BGH Beschluss v. - II ZB 7/12

Rechtsbeschwerde gegen Verwerfung der Berufung und Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags: Begründungserfordernis des abweisenden Beschlusses; Überwachungspflicht des Rechtsanwalts bei Übertragung der Fristenkontrolle auf einen Rechtsreferendar

Gesetze: § 234 ZPO, § 547 Nr 6 ZPO, § 559 ZPO, § 576 Abs 3 ZPO, § 577 Abs 2 S 4 ZPO

Instanzenzug: Az: 27 U 669/12vorgehend LG Augsburg Az: 3 O 4913/06

Gründe

1I. Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Antrag des Beklagten auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungseinlegungsfrist zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten gegen das als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

2Der Antrag auf Wiedereinsetzung vom , eingegangen am , sei zulässig. Er sei rechtzeitig innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 234 ZPO gestellt, die am mit Entdeckung des übersehenen Fristablaufs begonnen habe.

3Der Antrag sei jedoch nicht begründet. Die Fristversäumung beruhe auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Berufungsführers. Auch bei der Übertragung von Aufgaben auf juristische Hilfskräfte, wie im vorliegenden Fall auf einen Rechtsreferendar, die dem Prozessbevollmächtigten zuarbeiteten, bestünden Weisungs- und Überwachungspflichten, die sich nach der Art der Tätigkeit und dem jeweiligen Ausbildungsstand der Hilfskraft richteten. Inhalt der behaupteten Anweisung an den Referendar sei vorliegend nur pauschal gewesen, nachdem der Prozessbevollmächtigte am den Schriftsatz zur Berufungseinlegung gefertigt gehabt habe, ihm die Akte nach Ausfertigung des Schriftsatzes wieder vorzulegen. Es sei dem Wiedereinsetzungsvorbringen nicht zu entnehmen, dass eine hinreichend klare und unmissverständliche Anweisung dahingehend bestanden habe, wann die Akte mit dem Berufungsschriftsatz vorzulegen sei. Das wäre jedoch geboten gewesen. Hierbei sei zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei der Überwachung von Fristen für einen Rechtsreferendar im Gegensatz zu einer Rechtsanwaltsfachangestellten mit einer dreijährigen Ausbildung um keine im Rahmen der Ausbildung bzw. des Studiums im Vordergrund stehende Tätigkeit gehandelt habe. Hinzu komme, dass ein Rechtsreferendar bzw. Student, im Gegensatz zu einer Rechtsanwaltsfachangestellten, bereits ausbildungsbedingt nicht ständig in einer Anwaltskanzlei tätig sei und daher, im Gegensatz zu einer bereits viele Jahre bewährten zuverlässigen Bürokraft, bei Übertragung derartiger Aufgaben an ihn höhere Aufgaben an die Überwachungspflicht zu stellen seien. Im vorliegenden Fall komme hinzu, dass die Eintragung der Fristen in die Handakte sowie den Fristenkalender nicht vom Referendar selbst, sondern von der dafür zuständigen Angestellten noch vor deren Urlaubsantritt vorgenommen worden sei.

4II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

51. Die Rechtsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass der angefochtene Beschluss bereits deshalb aufgehoben werden muss, weil er nicht ausreichend mit Gründen versehen ist.

6a) Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; anderenfalls sind sie nicht mit den nach dem Gesetz (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO) erforderlichen Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben (, VI ZB 2/11, NJW 2012, 2523 Rn. 3; Beschluss vom - VI ZB 68/12, NJW 2013, 1684 Rn. 6; Beschluss vom - VI ZB 50/12, NJW-RR 2013, 1077 Rn. 4 jeweils mwN). Das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Berufungsgericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Enthält der angefochtene Beschluss keine tatsächlichen Feststellungen, ist das Rechtsbeschwerdegericht nicht zu einer rechtlichen Prüfung in der Lage (, NJW 2013, 1684 Rn. 6; Beschluss vom - VI ZB 50/12, NJW-RR 2013, 1077 Rn. 4 beide mwN). Wird diesen Anforderungen nicht genügt, liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel vor, der die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts nach sich zieht (, NJW-RR 2013, 1077 Rn. 4 mwN). Eine Sachdarstellung ist lediglich dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel noch mit hinreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen ergeben (, NJW-RR 2013, 1077 Rn. 5 mwN).

7Dies gilt auch für Beschlüsse, mit denen die Berufung wegen Versäumung der Berufungs- oder der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen und die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist verweigert worden ist (vgl. , NJW 2007, 2045 Rn. 4; Beschluss vom - VI ZB 1/11, VI ZB 2/11, NJW 2012, 2523 Rn. 3; Beschluss vom - VI ZB 68/12, NJW 2013, 1684 Rn. 6).

8b) Es kann dahinstehen, welche Darstellungstiefe hinsichtlich des maßgeblichen Sachverhalts, über den entschieden wird, des Streitgegenstands und der Anträge bei Beschlüssen erforderlich ist, die die Berufung als unzulässig verwerfen und die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist verweigern. Zwingend erforderlich ist jedenfalls, dass die Beschlussgründe es dem Rechtsbeschwerdegericht gestatten, die prozessualen Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. , NJW 2007, 2045 Rn. 4; Beschluss vom - VI ZB 1/11, VI ZB 2/11, NJW 2012, 2523 Rn. 3).

9aa) Das ist hier nicht der Fall. Der angefochtene Beschluss erlaubt schon nicht die Feststellung, dass der Beklagte die Berufungsfrist tatsächlich versäumt hat. Es fehlt eine Darstellung des Prozessverlaufs mit den für die Fristberechnung maßgeblichen Daten.

10bb) Auch eine inhaltliche Überprüfung des Wiedereinsetzungsvorbringens ist anhand des wiedergegebenen Sachverhalts nicht möglich. So wirft das Berufungsgericht dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten offensichtlich vor, dass dieser einem bei ihm beschäftigten Rechtsreferendar die Weisung gegeben hat, am , nachdem er, der Prozessbevollmächtigte, den Schriftsatz zur Berufungseinlegung gefertigt hatte, ihm die Akte nach Ausfertigung des Schriftsatzes wieder vorzulegen und diese Anweisung nicht hinreichend klar zeitlich konkretisiert hat. Weitere Umstände, die die Beurteilung erlauben würden, ob in der Anweisung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten ein diesem zuzurechnendes Verschulden liegt, können dem angefochtenen Beschluss nicht entnommen werden.

11Dies wäre aber erforderlich gewesen. Wird eine Anweisung nur mündlich erteilt und betrifft sie einen so wichtigen Vorgang wie die Anfertigung und Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes oder die Notierung einer Frist, müssen ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Erledigung etwa im Drange der übrigen Geschäfte in Vergessenheit gerät. In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen Organisationsmangel (, NJW 2003, 435, 436; Beschluss vom - VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689; Beschluss vom - VI ZB 10/04, NJW-RR 2004, 1361, 1362; Beschluss vom - II ZB 6/08, NJW 2009, 1083 Rn. 16; Beschluss vom - VI ZB 23/11, NJW-RR 2012, 428 Rn. 9; Beschluss vom - XII ZB 277/11, NJW-RR 2012, 743 Rn. 11; Beschluss vom - VIII ZB 46/12, NJW-RR 2013, 699 Rn. 14 f.; Beschluss vom - XII ZB 559/12, NJW-RR 2013, 572 Rn. 9; Beschluss vom - XII ZB 47/10, MDR 2013, 1061 Rn. 12).

12Eine solche Sicherung gegen das Vergessen einer mündlich angeordneten Wiedervorlage kann aber bereits in einer den Anforderungen der Rechtsprechung genügenden Organisation des Fristenwesens in einer Kanzlei liegen. Der angefochtene Beschluss enthält keine Ausführungen dazu, weshalb nicht spätestens am Tag des Fristablaufs die - wohl - vergessene Wiedervorlage der Akte bemerkt worden ist. Sollte es sich hierbei um ein individuelles Versagen des Rechtsreferendars und nicht um einen Mangel in der - nach dem von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Vorbringen des Beklagten ordnungsgemäßen - Organisation der Ausgangskontrolle gehandelt haben, trifft den Beklagten an der Fristversäumung kein Verschulden (vgl. , NJW-RR 2001, 1072; Beschluss vom - III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430 Rn. 9; Beschluss vom - IX ZB 219/06, NJW 2008, 526 Rn. 13). Das Verschulden des Rechtsanwalts steht einer Wiedereinsetzung dann nicht entgegen, wenn im Rahmen der Büroorganisation durch eine allgemeine Arbeitsanweisung Vorsorge dafür getroffen wurde, dass bei normalem Verlauf der Dinge die Frist - trotz des Fehlers des Rechtsanwalts - mit Sicherheit gewahrt worden wäre (, NJW 2006, 1205 Rn. 9 mwN).

13Die Übertragung der Fristenkontrolle auf einen im Führen des Fristenkalenders ausgebildeten und eingewiesenen Rechtsreferendar führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht zu einer Erhöhung der Überwachungspflicht des Rechtsanwalts. Das Gegenteil ist der Fall (, NJW 2006, 1070 Rn. 5 f. mwN).

142. Die gebotene Zurückverweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen des Senats mit dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde zu befassen.

Bergmann                      Caliebe                         Drescher

                     Born                        Sunder

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW-RR 2014 S. 315 Nr. 5
AAAAE-51103