtliche Ansprüche ergäben sich auch aus dem TV Mindestlohn, der auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anwendbar sei.

9Die Klägerin hat - soweit für die Revision relevant - sinngemäß beantragt,

10Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn sei erfüllt. Zuschläge und Sonderzahlungen würden durch die gesetzliche Mindestlohnregelung nicht berührt.

11Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zum größeren Teil zurückgewiesen und ihr (rechtskräftig) nur die im Änderungsvertrag geregelte Lohnerhöhung nebst Sonn-/Feiertagszuschlägen sowie Nachtarbeitszuschläge zugesprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge im Übrigen weiter.

Gründe

12Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht im Wesentlichen zurückgewiesen. Der Anspruch der Klägerin auf den gesetzlichen Mindestlohn ist erfüllt. Das Mindestlohngesetz hat die arbeitsvertraglich vereinbarten Entgeltbestandteile nicht erhöht. Etwaige Ansprüche nach dem TV Mindestlohn sind in der Revision nicht rechtshängig.

13I. Die Klage ist in den Zahlungsanträgen zulässig. Dagegen ist der Feststellungsantrag unzulässig.

141. Die Zahlungsanträge sind zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Sie sind auf konkrete Vergütungsdifferenzen über eine Zeit von elf Monaten gerichtet. Die Klage ist für den streitbefangenen Zeitraum als abschließende Gesamtklage zu verstehen (vgl.  - Rn. 12).

152. Der Feststellungsantrag ist unzulässig.

16a) Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe sich mit dem Antrag nicht befasst, bleibt erfolglos. Es liegt kein Fall eines absoluten Revisionsgrunds nach § 547 Nr. 6 ZPO, dh. eine Entscheidung ohne Gründe, vor. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag abschlägig beschieden.

17b) Die von der Klägerin begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Abrechnung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds betrifft kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO (zu den Anforderungen vgl.  - Rn. 12 mwN). Zwar sind die Gerichte gehalten, Anträge nach Möglichkeit so auszulegen, dass hierdurch eine erkennbar erstrebte Sachentscheidung ermöglicht wird ( - Rn. 12 mwN). Doch scheitert jede Auslegung - etwa dahingehend, die Fälligkeit der Jahressonderzahlungen solle geklärt werden - am Wortlaut des Antrags.

18II. Die Zahlungsanträge sind unbegründet.

191. Die Klagebegründung ist bereits unschlüssig, weil die Klägerin ihre Forderung nicht nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, sondern anhand eines monatlichen Stundendurchschnitts begründet hat. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn entsteht mit jeder geleisteten Arbeitsstunde (§ 1 Abs. 2 iVm. §§ 20, 1 Abs. 1 MiLoG). Dies erfordert die schlüssige Darlegung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden. Die Behauptung einer aus dem Durchschnitt eines Zeitraums ermittelten Stundenzahl ersetzt diesen Vortrag nicht ( - Rn. 19). Der Senat braucht aber nicht auf eine entsprechende Ergänzung des Vortrags der Klägerin hinzuwirken, weil die Zahlungsanträge in jedem Fall unbegründet sind.

202. Der Anspruch der Klägerin auf den gesetzlichen Mindestlohn nach § 1 Abs. 1 MiLoG ist durch Erfüllung erloschen.

21a) Die Beklagte hat den Mindestlohnanspruch der Klägerin in der streitgegenständlichen Zeit jedenfalls durch allmonatliche Zahlung des Bruttogehalts und eines Zwölftels der Jahressonderzahlungen erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB).

22aa) Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt ( - Rn. 22 mwN). § 3 MiLoG führt bei Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns zu einem Differenzanspruch. Dabei scheiden längere Berechnungszeiträume als ein Kalendermonat für die Frage, ob ein Anspruch auf Differenzvergütung entstanden ist, aus (vgl.  - Rn. 25 mwN).

23Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn haben alle Arbeitnehmer, auch wenn ihre durch Arbeits- oder Tarifvertrag geregelte Vergütung über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt (vgl.  - Rn. 23 mwN).

24bb) Der Arbeitgeber hat den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit 8,50 Euro ergibt (vgl.  - Rn. 26).

25Erfüllung iSv. § 362 Abs. 1 BGB tritt beim Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn ein mit Zahlung des Bruttoarbeitsentgelts, denn der gesetzliche Mindestlohn ist das als Gegenleistung für die Arbeit (mindestens) zu erbringende Entgelt (vgl. zur Auslegung des Begriffs Mindestlohn  - Rn. 28 ff.).

26Von den im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen des Arbeitgebers fehlt nur solchen Zahlungen die Erfüllungswirkung, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (zB § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen (vgl.  - Rn. 32).

27b) Danach sind die Mindestlohnansprüche der Klägerin in den Kalendermonaten Januar bis November 2015 erfüllt. Denn neben dem monatlichen Bruttogehalt kommt auch den vorbehaltlos und unwiderruflich in jedem Kalendermonat zu 1/12 geleisteten Jahressonderzahlungen Erfüllungswirkung zu. Sie sind eine im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis stehende Gegenleistung des Arbeitgebers für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeit. Denn nach § 2 Änderungsvertrag mindern sie sich um jeweils ein Zwölftel für Kalendermonate ohne Entgeltanspruch. Einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung unterliegen die Jahressonderzahlungen nicht.

283. Auf § 2 Nr. 1 TV Mindestlohn kann die Klägerin den von ihr geltend gemachten Lohnanspruch nicht stützen. Ein solcher Anspruch ist in der Revision nicht rechtshängig.

29Streitgegenstand der Berufungsinstanz war ua. ein tariflicher Mindestlohnanspruch nach § 2 Nr. 1 TV Mindestlohn. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Streitgegenstand offenbar versehentlich nicht behandelt. Die Klägerin hat keinen Antrag auf Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO gestellt. Führt die Klägerin nunmehr mit der Revisionsbegründung diesen Streitgegenstand neuerlich in den Rechtsstreit ein, handelt es sich um eine in der Revision unzulässige Klageerweiterung (vgl.  - Rn. 21 mwN).

304. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf erhöhte Jahressonderzahlungen. Diese sind nicht auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns zu berechnen.

31a) Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs mangels Auseinandersetzung mit diesem Streitgegenstand verletzt, ist unzulässig. Die Klägerin hat nicht konkret angegeben, welcher Vortrag übergangen sein soll (vgl.  - zu II 3 d aa der Gründe, BAGE 109, 145). Darüber hinaus brauchen die Gerichte nicht jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu behandeln (vgl.  - Rn. 10). Tatsächlich setzt sich das Berufungsgericht mit dem Anspruch auf erhöhte Jahressonderzahlungen auseinander.

32b) Nach § 2 Änderungsvertrag bemisst sich die Jahressonderzahlung nach der vereinbarten Grundvergütung des Monats Dezember des Vorjahres ohne Zulagen und Zuschläge. Die Berechnung richtet sich daher nach der in § 3 Arbeitsvertrag bestimmten Vergütung. Der Wortlaut der Vereinbarung lässt keinen anderen Schluss zu. Das Mindestlohngesetz hat daran nichts geändert. Eine bestimmte Höhe von Sonderzahlungen sieht das Mindestlohngesetz nicht vor (vgl.  - Rn. 34).

33Der vertraglichen Regelung stehen zwingende Tarifnormen iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG nicht entgegen. Die Erfüllung eines (tariflichen) Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen ist jedenfalls nicht nach § 3 Nr. 2 TV Mindestlohn ausgeschlossen. Die Regelung gilt nach ihrer Überschrift für „Geringfügig Beschäftigte der Lohngruppe 1“. Damit sind nach § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn Beschäftigte iSd. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV gemeint, zu denen die Klägerin unstreitig nicht gehört.

345. Die Klägerin kann einen Anspruch auf erhöhte Jahressonderzahlungen auch nicht auf § 2 Nr. 1 TV Mindestlohn stützen. Ein solcher Anspruch ist in der Revision nicht rechtshängig (vgl. Rn. 28 f.).

356. Die Klägerin kann keine höheren als die arbeitsvertraglich vereinbarten Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit verlangen.

36a) Die Zuschläge sind nicht auf der Grundlage der in § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG bestimmten 8,50 Euro, sondern des vertraglich vereinbarten Bruttostundenentgelts zu berechnen.

37Die Zuschlagspflicht für Arbeit an Sonn- und Feiertagen folgt allein aus § 3 Buchst. c Arbeitsvertrag iVm. § 4 Satz 2 Änderungsvertrag. Die Regelung knüpft an den „vereinbarten Stundenlohn“ an. Damit bezieht sie sich auf eine arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung. Der Wortlaut lässt nur diesen Schluss zu, auch wenn in § 3 Buchst. a Arbeitsvertrag kein Stunden-, sondern ein Monatslohn genannt wird. Jedenfalls soll die Berechnungsgrundlage der Zuschläge einer zwischen den Parteien vereinbarten Vergütung folgen. Daran hat das Mindestlohngesetz nichts geändert (vgl.  - Rn. 36).

38b) Mangels Rechtshängigkeit in der Revision (vgl. Rn. 28 f.) kann die Klägerin einen Anspruch auf erhöhte Zuschläge nicht auf § 2 Nr. 1 TV Mindestlohn stützen.

39III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:280916.U.5AZR219.16.0

Fundstelle(n):
JAAAF-88825