BFH Beschluss v. - V B 14/13

Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren bei Nichtvorliegen der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs; Gutglaubensschutz

Gesetze: FGO § 76, FGO § 78 Abs. 1, FGO § 108 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, FGO § 96 Abs. 2, UStG § 15 Abs. 1, AO § 163, AO § 227, GG Art. 103 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen entweder nicht vor oder sind nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Form dargelegt worden.

2 1. Soweit dem Vortrag der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) überhaupt eine Rechtsfrage von möglicherweise grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) entnommen werden kann, geht es darum, ob die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes vollständig erfüllt sein müssen und ob im Falle des Fehlens einzelner Voraussetzungen ein Schutz des guten Glaubens des Leistungsempfängers im Festsetzungsverfahren oder in einem gesonderten Billigkeitsverfahren zu gewährleisten ist. Diese Frage hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist bereits durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hinreichend geklärt. Es sind keine neuen Gesichtspunkte erkennbar, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erfordern (ständige Rechtsprechung; z.B. , BFH/NV 2013, 371).

3 a) Zum einen ist geklärt, dass das Erlassverfahren grundsätzlich nicht dazu dient, angebliche oder tatsächliche Mängel des Festsetzungsverfahrens zu korrigieren. Ein Erlass bestandskräftig festgesetzter Steuern wegen sachlicher Unbilligkeit kann daher nur gewährt werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich rechtzeitig gegen die angebliche Fehlerhaftigkeit zu wehren (, BFH/NV 2010, 1616). Im Festsetzungsverfahren 6 K 263/09 hat das Finanzgericht (FG) die Klage durch Urteil vom abgewiesen. Durchgreifende Mängel des Festsetzungsverfahrens hat der BFH nicht festgestellt, denn er wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mit Beschluss vom im Beschwerdeverfahren V B 57/10 als unbegründet zurück.

4 b) Nach der Rechtsprechung des BFH ist außerdem geklärt, dass unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren in Betracht kommt, wenn die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht vorliegen (, BFH/NV 2009, 1473). Die Klägerin macht mit der Beschwerde im Wesentlichen geltend, dass das FG in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Billigkeitsverfahren falsch entschieden habe. Die Rüge gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit des Urteils führt nicht zur Zulassung der Revision (BFH-Beschlüsse vom X B 96/12, BFH/NV 2013, 1802; vom X B 97/11, BFH/NV 2013, 13).

5 2. Auch die von der Klägerin erhobene Divergenzrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Form dargelegt. Zur schlüssigen Darlegung einer Abweichung muss der Beschwerdeführer dartun, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) oder des BFH abgewichen ist, dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, ferner dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (z.B. , BFH/NV 2011, 193). Dabei sind tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus der Divergenzentscheidung andererseits einander gegenüberzustellen, um so die behauptete Abweichung zu verdeutlichen (z.B. , BFH/NV 2013, 1248). An der Darlegung dieser Voraussetzungen fehlt es. Die Beschwerdebegründung beschränkt sich darauf, zahlreiche EuGH- und BFH-Entscheidungen anzuführen und zum Teil darin aufgestellte Rechtssätze wiederzugeben. Dem widersprechende abstrakte Rechtssätze aus dem FG-Urteil hat die Klägerin nicht herausgearbeitet.

6 3. Es liegen auch keine Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor.

7 a) Die Rüge der Klägerin, das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) durch Verweigerung der Akteneinsicht (§ 78 Abs. 1 FGO) verletzt, greift nicht durch. Ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 FGO liegt nur dann vor, wenn der Klägerin Akteneinsicht ausdrücklich verwehrt wurde. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin begründet der Gehörsanspruch keinen Anspruch auf Einsichtnahme in Akten, die dem Gericht von der Finanzbehörde nicht zur Verfügung gestellt worden sind und ihm folglich nicht vorliegen; vielmehr besteht lediglich das Recht der Beteiligten, in die dem Gericht vorliegenden Gerichtsakten —einschließlich der beigezogenen Akten— Einsicht zu nehmen (BFH-Beschlüsse vom IX B 67/12, BFH/NV 2012, 1637; vom VII B 3/06, BFH/NV 2007, 1324).

8 b) Aus Rechtsgründen ist es auch nicht zu beanstanden, dass das FG von der beantragten Vernehmung der benannten Zeugen abgesehen hat, denn nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG kam es auf die Zeugenvernehmungen nicht an. Vielmehr hätte das Klagebegehren nach Auffassung des FG auch dann keinen Erfolg gehabt, wenn die mit den Zeugenaussagen unter Beweis gestellten Tatsachen zu Gunsten der Klägerin als wahr unterstellt worden wären (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 1637).

9 c) Soweit die Klägerin rügt, das FG sei seiner von Amts wegen bestehenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) nicht nachgekommen, sind die hierfür geltenden Darlegungsanforderungen nicht erfüllt. Die Klägerin hätte vortragen müssen, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben bzw. welche Tatsachen es hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2013, 1800). Zu all dem trägt die Klägerin nichts substantiiert vor. Im Übrigen muss ein fachkundig vertretener Beteiligter gerade bei umstrittener Sach- und/oder Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Aspekte und prozessualen Möglichkeiten von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag bzw. sein Vorgehen darauf einrichten (vgl. , BFH/NV 2011, 1917). Denn ein umsichtiger Prozessvertreter muss stets gewärtigen, dass das Gericht die Beweismittel abweichend würdigt und ist deshalb gehalten, vorsorglich alle von ihm für zweckmäßig erachteten Beweisanträge zu stellen und ihre Ablehnung gegebenenfalls rechtzeitig zu rügen (, BFH/NV 2012, 1299).

10 d) Soweit sich die Klägerin gegen die Ablehnung des Antrags auf Tatbestandsberichtigung durch den wendet, genügt der Hinweis auf § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO. Danach ist der Beschluss des FG unanfechtbar. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich (, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1983, 226).

11 e) Es liegt auch keine nachträgliche Divergenz vor. Diese kommt in Betracht, wenn die grundsätzliche Bedeutung zwar ordnungsgemäß dargelegt wurde, jedoch durch eine nach Einlegung der Beschwerde ergangene Entscheidung entfallen ist und das Urteil der Vorinstanz in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der neueren Entscheidung des EuGH oder des BFH abweicht (, BFH/NV 2012, 459). Zum einen hat die Klägerin aus den unter 1. dargelegten Gründen die grundsätzliche Bedeutung nicht ordnungsgemäß dargelegt, zum anderen sind auch im Schriftsatz der Klägerin vom keine sich widersprechenden Rechtsgrundsätze herausgearbeitet und einander gegenübergestellt worden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 918 Nr. 6
AAAAE-61841