BGH Beschluss v. - 5 StR 258/13

Strafverfahren: Feststellung über die Nichtanordnung des Verfalls wegen entgegenstehender Verletztenansprüche; Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots

Gesetze: § 111i Abs 2 StPO, § 358 Abs 2 StPO, § 73 Abs 1 S 2 StGB, § 73 Abs 3 StGB

Instanzenzug: Az: 25 KLs 12/12nachgehend Az: 2 BvR 2400/13 Stattgebender Kammerbeschlussnachgehend Az: 2 BvR 2400/13 Kammerbeschlussnachgehend Az: 5 StR 258/13 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Betruges in 23 Fällen und versuchten Betruges in elf Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von sechs Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass dem Verfall von Wertersatz in Höhe von 2.193.056,40 € die Ansprüche der Verletzten entgegenstehen.

2Die hiergegen gerichteten, auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben im Umfang der Beschlussformel Erfolg.

31. Nach den Feststellungen erwarben die Angeklagten im Wege von Zwangsversteigerungen über von ihnen gegründete englische Scheinunternehmen „Schrottimmobilien“ in Ortschaften Ostdeutschlands zu geringen fünfstelligen Preisen. Diese Grundstücke ließen sie von Privatpersonen, die sie gegen eine Belohnung von jeweils 5.000 € als „Zwischenkäufer“ angeworben hatten, zum Schein ankaufen, um unter deren Namen mit gefälschten Kreditanträgen und unrichtigen Exposés über die Immobilien bei Baufinanzierern Darlehen über sechsstellige Beträge zu erlangen. Dabei wurden diese Darlehen auf Veranlassung der Angeklagten an die von ihnen geführten englischen Gesellschaften ausgezahlt. Diese leiteten die Gelder an die Angeklagten weiter, die sie teilweise zur Führung eines aufwendigen Lebensstils verwendeten. Den geschädigten Banken entstand im Tatzeitraum von März 2008 bis Mai 2011 ein Gesamtschaden von rund 3,7 Millionen Euro. Um die erbeuteten Gelder zu „waschen“, gründeten und führten die Angeklagten zwei – im vorliegenden Verfahren nebenbeteiligte – Gesellschaften mit beschränkter Haftung. An diese leiteten sie Geldbeträge in einer Gesamthöhe von knapp 2,2 Millionen Euro weiter, mit denen u.a. die Wohnhäuser der Angeklagten erworben wurden.

42. Die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO, die sich nach dem Wortlaut des Urteilstenors und nach den Entscheidungsgründen (UA S. 49) auf das Vermögen der Angeklagten und nicht auf das der Nebenbeteiligten bezieht, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, da die tatsächlichen Feststellungen der Strafkammer lückenhaft sind.

5a) Zwar ist dem Urteil zu entnehmen, dass die Angeklagten „etwas erlangt“ haben (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB), als sie die Gelder, die auf den Konten der von ihnen geführten englischen Scheingesellschaften eingegangen waren, von deren Strohmann-Direktoren abheben und sich jeweils durch Boten aushändigen ließen. Insoweit liegen entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts die Voraussetzungen einer Feststellung nach § 73 Abs. 1, § 73a Satz 1 StGB, § 111i Abs. 2 StPO im Hinblick auf das Vermögen der Angeklagten vor. Denn beim Erlangen im Sinne von § 73 Abs. 1, § 73a Satz 1 StGB handelt es sich um einen tatsächlichen Vorgang. Erlangt ist danach schon dann etwas, wenn der Gegenstand in irgendeiner Phase des Tatablaufs in die Verfügungsgewalt des Täters übergegangen ist und ihm so aus der Tat unmittelbar etwas wirtschaftlich messbar zugute kommt. Eine spätere Weitergabe des Erlangten ändert am Eintritt der Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz nach § 73 Abs. 1, § 73a Satz 1 StGB nichts und kann allenfalls noch im Rahmen der Prüfung der Härtevorschrift des § 73c StGB von Bedeutung sein (vgl. , BGHSt 51, 65, 68; vom – 2 StR 504/08, BGHSt 53, 179, 180 f.; vom – 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 50; Beschluss vom – 5 StR 365/07, NStZ 2008, 565, 566). Der vom Generalbundesanwalt in den Blick genommene Umstand, dass nach den Feststellungen die Verschiebung (eines Teils) der erlangten Gelder zu den Nebenbeteiligten stattgefunden hat und das Landgericht damit die Voraussetzungen des Verfalls gegenüber einem Drittbegünstigten im Sinne von § 73 Abs. 3 StGB in Gestalt eines Verschiebungsfalls beschrieben hat (vgl. , BGHSt 45, 235, 246; Beschluss vom – 1 StR 239/10, wistra 2010, 406), ohne freilich – auch insoweit – eine entsprechende Anordnung geprüft zu haben, bewirkt daher nicht, dass die Voraussetzungen einer Verfallsanordnung gegen die Angeklagten nach § 73 Abs. 1, § 73a Satz 1 StGB bzw. einer gegen die Angeklagten gerichteten Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO entfallen.

6b) Das Urteil lässt jedoch eine hier nahe liegende Prüfung der Voraussetzungen der Vorschrift des § 73c Abs. 1 StGB vermissen, die auch im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung zu beachten ist (vgl. , BGHSt 56, 39, 44, 50 mwN). Hierzu bedarf es näherer Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der beiden Angeklagten, die das Landgericht nicht getroffen hat. Darauf konnte hier nicht verzichtet werden, da sich aus den Urteilsgründen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich der vom Landgericht für einen Auffangrechtserwerb des Staates (§ 111i Abs. 5 StPO) zugrunde gelegte Betrag, der allerdings auch schon angesichts der insgesamt deutlich höheren Tatbeute nicht nachvollziehbar begründet worden ist, zum Zeitpunkt der Entscheidung wertmäßig nicht mehr in vollem Umfang im Vermögen der Angeklagten befunden haben könnte (§ 73c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB). Insoweit begegnet es durchgreifenden Bedenken, dass sich das Landgericht bei der Berechnung des Verfallsbetrages offensichtlich an den Geldsummen orientiert hat, die an die drittbegünstigten Nebenbeteiligten verschoben wurden, dabei aber nicht erkennbar berücksichtigt hat, dass die in das Gesellschaftsvermögen der beiden nebenbeteiligten Gesellschaften weitergeleiteten Vermögensvorteile trotz Zugriffsmöglichkeiten geschäftsführender Gesellschafter nicht ohne weiteres zugleich deren private Vermögensvorteile darstellen (vgl. für originär dem Vermögen einer juristischen Person zugeflossene Tatbeute auch BVerfG [Kammer], Beschlüsse vom – 2 BvR 1136/03, StV 2004, 409, 411; vom – 2 BvR 1378/04, NJW 2005, 3630, 3631; , BGHSt 52, 227, 256). Den Feststellungen ist nichts Näheres dazu zu entnehmen, ob die Angeklagten hier noch eine Trennung zwischen ihren eigenen Vermögenssphären und denjenigen der zur Beutesicherung genutzten Gesellschaften vorgenommen haben und wie sich deren Geschäftsanteile verteilten.

7c) Damit folgt der Senat nicht dem weitergehenden Antrag des Generalbundesanwalts, gemäß § 349 Abs. 4 StPO hinsichtlich des Angeklagten S.   die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO entfallen zu lassen. Auch insoweit entscheidet er durch Beschluss. § 349 Abs. 5 StPO steht dem nicht entgegen. Die Befugnis des Revisionsgerichts, nach (teilweiser) Urteilsaufhebung die Sache zurückzuverweisen oder in der Sache selbst zu entscheiden, richtet sich ausschließlich nach § 354 StPO; sie setzt keinen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft voraus (vgl. ; KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 349 Rn. 39).

8d) Das neue Tatgericht wird bei einem erneuten Absehen von der Verfallsanordnung gemäß § 111i Abs. 2 StPO das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO zu beachten haben. Dieses erfasst mit der Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat die Anordnung des Verfalls, auch in Verbindung mit einer Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO (OLG Hamm StV 2008, 132; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 331 Rn. 21). Weiter wird zu berücksichtigen sein, dass der einem Auffangrechtserwerb des Staates gemäß § 111i Abs. 5 StPO unterliegende Zahlungsanspruch die Angeklagten als Gesamtschuldner treffen könnte (vgl. , BGHSt 56, 39, 46 ff., auch zur Formulierung einer Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO im Urteilstenor; Beschluss vom – 1 StR 42/11, NStZ-RR 2011, 343).

9Weiterhin wird zu den vom Landgericht nicht geprüften Voraussetzungen einer Verfallsanordnung hinsichtlich des bei dem Angeklagten H.       am sichergestellten Bargeldes in Höhe von 105.000 € ebenso auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug genommen wie zu der unterlassenen Entscheidung über eine Anordnung des Wertersatzverfalls gegen die Nebenbeteiligten; insoweit ist das Landgericht seiner diesbezüglichen Kognitionspflicht nicht ausreichend nachgekommen und ist das Strafverfahren, soweit es sich gegen die Nebenbeteiligten richtet, beim Landgericht noch anhängig.

103. Im Übrigen erweisen sich die Revisionen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen, die auch durch die Gegenerklärungen der Verteidigung nicht entkräftet werden, als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Ergänzend verweist der Senat in Bezug auf die Rügen, es sei gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verstoßen worden, zum Anwendungsbereich dieser Vorschrift, die lediglich Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO betrifft, auf das Urteil des 2. Strafsenats vom (2 StR 47/13, zum Abdruck in BGHSt bestimmt; vgl. auch ).

Sander                      Schneider                         Dölp

               Berger                            Bellay

Fundstelle(n):
LAAAE-45834