BAG Urteil v. - 9 AZR 145/14

Anzahl der Urlaubstage bei Schichtarbeit

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 27 Ca 15364/12 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 11 Sa 659/13 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über den Umfang des dem Kläger zustehenden Jahresurlaubs.

2Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit 1984 als Meister im Schaltdienst. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag Versorgungsbetriebe vom idF des 10. Änderungstarifvertrags vom (TV-V) Anwendung. Dieser enthält ua. folgende Regelungen:

3Der Kläger erbringt seine Arbeitsleistung in einem vollkontinuierlichen Wechselschichtmodell, das unabhängig von Wochenenden und Feiertagen jeweils in Folge zwei Früh-, zwei Spät-, zwei Nachtschichten und schließlich 72 Stunden ohne Arbeitsleistung vorsieht. Die Frühschichten dauern von 6:00 Uhr bis 14:00 Uhr, die Spätschichten von 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr desselben und die Nachtschichten von 22:00 Uhr des einen bis 6:00 Uhr des nächsten Tages.

4Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, er habe Anspruch auf jährlich 33 Urlaubstage. Die Beklagte setze ihn im Durchschnitt 5,44 Tage in der Woche ein. Arbeitstag iSd. § 14 Abs. 3 Satz 1 TV-V sei jeder Kalendertag, an dem ein Arbeitnehmer Arbeitsleistungen für seinen Arbeitgeber erbringe.

5Der Kläger hat - soweit für die Revision von Interesse - beantragt

6Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, dem Kläger stehe ein Urlaubsanspruch im Umfang von lediglich 28 Arbeitstagen zu, da er seine Arbeitsleistung an durchschnittlich 4,67 Tagen in der Woche erbringe. Jede von dem Kläger zu leistende Schicht sei als ein Arbeitstag unabhängig davon zu werten, ob sich die Schicht über zwei Kalendertage erstrecke.

7Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Interesse - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das insoweit klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel, die Abweisung der Klage, weiter.

Gründe

8Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das insoweit klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.

9I. Die Klage ist zulässig. Der Klageantrag erfüllt die Voraussetzungen, an die § 256 Abs. 1 ZPO die Zulässigkeit einer Feststellungsklage knüpft. Feststellungsklagen brauchen sich nicht auf das Rechtsverhältnis im Ganzen beziehen, sondern können einzelne daraus entstehende Rechte, Pflichten oder Folgen - wie hier den Umfang des Urlaubsanspruchs - zum Gegenstand haben (vgl.  - Rn. 15). Da der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, den Umfang des ihm zustehenden Jahresurlaubs einer gerichtlichen Feststellung zuzuführen, liegt das erforderliche Feststellungsinteresse vor. Der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit einer Klage, mit der ein Arbeitnehmer den Umfang des ihm zustehenden Urlaubs gerichtlich festgestellt wissen will, nicht entgegen ( - Rn. 9 unter Hinweis ua. auf  - Rn. 13 ff., BAGE 137, 328).

10II. Die Klage ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger jährlich an 33 Arbeitstagen Urlaub zu gewähren (§ 14 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 TV-V). Der in § 14 Abs. 3 Satz 1 TV-V für eine Fünftagewoche bestimmte Urlaubsanspruch ist im Streitfall gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 TV-V umzurechnen. Die Tarifvorschrift normiert das sog. Tagesprinzip. Dementsprechend ist bei der Feststellung, wie viele Tage der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers umfasst, jeder Kalendertag, an dem der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, unabhängig davon zu berücksichtigen, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in einer tageübergreifenden Nachschicht einsetzt.

111. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass „Tag in der Kalenderwoche“ iSd. § 14 Abs. 3 Satz 1 TV-V jeder Kalendertag ist, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung für den Arbeitgeber erbringt. Eine Nachtschicht, die sich über zwei Kalendertage erstreckt, ist als zwei Tage zu rechnen. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm (zu den Auslegungsgrundsätzen bei Tarifverträgen vgl.  - Rn. 17 mwN, BAGE 134, 184).

12a) Der Wortlaut des § 14 Abs. 3 Satz 1 TV-V zwingt zu dem vom Landesarbeitsgericht gefundenen Auslegungsergebnis. Die Tarifnorm stellt auf „Tage“ und „Arbeitstage“, nicht aber auf Schichten ab (anders für die Tarifverträge der chemischen Industrie  - zu B I 3 b bb (1) der Gründe). Hiermit korrespondiert das Tarifmerkmal „Tage in der Kalenderwoche“. Die Festlegung von Tagen als Maß des Urlaubsumfangs entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Inhalt des Urlaubsanspruchs als einem Anspruch auf Befreiung von der vertraglichen Arbeitspflicht, ohne dass die Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts berührt wird. Urlaub kann nur für solche Tage erteilt werden, an denen der Arbeitnehmer aufgrund der Verteilung seiner Arbeitszeit eigentlich hätte arbeiten müssen ( - Rn. 20, BAGE 137, 221).

13b) Die Tarifhistorie bestätigt das Ergebnis der wortlautgemäßen Auslegung. Der TV-V enthält anders als seine Vorgängervorschriften (vgl. § 48 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 des Bundes-Angestelltentarifvertrags vom , zuletzt geändert durch den 78. Änderungstarifvertrag vom ; § 48 Abs. 8 Unterabs. 1 Satz 2 des Manteltarifvertrags für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder vom , zuletzt geändert durch den Änderungstarifvertrag Nr. 4 vom ; § 67 Nr. 11 Satz 2 des Bundesmanteltarifvertrags für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom , zuletzt geändert durch den 51. Ergänzungstarifvertrag vom ) keine Regelung, der zufolge für eine Arbeitsschicht, die nicht an dem Kalendertag endet, an dem sie begonnen hat, als Arbeitstag nur der Kalendertag gilt, an dem sie begonnen hat. Der für den Streitfall maßgebliche § 14 Abs. 3 TV-V stellt ausschließlich auf Tage ab. Dies belegt den Willen der Tarifvertragsparteien des TV-V, die Anzahl der Urlaubstage ohne Rücksicht auf kalendertagsübergreifende Schichten allein nach den Kalendertagen mit Arbeitspflicht festzulegen.

14c) Auch der systematische Zusammenhang, in den die Tarifbestimmung eingebettet ist, zeigt, dass die Tarifvertragsparteien den Urlaubsanspruch tage- und nicht schichtweise berechnet wissen wollen. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 TV-V muss der Urlaub in ganzen Tagen genommen werden. Damit haben die Tarifvertragsparteien ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer sich lediglich stundenweise, etwa für eine Schicht, von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung befreien lassen kann.

15d) Die tarifliche Umrechnungsregelung in § 14 Abs. 3 Satz 2 TV-V bezweckt die Gleichbehandlung der tarifunterworfenen Arbeitnehmer (vgl.  - Rn. 23, BAGE 137, 221). Sie will sicherstellen, dass jeder Arbeitnehmer ungeachtet der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage die Urlaubstage erhält, die zur gleichen Dauer eines zusammenhängenden Urlaubs erforderlich sind. Dieses Ziel verwirklicht die Tarifbestimmung durch eine Vermehrung respektive Verminderung der Anzahl der Urlaubstage für Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsleistung abweichend vom Regelfall nicht in einer Fünftagewoche erbringen. Die Anzahl der Urlaubstage, auf die ein solcher Arbeitnehmer Anspruch hat, entspricht der Anzahl der Urlaubstage, die er einbringen muss, um einen gleich langen zusammenhängenden Urlaub zu erhalten. So verfügt ein Arbeitnehmer wie der Kläger, der seine Arbeitsleistung regelmäßig an mehr als fünf Kalendertagen in der Woche erbringt, zwar über mehr Urlaubstage als ein Arbeitnehmer, den die Beklagte in einer Fünftagewoche beschäftigt. Jener muss aber auch mehr Urlaubstage in Anspruch nehmen als dieser, um sechs Wochen lang zusammenhängend der Arbeit urlaubsbedingt fernbleiben zu können.

16e) Damit weicht der Senat nicht von der Entscheidung des Zehnten Senats des - 10 AZR 539/13 - Rn. 12) ab, der ohne nähere Begründung davon ausgegangen ist, einem Arbeitnehmer, der weniger als fünf Schichten in der Woche leiste, stehe auch dann nur ein gekürzter Anspruch auf tariflichen Zusatzurlaub zu, wenn eine Schicht an zwei Kalendertagen geleistet werde. Diese Entscheidung erging nicht zu § 14 Abs. 3 Satz 2 TV-V, sondern zu § 26 Abs. 1 Satz 4 TV-L und betraf somit eine andere Tarifnorm.

172. Für die Umrechnung ist die Anzahl der Arbeitstage mit Arbeitspflicht mit der Anzahl der Urlaubstage ins Verhältnis zu setzen. Der Schichtrhythmus, in dem die Beklagte den Kläger einsetzt, ist nicht auf eine Woche beschränkt. Für die Berechnung ist deshalb der repräsentative Zeitabschnitt heranzuziehen, in dem die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt erreicht wird. Dabei muss die Berechnungsmethode eine Gleichwertigkeit insbesondere der Urlaubsdauer sicherstellen. Das wird erreicht, wenn jahresbezogen die für den Arbeitnehmer mit abweichender Arbeitszeit maßgebliche Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht mit der Anzahl der in der Fünftagewoche geltenden Anzahl der Arbeitstage zueinander ins Verhältnis gesetzt wird (vgl.  - Rn. 25, BAGE 137, 221). Die danach maßgebliche Umrechnungsformel lautet:

18In diese Formel sind als Dividend die in § 14 Abs. 3 Satz 1 TV-V festgelegte Anzahl von 30 Urlaubstagen einzusetzen. Diese sind mit der vom Kläger im Schichtsystem zu leistenden Anzahl von 284 Arbeitstagen im Jahr zu multiplizieren. Als Divisor sind 261 Arbeitstage einzusetzen. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die Beklagte einen Arbeitnehmer, der seine Arbeitsleistung an fünf Tagen in der Woche erbringt, an 261 Soll-Arbeitstagen im Jahr beschäftigt. Dem Kläger stehen danach 32,64 Arbeitstage Urlaub zu, die auf 33 Arbeitstage aufzurunden sind. § 14 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 TV-V schreibt vor, dass Arbeitnehmer ihren Anspruch auf Urlaub nur in ganzen Tagen realisieren können. Demnach sind 33 Urlaubstage erforderlich, damit der Kläger - wie ein in einer Fünftagewoche beschäftigter Arbeitnehmer - einen zusammenhängenden Urlaub von sechs Wochen nehmen kann.

19III. Die Beklagte hat als Revisionsführerin die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:210715.U.9AZR145.14.0

Fundstelle(n):
BB 2015 S. 2932 Nr. 48
DB 2015 S. 2941 Nr. 50
VAAAF-08604