Online-Nachricht - Montag, 17.06.2013

Verfahrensrecht | Keine Zwangsruhe bei Verfahren vor dem EGMR (FG)

Ist wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren bei dem Europäischen Gerichtshof, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht anhängig und wird der Einspruch hierauf gestützt, ruht gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO das Einspruchsverfahren insoweit. Europäischer Gerichtshof im Sinne dieser Vorschrift ist nicht der EGMR mit Sitz in Straßburg sondern der EuGH mit Sitz in Luxemburg (; Revision zugelassen).

Hintergrund: Streitig ist die Frage, ob ein Anspruch auf Ruhen von Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO (Zweckmäßigkeitsruhe) oder nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO (Zwangsruhe) bei Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) besteht.
Sachverhalt: Der Kläger legte gegen seinen Einkommensteuerbescheid Einspruch ein, mit dem Hinweis, dass wegen der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (AbgG) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zwei Verfahren anhängig seien (Az. 7258/11 und 7227/11). Es bestünden Rechtmäßigkeitsbedenken, weil „normale“ Steuerpflichtige diese nicht erhielten. Es komme auch ein Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO in Betracht, da der Gesetzestext dort nicht sauber formuliert sei: Einen „Europäischen Gerichtshof“ gebe es nicht. Vielmehr gebe es den „Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft“, das „Gericht der Europäischen Union“ und den „Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“. Hieraus ergebe sich, dass bei Musterprozessen ein Ruhen des Verfahrens zu gewähren sei. Ergänzend verwies er auch auf die Beiträge von Nebe in NWB CAAAD-98711 und in NWB XAAAE-16083.
Hierzu führte das Finanzgericht weiter aus:

  • Die steuerfreie Kostenpauschale für Abgeordnete steht dem Kläger nicht zu, da er die einfach-gesetzlichen Voraussetzung nicht erfüllt und eine Erweiterung aus Gleichheitsgründen nicht in Betracht kommt.

  • Es besteht auch kein Anspruch des Klägers, das Finanzamt unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung zum Ruhen des Verfahrens zu verpflichten.

  • Schon der Wortlaut des Gesetzes „dem Europäischen Gerichtshof“ erfasst eindeutig nur einen Europäischen Gerichtshof und damit nicht den EGMR.

  • Die Ablehnung der Anordnung der Zweckmäßigkeitsruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO war auch nicht ermessensfehlerhaft.

  • Auch wenn es dem Finanzamt im Streitfall möglich gewesen wäre, das Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO (Zweckmäßigkeitsruhe) anzuordnen, sieht der Senat die Ablehnung nicht als ermessensfehlerhaft an.

  • Denn das Finanzamt hat über die fehlende Verringerung von Arbeitsaufwand und die fehlende Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen hinaus deutlich gemacht, dass er aufgrund der bislang ergangen Rechtsprechung die Rechtslage für gefestigt hält.

  • Allein das Interesse des Steuerpflichtigen, die Bestandskraft der Steuerfestsetzung möglichst spät eintreten zu lassen, begründet keinen gewichtigen Grund im Sinne des § 363 Abs. 2 Satz 1 AO.

Quelle: FG Münster online
Hinweis: Ähnlich wie der 3. Senat des FG Münster hat bereits der 5. Senat des NWB ZAAAE-20108 Nichtzulassungsbeschwerde anhängig)  sowie der 3. Senat des FG Niedersachsen (Urteil v - NWB KAAAD-98996) entschieden. Das Finanzgericht Münster hat jedoch die Revision vor dem Hintergrund zugelassen, dass der BFH in seinem Beschluss v. (Az. NWB SAAAE-15386, NV) die Frage einer erweiternden Auslegung oder Analogie hinsichtlich § 363 Abs. 2 Satz 2 AO aufgeworfen hat, sie aber keiner Klärung zuführen konnte. Ein Revisionsaktenzeichen wurde noch nicht veröffentlicht. Den Text der o.g. Entscheidung finden Sie auf den Internetseiten des FG Münster. Eine Aufnahme in die NWB Datenbank erfolgt in Kürze.


 

Fundstelle(n):
NWB IAAAF-09829