BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 1912/12

Nichtannahmebeschluss: Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Rspr des BVerwG zur Berücksichtigung einer überlangen Verfahrensdauer im Disziplinarverfahren - Erfordernis einer Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde

Gesetze: § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 198 Abs 1 GVG, § 201 GVG, Art 6 Abs 1 MRK, Art 23 Abs 4 ÜberlVfRSchG

Instanzenzug: Az: 2 B 123/11 Beschluss

Gründe

A.

1 Der Beschwerdeführer wendet sich insbesondere gegen die erneute Ablehnung der Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung durch das Bundesverwaltungsgericht.

2 Nachdem ein erster Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts in der gleichen Sache vom Bundesverfassungsgericht wegen fehlender Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aufgehoben worden war (siehe BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 754/10 -, juris) und das Bundesverwaltungsgericht zwischenzeitlich in zwei anderen Verfahren entschieden hat, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK auch unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung kein Absehen von einer gebotenen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen könne ( 2 A 11.10 -, juris, Rn. 84 ff. und Beschluss vom - 2 B 3.12 -, juris, Rn. 10 ff.), wies es die Revisionszulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers mit dem hier angegriffenen Beschluss erneut zurück.

B.

3 Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) nicht erfüllt sind. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist - ohne grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen aufzuwerfen - teilweise bereits unzulässig und im Übrigen - jedenfalls unbegründet.

I.

4 Soweit die Verfassungsbeschwerde - was nicht zweifelsfrei auszuschließen ist - dahin zu verstehen sein sollte, dass der Beschwerdeführer unabhängig von der beanstandeten Nichtzulassung der Revision einen Grundrechtsverstoß durch die überlange Dauer des Disziplinarverfahrens begründet sieht, ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig. Denn der Beschwerdeführer hat es versäumt, beim zuständigen Oberverwaltungsgericht eine Klage auf angemessene Entschädigung für infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens erlittene Nachteile gemäß § 198 Abs. 1, § 201 GVG zu erheben (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1565/11 -, juris, Rn. 11 ff.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2292/11, juris, Rn. 8 f.). Dem stand nicht entgegen, dass gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG eine Entschädigung grundsätzlich nur erlangt werden kann, wenn zuvor bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt wird (Verzögerungsrüge). Denn der vorherigen Erhebung einer Verzögerungsrüge bedarf es gemäß Art. 23 Satz 4 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom (BGBl I S. 2302) nicht, wenn - wie hier - in einem zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz erfolgt ist.

II.

5 Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Der angegriffene Beschluss ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil er keine Auslegungs- oder Anwendungsfehler der Vorschriften über die Revisionszulassung erkennen lässt, die die Annahme objektiver Willkür rechtfertigen oder die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereiches, beruhen (vgl. hierzu BVerfGE 18, 85 <93>; 42, 143 <149>).

6 So erscheint es insbesondere vertretbar, wenn das Bundesverwaltungsgericht angesichts der zwischenzeitlich erfolgten Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das deutsche Disziplinarverfahren davon ausgeht, dass die Rechtsfrage der Möglichkeit einer mildernden Berücksichtigung einer überlangen Verfahrensdauer in Fällen einer gebotenen Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis mittlerweile geklärt ist, und diese Rechtsauffassung auf die Aberkennung des Ruhegehalts erstreckt.

III.

7 Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

8 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2013:rk20130128.2bvr191212

Fundstelle(n):
LAAAE-41090