BGH Beschluss v. - V ZR 146/14

Nachbarausgleich bei Abgrabungsschaden: Verletzung rechtlichen Gehörs durch Übergehen klägerischen Parteivortrags; Inhalt des Ausgleichsanspruchs; Kostenentscheidung bei teilweiser Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde

Gesetze: Art 103 GG, § 906 Abs 2 S 2 BGB, § 909 BGB, § 296a ZPO, § 314 ZPO, § 531 ZPO, § 538 ZPO, § 45 GKG

Instanzenzug: Az: 10 U 834/13vorgehend LG Trier Az: 5 O 287/12

Gründe

I.

1Der Kläger ist Eigentümer einer Kreisstraße sowie einer der Abstützung dieser Straße dienenden Schwergewichtsmauer. Die Mauer befindet sich oberhalb des im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücks. Die Beklagten beauftragten die Streithelferin des Klägers mit der Errichtung eines neuen Wohnhauses in Fertigbauweise mit einem massiven Keller. Zur Herstellung des Kellers mussten in dem steil ansteigenden Grundstück der Beklagten Abgrabungen vorgenommen werden. Während dieser Arbeiten stürzte am ein großer Teil der Schwergewichtsmauer ein. Mit der Klage nimmt der Kläger die Beklagten auf Zahlung eines Betrages von 69.166,07 € in Anspruch. Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Auf ihre Berufung hat das Oberlandesgericht den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und den Rechtsstreit wegen der Höhe des Anspruchs an das Landgericht zurückverwiesen; die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wenden sich beide Parteien mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

2Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Anspruch des Klägers wegen Beschädigung der Stützmauer dem Grunde nach gegeben. Es lägen die Voraussetzungen eines verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB vor. Auf Veranlassung der Beklagten sei beim Bau des Hauses eine Vertiefung ihres Grundstückes im Sinne des § 909 BGB vorgenommen worden. Der Kläger habe keine Möglichkeit gehabt, den Schaden zu verhindern. Zur Höhe sei die Sache noch nicht entscheidungsreif. Die Beklagten hätten die von dem Kläger in Ansatz gebrachten Positionen substantiiert bestritten. Der Rechtsstreit sei entsprechend dem Hilfsantrag der Beklagten insoweit an das Landgericht zurückzuverweisen. Das erstinstanzliche Verfahren leide an einem wesentlichen Mangel, da das Landgericht das Bestreiten der Beklagten zur Höhe übergangen habe. Insoweit seien weiterer Vortrag beider Parteien sowie eine aufwendige Beweisaufnahme erforderlich.

III.

3Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils nach § 544 Abs. 7 ZPO, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

41. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidungen frei von Verfahrensfehlern ergehen, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Das Gericht muss sich zwar nicht mit jedem Vorbringen der Prozessbeteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt aber vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (, NJW-RR 2014, 381 Rn. 9 mwN).

52. Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

6a) aa) Das Berufungsgericht begründet das Vorliegen eines wesentlichen Mangel des Verfahrens des Landgerichts (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) mit der Erwägung, das Landgericht habe das Bestreiten der Beklagten zur Höhe des klägerischen Anspruchs übergangen. Worauf das Berufungsgericht diese Feststellung stützt, wird nicht näher erläutert. Eine Auseinandersetzung mit den Feststellungen in dem Tatbestand des Urteils des Landgerichts, die gemäß § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen liefern, fehlt. Das Landgericht hat es aber als unstreitig dargestellt, dass dem Kläger ein Schaden in Höhe von 69.166,07 € entstanden ist. Zur näheren Begründung der Schadenshöhe hat es ergänzend auf die Klageschrift Bezug genommen. Einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes (§ 320 ZPO) haben die Beklagten nicht gestellt. Dass das Berufungsgericht gleichwohl ohne weitere Begründung von einem Bestreiten der Beklagten ausgegangen ist, lässt nur den Rückschluss zu, dass es den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils und damit auch das Vorbringen der Parteien in der ersten Instanz entweder nicht zur Kenntnis genommen oder aber bei der Entscheidung nicht erwogen hat.

7bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beschwerdeerwiderung in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass einem Tatbestand keine Beweiswirkung zukommt, wenn er in sich widersprüchlich ist. Vorauszusetzen ist hierfür nämlich ein Widerspruch zwischen den tatbestandlichen Feststellungen und einem konkret in Bezug genommenen schriftsätzlichen Vorbringen einer Partei (, VersR 2015, 1165 Rn. 48 mwN), an dem es hier fehlt. Der weitere Hinweis der Beklagten, nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 280 ff.) hindere § 314 ZPO das Gericht nicht, den gesamten Streitstoff in den Grenzen der §§ 529 bis 531 ZPO zu berücksichtigen, ist unzutreffend. Richtig ist, dass einem Tatbestand keine negative Beweiskraft zukommt, so dass ein Parteivorbringen, das sich aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergibt, nicht allein deshalb in dem Rechtsmittelverfahren unberücksichtigt bleiben kann, weil es in dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils keine Erwähnung gefunden hat. Vorliegend geht es jedoch um die positive Beweiskraft des Tatbestands, die das Berufungsgericht zu beachten hat.

8b) Unabhängig davon hat sich das Berufungsgericht auch nicht mit den Ausführungen des Klägers in der Berufungserwiderung vom und in dem nachgelassenen Schriftsatz vom auseinandergesetzt. In diesen Schriftsätzen hat der Kläger darauf hingewiesen, dass nach der eigenen Darstellung der Beklagten das Bestreiten bezüglich der Höhe der Klageforderung erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in einem Schriftsatz vom erfolgt sei. Seitens des Landgerichts habe keine Veranlassung bestanden, dieses verspätete Bestreiten zu berücksichtigen. Auch dieses Vorbringen hätte dem Berufungsgericht im Hinblick auf die Vorschrift des § 296a ZPO Veranlassung geben müssen seine Auffassung, das Landgericht habe das Bestreiten der Beklagten zur Höhe „übergangen", zu überprüfen. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung können Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden. Das Fehlen jeglicher Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Klägers verletzt ebenfalls Art. 103 Abs. 1 GG.

9c) Das Berufungsurteil beruht auch auf dieser Verletzung. Hiervon ist schon dann auszugehen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (, NJW-RR 2014, 381 Rn. 11 mwN). Dies ist hier der Fall. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO verneint hätte, wenn es die Feststellungen in dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils sowie die Hinweise des Klägers auf ein Bestreiten der Schadenshöhe erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht in seine Überlegungen miteinbezogen hätte. Haben die Beklagten die Höhe des von dem Kläger geltend gemachten Anspruchs erstmalig im Berufungsrechtszug bestritten, stellte sich die Frage, ob sie mit diesem Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind. Bei Verneinung hätte das Berufungsgericht nicht nur von der Zurückverweisung an das Landgericht, sondern möglicherweise auch von dem Erlass eines Grundurteils abgesehen. Deshalb ist das Urteil des Berufungsgerichts insgesamt aufzuheben.

103. In der erneuten Verhandlung wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass aufgrund eines Entschädigungsanspruchs gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog nicht Schadensersatz, sondern lediglich ein nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung zu bestimmender Ausgleich verlangt werden kann, wonach nur der unzumutbare Teil der Beeinträchtigung auszugleichen ist (Senat, Urteile vom - V ZR 389/99, BGHZ 147, 45, 53 und vom - V ZR 230/12, BGHZ 198, 327 Rn. 24 mwN).

IV.

11Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist dagegen zurückzuweisen, weil insoweit die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.

V.

12Weil die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten erfolglos geblieben ist, haben sie die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten der Streithilfe gemäß § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO zur Hälfte zu tragen. Im übrigen hängt die Verteilung der Kosten des Beschwerdeverfahrens davon ab, ob und (wenn ja) in welchem Umfang der Kläger nach der Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht in der Sache obsiegen wird.

13Die nach der Rechtsprechung des Senats bei einem teilweisen Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde erforderliche Unterscheidung zwischen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten (Senat, Urteil vom - V ZR 343/02, NJW 2004, 1048) ist nicht erforderlich. Zwar ist eine solche Unterscheidung grundsätzlich auch bei wechselseitig eingelegten Beschwerden angezeigt, von denen nur eine Erfolg hat. Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass sich der Streitwert durch die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten nicht erhöht hat (vgl. zu einer solchen Fallkonstellation auch , VersR 2012, 720 Rn. 24). Beide Rechtsmittel betreffen denselben Gegenstand i.S.d. § 45 Abs. 2 i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Deshalb ist es auch nicht gerechtfertigt, den Beklagten unabhängig von dem weiteren Ausgang des Rechtsstreits die gesamten Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW-RR 2016 S. 210 Nr. 4
DAAAF-17679