BSG Urteil v. - B 4 AS 54/15 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Taschengeld aus Bundesfreiwilligendienst - keine zweckbestimmte Leistung - kein Erwerbseinkommen - Zusammentreffen mit geringem Erwerbseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit - Freibeträge

Leitsatz

Bei einem Zusammentreffen von geringem Einkommen aus Erwerbstätigkeit und Taschengeld aus dem Bundesfreiwilligendienst ist es geboten, den Leistungsberechtigten neben dem Grundfreibetrag aus Erwerbstätigkeit einen weiteren Freibetrag von dem Taschengeld einzuräumen.

Gesetze: § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 vom , § 11a Abs 3 S 1 SGB 2, § 11b Abs 2 S 1 SGB 2 vom , § 11b Abs 3 SGB 2, § 1 BFDG, § 2 Nr 4 BFDG, § 1 Abs 7 S 1 AlgIIV 2008 vom , § 1 Abs 7 S 1 AlgIIV 2008 vom , § 1 Abs 7 S 4 AlgIIV 2008 vom , § 3 Abs 1 S 1 AlgIIV 2008, § 3 Abs 1 S 2 AlgIIV 2008, § 3 Abs 2 AlgIIV 2008, Art 3 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: S 26 AS 443/13 Urteilvorgehend Thüringer Landessozialgericht Az: L 4 AS 17/15 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten um die Höhe von Leistungen nach dem SGB II für die Zeiten vom 1.11. bis sowie vom 1.2. bis , insbesondere um die Höhe der Anrechnung des Taschengelds nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz (BFDG) als Einkommen.

2Der alleinstehende Kläger bewohnt ein 26,73 qm großes Zimmer in einer Wohngemeinschaft in Erfurt. Hierfür entstanden ihm im Zeitraum vom 1.11. bis Kosten in Höhe von monatlich 220,22 Euro sowie vom 1.2. bis in Höhe von 246,61 Euro. Der Kläger übte eine selbstständige Tätigkeit geringen Umfangs aus, aus der er vom bis Einnahmen in Höhe von 420 Euro erzielte, denen Ausgaben von 101,52 Euro gegenüberstanden. Er leistete daneben vom bis Freiwilligendienst nach dem BFDG (BFD) und erhielt hierfür ein monatliches Taschengeld von 225 Euro. Am floss ihm eine Steuerrückerstattung von 669,40 Euro zu.

3Mit Bescheid vom bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig vom 1.11. bis jeweils 257,65 Euro monatlich sowie ab vorläufig jeweils 509,04 Euro monatlich als Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II. Mit Änderungsbescheid vom gewährte der Beklagte dem Kläger vom 1.1. bis vorläufig monatlich 517,04 Euro und ab vorläufig 517,05 Euro monatlich. Wegen der Berücksichtigung des Taschengelds aus dem BFD und ohne Vorläufigkeitsvorbehalt senkte der Beklagte die Bewilligung für Februar 2013 auf 292,04 Euro sowie für März und April 2013 auf 292,05 Euro monatlich ab (Änderungsbescheid vom ). Durch Bescheid vom erklärte er nach Überprüfung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit die Festsetzung der Leistungen in den Bescheiden vom und für endgültig.

4Der Kläger hatte bereits gegen den Bescheid vom Widerspruch eingelegt, weil der Freibetrag für das Taschengeld aus dem BFD nicht in Ansatz gebracht worden sei. Der Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom ). Der Freibetrag von 175 bzw 200 Euro von dem Taschengeld des Freiwilligendienstes komme nicht in Betracht.

5Der Kläger hat dagegen beim SG Gotha Klage erhoben. Er hat diese aber für den Monat Januar 2013, für den keine Berücksichtigung von Taschengeld als Einkommen erfolgt ist, zurückgenommen. Das SG hat den Beklagten unter Änderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1.11. bis und vom 1.2. bis weitere 600 Euro zu zahlen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (). Vom Einkommen des Klägers seien nach § 1 Abs 7 S 1 Alg II-V im November und Dezember 2012 je 175 Euro und ab Februar 2013 von je 200 Euro monatlich in Abzug zu bringen. Dem stehe § 1 Abs 7 S 4 Alg II-V nicht entgegen.

6Der Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung zum Thüringer LSG eingelegt. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass ein Freibetrag nur entweder vom Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder von dem Taschengeld zu berücksichtigen sei. Über diese Folge des Zusammentreffens von Erwerbseinkommen und Taschengeld des BFD würden die Betroffenen belehrt. Das LSG hat den Tenor des SG dahingehend konkretisiert, dass für November/Dezember 2012 jeweils weitere 105 Euro sowie vom 1.2. bis monatlich jeweils weitere 130 Euro zu zahlen seien. Zwar seien die Freibeträge von 100 Euro nach § 11b Abs 2 S 1 SGB II und von 175 Euro bzw 200 Euro nach § 11b Abs 2 S 1 SGB II iVm § 1 Abs 7 S 1 Alg II-V nicht zu kumulieren. Allerdings sei der erhöhte Freibetrag nach § 1 Abs 7 S 1 Alg II-V als Freibetragsobergrenze zu begreifen und deshalb vom Taschengeld aus dem BFD ein Betrag von monatlich insgesamt 175 Euro bzw 200 Euro abzusetzen. Das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit (53,08 Euro) sei um den Grundbetrag zu bereinigen und bleibe anrechnungsfrei. Deshalb sei von dem Taschengeld noch der Differenzbetrag zwischen dem freigestellten Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit und der Freibetragsobergrenze von 175 Euro bzw 200 Euro in Abzug zu bringen.

7Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Bei der Leistungsberechnung sei von dem Einkommen des Klägers aus selbstständiger Tätigkeit eine Absetzung vorgenommen worden. Anrechenbares Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit gebe es nicht. Das aus dem Freiwilligendienst erzielte Taschengeld sei nach § 1 Abs 7 S 4 Alg II-V nicht weiter zu bereinigen. Dies entspreche dem Wortlaut der Regelung, die der Verordnungsgeber in seinen Folgen im Hinblick auf § 11b SGB II sehr wohl bedacht habe. Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift sei nicht angezeigt.

8Der Beklagte beantragt,das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom und das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

10Die Revision des Beklagten sei unzulässig, da die Begründung nicht den "engen Vorgaben" an eine Revisionsbegründung genüge. Im Übrigen sei sie auch unbegründet, weil die Anwendung des § 1 Abs 7 S 4 Alg II-V zu einer verfassungsrechtlichen Ungleichbehandlung führe.

Gründe

111. Die Revision des Beklagten ist zulässig. Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen (§ 164 Abs 2 S 3 SGG). Diese Anforderungen sind dahingehend präzisiert worden, dass das Revisionsvorbringen eine Prüfung und Durcharbeitung des Prozessstoffs durch den Prozessbevollmächtigten erkennen lassen muss. Die Begründung darf nicht nur die eigene Meinung des Revisionsführers wiedergeben, sondern muss sich zumindest kurz mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils des LSG auseinandersetzen (vgl nur - SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22; B 8/9b SO 16/06 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; vgl auch - SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

12Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung des Beklagten - entgegen der Auffassung des Klägers - gerecht. Der Beklagte hat sich mit der Rechtsauffassung des LSG auseinandergesetzt. Er gibt insbesondere den Maßstab wieder, von dem ausgehend das LSG die Berechnung der Leistung - auch hinsichtlich von Freibeträgen - vorgenommen hat. Obwohl er auch ausführlich seine eigene Auffassung darlegt, widerspricht er der Auslegung und Anwendung des § 11b SGB II sowie des § 1 Abs 7 S 1 und 4 Alg II-V durch das LSG.

132. Die Revision des Beklagten ist teilweise begründet. Die Urteile des LSG und des SG sind abzuändern, denn der Kläger hat für die Zeiten vom 1.11. bis und vom 1.2. bis nur Anspruch auf Zahlung weiterer 450 Euro als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II anstatt der vom LSG zugesprochenen 600 Euro.

14Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom , mit dem der Beklagte die früheren Leistungsbewilligungen in Bezug genommen und die Leistungshöhe für den streitigen Zeitraum endgültig festgesetzt hat. Damit haben sich die Bescheide vom , und erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl auch - SozR 4-4200 § 11 Nr 38 RdNr 13). Die vorläufigen Festsetzungen der Leistungshöhe in den Bescheiden vom und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom sind deshalb nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens. Dabei kann der Senat offenlassen, ob der Bescheid vom den Änderungsbescheid vom noch abändern konnte. Daran bestehen Zweifel, weil dieser Bescheid keinen Hinweis auf die Vorläufigkeit der getroffenen Regelungen enthielt. Jedenfalls ist aber die mit Bescheid vom nach neuer Sachprüfung getroffene Zweitentscheidung wie eine Ersetzung iS des § 96 Abs 1 SGG zu behandeln (vgl - SozR 4-4200 § 27 Nr 2 RdNr 13 mwN). Mit der Regelung ist der Beklagte auch nicht zu Lasten des Klägers von früheren endgültigen Bewilligungen abgewichen.

15Der Kläger wird durch die Festsetzung der Leistungsbeträge in dem Bescheid vom insoweit in seinen Rechten verletzt, als er Anspruch auf Berücksichtigung eines (weiteren) Freibetrags von 75 Euro bzw 100 Euro pro Monat als Absetzbetrag von dem Taschengeld aus dem BFD hat. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten.

16Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Er ist leistungsberechtigt, denn er ist 1979 geboren, erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Mangels ausreichenden Einkommens und Vermögens ist er im streitigen Zeitraum auch hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 SGB II gewesen. Ein Ausschlusstatbestand iS des § 7 Abs 1 S 2, Abs 4, 4a oder 5 SGB II liegt nicht vor. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind ihm in Höhe seiner Bedarfe nach § 19 Abs 1 und 2 SGB II zu erbringen, soweit sie nicht durch sein zu berücksichtigendes Einkommen gedeckt sind (§ 19 Abs 3 S 1 SGB II).

17Der Gesamtbedarf des Klägers hat in den Monaten November und Dezember 2012 bei jeweils 594,22 Euro sowie in den Monaten Februar bis April 2013 bei jeweils 628,61 Euro gelegen. Er setzt sich zusammen aus dem Regelbedarf (§ 20 Abs 2 S 1 SGB II) in Höhe von 374 Euro monatlich für 2012 sowie von 382 Euro monatlich ab Januar 2013. Daneben besteht ein Bedarf an Kosten für Unterkunft und Heizung, der bis monatlich 220,22 Euro und ab monatlich 246,61 Euro betragen hat (§ 22 Abs 1 S 1 SGB II).

18Der Gesamtbedarf des Klägers ist teilweise durch dessen Einnahmen gedeckt. Zunächst ist ihm im Oktober 2012 eine Steuerrückerstattung von 669,40 Euro zugeflossen, die als einmalige Einnahme ab dem Folgemonat des Zuflusses, also ab November 2012, für sechs Monate in Höhe von jeweils 111,57 Euro monatlich anzurechnen ist (§ 11 Abs 3 S 2 und 3 SGB II).

19Daneben sind weitere Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen zu berücksichtigen (§ 11 Abs 1 S 1 SGB II).

20a) Das vom Kläger erzielte Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit ist nicht anzurechnen, da es unter dem Grundfreibetrag von 100 Euro monatlich liegt.

21Bei der Ermittlung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit ist von den Betriebseinnahmen auszugehen. Betriebseinnahmen sind alle aus selbstständiger Arbeit erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs 1 S 4 SGB II) tatsächlich zufließen (§ 3 Abs 1 S 1 und 2 Alg II-V). Zur Berechnung des Einkommens sind von den Betriebseinnahmen die im deckungsgleichen Zeitraum tatsächlich aufgewendeten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge abzuziehen (§ 3 Abs 2 Alg II-V). Von den Einnahmen aus (selbstständiger) Erwerbstätigkeit ist mindestens der Grundfreibetrag von 100 Euro monatlich abzusetzen (§ 11b Abs 2 S 1 SGB II).

22Auf den Fall des Klägers angewendet bedeutet dies, dass er im Bewilligungszeitraum von sechs Monaten Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 420 Euro erzielte, denen Ausgaben von 101,52 Euro gegenüberstanden (53,08 Euro monatlich). Dieses Einkommen ist aber nicht zur Bedarfsdeckung einzusetzen, weil es den Grundfreibetrag von 100 Euro monatlich nicht erreicht.

23b) Das Taschengeld des Klägers aus dem BFD ist als Einkommen zu berücksichtigen, denn es handelt es sich um eine Einnahme in Geld oder Geldeswert. Das Taschengeld bleibt nicht nach Maßgabe von § 11a Abs 1, 2, 4 oder 5 SGB II unberücksichtigt. Ebenso wenig ist es eine nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu erbringende Leistung, die einem bestimmten Verwendungszweck dient (§ 11a Abs 3 SGB II). Schon die Bezeichnung als "Taschengeld" des Dienstleistenden spricht für eine offene Zweckverwendung. Ein besonderer Verwendungszweck für diese Einkommensart lässt sich weder dem BFDG noch einer anderen gesetzlichen Regelung entnehmen (Söhngen in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 11a RdNr 33 f, RdNr 41; so auch die Vorinstanz; vgl auch SG Osnabrück vom - S 22 AS 284/13).

24Auch der Verordnungsgeber geht in § 1 Abs 7 Alg II-V davon aus, dass es sich bei dem Taschengeld nach dem BFDG um anrechenbares Einkommen handelt (vgl jetzt auch Art 1 Nr 8 Buchst a) Doppelbuchst bb) des Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - BT-Drucks 18/8041, S 32 "weiterhin anzurechnen"; zur Verletztenrente: BVerfG <Kammer> - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 - NZS 2011, 895).

25c) Von den Einnahmen in Höhe von 225 Euro monatlich ist im Jahr 2012 ein (weiterer) Freibetrag von 75 Euro monatlich sowie im Jahr 2013 ein solcher von 100 Euro monatlich abzusetzen.

26Absetzungen von Freibeträgen für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit sind allerdings ausgeschlossen, denn es handelt sich bei dem BFD nicht um eine Erwerbstätigkeit. Nach seiner Zweckrichtung ist der BFD einem Ehrenamt jedenfalls ähnlich. Es handelt sich um eine freiwillige Betätigung von Personen für das Allgemeinwohl, insbesondere im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich, sowie in den Bereichen des Sports, der Integration und des Zivil- und Katastrophenschutzes (§ 1 BFDG). Dagegen handelt es sich nicht um eine Beschäftigung (§ 7 Abs 1 SGB IV), insbesondere auch nicht in einem Arbeitsverhältnis (so zutreffend auch die Vorinstanz).

27Gemäß § 1 Abs 7 S 1 Alg II-V (für 2012 anzuwenden in der ab geltenden Fassung der Sechsten Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom , BGBl I 2833; ab anzuwenden in der Fassung des Art 10 des Ehrenamtsstärkungsgesetzes vom , BGBl I 556) sind deshalb bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die an einem BFD teilnehmen, anstelle der für beschäftigte Leistungsberechtigte geltenden Beträge (§ 11b Abs 1 S 1 Nr 3 bis 5 SGB II) vom Taschengeld des BFD (§ 2 Nr 4 BFDG) ein spezifischer Freibetrag in Höhe von 175 Euro monatlich für 2012 und von 200 Euro monatlich für 2013 abzusetzen. Übersteigt die Summe der Beträge, die der Dienstleistende gemäß § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 bis 5 SGB II von anderen Einnahmen in Abzug bringen kann, den Betrag von 115 Euro monatlich (für November, Dezember 2012) oder von 140 Euro monatlich (ab Januar 2013), gilt S 1 der Vorschrift nicht. In diesen Fällen bleiben vom Taschengeld (nur) zusätzlich 60 Euro monatlich unberücksichtigt (§ 1 Abs 7 S 2 bis 3 Alg II-V). Die S 1 bis 3 gelten allerdings nicht für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die erwerbstätig sind oder aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen erhalten, die nach § 3 Nr 12, 26, 26a oder 26b EStG steuerfrei sind (§ 1 Abs 7 S 4 Alg II-V in der ab geltenden Fassung der Sechsten Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom ; BGBl I 2833).

28Die Voraussetzungen des § 1 Abs 7 S 4 Alt 2 Alg II-V liegen nicht vor, denn der Kläger hatte im streitigen Zeitraum keine nach Maßgabe des § 3 Nr 12, 26, 26a oder 26b EStG steuerfreien Einnahmen. Zwar ist das Taschengeld aus dem BFD ebenfalls steuerfrei, die Steuerfreiheit beruht aber nicht auf einer der ausdrücklich genannten Bestimmungen, sondern auf § 3 Nr 5 Buchst f EStG.

29Demgegenüber liegt ein Fall des § 1 Abs 7 S 4 Alt 1 Alg II-V vor, denn der erwerbsfähige und leistungsberechtigte Kläger hat eine (selbstständige) Erwerbstätigkeit ausgeübt. Nach der Rechtsfolgenanordnung des § 1 Abs 7 S 4 Alg II-V würden für ihn als erwerbstätigen Leistungsberechtigten deshalb die Regelungen der S 1 bis 3 nicht gelten. Anders ausgedrückt würde die Regelung für erwerbstätige Leistungsberechtigte bedeuten, dass die in den S 1 bis 3 genannten spezifischen Absetzungen vom Taschengeld gerade nicht vorzunehmen sind. Dies hätte zur Folge, dass das Taschengeld voll als Einkommen zu berücksichtigen wäre.

30Obwohl eine solche Auslegung nach dem Wortlaut der Vorschrift denkbar erscheint, ist bei Auslegung der Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck sowie aufgrund systematischer Erwägungen eine teleologische Reduktion des § 1 Abs 7 S 4 Alg II-V geboten.

31§ 1 Abs 7 S 4 Alg II-V ist eine Harmonisierungsregelung, mit der bezweckt wird, sicherzustellen, dass beim Zusammentreffen von BFD und Erwerbstätigkeit "jeweils nur die Freibeträge nach § 11b Abs 2 und 3 SGB II" zur Anwendung kommen (vgl mit Hinweis auf die Begründung des Referentenentwurfs Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 13 RdNr 158 mwN, Stand Juni 2015). § 1 Abs 7 S 1 Alg II-V geht typisierend davon aus, dass dem Dienstleistenden während des Freiwilligendienstes im Wesentlichen das Taschengeld als Einkommen zur Verfügung steht. Die S 2 und 3 der Vorschrift betreffen demgegenüber die Fälle, in denen Leistungsberechtigte im BFD weiteres Einkommen haben und von diesen bereits Absetzungen (§ 11b Abs 2 und 3 SGB II) von mehr als 140 Euro vornehmen konnten. Liegen diese Voraussetzungen vor, sind auch Absetzungen vom Taschengeld vorzunehmen, die aber geringer ausfallen (60 Euro monatlich). S 4 schließlich regelt die Fallgruppe, dass der Freiwilligendienst mit einer (selbstständigen) Erwerbstätigkeit zusammentrifft. In diesen Fällen sollen die S 1 bis 3 nicht gelten, sondern es soll bei der Anwendung der §§ 11a und 11b SGB II iVm § 3 Alg II-V bleiben.

32Die Regelung des S 4 verfolgt den Zweck, dass erwerbstätige Leistungsberechtigte nicht die Freibeträge nach §§ 11a und 11b SGB II mit den spezifischen Absetzungen von Taschengeld aus dem BFD nach § 1 Abs 7 S 1 bis 3 Alg II-V kumulieren können. Der Verordnungsgeber hat dabei typisierend angenommen, es sei für erwerbstätige Leistungsberechtigte vorteilhaft, die Freibeträge nach § 11b Abs 2 und 3 SGB II zu nutzen. Mit dieser Typisierung hat er allerdings solche Fallgestaltungen nicht bedacht, in denen erwerbstätige Leistungsberechtigte ein so geringes Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen, dass sie nicht einmal den Grundfreibetrag ausschöpfen können. Liegen diese Voraussetzungen - wie hier - vor, hätte die Regelung zur Folge, dass erwerbstätige Leistungsberechtigte mit geringen Einkünften weniger vom Einkommen absetzen können als diejenigen Leistungsberechtigte, die (nur) Freiwilligendienst leisten und daneben nicht erwerbstätig sind.

33Um die erwerbstätigen Leistungsberechtigten nicht gleichheitswidrig zu benachteiligen, ist es deshalb geboten, die Regelungen der S 1 und 4 des § 1 Abs 7 Alg II-V so in Konkordanz zu bringen, dass diese beim Zusammentreffen eines geringen Einkommens aus Erwerbstätigkeit (bis zu 100 Euro) ergänzend zu dem Grundfreibetrag von 100 Euro, einen (weiteren) Freibetrag auf das Taschengeld des BFD erhalten, sodass sie insgesamt Freibeträge von bis zu 175 Euro bzw 200 Euro nutzen können (§ 1 Abs 7 S 1 Alg II-V).

34Die gefundene Auslegung berücksichtigt durch den Verbrauch des Grundfreibetrags in Fällen mit geringem Einkommen aus Erwerbstätigkeit weiter, dass die Freibeträge nach den S 1 bis 3 des § 1 Abs 7 Alg II-V nicht mit denen nach § 11b Abs 2 und 3 SGB II kumuliert werden dürfen. Deshalb ist es sachgerecht, in Fällen, in denen ein geringes Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit erzielt wird, von den Freibeträgen des S 1 (175 Euro bzw 200 Euro) den schon bei der Ermittlung des zu berücksichtigenden Erwerbseinkommens in Abzug gebrachten Grundfreibetrag abzuziehen, sodass (nur) weitere 75 Euro bzw 100 Euro monatlich als Freibetrag vom Taschengeld verbleiben (vgl jetzt auch Art 1 Nr 10 Buchst b) Doppelbuchst dd) des Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - BT-Drucks 18/8041, S 8, 36).

35Dies entspricht auch der Wertung in der Entscheidung des 14. Senats des BSG (vom - B 14 AS 61/13 R - SozR 4-4200 § 11b Nr 6 RdNr 15 f), der entschieden hat, dass § 11b Abs 2 S 3 SGB II idF bis einen Mindestfreibetrag im Sinne einer Obergrenze für den Fall bestimmt, dass Einkommen aus Erwerbstätigkeit und aus privilegierter ehrenamtlicher Tätigkeit zusammentrifft. Eine Kumulation beider Freibeträge ist dort ebenfalls abgelehnt worden.

36Die Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 1 Abs 7 S 4 Alg II-V führt zu einer Angleichung der Freibetragsgrenzen der Personen, die nur Freiwilligendienst leisten, mit denjenigen, die neben dem Freiwilligendienst noch geringe Einkünfte aus Erwerbstätigkeit haben. Sie entspricht damit der Intention des § 2 Abs 3, § 11b Abs 2 und 3 SGB II, denn danach sollen die Leistungsberechtigten sich bietende Arbeitsgelegenheiten nutzen. Wenn sie diese nutzen, sollen sie leistungsrechtlich nicht schlechter stehen als ohne die entsprechende Betätigung. Auf diese Weise wird ein Anreiz zur Teilnahme am BFD durch Leistungsempfänger gesetzt, die gesellschaftlich gewünscht ist. Zugleich sollen damit einhergehende, mögliche Verbesserungen der Eingliederungschancen auf dem Arbeitsmarkt anerkannt werden.

37Allerdings kann aufgrund der Vorgaben des Gesetz- und Verordnungsgebers eine vollständige Angleichung nicht erreicht werden. Denn in Konstellationen wie der vorliegenden kann der Anteil des Grundfreibetrags, der durch Einnahmen aus Erwerbstätigkeit nicht verbraucht wird (hier zB die Differenz zwischen 53,08 Euro und 100 Euro), nicht auf andere Einkommensarten übertragen werden. Entsprechendes hat der Senat bereits für das Zusammentreffen von Erwerbseinkommen und Kindergeld entschieden ( - SozR 4-4200 § 11 Nr 66 = NZS 2014, 791). Ist der Grundfreibetrag bei der Berechnung des Erwerbseinkommens in Abzug gebracht, aber nicht voll ausgeschöpft worden, ist eine Verteilung des verbleibenden Rests der Pauschale auf eine andere Einkommensart (dort: Kindergeld) nicht zulässig (BSG, aaO, RdNr 22 f). Dieser Grundsatz steht auch einer Übertragung eines restlichen Grundfreibetrags auf das Taschengeld nach dem BFDG, das kein Erwerbseinkommen ist, entgegen.

38d) Der Kläger hat in dem streitbefangenen Zeitraum Anspruch auf Zahlung weiterer 450 Euro als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

39Von dem zu berücksichtigenden Taschengeld in Höhe von 225 Euro pro Monat sind bei einer Freibetragsgrenze von 175 Euro im Jahr 2012 weitere 75 Euro für zwei Monate von der Anrechnung als Einkommen freizustellen; der weitergehende Freibetrag des § 1 Abs 7 S 1 Alg II-V ist durch die Berücksichtigung des Grundfreibetrags verbraucht. Für die streitigen drei Monate des Jahrs 2013 sind von den 225 Euro Taschengeld monatlich weitere 100 Euro von der Anrechnung freizustellen. Auch hier ist der Absetzbetrag von 200 Euro monatlich ist in Höhe von 100 Euro monatlich durch den Grundfreibetrag verbraucht, sodass ergänzend nur noch weitere 100 Euro abzusetzen sind. Im Ergebnis hat der Kläger Anspruch auf Zahlung von weiteren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 450 Euro.

403. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 183 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:260716UB4AS5415R0

Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 10 Nr. 10
MAAAF-83565