BAG Urteil v. - 10 AZR 863/11

Tarifliche Zeitzuschläge - tarifliche Ausschlussfrist

Leitsatz

Eine tarifliche Ausschlussfrist kann ausnahmsweise durch Geltendmachung des Anspruchs vor dessen Entstehung gewahrt werden. Das kommt in Betracht, wenn die Erfüllung von konkreten gegenwärtigen und künftigen Ansprüchen auf einer bestimmten Berechnungsgrundlage verlangt wird und nur diese zwischen den Parteien streitig ist.

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 3 Ca 10789/09 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 18 Sa 96/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, auf welcher Grundlage tarifliche Zeitzuschläge zu berechnen sind.

2Die Beklagte betreibt ein Beförderungsunternehmen und war im Streitzeitraum November 2007 bis August 2009 Mitglied des Landesverbands Hessischer Omnibusunternehmer e. V. (LHO). Der Kläger ist für die Beklagte als Omnibusfahrer tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft vertraglicher Vereinbarung die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Personenverkehrs mit Omnibussen in Hessen Anwendung.

Die für die Beklagte geltende betriebsbezogene Anlage 4 zu § 3 des Lohntarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des privaten Personenverkehrs mit Omnibussen in Hessen vom idF vom (nachfolgend: LTV) regelt den Stundenlohn auszugsweise wie folgt:

Definition der Lohngruppen Sippel, gültig ab ***

...

Bruttomonatslohn = 200 Dienststunden (abzüglich der Pausenzeiten), entspricht 175 Arbeitsstunden.

Ändert sich der Pausenabzug gem. § 7 Abschnitt A Ziffer 1, Punkt 4 Manteltarifvertrag LHO vom , so sind die Bruttomonatslöhne entsprechend neu auszuweisen.“

4Der Kläger wurde im Streitzeitraum nach der Lohngruppe L1A Stufe 4 vergütet.

Zum trat die „Tarifvertragliche Vereinbarung Nr. 12 vom “ in Kraft. Diese regelt ua.:

Der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Personenverkehrs mit Omnibussen in Hessen vom (nachfolgend: MTV) enthält folgende Regelungen:

7Die im Streitzeitraum geleisteten Mehrarbeits-, Sonntags-, Feiertags- und Nachtstunden sind jeweils in den Lohnabrechnungen ausgewiesen. Die Beklagte hat die Zeitzuschläge ausschließlich auf der Grundlage des in der betriebsbezogenen Anlage 4 zu § 3 LTV für die Lohngruppe des Klägers ausgewiesenen „Stundenlohns“ iHv. 9,66 Euro berechnet.

8Im Frühjahr und Herbst 2007 gab es Gespräche zwischen der Beklagten, dem Betriebsrat und der Gewerkschaft ver.di über die Berechnung der Vergütung der Mitarbeiter. Geltend gemacht wurde in diesem Zusammenhang auch, dass die tariflichen Zeitzuschläge auf einer falschen Grundlage berechnet würden.

Ende Januar 2008 überreichte der Kläger der Beklagten zusammen mit ca. 80 Kollegen ein vom Betriebsrat formuliertes Schreiben vom mit folgendem Wortlaut:

10Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Zeitzuschläge seien nicht auf der Grundlage des in der betriebsbezogenen Anlage 4 zu § 3 LTV für die Lohngruppe des Klägers ausgewiesenen „Stundenlohns“ iHv. 9,66 Euro, sondern nach dem „Stundenlohn gesamt“ iHv. 11,23 Euro zu berechnen. Er hat mit der im Januar 2010 erhobenen Klage die Differenzbeträge für die in den Lohnabrechnungen ausgewiesenen Mehrarbeits-, Sonntags-, Feiertags- und Nachtstunden für den Zeitraum November 2007 bis August 2009 geltend gemacht.

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt,

12Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und die Auffassung vertreten, Grundlage der Berechnung der Zeitzuschläge nach § 11 Nr. 1 MTV sei der „Stundenlohn“ iHv. 9,66 Euro. Etwaige Ansprüche seien auch nach § 21 MTV verfallen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

14Die Revision ist unbegründet. Zuschläge nach § 11 Nr. 1 MTV für Mehr-, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sind aus dem in der betriebsbezogenen Anlage 4 zu § 3 LTV ausgewiesenen „Stundenlohn gesamt“ und nicht aus dem „Stundenlohn“ zu berechnen (unter I). Die Ansprüche sind nicht nach § 21 MTV verfallen (unter II).

15I. Grundlage der Berechnung der Zeitzuschläge nach § 11 Nr. 1 MTV ist der in der betriebsbezogenen Anlage 4 zu § 3 LTV in der Lohngruppe L1A ausgewiesene „Stundenlohn gesamt“.

161. Bereits der Wortlaut der Tarifnorm legt dies nahe. Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist „Stundenlohn“ die Vergütung, die ein Arbeitnehmer für die in einer Stunde geleistete Arbeit erhält (Wahrig Deutsches Wörterbuch 8. Aufl. Stichwort „Stundenlohn“). Mitarbeiter mit einer Vergütung nach der Lohngruppe L1A Stufe 4 erhalten für eine Stunde Arbeit den „Stundenlohn gesamt“ iHv. 11,23 Euro und nicht lediglich den „Stundenlohn“ iHv. 9,66 Euro. Der Stundenlohn setzt sich zusammen aus dem in der betriebsbezogenen Anlage 4 zu § 3 LTV ausgewiesenen „Stundenlohn“ sowie den für jede Stunde zu zahlenden Zulagen. Diese sind feste stundenbezogene Lohnbestandteile und damit Teil des tariflichen Stundenlohns.

172. Der tarifliche Gesamtzusammenhang bestätigt diese Auslegung. Bezugsgröße für tarifliche Ansprüche der nach der Lohngruppe L1A vergüteten Mitarbeiter ist nicht der „Stundenlohn“, sondern der „Stundenlohn gesamt“. Die in der betriebsbezogenen Anlage 4 zu § 3 LTV ausgewiesenen Bruttomonatslöhne für die verschiedenen Stufen der Lohngruppe L1A werden auf der Grundlage des „Stundenlohns gesamt“ errechnet; gleiches gilt für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 12 Nr. 1 Abs. 2 MTV, die Urlaubsvergütung nach § 15 Nr. 11 MTV und das Sterbegeld nach § 14 Nr. 1 MTV. Auch die in Nr. 4 der „Tarifvertraglichen Vereinbarung Nr. 12 vom “ vereinbarte Besitzstandswahrung ist ausdrücklich auf das individuell erreichte „Stundenentgelt gesamt“ bezogen. Vor diesem Hintergrund hätte es besonderer Anhaltspunkte bedurft, wenn für die Berechnung der Zuschläge nach § 11 Nr. 1 MTV ausnahmsweise der in der betriebsbezogenen Anlage 4 zu § 3 LTV ausgewiesene „Stundenlohn“ hätte maßgeblich sein sollen. Daran fehlt es. Dass der Arbeitgeber nach § 10 Nr. 5 MTV zur getrennten Ausweisung des „Lohnsatzes“, der „Lohnzuschläge“ und der „Lohnzulagen“ in der Lohnabrechnung verpflichtet wird, spricht entgegen der Auffassung der Revision nicht dafür, dass „Lohnsatz“ iSv. § 10 Nr. 5 MTV und „Stundenlohn“ iSv. § 11 Nr. 1 MTV gleichbedeutend sind. Hätten die Tarifvertragsparteien in beiden Normen auf eine einheitliche Bezugsgröße Bezug nehmen wollen, hätte es nahegelegen, denselben Begriff zu verwenden.

183. Sinn und Zweck der Zulagen gemäß der genannten betriebsbezogenen Anlage 4 zu § 3 LTV bestehen erkennbar nur darin, die geschuldete (Stunden-)Vergütung entsprechend der Eingruppierung des Arbeitnehmers festzulegen. Den Zulagen kommt keine besondere, neben einem Stundenlohn bestehende Funktion zu. Die Aufschlüsselung dient lediglich der Erläuterung des Stundenlohns, wie der Zusammenhang mit den übrigen Lohngruppen zeigt.

194. Auch die Tarifgeschichte spricht dagegen, dass der Begriff des „Stundenlohns“ - in Abgrenzung zu dem ebenfalls verwendeten Ausdruck „Stundenlohn gesamt“ - für § 11 Nr. 1 MTV maßgeblich sein soll. Der LTV nebst seinen betriebsbezogenen Anlagen wurde am vereinbart. Bei Abschluss des MTV am galt noch der Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des privaten Personenverkehrs mit Omnibussen vom . Dieser Lohntarifvertrag differenzierte nicht zwischen „Stundenlohn“ und „Stundenlohn gesamt“, sondern wies in der Anlage zu § 3 einheitliche Stundenlöhne aus. Die Bezugnahme auf den „Stundenlohn“ in § 11 Nr. 1 MTV zeigt vor diesem Hintergrund, dass der Berechnung der Zuschläge die Vergütung zugrunde zu legen ist, die ein Arbeitnehmer nach dem Lohntarifvertrag für die in einer Stunde geleistete Arbeit verlangen kann. Dies ist bei Beschäftigten der Lohngruppe L1A der „Stundenlohn gesamt“.

205. Die Höhe der Differenzbeträge steht nicht im Streit.

21II. Die Ansprüche sind nicht nach § 21 Nr. 4 MTV verfallen.

221. Nach § 21 Nr. 2 MTV müssen Ansprüche aus Mehr-, Sonn- und Feiertagsarbeit spätestens acht Wochen nach Fälligkeit und nach § 21 Nr. 3 MTV alle übrigen Ansprüche aus dem Tarifvertrag oder dem Einzelarbeitsvertrag binnen drei Monaten nach ihrer Entstehung, im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses spätestens einen Monat nach Arbeitsvertragsende, schriftlich oder mündlich unter Zeugen geltend gemacht werden. Nach Ablauf der Fristen ist die Geltendmachung dieser Ansprüche nach § 21 Nr. 4 MTV ausgeschlossen.

232. Ob die Geltendmachung aller im Streit stehenden Zuschläge sich nach § 21 Nr. 2 MTV richtet oder ob Zuschläge für die dort nicht ausdrücklich aufgeführte Nachtarbeit als „übrige Ansprüche“ nach § 21 Nr. 3 MTV geltend gemacht werden müssen, kann dahinstehen; die schriftliche Geltendmachung vom hat beide Ausschlussfristen gewahrt.

24a) Zur Geltendmachung im Sinne tariflicher Ausschlussfristen gehört, die andere Seite zur Erfüllung des Anspruchs aufzufordern. Der Anspruchsinhaber muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer bestimmten Forderung ist und auf deren Erfüllung besteht. Die Geltendmachung setzt voraus, dass der Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich bezeichnet und die Höhe des Anspruchs sowie der Zeitraum, für den er verfolgt wird, mit der für den Schuldner notwendigen Deutlichkeit ersichtlich gemacht wird; die Art des Anspruchs sowie die Tatsachen, auf die der Anspruch gestützt wird, müssen erkennbar sein ( - zu II 1 a der Gründe, AP BAT-O §§ 22, 23 Nr. 28). Eine Bezifferung der Forderung ist nicht erforderlich, wenn dem Schuldner die Höhe bekannt oder für ihn ohne Weiteres errechenbar ist und die schriftliche Geltendmachung erkennbar hiervon ausgeht ( - zu II 2 b aa der Gründe, AP TVG § 4 Ausschlussfrist Nr. 183 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 179). Dies ist besonders bei Lohnklagen regelmäßig der Fall; hier ist der Arbeitgeber aufgrund seiner besonderen Sachkenntnis zur genauen Bezifferung regelmäßig eher in der Lage als der Arbeitnehmer ( - zu II 3 a der Gründe, BAGE 105, 181).

25b) Der Kläger hat mit Schreiben vom die Zahlung von Zeitzuschlägen auf der Grundlage eines Stundenlohns von 11,23 Euro verlangt und damit die Abrechnung und Zahlung der Zuschläge auf einer anderen Berechnungsgrundlage als von der Beklagten bisher durchgeführt geltend gemacht. Die Geltendmachung ist nicht auf eine bestimmte Zeitspanne beschränkt, sondern schließt die Abrechnung künftiger Ansprüche auf dieser Grundlage erkennbar ein. Eine Bezifferung war entbehrlich; über Art und Anzahl der zuschlagspflichtigen Stunden streiten die Parteien nicht, die Höhe der Ansprüche war für die Beklagte ohne Weiteres errechenbar.

26c) Unerheblich ist, dass die Ansprüche im Zeitpunkt der Geltendmachung zum Teil noch nicht fällig waren. § 21 Nr. 2 MTV bestimmt lediglich den Zeitpunkt, zu dem ein Anspruch „spätestens“ geltend gemacht werden muss, nicht aber den frühestmöglichen Zeitpunkt. Das Ziel der zügigen Klärung wechselseitiger Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis erfordert nicht, einen Anspruch erst nach Eintritt der Fälligkeit geltend zu machen. Behauptet der Anspruchsteller vor Fälligkeit, dass der von einer Norm zur Entstehung des Anspruchs vorausgesetzte Tatbestand verwirklicht ist, kann sich der Anspruchsgegner auf die erhobene Forderung einstellen und Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs verschaffen. Die rasche Klärung des Anspruchs wird bei einer Geltendmachung vor Fälligkeit in der Regel noch schneller erreicht ( - zu I 4 b der Gründe, BAGE 109, 100).

27d) Der wirksamen Geltendmachung steht nicht entgegen, dass die Ansprüche bei Geltendmachung zum Teil noch nicht entstanden waren.

28aa) Nach § 21 Nr. 2 MTV ist allerdings grundsätzlich erforderlich, dass der Anspruch bereits entstanden ist.

29(1) Die Norm regelt die Geltendmachung von „Ansprüchen“. Das setzt voraus, dass die rechtserzeugenden Anspruchsvoraussetzungen bei der Geltendmachung erfüllt sind. Fehlt es daran, liegt regelmäßig kein Anspruch vor, der geltend gemacht werden könnte (vgl.  - zu III 1 a der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177; - 6 AZR 539/02 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 109, 100; - 6 AZR 283/02 - zu 3 b der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 168).

30(2) Eine Geltendmachung vor Entstehung des Anspruchs widerspricht regelmäßig auch dem Sinn und Zweck von Ausschlussfristen. Der Anspruchsgegner soll vor der Verfolgung unzumutbarer Ansprüche bewahrt werden, das sind regelmäßig solche, mit deren Geltendmachung er nicht rechnet und auch nicht zu rechnen braucht( - Rn. 22, NZA 2013, 101). Er soll sich auf offene Forderungen einstellen, Beweise sichern und vorsorglich Rücklagen bilden können ( - zu I 4 b aa der Gründe, BAGE 109, 100; - 6 AZR 283/02 - zu 3 c der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 168). Sind die rechtserzeugenden Tatsachen noch nicht eingetreten, können diese Ziele regelmäßig nicht erreicht werden. Es bleibt ungewiss, ob und in welchem Umfang Ansprüche entstehen; die rasche Klärung von Ansprüchen wird nicht erreicht ( - Rn. 35, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 79; - 6 AZR 5/08 - Rn. 14, AP BAT § 70 Nr. 39; - 5 AZR 385/02 - zu III 1 a der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177; - 6 AZR 283/02 - aaO).

31bb) Eine Besonderheit liegt vor, wenn bei unveränderter rechtlicher und tatsächlicher Lage ein Anspruch aus einem bestimmten Sachverhalt hergeleitet werden kann (vgl.  - zu III 1 b der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177; - 6 AZR 539/02 - zu II 2 b cc der Gründe, BAGE 109, 100; - 6 AZR 283/02 - zu 4 der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 168; - 8 AZR 366/00 - zu II 3 c der Gründe, AP BAT-O § 70 Nr. 2 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 136). Dies ist der Fall, wenn ein bestimmter Anspruch jeweils aus einem ständig gleichen Grundtatbestand entsteht. Durch einmalige ordnungsgemäße Geltendmachung kann die Ausschlussfrist dann auch im Hinblick auf noch nicht entstandene Ansprüche gewahrt sein (vgl.  - aaO; - 6 AZR 283/02 - aaO; - 8 AZR 366/00 - aaO). Einzelne Tarifverträge erlauben ausdrücklich eine solche Konzentration der Obliegenheit zur Geltendmachung (zB § 37 Abs. 1 Satz 2 TVöD). In Betracht kommt aber auch eine entsprechende Auslegung ohne ausdrückliche Regelung (vgl.  - zu III 1 b der Gründe, aaO); denn tarifliche Ausschlussfristen unterliegen einer einschränkenden Auslegung, wenn der mit der Ausschlussfrist verfolgte Zweck, dem Schuldner zeitnah Gewissheit zu verschaffen, mit welchen Ansprüchen er zu rechnen hat, durch einmalige Geltendmachung erreicht wird. Die einschränkende Auslegung ist insbesondere dann geboten, wenn lediglich über die stets gleiche Berechnungsgrundlage von im Übrigen unstreitigen Ansprüchen gestritten wird; hier reicht im Zweifel die einmalige Geltendmachung der richtigen Berechnungsmethode auch für später entstehende Zahlungsansprüche aus. Der Wortlaut des § 21 MTV schließt die Geltendmachung künftiger Ansprüche nicht von vornherein aus.

32Dasselbe Verständnis von tariflichen Ausschlussfristen liegt der ständigen Rechtsprechung zugrunde, wonach künftig entstehende Entgeltansprüche bereits mit der Erhebung einer Bestandsschutzklage wirksam geltend gemacht werden. Eine derartige Geltendmachung vor Entstehen der Ansprüche ist zugleich auf die Sicherung der Ansprüche gerichtet, die durch den Verlust des Arbeitsverhältnisses verloren gehen. Damit ist der Arbeitgeber ausreichend von dem Ziel des Arbeitnehmers unterrichtet, die Einzelansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten ( - Rn. 14 ff. mwN, NZA 2013, 101; - 5 AZR 385/02 - zu III 1 a der Gründe mwN, aaO). Eine weitere Geltendmachung kann nach dem Sinn und Zweck der tariflichen Ausschlussfristen regelmäßig nicht verlangt werden.

33cc) Ansprüche aus ständig gleichem Grundtatbestand sind regelmäßig solche auf eine dauerhafte Zulage oder aus einer bestimmten Eingruppierung ( - zu II 2 b cc der Gründe, BAGE 109, 100; - 6 AZR 283/02 - zu 4 der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 168; - 8 AZR 366/00 - zu II 3 c der Gründe, AP BAT-O § 70 Nr. 2 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 136). Unständige Bezüge, deren Entstehung von verschiedenen Faktoren abhängt, müssen vor der Geltendmachung hingegen regelmäßig entstanden sein (zur Überstundenvergütung: vgl.  - zu III 1 b der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177; - 6 AZR 774/87 - zu IV der Gründe, ZTR 1990, 155; zur Vergütung von Nachtdiensten: vgl.  - zu II 2 b cc der Gründe, aaO; - 6 AZR 283/02 - zu 4 der Gründe, aaO). Steht allein ein bestimmtes Element einer bestimmten Art von Ansprüchen in Streit, erfüllt die Aufforderung, dieses zukünftig in konkreter Art und Weise zu beachten, die Funktion einer Inanspruchnahme. Für den Schuldner kann kein Zweifel bestehen, was von ihm verlangt wird, und der Gläubiger darf ohne Weiteres davon ausgehen, dass er seiner Obliegenheit zur Geltendmachung Genüge getan hat.

34dd) Die Parteien streiten über die Berechnungsgrundlage der Zeitzuschläge nach § 11 MTV und damit über einen für die Vergütung aller zuschlagpflichtigen Stunden gleichen Grundtatbestand. Anzahl und Art der zuschlagpflichtigen Stunden sind in den Lohnabrechnungen ausgewiesen und damit streitlos gestellt; sie mussten nicht geltend gemacht werden (vgl.  - Rn. 18 f., BAGE 135, 197). Zur Erreichung des mit der Ausschlussfrist verfolgten Zwecks war deshalb die einmalige Geltendmachung der - auch künftigen - Abrechnung der Zeitzuschläge auf der Grundlage des „Stundenlohns gesamt“ ausreichend. Das Schreiben vom wahrt sowohl die zu diesem Zeitpunkt entstandenen als auch die künftigen Differenzansprüche unter Zugrundelegung der jeweils abgerechneten Stunden. Die Beklagte musste ohne ständig wiederholte Geltendmachung damit rechnen, auf Zahlung ganz bestimmter höherer Zeitzuschläge verklagt zu werden. Sie konnte sich auf die Forderung einstellen, etwaige Beweise sichern und vorsorglich Rücklagen bilden; ein monatlich wiederholter Hinweis des Klägers hätte der Beklagten keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn gebracht und wäre lediglich überflüssige Förmelei gewesen. Die Beklagte konnte auch nicht davon ausgehen, der Kläger habe zwischenzeitlich von seiner Forderung Abstand genommen.

35e) Die vorstehende Auslegung von § 21 MTV steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung anderer Senate des Bundesarbeitsgerichts. Soweit bei unständigen Bezügen verschiedentlich nur die Geltendmachung bereits entstandener Ansprüche für ausreichend erachtet worden ist (für Ansprüche auf Überstundenvergütung: vgl.  - zu III 1 b der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177; - 6 AZR 774/87 - zu IV der Gründe, ZTR 1990, 155; für Ansprüche auf Vergütung von Nachtdiensten: vgl.  - zu II 2 b cc der Gründe, BAGE 109, 100; - 6 AZR 283/02 - zu 4 der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 168), wurde auch darauf abgestellt, dass die Arbeitnehmer in den einzelnen Monaten in unterschiedlichem Umfang Arbeitsleistungen zu erbringen hatten ( - aaO; - 6 AZR 774/87 - aaO; - 6 AZR 539/02 - aaO; - 6 AZR 283/02 - aaO). Diese können nicht im Voraus geltend gemacht werden. Vorliegend besteht aber die Besonderheit, dass Umfang und Art der zuschlagpflichtigen Stunden streitlos sind und nur über die Berechnungsgrundlage gestritten wird. Der Grund, weshalb bei unständigen Bezügen regelmäßig nur die Geltendmachung bereits entstandener Ansprüche eine Ausschlussfrist wahren kann, ist mit Aufnahme der geleisteten Stunden in eine Lohnabrechnung entfallen. Für die richtige Berechnung der Zeitzuschläge gemäß § 11 MTV reichte deshalb die einmalige Geltendmachung aus.

363. Jedenfalls ist die Berufung der Beklagten auf den Verfall der Ansprüche rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB).

37a) § 242 BGB kann zum Verlust eines Rechts im Hinblick auf ein missbilligtes Verhalten, das mit der Rechtsposition in sachlichem Zusammenhang steht, führen ( - Rn. 19, BAGE 136, 54).Eine unzulässige Rechtsausübung liegt etwa vor, wenn die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit durch ein Verhalten der Gegenpartei veranlasst worden ist (vgl.  - Rn. 32 mwN, BAGE 125, 216) oder wenn der Schuldner es pflichtwidrig unterlassen hat, dem Gläubiger die Umstände mitzuteilen, die diesen zur Einhaltung der Ausschlussfrist veranlasst hätten ( - aaO).

38b) Die Beklagte führte mit Betriebsrat und Gewerkschaft seit 2007 Verhandlungen über eine andere Berechnung der Zeitzuschläge; spätestens seit der gemeinsamen Geltendmachung im Januar 2008 war ihr bewusst, dass die Arbeitnehmer auf einer Berechnung der Zeitzuschläge auf der Grundlage des „Stundenlohns gesamt“ bestehen. Der faire Umgang mit dem Vertragspartner hätte vor diesem Hintergrund geboten, auf eine im Sinne des Tarifvertrags gegebenenfalls nicht ausreichende, aber offenbar von den Arbeitnehmern als ausreichend angesehene Geltendmachung zu reagieren, um die - auch für sich selbst reklamierte - Klarheit zu schaffen. Dies ist unterblieben. Die Beklagte hat erkennbar darauf gesetzt, dass ein Teil der Mitarbeiter zunächst vor weiteren Geltendmachungen und (gerichtlichen) Auseinandersetzungen zurückschreckt und Ansprüche sukzessive verfallen. Dies ist rechtsmissbräuchlich.

III. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB iVm. § 10 Nr. 4 MTV, die Kostenentscheidung aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 1139 Nr. 19
DB 2013 S. 8 Nr. 15
BAAAE-33112