BFH Urteil v. - VIII R 58/13 BStBl 2016 II S. 774

Nichtanschaffung ist kein Tatbestandsmerkmal für die Auflösung der Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.

Leitsatz

Löst ein Steuerpflichtiger mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die von ihm gebildete Ansparabschreibung für die geplante Anschaffung eines Wirtschaftsguts nicht spätestens durch Ansatz einer entsprechenden Betriebseinnahme in seiner Gewinnermittlung für den zweiten auf die Bildung folgenden Veranlagungszeitraum auf, so kann das FA den erklärungsgemäß für jenes Jahr ergangenen Einkommensteuerbescheid nicht nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO unter Hinweis auf das spätere Bekanntwerden der Nichtanschaffung des Wirtschaftsguts ändern. Denn die Nichtanschaffung ist kein Tatbestandsmerkmal für die Auflösung der Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. und daher insoweit keine rechtserhebliche Tatsache.

Gesetze: AO § 173 Abs. 1 Nr. 1; EStG a.F. § 7g;

Instanzenzug: ,

Tatbestand

1 I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr (2006) zwecks Korrektur der unterlassenen Auflösung einer Ansparabschreibung nebst Gewinnzuschlag gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geändert werden kann.

2 Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der im Streitjahr zusammen mit seiner Ehefrau —der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin)— zur Einkommensteuer veranlagt wurde, ist Arzt. Seine Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit ermittelte er durch Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung —EStG—).

3 In seiner Gewinnermittlung für das Jahr 2004 hatte der Kläger eine Betriebsausgabe in Höhe von 25.500 € mit dem Zusatz „Zuführung Rücklage nach § 7g (3) EStG“ erfasst. Diese Ansparabschreibung löste er weder im Jahr 2005 noch im Streitjahr auf, was sowohl bei der erstmaligen Steuerfestsetzung für das Streitjahr als auch in dem Einkommensteueränderungsbescheid 2006 vom unbeachtet blieb. Erst im Rahmen der bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2008 durchgeführten Verprobung der vom Kläger gebildeten und aufgelösten Ansparabschreibungen stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) fest, dass die im Jahr 2004 gebildete Ansparabschreibung nicht aufgelöst worden war. Das FA erließ daraufhin am unter Verweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO einen Einkommensteueränderungsbescheid für das Jahr 2006, in dem es die Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Klägers um 28.560 € (25.500 € Auflösung Ansparabschreibung zzgl. 3.060 € Gewinnzuschlag) erhöhte.

4 Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage der Kläger führte zur Aufhebung des Änderungsbescheides vom . Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO seien nicht gegeben. Es sah den Umstand, dass der Kläger in seiner Gewinnermittlung die im Jahr 2004 gebildete Ansparabschreibung nicht aufgelöst hatte, als Tatsache i.S. des § 173 AO an, ließ aber offen, ob diese Tatsache dem FA nachträglich bekannt geworden war. Den Erlass des Änderungsbescheides hielt es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben für ausgeschlossen.

5 Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

6 Das FA beantragt,

das mit der Revision angefochtene aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7 Die Kläger beantragen,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

8 Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Gründe

9 II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 4 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

10 Das FG hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides vom ausgeschlossen ist. Es fehlt bereits an einer nachträglich bekannt gewordenen rechtserheblichen Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

11 1. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

12 a) Tatsache in diesem Sinne ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind demgegenüber Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFHE 240, 265, BStBl II 2013, 484, m.w.N.; , BFHE 246, 182, BStBl II 2014, 864). Nachträglich bekannt geworden ist eine Tatsache, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des zu ändernden Steuerbescheids noch nicht kannte (z.B. , BFHE 232, 5, BStBl II 2011, 479). Die Tatsache muss für die auf § 173 AO gestützte Korrektur erheblich sein.

13 b) Die „Nichtanschaffung“ jener Wirtschaftsgüter, für die der Kläger die Ansparabschreibung im Jahr 2004 gebildet hatte, ist in Bezug auf § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG keine rechtserhebliche Tatsache in diesem Sinne.

14 aa) Eine gemäß § 7g Abs. 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG gebildete Ansparabschreibung ist in Höhe von 40 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnerhöhend aufzulösen, sobald für das begünstigte Wirtschaftsgut Abschreibungen vorgenommen werden dürfen (§ 7g Abs. 4 Satz 1 EStG). Ist die Rücklage am Ende des zweiten auf die Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie zu diesem Zeitpunkt ebenfalls gewinnerhöhend aufzulösen (§ 7g Abs. 4 Satz 2 EStG) und der Gewinn für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6 % des aufgelösten Rücklagebetrages zu erhöhen (§ 7g Abs. 5 EStG).

15 bb) Danach sieht der Tatbestand des § 7g Abs. 4 EStG die Auflösung einer Ansparabschreibung vor, sobald für das begünstigte Wirtschaftsgut Abschreibungen vorgenommen werden dürfen (Satz 1), was eine planmäßig erfolgte Investition voraussetzt. Daneben schreibt die Regelung (Satz 2) die zwangsweise Auflösung der Ansparabschreibung nach Ablauf der Investitionsfrist vor. Dabei knüpft das Gesetz ausdrücklich und ausschließlich an das Fortbestehen der Rücklage am Ende der Investitionsfrist an und stellt nicht auf die —negative Tatsache der— „Nichtanschaffung“ des Wirtschaftsgutes oder andere tatsächliche Umstände ab. Dementsprechend ist die Ansparabschreibung, sofern sie am Ende des zweiten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden ist, unabhängig davon gewinnerhöhend aufzulösen, ob die begünstigten Anlagegüter später angeschafft oder hergestellt worden sind, die Investition geringer ausgefallen ist als geplant oder gar völlig ausbleibt (z.B. Senatsbeschluss vom VIII B 212/07, BFH/NV 2008, 1322).

16 Zwingt das Gesetz jedoch mit Fristablauf unabhängig von der „Nichtanschaffung“ des Wirtschaftsgutes zur Auflösung der Ansparabschreibung, ist die „Nichtanschaffung“ des Wirtschaftsgutes —entgegen der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung der Finanzgerichte (vgl. , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2012, 1271; , EFG 2008, 662; , juris; , EFG 2015, 1897; , EFG 2015, 1451, beim BFH anhängig unter X R 21/15; jeweils unter Verweis auf , BFH/NV 1997, 757, zu §§ 6b, 6c EStG)— kein tatsächlicher Vorgang, der die Auflösung einer Ansparabschreibung nach sich zieht und damit den Ansatz einer Betriebseinnahme gebietet. Die „Nichtanschaffung“ ist daher kein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes des § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG und somit keine rechtserhebliche Tatsache.

17 Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu der von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zur Begründung ihrer Auffassung herangezogenen Entscheidung des IV. Senats (in BFH/NV 1997, 757), die den Fall einer unterlassenen Auflösung eines Gewinnabzuges gemäß § 6c EStG betraf. Dessen Auflösung war jedoch —anders als im Fall des § 7g Abs. 4 EStG— nicht zwangsläufig mit Ablauf der Investitionsfrist im Streitjahr vorzunehmen, sondern davon abhängig, dass der Steuerpflichtige bei Fristablauf weder Reinvestitionen vorgenommen noch mit der Errichtung eines Gebäudes auf einem seiner Grundstücke begonnen hatte. Die Pflicht zur Auflösung des Gewinnabzuges hing demzufolge nicht allein vom Fristablauf ab.

18 cc) Die in § 7g Abs. 5 EStG vorgesehene Regelung zum sog. Gewinnzuschlag, die zwischen dem Fall der Auflösung der Ansparabschreibung nach planmäßiger Investition einerseits und der zwangsweisen Auflösung einer am Ende des Investitionszeitraumes noch vorhandenen Rücklage andererseits differenziert, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch sie knüpft weder ausdrücklich an die „Nichtanschaffung“ von Wirtschaftsgütern an, noch stellt sie auf andere tatsächliche Umstände ab. Vielmehr ordnet die Norm für den Fall der zwangsweisen Auflösung einer am Ende des Investitionszeitraumes noch vorhandenen Ansparabschreibung i.S. des § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG den automatischen Ansatz eines Gewinnzuschlages an. Aus der Rechtmäßigkeit der zwangsweisen Auflösung der Ansparabschreibung folgt zugleich die Rechtmäßigkeit des Gewinnzuschlages.

19 c) Der Umstand, dass der Kläger die Rücklage nicht durch Berücksichtigung einer entsprechenden Betriebseinnahme in seiner Gewinnermittlung aufgelöst hat, ist ebenfalls keine nachträglich bekanntgewordene rechtserhebliche Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Ob der Steuerpflichtige die Betriebseinnahme in seiner Einnahmenüberschussrechnung erfasst oder nicht, ist für die Entstehung des Gewinns ohne Bedeutung. Denn die Rücklage ist —wie ausgeführt— kraft gesetzlicher Anordnung in § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG im zweiten Jahr nach ihrer Bildung gewinnerhöhend aufzulösen. Die diesbezüglich fehlerhafte Gewinnermittlung des Klägers für das zweite Jahr nach ihrer Bildung kann danach keine für die Besteuerung erhebliche Tatsache sein.

20 d) Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen einer anderen Norm erfüllt sind, auf die der angefochtene Änderungsbescheid gestützt werden könnte. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger arglistig i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO gehandelt hat (vgl. zu den Voraussetzungen der arglistigen Täuschung etwa , BFHE 250, 322).

21 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

Fundstelle(n):
BStBl 2016 II Seite 774
AO-StB 2016 S. 253 Nr. 9
BBK-Kurznachricht Nr. 17/2016 S. 823
BFH/NV 2016 S. 1511 Nr. 10
BFH/PR 2016 S. 352 Nr. 11
BStBl II 2016 S. 774 Nr. 18
DB 2016 S. 1855 Nr. 32
DB 2016 S. 6 Nr. 32
DStR 2016 S. 10 Nr. 32
DStR 2016 S. 1917 Nr. 33
DStRE 2016 S. 1083 Nr. 17
DStZ 2016 S. 717 Nr. 19
EStB 2016 S. 321 Nr. 9
FR 2016 S. 967 Nr. 20
HFR 2016 S. 860 Nr. 10
KÖSDI 2016 S. 19945 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 33/2016 S. 2481
StB 2016 S. 242 Nr. 9
StBp 2016 S. 307 Nr. 10
StuB-Bilanzreport Nr. 16/2016 S. 630
Ubg 2016 S. 550 Nr. 9
EAAAF-79665