BGH Beschluss v. - VI ZR 448/14

Instanzenzug: SchlHOLG

Gründe

I.

1Die Klägerin verlangt von den Beklagten aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes (im Folgenden: Zedent) Schadensersatz wegen angeblicher Falschberatung bezüglich des Erwerbs von Wertpapieren.

2Die Beklagten waren alleinige Vorstände der zwischenzeitlich insolventen A. AG, die unter anderem im Bereich der Anlageberatung tätig war und ihre Erträge insbesondere durch Provisionen der Emittenten der empfohlenen Anlagen erwirtschaftete. In der Zeit vom bis zum erwarb der Zedent nach telefonischer Beratung und auf Empfehlung von für die A. AG tätigen Kundenberatern verschiedene Wertpapiere, darunter Genussscheine, zum Preis von insgesamt 187.197,31 €.

3Die Klägerin hat unter anderem behauptet, der Zedent sei nicht hinreichend über die mit den Anlagen verbundenen Risiken - insbesondere das Emittenten- und das Totalverlustrisiko - aufgeklärt worden. Dafür seien die Beklagten verantwortlich, da sie ihre Kundenberater systematisch zu einer fehlerhaften Anlageberatung veranlasst hätten.

4Soweit sie Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist, hat die Klägerin mit ihrer Klage Schadensersatz in Höhe der für die Wertpapiere gezahlten Kaufpreise abzüglich erzielter Erträge und Erlöse Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche aus den noch vorhandenen Wertpapieren sowie Ersatz entgangener Anlagezinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten jeweils nebst Verzugszinsen verlangt. Ferner hat sie die Feststellung begehrt, dass sich die Beklagten mit den Gegenleistungen in Annahmeverzug befinden. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

5Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg und führt im beantragten Umfang gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Klägerin rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe ihren Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

61. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch der Klägerin verneint. Zur Begründung hat es, soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Interesse, ausgeführt, die Beklagten hafteten der Klägerin nicht nach § 826 BGB. Zwar seien die Voraussetzungen einer sittenwidrigen Schädigung nach dem Klägervortrag erfüllt. Denn danach hätten die Beklagten das Unternehmen derart organisiert, dass die Berater die Anleger flächendeckend und umfassend entgegen ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, vor allem ihrer Risikobereitschaft, beraten hätten. Die Klägerin behaupte, im Rahmen einer von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft K. genommenen Stichprobe hätten sich in den Depots sämtlicher 1.111 von der Stichprobe erfasster Anleger Genussscheine der Risikoklassen 3 und 4 befunden, obwohl die Anleger den Risikoklassen 1 und 2 zuzuordnen gewesen seien. Wenn aus einer Stichprobe von 1.111 Anlegern mit Genussscheinen im Depot sämtliche dieser Anleger nicht anlegergerecht beraten worden sein sollten, trage dies zur Überzeugung des Berufungsgerichts den Schluss auf flächendeckende nicht anlegergerechte Beratung und sittenwidriges Handeln der Beklagten. Der Klägerin sei es aber nicht gelungen, diese Behauptung zu beweisen. Die von ihr benannten Zeugen B. und T. seien gemäß § 376 ZPO nicht zu vernehmen gewesen, da sie nach Auskunft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit unterlägen, von der die Bundesanstalt sie nicht entbunden habe; daran sei das Berufungsgericht gebunden. Die weiteren Zeugen hätten den Vortrag der Klägerin nicht bestätigt.

72. Diese Ausführungen verletzen die Klägerin in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

8a) Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nach dem Sachvortrag der Klägerin zu bejahen wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Anlageberater, der vorsätzlich eine anleger- und objektwidrige Empfehlung abgibt und die Schädigung des um Rat fragenden Anlegers zumindest billigend in Kauf nimmt, dem Anleger wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zum Schadensersatz verpflichtet (Urteil vom - XI ZR 170/07, BGHZ 175, 276 Rn. 29). Dementsprechend handelt auch sittenwidrig, wer - wie von der Klägerin in Bezug auf die Beklagten behauptet - als Leiter eines mit Anlageberatung befassten Unternehmens ein System etabliert, das darauf gerichtet ist, den Kunden unter planmäßiger Falschberatung ihren Interessen und ihrer Risikobereitschaft nicht entsprechende risikobehaftete Anlagen zu empfehlen (Senatsbeschluss vom - VI ZR 302/14, [...] Rn. 13; vgl. auch Senatsurteil vom - VI ZR 463/14, VersR 2015, 1574 Rn. 24).

9b) Mit Erfolg rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin sei für diese Behauptung beweisfällig geblieben, auf einem Gehörsverstoß beruht. Das Berufungsgericht hat die Klägerin dadurch in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, dass es die von ihm insoweit benannten Zeugen B. und T. nicht vernommen hat (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom - VI ZR 441/14, zur Veröffentlichung bestimmt).

10aa) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Gerichte, erheblichen Beweisanträgen nachzugehen. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom - VI ZR 118/13, VersR 2015, 338 Rn. 4; , [...] Rn. 7; BVerfGE 69, 141, 143 f.; BVerfG, WM 2012, 492, 493; NJW 1993, 254; teilweise mwN). Davon ist im Streitfall auszugehen. Das Unterbleiben der vom Berufungsgericht selbst als erheblich angesehenen Vernehmung der Zeugen B. und T. findet im Prozessrecht keine Grundlage.

11bb) Anders als das Berufungsgericht meint, steht der Vernehmung der Zeugen B. und T. § 376 Abs. 1 ZPO nicht entgegen.

12(1) Das Berufungsgericht hat sich aufgrund einer Auskunft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (im Folgenden: Bundesanstalt) gemäß § 376 Abs. 1 ZPO daran gehindert gesehen, die Zeugen B. und T. zu vernehmen. Nach dieser Auskunft handelt es sich bei den Zeugen um Wirtschaftsprüfer, derer sich die Bundesanstalt gemäß § 4 Abs. 3 des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes (FinDAG) bedient hatte, um bei der A. AG eine Prüfung vorzunehmen (§ 35 Abs. 1 WpHG, § 44 Abs. 1 KWG); weiter heißt es, die Zeugen unterlägen nach § 8 Abs. 1 WpHG, § 9 Abs. 1 KWG einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht, von der sie nicht entbunden werden könnten.

13(2) Diese Mitteilung rechtfertigte es indes nicht, von der Vernehmung der Zeugen B. und T. gemäß § 376 Abs. 1 ZPO abzusehen. Die Zeugen B. und T. werden vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht erfasst.

14(a) Nach § 376 Abs. 1 ZPO gelten für die Vernehmung von Richtern, Beamten und anderen Personen des öffentlichen Dienstes als Zeugen über Umstände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, und für die Genehmigung zur Aussage die besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften. § 376 Abs. 1 ZPO setzt mithin - ebenso wie der gleichlautende § 54 Abs. 1 StPO - eine durch andere Bestimmungen begründete Pflicht des Zeugen zur Amtsverschwiegenheit voraus (vgl. , NStZ 1981, 70 zu § 54 StPO) und überträgt diese Pflicht in das Prozessrecht (zu § 54 StPO vgl. SK-StPO/Rogall, 4. Aufl., § 54 Rn. 2; KMR/Neubeck, § 54 Rn. 1 [Stand: November 2010]; AnwK-StPO/v. Schlieffen, 2. Aufl., § 54 Rn. 1). Infolgedessen besteht, wenn dem Zeugen von der zuständigen Behörde keine Aussagegenehmigung erteilt wird, ein Vernehmungsverbot (vgl. Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 376 Rn. 2, 13; MüKoZPO/Damrau, 4. Aufl., § 376 Rn. 1, 11; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 376 Rn. 43). Dadurch sollen die öffentlichen Geheimhaltungsinteressen auch im gerichtlichen Verfahren geschützt werden (vgl. MüKoZPO/Damrau, aaO Rn. 1; Ahrens, aaO Rn. 2; zu § 54 StPO vgl. , BGHSt 50, 318, 326 f.; BayObLG, NJW 1990, 1857, 1858; LR/Ignor/Bertheau, 26. Aufl., § 54 Rn. 1).

15(b) B. und T. sind nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und der in Bezug genommenen Mitteilung der Bundesanstalt keine Richter oder Beamte und auch keine sonstigen Personen des öffentlichen Dienstes. Zwar waren die Zeugen aufgrund ihrer Beauftragung durch die Bundesanstalt deren Hilfspersonen und wurden bei der Prüfung der A. AG unmittelbar in Erfüllung von Angelegenheiten tätig, die für die Behörde Verwaltungsaufgaben waren (vgl. , BGHZ 181, 12 Rn. 23; vom - X ZR 231/99, VersR 2001, 1390, 1392). Dies begründete aber jedenfalls deshalb kein Vernehmungsverbot gemäß § 376 Abs. 1 ZPO, weil den Zeugen keine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit im Sinne dieser Vorschrift auferlegt worden war (zu § 54 StPO vgl. , BGHSt 50, 318, 327; SK-StPO/Rogall, 4. Aufl., § 54 Rn. 22).

16(aa) Ob sich eine solche Pflicht aus einer Amtsträgereigenschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB ergeben kann (zu § 54 StPO vgl. , NJW 1980, 846, 847; SKStPO/Rogall, 4. Aufl., § 54 Rn. 22; LR/Ignor/Bertheau, 26. Aufl., § 54 Rn. 9 a.E.), kann dabei offenbleiben. Denn die Amtsträgereigenschaft setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine öffentlich-rechtliche Bestellung voraus, die zu einer über den einzelnen Auftrag hinausgehenden längerfristigen Tätigkeit oder zu einer organisatorischen Eingliederung in die Behördenstruktur führen muss (Urteile vom - 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96, 105; vom - 3 StR 490/07, BGHSt 52, 290 Rn. 25; vom - 5 StR 263/08, BGHSt 54, 39 Rn. 46). Beides ist nicht festgestellt.

17(bb) Nach den getroffenen Feststellungen ist eine Pflicht der Zeugen B. und T. zur Amtsverschwiegenheit auch nicht durch eine förmliche Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz begründet worden (vgl. dazu MüKoZPO/ Damrau, 4. Aufl., § 376 Rn. 6; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 376 Rn. 32; zu § 54 StPO vgl. , NStZ 1981, 70 und vom - 3 StR 281/04, BGHSt 50, 318, 327 f. mwN).

18(cc) Eine für das Eingreifen von § 376 Abs. 1 ZPO erforderliche Pflicht zur Amtsverschwiegenheit folgt schließlich auch nicht aus der sich aus § 8 Abs. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht.

19Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG und § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG dürfen unter anderem Personen, die bei der Bundesanstalt beschäftigt oder - wie die Zeugen B. und T. - nach § 4 Abs. 3 FinDAG beauftragt sind, die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse eines geprüften Unternehmens oder eines Dritten liegt, nicht unbefugt offenbaren. Bei dieser Verschwiegenheitspflicht handelt es sich aber nicht um eine von § 376 Abs. 1 ZPO in Bezug genommene Pflicht zur Amtsverschwiegenheit (zu ähnlichen Vorschriften vgl. RGZ 54, 1, 3; Merkl, Die Zeugenaussage nichtbeamteter Personen des öffentlichen Dienstes vor Zivil- und Strafgerichten, 1973, S. 25), wenn sie sich mit ihr im Einzelfall - anders als im Streitfall - auch überschneiden kann (vgl. VG Minden, WM 2011, 1130, 1134).

20Zwischen der sich aus § 8 WpHG und § 9 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht einerseits und der allgemeinen Amtsverschwiegenheit andererseits bestehen wesentliche Unterschiede (vgl. BVerwG, NVwZ 2011, 1012 Rn. 15; KK-WpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 WpHG Rn. 10). Anders als die beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht erfassen § 8 WpHG und § 9 KWG keine Tatsachen, deren Geheimhaltung im eigenen Interesse der Bundesanstalt liegt, sondern Geschäfts-, Betriebs- und Privatgeheimnisse der beaufsichtigten Marktteilnehmer und sonstiger Dritter (vgl. BT-Drucks. 12/6679 S. 42; KKWpHG/Möllers/Wenninger, aaO Rn. 21; Beck in Schwark/Zimmer, WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 1; Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 2; Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 8 Rn. 2; Becker in Reischauer/Kleinhans, KWG, § 9 Rn. 12 [Erg.-Lfg. 8/12]; Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 1). Zwar bezwecken beide Vorschriften damit nicht nur den Schutz der privaten Träger des Geheimhaltungsinteresses. Vielmehr sollen auch das notwendige Vertrauen in die Integrität der Aufsichtspraxis, eine entsprechende Kooperationsbereitschaft der beaufsichtigten Marktteilnehmer und damit letztlich die Funktionsfähigkeit der Märkte für Finanzinstrumente sichergestellt werden (vgl. , VersR 2015, 873 Rn. 31 ff.; BT-Drucks. 12/6679 S. 42; KK-WpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 Rn. 6 f.; Beck in Schwark/Zimmer, WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 1; Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 2; Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/ Becker, WpHG, § 8 Rn. 2). Das ändert aber nichts daran, dass die geschützten Personen über den Schutz ihrer Geheimnisse disponieren können. Willigen sie in die Offenbarung einer Tatsache ein, erfolgt die Offenbarung nicht unbefugt und die Verschwiegenheitspflicht entfällt (vgl. KK-WpHG/Möllers/Wenninger, aaO Rn. 32; Beck, aaO Rn. 11, 25; Schlette/Bouchon, aaO Rn. 23; Bruchwitz, aaO Rn. 11; Döhmel in Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl., § 8 Rn. 14; Becker in Reischauer/Kleinhans, KWG, § 9 Rn. 18 [Erg.-Lfg. 8/12]; Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 16). Einer Zustimmung der Bundesanstalt bedarf es dafür in Ermangelung eines entsprechenden Genehmigungsvorbehalts nicht. Demgegenüber besteht die von § 376 Abs. 1 ZPO in Bezug genommene Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gegenüber dem öffentlichen Dienstherrn, der allein dazu berufen ist, den Bediensteten von dieser Pflicht zu entbinden (vgl. § 67 Abs. 3, § 68 BBG, § 37 Abs. 3 bis 5 BeamtStG; BVerwGE 18, 58, 61 f.).

21cc) Auch war das Berufungsgericht an der Vernehmung der Zeugen B. und T. nicht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO gehindert.

22Nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht, zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wollen, haben B. und T. bislang nicht erklärt. Schon deshalb wären sie grundsätzlich zu vernehmen gewesen (vgl. § 386 Abs. 3 ZPO).

23Anderes ergibt sich auch nicht aus § 383 Abs. 3 ZPO. Nach dieser Vorschrift soll das Gericht selbst dann, wenn ein nach § 383 Abs. 1 Nr. 4 bis 6 ZPO zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge zur Aussage bereit ist, nur solche Fragen stellen bzw. zulassen, durch deren Beantwortung der Zeuge nicht erkennbar gegen Verschwiegenheitspflichten verstößt (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 383 Rn. 22). Regelmäßig beschränkt die Vorschrift mithin allein den Kreis der im Rahmen einer Vernehmung zulässigen Fragen, macht aber die Vernehmung des angebotenen Zeugen als solche weder unzulässig noch entbehrlich (vgl. MükoZPO/Damrau, 4. Aufl., § 383 Rn. 42). Ob - ausnahmsweise anderes gelten kann, wenn von vornherein offensichtlich ist, dass der Zeuge mit jeder Aussage zum Beweisthema gegen seine Verschwiegenheitspflicht verstieße, kann offenbleiben. Denn eine solche Konstellation ist im Streitfall weder hinsichtlich der sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG, § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht (1) noch hinsichtlich derjenigen aus § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO (2) gegeben.

24(1) Die sich aus § 8 WpHG und § 9 KWG ergebende und von § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO geschützte Verschwiegenheitspflicht der Zeugen B. und T. ist nicht allumfassend. Sie greift ihrem Schutzzweck entsprechend nur, wenn Geheimhaltungsinteressen der beaufsichtigten Marktteilnehmer oder sonstiger Dritter betroffen sind (Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 8).

25(a) Etwaigen Geheimhaltungsinteressen der A. AG kommt dabei für die Frage, ob und inwieweit die Zeugen B. und T. zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind, im Streitfall von vorneherein keine Bedeutung zu. Denn der Insolvenzverwalter der A. AG hat die Zeugen von ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden (§ 385 Abs. 2 ZPO). Der Insolvenzverwalter war befugt, diese Erklärungen abzugeben, soweit die Verschwiegenheitspflicht zu Gunsten der A. AG besteht (vgl. MüKoZPO/Damrau, 4. Aufl., § 385 Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 385 Rn. 10) und das Beweisthema deren vermögensrechtliche Interessen betrifft (vgl. , BGHZ 109, 260, 270; vom - II ZR 292/91, NJW 1994, 2220, 2225, insoweit in BGHZ 126, 181 nicht abgedruckt; MüKoZPO/ Damrau, aaO Rn. 8; Zöller/Greger, aaO).

26(b) Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass von § 8 WpHG und § 9 KWG geschützte Geheimhaltungsinteressen sonstiger Dritter einer Aussage der Zeugen B. und T. in vollem Umfang entgegenstehen. Zwar begründet allein das Interesse an der Durchsetzung eines zivilrechtlichen Anspruchs im Allgemeinen keine Befugnis zur Offenbarung von Tatsachen im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG oder des § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG. Dies folgt daraus, dass § 8 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 KWG eine Weitergabe von Tatsachen an Strafverfolgungsbehörden oder an für Strafund Bußgeldsachen zuständige Gerichte ausdrücklich gestatten, dass es aber in Bezug auf Zivilprozesse an einer entsprechenden Regelung fehlt (vgl. Hess. VGH, NVwZ 2010, 1036, 1044; VG Minden, WM 2011, 1130, 1134 f.; KKWpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 WpHG Rn. 48; Beck in Schwark/Zimmer, WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 24; Schlette/Bouchon in Fuchs, WpHG, § 8 Rn. 21; Bruchwitz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, § 8 Rn. 12; Lindemann in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 4. Aufl., § 9 Rn. 20; Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 16). Das Gesetz misst damit dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse in der Abwägung mit den von § 8 WpHG und § 9 KWG geschützten Geheimhaltungsinteressen ein höheres Gewicht bei als dem Interesse an der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche. Über Tatsachen, deren Geheimhaltung nicht nur im Interesse der A. AG, sondern auch im Interesse eines Dritten liegt, insbesondere über dessen personenbezogene Daten (§ 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG), dürfen die Zeugen deshalb nur aussagen, wenn und soweit der Dritte in die Offenbarung eingewilligt hat. Das gilt insbesondere für identifizierende Angaben über einzelne von der Stichprobe erfasste ehemalige Kunden der A. AG, einschließlich der Tatsache, dass überhaupt eine Kundenbeziehung bestand (vgl. BT-Drucks. 12/6679 S. 42; KKWpHG/Möllers/Wenninger, 2. Aufl., § 8 WpHG Rn. 22, 27; Beck in Schwark/Zimmer, WpHG, 4. Aufl., § 8 Rn. 8; Lindemann in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 4. Aufl., § 9 Rn. 8, 10; Brocker in Schwennicke/Auerbach, KWG, 2. Aufl., § 9 Rn. 1, 11). Den Zeugen ist es dadurch aber insbesondere nicht verwehrt, in anonymisierter Weise über die Zusammensetzung der von ihnen geprüften Depots sowie ihr Vorgehen bei der Prüfung selbst zu berichten. Dass dem Berufungsgericht entsprechende Angaben der Zeugen genügt hätten, sich davon zu überzeugen, dass die unter Beweis gestellten Behauptungen der Klägerin zutreffen, ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.

27(2) Schließlich ergibt sich eine das Beweisthema erschöpfende Schweigepflicht der Zeugen B. und T. auch nicht aus § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO. Zwar unterliegen die Zeugen als Wirtschaftsprüfer auch der allgemeinen berufsrechtlichen Pflicht zur Verschwiegenheit. Diese schützt regelmäßig aber nur den Auftraggeber (vgl. Maxl in Hense/Ulrich, WPO, 2. Aufl., § 43 Rn. 119, 140). An der Weitergabe von Tatsachen, die allein Dritte betreffen, zu denen kein Mandatsverhältnis besteht, ist der Wirtschaftsprüfer durch § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO grundsätzlich nicht gehindert (vgl. Maxl, aaO 140; zu § 57 StBG auch Koslowski, StBG, 7. Aufl., § 57 Rn. 62). Die Erkenntnisse, die die Zeugen bei der von der Bundesanstalt beauftragten Prüfung der A. AG gewonnen haben und die sie mit Einwilligung des Insolvenzverwalters offenbaren sollen, betreffen nicht die Verhältnisse der Bundesanstalt. Ein schutzwürdiges Eigeninteresse der Bundesanstalt an der Geheimhaltung dieser Erkenntnisse ist nicht ersichtlich.

28dd) Die angefochtene Entscheidung beruht auf der gehörswidrig unterbliebenen Vernehmung der Zeugen B. und T. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht auf der Grundlage der - ggf. eingeschränkten - Aussage der Zeugen den Klägervortrag als erwiesen angesehen hätte, wonach sich in den Depots von sämtlichen 1.111 Anlegern, die die Zeugen stichprobenhaft überprüft haben, Genussscheine der Risikoklassen 3 und 4 befanden, obwohl die Anleger den Risikoklassen 1 und 2 zuzuordnen waren. Aus einem solchen Beweisergebnis hätte das Berufungsgericht nach seinen eigenen Ausführungen auf eine flächendeckende nicht anlegergerechte Beratung und ein sittenwidriges Handeln der Beklagten geschlossen.

Fundstelle(n):
DAAAF-70987