Organisationsverschulden des Rechtsanwalts bei Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist in einer Familienstreitsache: Unterlassene Nachfrage hinsichtlich einer beantragten Fristverlängerung und Beginn der Wiedereinsetzungsfrist
Leitsatz
Der Anwalt hat durch geeignete Organisationsmaßnahmen sicherzustellen, dass bei ausbleibender Reaktion des Gerichts auf sein Fristverlängerungsgesuch noch vor Ablauf der beantragten verlängerten Frist dort Nachfrage gehalten wird, ob und in welchem Umfang dem Antrag stattgegeben wurde. Kommt er dem nicht nach, wird die Wiedereinsetzungsfrist spätestens zu dem Zeitpunkt in Gang gesetzt, zu dem er eine klärende Antwort auf eine solche Nachfrage erhalten hätte (im Anschluss an , NJW 2012, 159; Abgrenzung zu Senatsbeschluss vom , XII ZB 100/00, VersR 2002, 1045).
Gesetze: § 117 Abs 5 FamFG, § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 Abs 1 S 2 ZPO
Instanzenzug: Az: 33 UF 2143/11vorgehend AG Pfaffenhofen Az: 1 F 971/10
Gründe
I.
1Die Antragsgegnerin wendet sich in einer Familienstreitsache gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist und die Verweigerung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
2In dem Verfahren wird die Antragsgegnerin vom Antragsteller, ihrem früheren Ehemann, auf Gesamtschuldnerausgleich nach rechtskräftig geschiedener Ehe in Anspruch genommen. Die Antragsgegnerin begehrt mit ihrem Widerantrag die Zustimmung des Antragstellers zum Verkauf eines Grundstücks. Das Amtsgericht hat dem Antrag überwiegend stattgegeben und den Widerantrag zurückgewiesen. Gegen den ihr am zugestellten Beschluss des Amtsgerichts hat die Antragsgegnerin am Beschwerde eingelegt.
3Am hat die Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts der Antragsgegnerin den Eingang der Beschwerde bestätigt sowie fälschlich den als Zustellungsdatum und den als das Ende der Beschwerdebegründungsfrist bezeichnet. Die Beschwerdebegründung ist beim Oberlandesgericht am eingegangen. Mit Beschluss vom hat das Oberlandesgericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass bei streitiger Durchführung des Verfahrens mit erheblichen Kosten wegen eines einzuholenden Sachverständigengutachtens zu rechnen sei. Deswegen werde der Abschluss eines Vergleichs empfohlen.
4Mit Verfügung vom , die der Antragsgegnerin am zugestellt worden ist, hat das Oberlandesgericht darauf hingewiesen, dass die Beschwerde nicht rechtzeitig begründet worden und deshalb deren Verwerfung beabsichtigt sei. Am hat die Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Ihre Verfahrensbevollmächtigte hat anwaltlich versichert, sie habe mit einem per Computerfax übermittelten Schriftsatz vom die Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat beantragt. Den Schriftsatz sowie ein Faxprotokoll, das einen "OK"-Vermerk für die Versendung des Faxes am ausweist, hat sie beigefügt. Dieser Schriftsatz ist beim Oberlandesgericht nicht eingegangen.
5Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde der Antragsgegnerin unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags verworfen. Hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.
II.
6Die gemäß §§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Der Sache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu (§§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
71. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Beschwerdebegründungsfrist sei mit dem abgelaufen. Sie sei bei Eingang der Beschwerdebegründung am daher bereits verstrichen gewesen. Der Antragsgegnerin sei keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren, da der entsprechende Antrag nicht binnen der Monatsfrist der §§ 117 Abs. 5 FamFG, 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO gestellt worden sei. Die Antragsgegnerin sei spätestens zwei bis drei Wochen nach Stellung des Verlängerungsantrags gehalten gewesen nachzufragen, ob die beantragte Fristverlängerung bewilligt worden sei. Auch wenn eine Erkundigungspflicht erst am Ende der beantragten verlängerten Frist angenommen werde, hier also zum , sei die Wiedereinsetzungsfrist mit dem abgelaufen. Der am eingegangene Wiedereinsetzungsantrag sei daher verspätet.
82. Diese Ausführungen halten sich im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und lassen auch sonst keinen Zulassungsgrund erkennen.
9a) Das Oberlandesgericht hat zutreffend erkannt, dass die Antragsgegnerin die Beschwerdebegründung erst nach dem Ende der mit dem ablaufenden Zweimonatsfrist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG und damit verspätet eingereicht hat (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 583/14 - FamRZ 2015, 1878 Rn. 10).
10b) Auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts, der Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Verschuldens ihrer Rechtsanwältin zu versagen, steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang.
11aa) Ein Rechtsanwalt darf auf die Gewährung einer beantragten Fristverlängerung nicht so lange vertrauen, wie er keine anders lautende Nachricht vom Gericht erhält ( - FamRZ 2010, 370 Rn. 9). Er hat vielmehr durch geeignete Organisationsmaßnahmen sicherzustellen, dass bei ausbleibender Reaktion des Gerichts auf sein Fristverlängerungsgesuch noch vor Ablauf der beantragten verlängerten Frist dort Nachfrage gehalten wird, ob und in welchem Umfang dem Antrag stattgegeben wurde ( - NJW-RR 2015, 700 Rn. 12 mwN). Kommt der Rechtsanwalt dem nicht nach, wird die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO spätestens zu dem Zeitpunkt in Gang gesetzt, zu dem er eine klärende Antwort auf eine solche Nachfrage erhalten hätte. Denn die Wiedereinsetzungsfrist beginnt, sobald die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter erkannt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, dass die Begründungsfrist versäumt worden ist ( - NJW 2012, 159 Rn. 9 mwN). Soweit dem Senatsbeschluss vom (XII ZB 100/00 - VersR 2002, 1045, 1046) im Hinblick auf die - dort verneinte - Erforderlichkeit, sich über den Eingang eines Fristverlängerungsantrags bei Gericht zu erkundigen, eine abweichende Auffassung entnommen werden kann, hält der Senat an diesen, die seinerzeitige Entscheidung ohnehin nicht tragenden, Ausführungen nicht fest.
12bb) Dem Rechtsanwalt wäre es allerdings nicht anzulasten, wenn seine irrige Rechtsauffassung über den Fristablauf vom Gericht veranlasst und hierdurch ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden wäre. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die zur Fristversäumung führende Fehlvorstellung des Rechtsanwalts unmittelbar durch unzutreffende gerichtliche Hinweise verursacht wurde (vgl. BVerfG NJW 2004, 2887, 2888). Im Übrigen gilt auch insoweit, dass der Rechtsanwalt sich auf eine unzutreffende Rechtsauskunft des Gerichts nicht ohne weiteres verlassen darf, sondern verpflichtet ist, die sich bei der Prozessführung stellenden Rechtsfragen in eigener Verantwortung zu überprüfen. Dementsprechend schließen selbst ursächliche Gerichtsfehler im Allgemeinen ein anwaltliches Verschulden nicht aus (Senatsurteil vom - XII ZR 27/09 - FamRZ 2011, 362 Rn. 30 mwN).
13cc) Nach diesen Maßgaben begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Oberlandesgericht angenommen hat, der am gestellte Wiedereinsetzungsantrag sei nach §§ 117 Abs. 5 FamFG, 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO verspätet gestellt.
14(1) Dabei kann offen bleiben, ob die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin - wie das Oberlandesgericht meint - spätestens zwei bis drei Wochen nach Stellung des Verlängerungsantrags gehalten war nachzufragen, ob die beantragte Fristverlängerung bewilligt wurde. Sie hätte - wie das Oberlandesgericht zutreffend ausführt - jedenfalls spätestens zum , dem letzten Tag der von ihr beantragten verlängerten Frist, beim Oberlandesgericht Nachfrage halten müssen, ob und in welchem Umfang ihrem Verlängerungsantrag stattgegeben wurde.
15Das Oberlandesgericht hat zwar keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, wann die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin eine klärende Antwort auf eine solche Nachfrage erhalten hätte. Es hat diesen Umstand aber für entscheidungserheblich gehalten und ist ersichtlich davon ausgegangen, dass die Auskunft jedenfalls vor dem erteilt worden wäre. Dagegen ist nichts zu erinnern.
16(2) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, eine Nachfragepflicht habe vorliegend nicht bestanden, weil das Oberlandesgericht durch seine Hinweise bei der Antragsgegnerin eine Fehlvorstellung in Bezug auf den Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist hervorgerufen und damit einen Vertrauenstatbestand begründet habe, vermag sie damit nicht durchzudringen.
17Die zweimonatige Beschwerdebegründungsfrist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG lief mit dem ab und nicht - wie von der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts mitgeteilt - mit dem . Diesen Fehler hätte die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin bei einer Überprüfung bemerken müssen, zumal auch das in der Verfügung angegebene Zustellungsdatum unzutreffend war (, statt richtig: ). Zur eigenverantwortlichen Überprüfung der Frist bestand jedenfalls Anlass, als der Verfahrensbevollmächtigten die Akte im Rahmen einer fristgebundenen Verfahrenshandlung - hier des Antrags auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist - vorgelegt wurde (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 431/13 - NJW-RR 2014, 697 Rn. 8).
18Der Hinweisbeschluss vom konnte eine Fehlvorstellung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin, dass die nach ihrem Vorbringen beantragte Fristverlängerung gewährt worden sei, bereits deshalb nicht hervorrufen, weil sich diese Verfügung zur Frage des Fristendes bzw. möglicher gewährter Fristverlängerung nicht verhält.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Nedden-Boeger Guhling
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2015:021215BXIIZB211.12.0
Fundstelle(n):
NJW 2016 S. 6 Nr. 5
NJW-RR 2016 S. 376 Nr. 6
WM 2016 S. 1565 Nr. 32
YAAAF-46333