BGH Beschluss v. - 6 StR 106/20

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Ermittlung des Defektzustands und der Gefährlichkeit des Angeklagten

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 177 StGB, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Bamberg Az: 1105 Js 6312/19 - 31 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner allgemein auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts trafen sich der Angeklagte und die Geschädigte verabredungsgemäß am Abend des . Beide gingen miteinander spazieren und küssten sich mindestens einmal. Als sie sich etwas später auf eine Parkbank setzten, fasste der Angeklagte der Geschädigten an die Brüste, woraufhin sie erklärte, dass sie das nicht schön finde und er damit aufhören solle; er ließ nun zunächst von ihr ab. Kurz darauf forderte er sie auf, seinen Penis in den Mund zu nehmen. Die Geschädigte äußerte, dass sie das nicht wolle. Der Angeklagte versuchte nun, die Geschädigte von der Parkbank hochzuziehen, was ihm aufgrund ihrer „passiven Gegenwehr“ nicht gelang. Anschließend stieg er auf die Bank und versuchte, ihr seinen erigierten Penis in den Mund einzuführen. Die Geschädigte drehte ihren Kopf zur Seite, so dass es zu keinem Kontakt zwischen ihrem Gesicht und dem Penis des Angeklagten kam.

3Als die Geschädigte nun aufstand und wegzugehen versuchte, hielt der Angeklagte sie fest und schubste sie von hinten, so dass sie „leicht nach vorne gebeugt gegen die Bank fiel“. Er zog ihr nun ihre Hose und Unterhose herunter und versuchte, während er hinter ihr stand, seinen Finger oder seinen Penis in ihren After einzuführen, wobei er Stoßbewegungen mit seinem Unterleib ausführte; dass es tatsächlich zu einem Eindringen in den Körper der Geschädigten kam, ließ sich nicht feststellen. Als sich ein Spaziergänger näherte, ließ der Angeklagte von der Geschädigten ab, so dass sie ihre Hose hochziehen und sich entfernen konnte, woran sie der Angeklagte nicht hinderte.

4Sachverständig beraten hat das Landgericht angenommen, dass der Angeklagte an einem hirnorganischen Psychosyndrom sowie einer organischen Persönlichkeitsveränderung leide; aufgrund dieser Erkrankung sei mit Sicherheit seine Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt gewesen.

52. Die angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB begegnet in zweifacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

6a) Die Urteilsausführungen belegen nicht hinreichend das Vorliegen eines die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigenden Dauerzustands beim Angeklagten.

7aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (st. Rspr.; vgl. nur , BGHR StGB § 63 Zustand 44; Beschlüsse vom - 4 StR 210/16; vom - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141). Das Tatgericht hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).

8bb) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines die Unterbringung rechtfertigenden Dauerzustands beim Angeklagten nicht gerecht.

9Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom ausgeführt:

„Die Kammer machte sich die Ausführungen des Sachverständigen zu eigen, ohne dass erkennbar ist, welche konkreten Anknüpfungs- und Befundtatsachen zur Entwicklung der angenommenen Erkrankung und deren Verlauf bis zum Tatzeitpunkt die Annahme einer krankhaften seelischen Störung stützen.

Soweit die gescheiterte Ehe sowie das fehlende Arbeitsverhältnis des Angeklagten als Folge der Krankheit in Betracht kommen (UA S. 14), ist zweifelhaft, ob die Kammer ausreichend bedacht hat, dass die Schwierigkeiten des Angeklagten auf dem Arbeitsmarkt ebenso auf anderen Umständen beruhen könnten, etwa seinem Status als Asylbewerber oder den fehlenden Deutschkenntnissen (UA S. 57). Auch ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, welche Auswirkungen die Krankheit konkret auf die Ehe des Angeklagten hatte, zumal die Trennung erst 2018 erfolgte (UA S. 6), die Krankheit aber - bedingt jedenfalls durch das letzte Schädel-Hirn-Trauma 2012 (UA S. 7) - offensichtlich bereits längere Zeit bestand.

Soweit sich die Kammer daneben vom Vorliegen des Symptoms des umständlichen, weitschweifigen und übermäßigen Redens beim Angeklagten einen persönlichen Eindruck verschafft hat (UA S. 14 f.), ist weder diese Verhaltensweise noch die Anlasstat als solche so außergewöhnlich, dass sie für sich schon die getroffenen Diagnosen hinreichend nachvollziehbar machen würden. Möglicherweise handelt es sich auch nur um Kennzeichen einer Persönlichkeitsakzentuierung, die noch keinen relevanten Krankheitswert aufweisen (vgl. , juris Rn. 5).

Die Kammer erörtert in diesem Zusammenhang auch nicht die festgestellte Krankheitsgeschichte des Angeklagten, die der Diagnose der von ihr angenommenen psychischen Störung entgegenstehen könnte. Insbesondere wenn sich das Krankheitsbild des Täters im Verlauf der Erkrankung bis zur Tat verändert hat und die behandelnden Ärzte wechselnde Diagnosen gestellt haben, bedarf es besonders detaillierter Darlegungen zum Defektzustand und seinen Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit (, NStZ-RR 2017, 76, 77).

So liegt der Fall hier: Die Diagnose eines organischen Psychosyndroms (ohne eine Persönlichkeitsveränderung) wurde nach den Urteilsfeststellungen bereits im April 2012 gestellt, zusammen mit einer schizophreniformen Psychose und einer vorübergehenden psychotischen Episode (UA S. 7). Seither erfolgten bis zum Tatzeitpunkt innerhalb von viereinhalb Jahren neun weitere Aufenthalte in Kliniken, bei denen jeweils psychische Erkrankungen nach ICD-10 diagnostiziert wurden, wovon keine den Erkrankungen entsprach, die für die Anlasstat symptomatisch festgestellt wurden (UA S. 7). Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die Kammer diesen Umstand bei ihrer Würdigung berücksichtigt hat. Auch die näheren Umstände der Klinikaufenthalte ergeben sich aus den Urteilsgründen nicht, so dass sich auch hieraus keine weiteren Schlüsse ziehen lassen. Insbesondere vor dem Hintergrund der fehlenden Vorstrafen des Angeklagten wäre eine nähere Auseinandersetzung mit seinem Krankheitsbild erforderlich gewesen.

Der Umstand allein, dass das beschriebene Krankheitsbild der organischen Persönlichkeitsveränderung auf Grund des Symptoms der sexuellen Enthemmung (UA S. 14) die abgeurteilte Straftat grundsätzlich zu erklären vermag, ist für sich noch keine tragfähige Grundlage für den gutachterlichen Befund, weil ohne nähere Erläuterung nicht auszuschließen ist, dass dieser allein auf einem Rückschluss aus der abgeurteilten Straftat beruht, ohne dass erwogen worden ist, ob es auch andere denkbare Auslöser für die Straftat gegeben hat (vgl. , juris Rn. 6).“

10Dem schließt sich der Senat an.

11b) Darüber hinaus ist die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet.

12aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn neben den weiteren Voraussetzungen der Maßregel eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 535/16, StV 2017, 575, 576; vom - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75; vom - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395).

13bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Angeklagten in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

14Diesbezüglich hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat zutreffend ausgeführt:

„Das Gericht legt - wie auch der Sachverständige (UA S. 47) - tragendes Gewicht auf den Umstand, dass die situativen Faktoren für Delikte bei dem Angeklagten banal seien (UA S. 57). Andere Delikte als die Anlasstat sind indes in den Urteilsgründen nicht aufgeführt. Auch der Hergang der Anlasstat unterscheidet sich von anderen Taten desselben Deliktskreises nicht derart, dass von einem nur durch die Krankheit zu erklärenden banalen Auslöser für das Handeln des Angeklagten ausgegangen werden muss. Die konkreten 'deutlichen Hinweise' dafür, dass das Sexualverhalten des Angeklagten egozentrischen Triebimpulsen folge (UA S. 48, 57), benennt die Kammer nicht.

Das Gericht wertet daneben ein fehlendes Arbeitsverhältnis, schlechte Deutschkenntnisse und die gescheiterte Ehe des Angeklagten als negative Faktoren im Rahmen der Gefahrenprognose. Hinzu träten mangelnde Krankheitseinsicht und Selbstreflexionsfähigkeit sowie der Umstand, dass dem Angeklagten ein selbstkritischer Umgang mit seiner Delinquenz nicht möglich und deshalb eine Besserung der Auffälligkeiten medizinisch nicht zu erwarten sei. Diese Faktoren stellen zwar allgemein prognostisch ungünstige Umstände dar. Angesichts der völligen Straffreiheit des Angeklagten, die als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen ist (, NStZ-RR 2016, 306, 307) sowie keinerlei sonstiger gewichtiger psychischer Auffälligkeiten reichen diese Aspekte für eine tragfähige Begründung, warum nunmehr mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades weitere Straftaten zu erwarten sind, nicht aus (vgl. , juris Rn. 11).“

15c) Der Schuldspruch und der Strafausspruch des angefochtenen Urteils werden von der Aufhebung der Maßregel nicht berührt. Der Senat kann insbesondere ausschließen, dass in der neuen Hauptverhandlung Umstände festgestellt werden, aus denen sich die Schuldunfähigkeit des Angeklagten ergibt.

163. Die Versagung der Strafaussetzung zu Bewährung hat ebenfalls keinen Bestand, weil die Strafkammer hierfür maßgeblich auf die - nicht tragfähig begründete - Gefährlichkeit des Angeklagten abgestellt hat (vgl. ).

174. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer tatgerichtlicher Verhandlung und Entscheidung. Mit Blick auf die neu zu treffende Entscheidung über eine Aussetzung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass es für das Vorliegen einer günstigen Prognose gemäß § 56 Abs. 1 und Abs. 2 StGB nicht auf ein künftiges allgemeines Wohlverhalten des Täters („Sozialprognose“) ankommt, sondern im Sinne einer Kriminalprognose allein auf die künftige Beachtung strafrechtlicher Verbote durch ihn (vgl. MüKo-StGB/Groß, 3. Aufl., § 56 Rn. 16; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 198).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:010720B6STR106.20.0

Fundstelle(n):
HAAAH-62644