BAG Urteil v. - 10 AZR 335/14

Mindestlohn - Entgeltfortzahlung

Gesetze: Art 3 EGRL 71/96, § 98 Abs 6 ArbGG, § 2 Nr 1 AEntG 2009, § 5 S 1 Nr 1 AEntG 2009, § 7 Abs 1 AEntG 2009, § 8 Abs 1 AEntG 2009, § 2 Abs 1 EntgFG, § 12 EntgFG

Instanzenzug: Az: 3 Ca 355/13 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 3 Sa 1412/13 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung an Feiertagen.

2Der Kläger ist seit dem bei der Beklagten als Ausbilder mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden zu einem vertraglichen Bruttomonatsgehalt von 1.894,00 Euro beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden weder kraft beiderseitiger Tarifbindung noch aufgrund vertraglicher Bezugnahme Tarifverträge Anwendung.

3Die Beklagte erbringt in ihrem Betrieb in C Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch.

4Mit der am in Kraft getretenen „Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch“ vom (MindestlohnVO) erklärte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gemäß § 7 AEntG in der im Zeitraum vom bis zum geltenden Fassung die Rechtsnormen des Tarifvertrags zur Regelung des Mindestlohns für pädagogisches Personal vom für allgemein anwendbar. In der MindestlohnVO heißt es auszugsweise:

5Der TV Mindestlohn enthält ua. folgende Regelungen:

6Die Beklagte nahm eine Nachberechnung des Entgelts des Klägers für die Monate August 2012 bis Januar 2013 auf Basis der Mindeststundenvergütung von 11,25 Euro brutto vor und erbrachte Nachzahlungen für tatsächlich geleistete Arbeits- und Urlaubsstunden in Höhe von insgesamt 190,50 Euro brutto. Aufgrund von Feiertagen ausgefallene Arbeitszeit berücksichtigte sie dabei nicht.

7Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Mindeststundenvergütung nach § 3 TV Mindestlohn stehe ihm auch für Feiertagsstunden zu. Ausgehend von einer Gesamtzahl von 1.030 Arbeits- oder Urlaubsstunden oder wegen Feiertagen ausgefallener Stunden ergebe sich für den Zeitraum bis unter Anrechnung erhaltener Zahlungen ein Differenzanspruch in Höhe von 180,00 Euro brutto.

8Der Kläger hat zuletzt beantragt,

9Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Mindeststundenvergütung nach § 3 TV Mindestlohn sei nur für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden zu zahlen, nicht aber an Feiertagen.

10Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

11Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die aufgrund von Feiertagen ausgefallenen Arbeitsstunden in Höhe des zuletzt noch streitgegenständlichen Betrags von 180,00 Euro brutto.

12I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, verlangt er im Weg der abschließenden Gesamtklage (vgl. zu den Anforderungen  - Rn. 11 f.) Differenzvergütungsansprüche für den Zeitraum bis . Die Anzahl der im Streitzeitraum angefallenen vergütungspflichtigen Feiertagsstunden ist ebenso wie der Umfang der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und die Höhe und Berechnung des monatlich gezahlten und anrechenbaren Entgelts festgestellt und steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Die Entscheidung des Senats hängt damit allein von der Frage ab, ob diese wegen Feiertagen ausgefallenen Arbeitsstunden in Höhe der Mindeststundenvergütung nach § 3 TV Mindestlohn zu vergüten sind oder ob die Beklagte nur die geringere vertraglich vereinbarte Vergütung zu zahlen hat. Mit der Entscheidung des Senats ist abschließend geklärt, welche Vergütung der Kläger für den Zeitraum bis noch zu beanspruchen hat.

13II. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat gemäß § 2 Abs. 1 EFZG auch für die wegen eines Feiertags ausgefallenen Arbeitsstunden Anspruch auf eine Vergütung in Höhe der in § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn bestimmten Mindeststundenvergütung.

141. Es besteht kein Anlass, den Rechtsstreit nach § 98 Abs. 6 ArbGG in der seit dem geltenden Fassung auszusetzen (vgl. zu den Voraussetzungen:  -; - 10 AZR 959/13 - Rn. 17 ff.). Vorliegend kommt es zwar entscheidungserheblich auf die Wirksamkeit der nach § 7 AEntG aF ergangenen MindestlohnVO an, da sich ein Anspruch auf die Mindeststundenvergütung nach § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn mangels Tarifbindung der Parteien und fehlender arbeitsvertraglicher Grundlage nur aus § 1 MindestlohnVO ergeben kann und der Klageantrag unter diesen Voraussetzungen begründet ist (vgl. unten II. 3.). Doch haben weder die Parteien Sachvortrag gehalten, der ernsthafte Zweifel (vgl. zu diesem Maßstab  - Rn. 17 ff. mwN) an der Wirksamkeit der MindestlohnVO wecken könnte, noch sind dem Senat von Amts wegen solche Zweifel bekannt.

152. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers für die aufgrund von Feiertagen ausgefallenen Arbeitsstunden ergibt sich nicht unmittelbar aus § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn iVm. § 1 MindestlohnVO, § 8 Abs. 1 AEntG aF.

16a) Die Parteien unterfallen dem Geltungsbereich der MindestlohnVO und des TV Mindestlohn; dies steht zwischen ihnen nicht im Streit.

17b) Aus § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn iVm. § 1 MindestlohnVO ergibt sich kein unmittelbarer tariflicher Mindestlohnanspruch für Arbeitszeit, die wegen eines Feiertags ausgefallen ist. Hiervon geht das Landesarbeitsgericht zutreffend aus. Die Ansprüche des Klägers auf Vergütung tatsächlich geleisteter Arbeitsstunden und für Zeiten des Urlaubs im Streitzeitraum hat die Beklagte nach Maßgabe des TV Mindestlohn erfüllt.

18aa) § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn legt eine „Mindeststundenvergütung“ fest, § 4 die Höhe des Jahresurlaubsanspruchs „unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts“. Ausdrückliche Regelungen zur Entgeltfortzahlung an Feiertagen enthält der TV Mindestlohn nicht. Zwar ließe sich unter den Begriff der „Mindeststundenvergütung“ auch die Vergütung solcher Stunden fassen, für die dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch besteht, unabhängig davon, ob die Vergütung eine Gegenleistung für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung ist oder ausnahmsweise aufgrund anderer Rechtsgrundlagen auch für Zeiten ohne Arbeitsleistung zu erbringen ist. Gegen eine solche Auslegung des TV Mindestlohn spricht jedoch der Umstand, dass nach § 2 Nr. 1 Satz 1 TV Mindestlohn tariflich „ausschließlich“ die Mindeststundenvergütung und der jährliche Urlaubsanspruch geregelt werden sollen und für andere Regelungsgegenstände nach § 2 Nr. 1 Satz 2 TV Mindestlohn die „Vereinbarung eines tariflichen Anspruchs“ von den Tarifvertragsparteien ausdrücklich nicht gewollt ist. Dies schließt die Annahme eines Entgeltfortzahlungsanspruchs für Feiertage auf der Grundlage von § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn mangels Regelung der Anspruchsvoraussetzungen aus. Der TV Mindestlohn nimmt auch nicht im Sinne einer Rechtsgrundverweisung auf die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes Bezug.

19bb) Dieses Verständnis wird bestätigt durch eine Betrachtung im Kontext der Normen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Die Vereinbarung des TV Mindestlohn erfolgte durch die Tarifvertragsparteien ersichtlich mit dem Ziel, diesen Tarifvertrag nach § 7 Abs. 1 AEntG aF durch Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland erstrecken zu lassen. Eine solche Erstreckung ist auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien erfolgt. Gegenstand einer erstreckungsfähigen tariflichen Regelung können nach § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG ua. Mindestentgeltsätze und nach § 5 Satz 1 Nr. 2 AEntG die Dauer des Erholungsurlaubs und das Urlaubsentgelt sein. Der Begriff der „Mindestentgeltsätze“ iSd. § 5 Satz 1 Nr. 1 und auch des § 2 Nr. 1 AEntG ist dabei einheitlich auszulegen, und zwar unabhängig davon, ob ein innerstaatlicher Sachverhalt oder ein Sachverhalt mit Auslandsbezug zu entscheiden ist ( (A) - Rn. 16, BAGE 141, 173). International zwingend sind im Rahmen von Bestimmungen über Branchenmindestlöhne aber zunächst nur Regelungen über die Vergütung für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden (vgl. zu Art. 34 EGBGB  - zu VIII der Gründe, BAGE 113, 149). Nicht zu den international zwingenden Rechtsnormen iSv. Art. 34 EGBGB gehören demgegenüber § 2 EFZG und § 615 BGB ( - Rn. 13, BAGE 141, 129; - 5 AZR 279/01 - zu IX 1 der Gründe). § 3 EFZG ist nur dann eine Eingriffsnorm, wenn der Arbeitnehmer deutschem Sozialversicherungsrecht unterliegt ( - Rn. 18, aaO). Vor diesem Hintergrund hätte es deutlicher Anhaltspunkte im Tarifvertrag bedurft, um anzunehmen, dass die Tarifvertragsparteien weiter gehende Regelungen schaffen wollten, obwohl diese nur teilweise auf tarifliche Außenseiter und Arbeitgeber mit Sitz im Ausland hätten erstreckt werden können. Derartige Hinweise sind dem TV Mindestlohn jedoch nicht zu entnehmen.

203. Der Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung an Feiertagen in Höhe der Mindeststundenvergütung des § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn ergibt sich aus § 2 Abs. 1 EFZG und dem dieser Bestimmung zugrunde liegenden Entgeltausfallprinzip.

21a) Der Kläger hat dem Grunde nach gemäß § 2 Abs. 1 EFZG für 24 Arbeitsstunden, die im Zeitraum bis feiertagsbedingt ausgefallen sind, einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Dies steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

22b) Die Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs ergibt sich für Feiertage aus § 2 Abs. 1 EFZG. Das hiernach maßgebliche Entgeltausfallprinzip verlangt, den Mindestlohn nach § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn als Geldfaktor in die Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs einzustellen (im Ergebnis ebenso zur PflegeArbbV vom  - Rn. 15; vgl. auch zum MiLoG zuletzt zB Greiner/Strippelmann BB 2015, 949, 950 f.). Der Anwendungsbereich des Entgeltfortzahlungsgesetzes ist weder durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz noch durch unionsrechtliche Vorschriften eingeschränkt.

23aa) Nach § 2 Abs. 1 EFZG hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Arbeitszeit, die infolge eines gesetzlichen Feiertags ausfällt, das Arbeitsentgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte (vgl. dazu zuletzt zB  -). Hiervon darf gemäß § 12 EFZG nicht zuungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden.

24bb) Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz modifiziert für seinen Anwendungsbereich die national und teilweise auch international zwingenden (vgl. dazu  - BAGE 141, 129) Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes nicht. Ausdrückliche Regelungen fehlen und ein solcher Regelungswille lässt sich auch weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzesbegründung entnehmen. Anhaltspunkte dafür benennt auch die Revision nicht. Entgegen der Auffassung der Beklagten setzt sich der Senat damit nicht in Widerspruch zu den Entscheidungen des Fünften Senats vom (- 5 AZR 279/01 - zu IX der Gründe und - 5 AZR 617/01 - zu VIII und IX der Gründe, BAGE 113, 149). Beide haben sich - soweit hier von Interesse - ausschließlich mit der Frage befasst, welche Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber von der Bürgenhaftung nach § 1a AEntG aF (jetzt § 14 AEntG) erfasst werden. Für Ansprüche aus Annahmeverzug nach § 615 BGB und für Verzugszinsen wegen verspäteter Lohnzahlung durch den Arbeitgeber wurde eine solche Haftung verneint. Die Frage, in welcher Höhe der Arbeitgeber selbst Entgeltfortzahlung nach § 2 Abs. 1 EFZG zu leisten hat, behandeln diese Entscheidungen nicht.

25cc) Eine andere Sichtweise ist auch unionsrechtlich nicht geboten. Die Bestimmungen der „Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen“ (Entsende-RL) dienen der Koordination der Gesetze der Mitgliedstaaten, um einen Kern zwingender Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz festzulegen, das im Aufnahmemitgliedstaat von Arbeitgebern zu gewährleisten ist, die Arbeitnehmer dorthin entsenden. Die Richtlinie hat jedoch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht den materiell-rechtlichen Inhalt dieser zwingenden Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz harmonisiert. Ihr Inhalt kann daher von den Mitgliedstaaten unter Beachtung der Verträge und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts frei bestimmt werden ( - [Isbir] Rn. 33 mwN). Damit scheidet die Annahme aus, dass durch die Entsende-RL außerhalb des Gegenstands der Richtlinie bestehende nationale Regelungen über die Entgeltfortzahlung an Feiertagen harmonisiert oder begrenzt werden sollten. Selbst wenn daher nach zwingendem nationalem Recht in Teilbereichen der Entgeltfortzahlung eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitgebern mit Sitz im Inland gegenüber Arbeitgebern mit Sitz im Ausland bestehen sollte und dies - was im Hinblick auf die verschiedenen Entgeltfortzahlungssysteme in anderen Mitgliedsländern keineswegs zwingend ist - zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnte, hätte dies nicht die Unanwendbarkeit der zwingenden Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes zur Folge.

26c) Hätte der Kläger in den streitgegenständlichen 24 Feiertagsstunden gearbeitet, wäre ihm nach § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn ein Stundensatz von 11,25 Euro brutto gezahlt worden. Dieser ist der Höhe nach dem Entgeltfortzahlungsanspruch zugrunde zu legen. Ein Rückgriff auf die niedrigere vertragliche Vergütung scheidet nach § 12 EFZG aus. Danach ergibt sich für den Zeitraum bis ein weiterer Vergütungsanspruch des Klägers in unstreitiger Höhe von 180,00 Euro brutto.

274. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

28III. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:130515.U.10AZR335.14.0

Fundstelle(n):
BAAAE-95895