Einkommensteuer | Wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden (BFH)
Maßgeblicher Zeitpunkt für die wissenschaftliche Anerkennung einer Behandlungsmethode i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Behandlung. Um festzustellen, ob eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode vorliegt, kann sich das Finanzgericht auf allgemein zugängliche Fachgutachten oder solche Gutachten stützen, die in Verfahren vor anderen Gerichten zur Beurteilung dieser Frage herangezogen wurden. In diesem Fall muss das Gericht die Beteiligten auf diese Absicht hinweisen und ihnen die entsprechenden Unterlagen zugänglich machen (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Nach § 33 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Die Zwangsläufigkeit krankheitsbedingter Aufwendungen hat der Steuerpflichtige nachzuweisen. In den abschließend geregelten Katalogfällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV ist hierfür ein vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestelltes amtsärztliches Gutachten erforderlich (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStDV). Dies gilt nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV auch für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff-, Chelat- und Eigenbluttherapie).
Sachverhalt: Da die Liposuktion (Fettabsaugung) keine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Behandlung von Lipödemen (sog. Reithosensyndrom) ist, bedurfte es im Streitfall ebenfalls eines qualifizierten Nachweises durch ein amtsärztliches Gutachten oder die ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V). Diesen Nachweis hatte die Klägerin im Streitfall nicht erbracht.
Hierzu führte der BFH weiter aus:
Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies wird angenommen, wenn "die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht.
Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein.
Quelle: NWB Datenbank
Anmerkung: Da sich die wissenschaftliche Anerkennung von Heilbehandlungsmethoden ändern kann, ist der Behandlungstermin maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung dieser Voraussetzung. Im Urteilsfall lag ein die wissenschaftliche Anerkennung verneinendes Gutachten vom Oktober 2011 vor, das der Senat – ohne weitere Ausführungen dazu – auch als aussagekräftig für die Behandlung im Jahr 2010 hielt. Man kann wohl davon ausgehen, dass die dem Gutachten zugrundeliegenden Untersuchungen in den Jahren vor seiner Veröffentlichung durchgeführt wurden und unterstellen, dass die konkrete Behandlungsmethode vor Veröffentlichung dieses Gutachtens ebenfalls nicht wissenschaftlich anerkannt war. Betroffene Stpfl. müssen sich also zunächst klar darüber werden, ob die Therapie ihrer Wahl zu den wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden gehört, um sich den erforderlichen qualifizierten Nachweis zu beschaffen. Ein erstes Indiz dafür dürfte die Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse sein. Im Übrigen kann man sich an Listen zu wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethoden orientieren, wie etwa einer vom Bundesministerium des Innern veröffentlichten Übersicht, die allerdings keine Aussage zur Liposuktion enthält.
Fundstelle(n):
VAAAF-47491