BGH Beschluss v. - 4 StR 189/13

Räuberische Erpressung: Erlangung eines Vermögenswertes zum Nachteil des Opfers durch gewaltsam erzwungenen Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten

Gesetze: Art 1 Abs 1 GG, § 177 StGB, § 240 Abs 1 StGB, § 240 Abs 4 S 2 Nr 1 StGB, § 253 StGB, § 255 StGB

Instanzenzug: Az: 37 Ks 190 Js 352/10 - 17/11

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, von welcher ein Monat als verbüßt gilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3Der Angeklagte suchte am gegen 2.30 Uhr den Kontakthof eines Bordells in Hamm auf und sprach die dort als Prostituierte tätige Zeugin H.   -P.     an. Er erkundigte sich bei ihr, was der Geschlechtsverkehr koste, wenn sie dabei „Strapse“ trage. Auf die Erwiderung der Zeugin, dass der Preis 100 DM betrage, setzte der Angeklagte seinen Gang an den Fenstern des Kontakthofes zunächst fort, kehrte kurze Zeit später aber zu der Zeugin zurück und gab auf deren Frage, ob er jetzt zu ihr in das Zimmer kommen wolle, sein Einverständnis zu verstehen. Die Zeugin ließ den Angeklagten daraufhin in das Gebäude ein und begab sich mit ihm in ihr Zimmer. Dort fragte der Angeklagte, was man denn machen könne, wenn er mehr als 100 DM bezahle, ließ sich dann aber auf eine von der Zeugin vorgeschlagene Variante nicht ein. Schließlich forderte die Zeugin den Angeklagten auf, zunächst die vereinbarten 100 DM zu bezahlen.

4Der Angeklagte, der als Drosselungswerkzeug einen schwarzen Strumpf und als Fesselungsmittel zwei bereits miteinander verbundene Kabelbinder mit sich führte, war nicht bereit, der Zeugin das Geld zu geben. Er war zu diesem Zeitpunkt vielmehr entschlossen, die Zeugin mit Gewalt - unter Drosselung - zu überwältigen und anschließend zu fesseln, um dann mit ihr nach seinem Belieben zu verfahren. Er hatte vor, sie zu zwingen, entweder den ausgehandelten Geschlechtsverkehr ohne Entgelt oder die Wegnahme ihrer Einnahmen oder nacheinander beides zu dulden. Letztlich ging es ihm darum, durch Gewalt gegen das Opfer eine vermögenswerte Leistung - den sexuellen Dienst einer Prostituierten - und/oder Vermögensgegenstände des Opfers an sich zu bringen, worauf er, wie er wusste, keinen Anspruch hatte.

5Der Angeklagte zog nunmehr den Strumpf aus der Tasche, stieß die Zeugin auf die Schlafcouch, warf sich auf sie und begann sie zu würgen, um sie durch Drosselung mit dem Strumpf am Schreien zu hindern und sie zur Verwirklichung seiner weiter gehenden Absichten entscheidend zu schwächen. Da es dem Angeklagten auf Grund der Gegenwehr der Zeugin, die große Angst um Leib und Leben hatte und sich deshalb nach Leibeskräften wehrte, nicht gelang, den Strumpf um ihren Hals festzuziehen, setzte er seinen Entschluss weiter in die Tat um, indem er das Opfer mit bloßen Händen würgte. Als eine weitere in dem Bordell tätige Prostituierte, die durch die Schreie des Opfers auf das Geschehen aufmerksam geworden war, gemeinsam mit der Wirtschafterin des Bordells in das Zimmer des Opfers eilte und den Angeklagten anschrie, er solle aufhören und die Frau loslassen, sah sich der Angeklagte nicht mehr in der Lage, die geplante Tat zu Ende zu führen. Er ließ von dem unter ihm auf der Couch liegenden Opfer ab und ergriff die Flucht.

II.

6Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils hat keinen Bestand. Die Begründung des Landgerichts für die eindeutige Verurteilung wegen eines Versuchs der schweren räuberischen Erpressung nach § 253 Abs. 1, §§ 255, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil bei einem von der Schwurgerichtskammer für möglich gehaltenen Handlungsziel des Angeklagten - der Erzwingung des Geschlechtsverkehrs ohne Entgelt - die Tat nicht auf die Erlangung eines Vermögenswertes zum Nachteil des Tatopfers gerichtet war.

71. a) Das Landgericht ist bei seiner rechtlichen Bewertung der verschiedenen in subjektiver Hinsicht alternativ angenommenen Sachverhaltsvarianten davon ausgegangen, dass es dem Angeklagten unabhängig davon, ob er den unentgeltlichen Geschlechtsverkehr oder die Preisgabe der Einnahmen des Opfers oder beides habe erzwingen wollen, um die Erlangung ungerechtfertigter Vermögensvorteile gegangen sei, auf die er keinen Anspruch gehabt habe. Dies gelte - nach Auffassung der Schwurgerichtskammer - auch dann, wenn sich sein Vorhaben darin erschöpfte, das Tatopfer zur unentgeltlichen Gewährung des Geschlechtsverkehrs zu zwingen, weil sexuelle Dienstleistungen einer Prostituierten, die grundsätzlich nur gegen Entgelt erbracht werden, nach inzwischen gewandelter Einstellung der Rechtsgemeinschaft als vermögenswerte Leistung anzusehen seien.

8b) Dieser Ansicht des Landgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Dabei kann offen bleiben, ob und inwieweit das am in Kraft getretene Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten - Prostitutionsgesetz - vom (BGBl. I S. 3983) einen schon im Tatzeitraum eingetretenen Wandel in der gesellschaftlichen und rechtlichen Bewertung der Ausübung der Prostitution zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten, BT-Drucks. 14/5958, S. 4; einerseits , StV 2003, 616; Urteil vom - I ZR 241/03, BGHZ 168, 314, 318 f.; andererseits Beschluss vom - 3 StR 467/10, NStZ 2011, 278; zum Streitstand Fischinger in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2011, Anh. zu § 138: § 1 ProstG Rn. 10 ff.). Denn auch die Regelungen des Prostitutionsgesetzes haben nichts daran geändert, dass jedwede bindende Verpflichtung zur Vornahme sexueller Handlungen mit dem in Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz der Menschenwürde unvereinbar ist und nicht rechtswirksam begründet werden kann (vgl. Fischinger aaO Rn. 15; MüKoBGB/Armbrüster, 6. Aufl., § 138 Rn. 57 und § 1 ProstG Rn. 7, 19). Von einer durch die Rechtsordnung nicht missbilligten Dienstleistung, die typischerweise gegen Entgelt erbracht wird und deshalb im Rahmen einer entgeltlichen Vertragsbeziehung als Vermögensbestandteil anzusehen ist (vgl. zu § 263 StGB , NStZ 2001, 258; Beschluss vom - 5 StR 566/86, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögen 1; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 98, 102; vgl. auch , NStZ 2001, 534), kann daher allenfalls bei freiwillig erbrachten sexuellen Handlungen einer Prostituierten die Rede sein. Nichts anderes ergibt sich aus der erst nach der Tat am in Kraft getretenen Regelung des § 1 Satz 1 ProstG. Danach erwirbt eine Prostituierte erst dann eine rechtswirksame Forderung, wenn die sexuelle Handlung gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden ist. Die Erpressung einer Prostituierten in der Form, dass ihr der Verzicht auf das vereinbarte Entgelt abgenötigt werden soll, kommt demgemäß nur in Betracht, wenn die abgesprochene sexuelle Handlung zuvor einvernehmlich erbracht worden ist (vgl. aaO). Dem gegen den Willen der Prostituierten erzwungenen Geschlechtsverkehr kommt hiergegen kein Vermögenswert im Sinne des § 253 Abs. 1 StGB zu (vgl. Zimmermann, NStZ 2012, 211, 213). Die Rechtsgutverletzung erschöpft sich in diesen Fällen vielmehr in einem Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung, deren Schutz vor Zwangseinwirkungen das geltende Strafrecht mit den Tatbeständen des § 177 StGB und § 240 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB umfassend gewährleistet.

92. Die Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung auf alternativer Tatsachengrundlage erweist sich demnach als rechtsfehlerhaft. Da zu besorgen ist, dass sich die unzutreffende rechtliche Würdigung des Landgerichts bereits auf die Feststellung des Tatgeschehens ausgewirkt hat, hebt der Senat das Urteil insgesamt auf und verweist die Sache zur erneuten tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung zurück.

10Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der Tatrichter weder mit Blick auf den Zweifelssatz noch sonst gehalten ist, zu Gunsten des Angeklagten von Sachverhaltsvarianten auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr., vgl. nur , wistra 2013, 195, 196; vom - 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).

Sost-Scheible                          Roggenbuck                          Mutzbauer

                          Bender                                Quentin

Fundstelle(n):
VAAAE-43677