BGH Beschluss v. - VI ZB 69/08

Leitsatz

Leitsatz:

Zur Überwachung des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist, wenn ein Verlängerungsantrag gestellt wird.

Gesetze: ZPO § 233 (Fc)

Instanzenzug: OLG Hamburg, 10 U 28/08 vom LG Hamburg, 331 O 45/04 vom Veröffentlichungen: Amtliche Sammlung: nein; BGHR: ja; Nachschlagewerk: ja

Gründe

I. Der Beklagte hat gegen das ihm am zugestellte Urteil des Landgerichts am Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist lief am (Montag) ab. Die Berufungsbegründung ist beim Berufungsgericht am eingegangen. Mit Schreiben vom hat das Berufungsgericht auf die Unzulässigkeit der Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen. Daraufhin hat der Beklagte mit Schriftsatz vom Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er hat geltend gemacht, sein Prozessbevollmächtigter habe am einen Fristverlängerungsantrag zur Post gegeben, der verloren gegangen sein müsse. Nach Postversendung des Fristverlängerungsantrages und Abheften einer Fotokopie davon in der Handakte habe die Kanzleiangestellte M. die Frist bis im Terminkalender gestrichen und als neue Frist für die Berufungsbegründung den notiert.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich nicht.

1. Das Berufungsgericht hat die Versagung der Wiedereinsetzung wie folgt begründet: Aus dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ergebe sich ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten dahin gehend, dass die gerichtliche Fristverlängerung nicht kontrolliert werde. Dazu habe er ausgeführt, er habe angesichts der Begründung des Antrags darauf vertrauen dürfen, dass die Fristverlängerung antragsgemäß bewilligt werde. Allerdings sei er grundsätzlich gehalten, zunächst das hypothetische Ende der Fristverlängerung einzutragen und nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung zu überprüfen. Eine gerichtliche Mitteilung sei offenbar nicht erwartet worden, eine entsprechende Kontrolle sei deshalb nicht erfolgt. Durch die Formulierung des letzten Absatzes des Fristverlängerungsantrages werde auf eine gerichtliche Mitteilung verzichtet. Die erforderliche Kontrolle könne unter diesen Umständen nicht erfolgen. Wäre im Büro des Prozessbevollmächtigten die Anweisung erteilt worden, die hypothetische Frist nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung zu kontrollieren, so wäre noch während der bis zum laufenden Berufungsbegründungsfrist festgestellt worden, dass der Verlängerungsantrag bei Gericht nicht angekommen sei.

2. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil ein dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten vorliegt.

a) Dabei kann davon ausgegangen werden, dass der Fristverlängerungsantrag wie vorgetragen zur Post gegeben wurde, dann aber verloren ging. Insoweit weist die Rechtsbeschwerde zutreffend darauf hin, dass dem Prozessbevollmächtigten einer Partei der Verlust eines fristwahrenden Schriftsatzes auf dem Postweg nicht anzulasten sei, dass er auf die Einhaltung der normalen Postlaufzeiten vertrauen dürfe und dass er grundsätzlich nicht verpflichtet sei, sich bei Gericht nach dem Eingang eines Schriftsatzes telefonisch zu erkundigen (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 65/06 - VersR 2008, 234, 235, m.w.N.). Ferner ist davon auszugehen, dass der Prozessbevollmächtigte mit einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch das Gericht rechnen durfte. Denn ein Rechtsanwalt darf regelmäßig erwarten, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn er einen erheblichen Grund - hier: ständiger Auslandsaufenthalt des Beklagten sowie Auslandsaufenthalte und Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten wegen vorrangiger Fristsachen - vorträgt (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 52/05 - VersR 2006, 568; vom - VI ZB 14/06 - [...] Rn. 6; vom - VI ZB 65/06 - a.a.O.).

b) Es ist aber weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten durch eine ordnungsgemäße Organisation der Fristenkontrolle in seiner Kanzlei dafür Sorge getragen hat, dass nach einem Fristverlängerungsantrag die Frist nicht versäumt wird.

aa) Bei Zustellung des Urteils sind die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender einzutragen. Wird die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, darf sie nicht in der Weise vorgemerkt werden, dass schon mit der Antragstellung der Endpunkt der Frist im Kalender eingetragen wird, als ob sie bereits zu diesem Zeitpunkt bewilligt worden sei. Es handelt sich nämlich zunächst um eine hypothetische Frist, da der Vorsitzende die Frist auch auf einen kürzeren Zeitraum als beantragt bewilligen kann. Der Eintrag des endgültigen Fristablaufs ist deshalb erst dann zulässig, wenn die Verlängerung tatsächlich gewährt worden ist. In jedem Fall ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass vor dem Ablauf der Frist, deren Verlängerung beantragt worden ist, das wirkliche Ende der Frist - gegebenenfalls durch Rückfrage bei Gericht - festgestellt wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 14/06 - [...] Rn. 7; vom - VI ZB 65/06 - a.a.O.; - VersR 2007, 713, jeweils m.w.N.). Das gilt auch, wenn die Fristverlängerung bereits einige Tage vor Fristablauf beantragt wird (vgl. - NJW-RR 1999, 1663).

bb) Weder die Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs noch die Rechtsbeschwerde enthalten Vortrag dazu, dass im Büro des Prozessbevollmächtigten des Beklagten die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen vorgesehen waren. Dieser durfte auf die Gewährung der beantragten Fristverlängerung nicht so lange vertrauen, wie er keine anders lautende Nachricht vom Gericht erhielt. Er hätte sich vielmehr rechtzeitig über das wirkliche Ende der Frist, gegebenenfalls durch Rückfrage bei Gericht, Gewissheit verschaffen müssen, nachdem keine entsprechende Verfügung zugegangen war (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 14/06 - [...] Rn. 8; vom - VI ZB 65/06 - a.a.O.).

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war dieses Versäumnis kausal für die Fristversäumung. Da die Kanzleiangestellte M. die Frist bis im Terminkalender gestrichen und als neue Frist für die Berufungsbegründung den notiert hatte, wurde die Akte dem Prozessbevollmächtigten nicht mehr im Hinblick auf die möglicherweise bereits am ablaufende Frist vorgelegt. Wäre diese Frist nicht gelöscht, sondern lediglich bei ihr der Verlängerungsantrag vermerkt worden, hätte eine solche Vorlage erfolgen müssen. Es hätte sich dann herausgestellt, dass auf den bereits am abgesandten Fristverlängerungsantrag noch keine Reaktion des Gerichts vorlag. Eine Nachfrage bei Gericht hätte sodann ergeben, dass der Antrag dort nicht eingegangen war, so dass noch am entweder ein erneuter Verlängerungsantrag hätte gestellt oder aber die Berufungsbegründung hätte eingereicht werden können.

Unter diesen Umständen ist es im Ergebnis unerheblich, ob das Berufungsgericht dem letzten Absatz des Fristverlängerungsantrags eine unrichtige Bedeutung beigemessen hat. Dort heißt es: "Sollte ich keine anders lautende Nachricht erhalten, gehe ich davon aus, dass die beantragte Fristverlängerung gewährt wird". Die Rechtsbeschwerde führt aus, diese Formulierung enthalte keinen Verzicht auf die Mitteilung der bewilligten Verlängerung und damit auf die Feststellung der wirklichen Frist, sondern solle nur der Erwartung des Anwalts Ausdruck verleihen, dass sein erster, ordnungsgemäß begründeter Verlängerungsantrag nicht ohne "Vorwarnung" abgelehnt werde; als Verzicht auf die Mitteilung der Bewilligung der Verlängerung könne die Formulierung nicht aufgefasst werden, weil es dieser Mitteilung für den Anwalt bedürfe, um die Abgleichung der zunächst nur hypothetischen (beantragten) Frist mit der wirklichen (bewilligten) Frist zu ermöglichen. Dies ist im Ansatz zutreffend. Allerdings hat die Abgleichung mit dem Ziel der Einhaltung der tatsächlich laufenden Frist zu erfolgen, bei der es sich auch um die ursprüngliche Frist handeln kann, wenn eine Verlängerung - aus welchen Gründen auch immer - nicht erfolgt. Dies ist ersichtlich nur dann möglich, wenn die ursprüngliche Frist nicht bereits bei Absendung des Verlängerungsantrags gestrichen wird.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
WAAAD-35464