BGH Beschluss v. - 4 StR 79/16

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Begründung der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters; Bedeutung früher abgeurteilter Taten bei der Gefährlichkeitsprognose; erforderliche Darlegungen in den Urteilsgründen

Gesetze: § 63 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: Az: 36 KLs 47/15

Gründe

1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

21. Der Unterbringungsanordnung liegen als von der Antragsschrift erfasste Anlasstaten eine gefährliche Körperverletzung sowie Bedrohungen zugrunde. Die gefährliche Körperverletzung beging der Beschuldigte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen am Morgen des zum Nachteil eines Bediensteten der JVA D.         , auf den er bei der Ausgabe des Frühstücks mit einer Porzellankaffeekanne einschlug. Drei der vom Landgericht als Bedrohungen eingeordneten Taten beging er ebenfalls zum Nachteil von JVA-Bediensteten, nachdem er im Anschluss an die gefährliche Körperverletzung in einen besonders gesicherten Haftraum (Drohung mit "Abstechen") bzw. zur Versorgung eines nach dem Körperverletzungsgeschehen erlittenen Kieferbruchs in eine Klinik verbracht worden war ("schlage ich euch mit dem Baseballschläger den Kopf ein"). Eine weitere Bedrohung "ggfs. auch weiterer Bediensteter der JVA" (UA S. 41) nimmt das Landgericht bezüglich eines Vorfalls vom gegenüber zwei Mitarbeiterinnen eines Justizvollzugskrankenhauses an, in das der Beschuldigte verlegt worden war. Ihnen gegenüber drohte der Beschuldigte, er werde ihnen "die Augen ausstechen und sie töten".

3Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer weist das Bundeszentralregister für den Beschuldigten für den Zeitraum von 1999 bis zum insgesamt 23 Einträge auch wegen Körperverletzungsdelikten (2001, 2005, 2006, zweimal 2008, 2009, 2013), Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (2006, dreimal 2008) oder Bedrohung (2005, 2006) aus. In den Jahren 2011 bis März 2015 verbüßte er mehrere Freiheitsstrafen; 2009 war gegen ihn ferner – neben einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten – die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden, die bis März 2011 auch vollzogen wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen oder die Anwendung von §§ 20, 21 StGB erwähnt das Landgericht bei keiner dieser Taten bzw. Eintragungen. Zu der Maßregelanordnung im Jahr 2009 teilt das Urteil lediglich mit, dass die Sachverständige einen Hang des Beschuldigten, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht habe. Aus dem Vollzug dieser Maßregel wird mitgeteilt, dass sein "dissoziales Verhalten ... kaum erträglich erschien" und bei ihm bei "kleinsten Belastungen oder Unklarheiten" Wahn- und Verfolgungsideen festgestellt worden seien, die sich aber wieder legten, "wenn sich die Situation klärte" (UA S. 14 f.).

4Ferner teilt das Urteil mit, dass ein Sachverständiger in einem – in einem anderen Strafverfahren gegen den Beschuldigten – erstatteten Gutachten im März 2015 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es sich beim Beschuldigten "um einen voll schuldfähigen Menschen mit dissozialer Persönlichkeit handle" (UA S. 23), während ein anderer Sachverständiger im selben Monat beim Beschuldigten eine paranoide Psychose sowie eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt habe (UA S. 25). Die Strafkammer geht – dem in der Hauptverhandlung erstatteten Sachverständigengutachten folgend – dagegen davon aus, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leide und gelitten habe, aufgrund derer zu den Tatzeiten seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei; es habe sich um "typische Impulstaten eines Psychotikers" gehandelt. Der Beschuldigte sei schon "in früherer Zeit" auffällig gewesen, wie insbesondere die strafrechtlichen Vorbelastungen zeigten (UA S. 37); paranoide Akzente zögen sich "bereits seit längerer Zeit durch das Leben des Beschuldigten" (UA S. 37). Hinsichtlich der Unterbringung nach § 64 StGB sei anzunehmen, dass sie "schlicht in die 'falsche Richtung' gegangen sei und damals schon das eigentlich bei dem Beschuldigten bestehende Problem verkannt worden sei" (UA S. 39).

52. Die Unterbringungsanordnung hat keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.

6a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 311/13; vom – 2 StR 239/15; vom – 4 StR 167/15) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. Rn. 27).

7Neben der sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (). Denn auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung gebessert werden könnte, da nur die Belange der öffentlichen Sicherheit – nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten – es rechtfertigen können, einen Menschen mit den Mitteln des Strafrechts auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (BGH aaO).

8b) An einer nachvollziehbaren Darlegung der zukünftigen krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Beschuldigten mangelt es dem angefochtenen Urteil.

9aa) Auch wenn sich die Feststellung einer durch den Hang bereits indizierten Gefährlichkeit bei § 66 StGB von der auf einem der in § 20 StGB aufgeführten Zustände beruhenden Gefährlichkeit bei § 63 StGB unterscheidet, sind – nicht anders als bei § 66 StGB (vgl. dazu etwa ) – auch (und insbesondere) für die im Rahmen des § 63 StGB anzustellende Gefährlichkeitsprognose etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (vgl. , NJW 2004, 739, 743; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 538, 541). So ist einerseits als ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. etwa , NStZ-RR 2015, 72, 73; vom – 4 StR 86/15 jeweils mwN). Andererseits kann sogar lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. ). Maßgeblich sind insofern insbesondere die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in zukünftigen Risikosituationen (vgl. , NJW 2010, 245).

10Ausgehend hiervon hätte es näherer Darlegungen bei der Gefährlichkeitsprognose dazu bedurft, ob und inwiefern die früher abgeurteilten Taten in Zusammenhang mit der nunmehr festgestellten Erkrankung des Beschuldigten stehen (vgl. auch ; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 541, 543; sowie ). Hierfür reicht nicht aus, dass der Sachverständige – und ihm folgend die Strafkammer – diese als "auffällig" bezeichnete und auf schon längere Zeit vorliegende "paranoide Akzente" verwies. Ein Zusammenhang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Beschuldigten ist damit (noch) nicht – wie erforderlich: sicher – festgestellt (vgl. ).

11bb) Bleiben die früheren Taten außer Betracht, ist die Gefährlichkeitsprognose indes nicht hinreichend nachvollziehbar.

12Insbesondere kann allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter die Gefahrenprognose nicht begründet werden (; vgl. dazu auch ). Maßgeblich sind stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung () sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (; zu situativen Risikofaktoren auch ).

13Zur mit der Erkrankung des Beschuldigten in Verbindung stehenden Kriminalitätsentwicklung fehlen – wie ausgeführt – tragfähige Feststellungen. Soweit der Beschuldigte nach den Anlasstaten mehrmals in einen hochgradigen und nicht oder kaum mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten ist, ist es zu Tätlichkeiten nicht gekommen (vgl. auch ). Auch waren die von ihm ausgesprochenen Bedrohungen nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen (vgl. hierzu etwa , NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385: nahe liegende Gefahr der Verwirklichung).

14Die Krankheitsgeschichte des Beschuldigten ist vom Landgericht – über die Unterbringung nach § 64 StGB hinaus – nur insoweit dargestellt worden, als ein Sachverständiger trotz einer dissozialen Persönlichkeitsstörung noch die "volle" Schuldfähigkeit bejaht hat, ein weiterer Sachverständiger – ebenfalls im März 2015 – dagegen eine paranoide Psychose und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung angenommen hat, während der (dritte) in der Hauptverhandlung angehörte Sachverständige (nur) eine paranoide Psychose diagnostiziert hat. Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist und wie sich die Symptomatik im Verlauf der Zeit entwickelt hat (vgl. ), fehlen. Da das Urteil abgesehen von dem Hinweis, dass sich für eine Persönlichkeitsstörung "keine Anhaltspunkte" gefunden hätten (UA S. 39), zudem eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den früheren Gutachten ebenso vermissen lässt wie eine nähere Darstellung und Auseinandersetzung mit dem in Zusammenhang mit der Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB erstatteten Gutachten, ermöglicht das Urteil dem Senat nicht, die Entscheidung – wie erforderlich – nachzuvollziehen.

Sost-Scheible                       Roggenbuck                       Franke

                      Mutzbauer                           Quentin

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR79.16.0

Fundstelle(n):
PAAAF-78069