BGH Beschluss v. - VI ZB 50/12

Anforderungen an die Begründung von der Rechtsbeschwerde unterliegenden Beschlüssen; Berücksichtigung ergänzenden Parteivortrags bei  Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes der Berufung

Leitsatz

1. Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; anderenfalls sind sie nicht mit den nach dem Gesetz erforderlichen Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben.

2. Bei der Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht ergänzenden Vortrag der Parteien zu diesem Wert in Erwägung zu ziehen (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom , VI ZB 74/08, VersR 2011, 646).

Gesetze: § 511 Abs 2 Nr 1 ZPO, § 547 Nr 6 ZPO, § 576 ZPO

Instanzenzug: LG Offenburg Az: 1 S 21/12vorgehend AG Gengenbach Az: 2 C 122/11

Gründe

I.

1Das Landgericht hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Gengenbach vom als unzulässig verworfen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige 600 € nicht und das Gericht des ersten Rechtszuges habe die Berufung nicht zugelassen. Der Streitwert für den Berufungsantrag Ziff. 1 betrage 353,77 €, der Streitwert für den Berufungsantrag Ziff. 2 (Feststellungsantrag) lediglich 155,49 €. Ausweislich der Klagebegründung sei der Feststellungsantrag mit möglichen Ersatzansprüchen bezüglich der Mehrwertsteuer auf Reparaturkosten und wegen Nutzungsausfalls begründet worden, was unter Berücksichtigung der nach ständiger Rechtsprechung der Berufungskammer anzuwendenden Tabelle, des Feststellungsabschlags von 20 Prozent und Berücksichtigung der Tatsache, dass lediglich 50 Prozent dieser Beträge eingeklagt seien, zu einem Streitwert von 155,49 € für den Feststellungsantrag führe. Eine höhere Beschwer aufgrund des Umstands, dass der Kläger möglicherweise auf einen Mietwagen angewiesen sei, könne nicht berücksichtigt werden, da mögliche Mietwagenkosten bis zum Schriftsatz vom kein Thema gewesen seien. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

2Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).

31. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil er nicht ausreichend mit Gründen versehen ist.

4a) Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; anderenfalls sind sie nicht mit den nach dem Gesetz (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO) erforderlichen Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom - VI ZB 68/12, zur Veröffentlichung bestimmt; vom - VI ZB 33/12, juris Rn. 4; vom - VI ZB 1/11, VI ZB 2/11, VersR 2012, 1272 Rn. 3; vom - VI ZB 31/10, VersR 2011, 1199 Rn. 8; vom - VI ZB 58/08, VersR 2010, 687 Rn. 4; jeweils mwN). Das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Berufungsgericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Enthält der angefochtene Beschluss keine tatsächlichen Feststellungen, ist das Rechtsbeschwerdegericht nicht zu einer rechtlichen Prüfung in der Lage. Dies gilt gerade auch dann, wenn das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verwirft, weil die Berufungssumme nicht erreicht sei. Denn eine Wertfestsetzung kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur darauf hin überprüft werden, ob das Berufungsgericht die angekündigten Anträge zur Kenntnis genommen und zutreffend bewertet und die Grenzen eines ihm gegebenenfalls durch § 3 ZPO eingeräumten Ermessens überschritten oder rechtsfehlerhaft von ihm Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom - VI ZB 68/12, z.V.b.; vom - VI ZB 31/10, aaO; BGH, Beschlüsse vom - II ZB 20/09, NJW-RR 2010, 1582 Rn. 5; vom - II ZB 27/07, NJW-RR 2008, 1455 Rn. 4). Wird diesen Anforderungen nicht genügt, liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel vor, der die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts nach sich zieht (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 438/02, BGHZ 156, 216, 220; Senatsbeschluss vom - VI ZB 33/12, juris; BGH, Beschlüsse vom - V ZB 301/10, WuM 2011, 377 Rn. 3; vom - V ZB 160/10, Grundeigentum 2011, 686 Rn. 3; vom - V ZB 95/10, juris Rn. 3; vom - V ZB 70/05, FamRZ 2006, 1030; vom - IX ZB 17/05, NZI 2006, 481; vom - IX ZB 63/03, NJW-RR 2005, 916; vom - IX ZB 29/03, VersR 2005, 288).

5b) Eine Sachdarstellung ist lediglich dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel noch mit hinreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen ergeben (Senat, Beschlüsse vom - VI ZB 68/12, z.V.b.; vom - VI ZB 1/11, VI ZB 2/11, aaO; vom - VI ZB 46/07, aaO; vom - VI ZB 74/06, aaO; vom - VI ZB 66/06, aaO).

6c) Diesen Maßstäben wird die Verwerfungsentscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht. In diesem Beschluss wird der maßgebliche Sachverhalt, über den entschieden werden soll, nicht wiedergegeben. Gleiches gilt für die Anträge beider Instanzen. Der Beschluss enthält auch keine Bezugnahmen, etwa auf das erstinstanzliche Urteil. Alleine die Rechtsausführungen enthalten keine ausreichenden Informationen über den festgestellten Sachverhalt und das Begehren der Parteien in den beiden Tatsacheninstanzen. Der Verwerfungsbeschluss enthält mithin nicht die für eine Sachprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlichen Feststellungen.

72. Die Sache ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO), welches über die Wertfestsetzung erneut zu befinden haben wird.

8Im Hinblick auf das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

9Ein Feststellungsantrag erfasst den gesamten dem Kläger entstandenen Schaden, auch solche Positionen, die - aus welchem Grund auch immer - nicht mit der Leistungsklage geltend gemacht und auch nicht zur Begründung des Feststellungsantrags konkretisiert werden. Selbst wenn der Kläger nach Abschluss der ersten Instanz erst im Berufungsverfahren vorträgt, dass Schäden in weiterem Umfang entstanden seien bzw. entstehen könnten, als sie in erster Instanz vorgetragen wurden, darf dieser Vortrag bei der Wertfestsetzung durch das Berufungsgericht nach § 3 ZPO nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil ein entsprechender Vortrag in erster Instanz oder bis zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung nicht erfolgte. Der Wert der Beschwer ist vielmehr nach dem Umfang des gesamten Schadens zu bemessen, wie er sich dem Berufungsgericht aufgrund des Klägervortrags darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZB 74/08, VersR 2011, 646 Rn. 8). Anderes folgt auch nicht aus § 4 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO, wonach für die Wertberechnung der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels entscheidend ist. Hierdurch wird nur der für die Wertverhältnisse maßgebliche Zeitpunkt geregelt. Neue Tatsachen zur Wertbestimmung können indes in der Berufungsinstanz vorgetragen werden (vgl. MüKoZPO/Wöstmann, 4. Aufl., § 4 Rn. 9; MüKoZPO/Rimmelspacher, 4. Aufl., § 511 Rn. 55 f.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 4 Rn. 9). Bei der Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht daher ergänzenden Vortrag der Parteien zu diesem Wert in Erwägung zu ziehen. Hat das Erstgericht die auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall gerichtete Klage - wie hier auch - hinsichtlich eines Feststellungsantrags abgewiesen, kann der Wert des Beschwerdegegenstandes auch durch ausreichend konkret dargelegte Schadenspositionen bestimmt sein, die erstinstanzlich nicht in Ansatz gebracht wurden oder im Raum standen, sofern im Fall einer Verurteilung die Haftung der Beklagten auch für diese Positionen festgestellt würde (Senatsbeschluss vom - VI ZB 74/08, aaO).

III.

10Die Entscheidung über die Nichterhebung der Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Galke                         Zoll                            Diederichsen

              Pauge                      von Pentz

Fundstelle(n):
NJW-RR 2013 S. 1077 Nr. 17
LAAAE-36347